Man spricht heutzutage viel davon, daß man unter Druck arbeite und dann an den Begleiterscheinungen — Ermüdung und Abspannung — leide; daß man für die knappe, zur Verfügung stehende Zeit, zuviel zu tun habe, daß man für die vielen Anforderungen nicht die ausreichende Kraft besitze oder daß die Ausgaben für das geringe Einkommen zu hoch seien — das ist die Art, wie die Annahme, wir seien unter einem Druck, an uns herantritt.
Die Christliche Wissenschaft, die sich auf Christi Jesu Lehren und deren Anwendung gründet, lenkt unser Denken auf die Unendlichkeit von Gottes Güte und befähigt uns zu der Erkenntnis, daß der Mensch wahrlich geistig ist und es ihm obliegt, diese göttliche Fähigkeit auszudrücken oder widerzuspiegeln. Solches Denken nimmt die falsche Vorstellung einer persönlichen Verantwortung hinweg, die gewöhnlich das Gefühl von Druck erzeugt. In der Heiligen Schrift haben wir das klassische Beispiel von Maria und Martha. Darin heißt es (Luk. 10:40, 41): „Martha aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen.“ Maria dagegen saß still zu Jesu Füßen und lauschte seinen Worten. Jesus erklärte: „Eins aber ist not“, nämlich, aufmerksam und gehorsam der Stimme der Wahrheit zu folgen. Maria lernte, die lärmenden Ansprüche der sterblichen Annahmen zum Schweigen zu bringen; sie scheinen sich im eigenen Bewußtsein zu behaupten, gehen jedoch nicht von Gott aus noch gehören sie zu Seinem Bild und Gleichnis, dem Menschen.
Allgemein gesprochen hat man bei dem Wort Druck die Vorstellung von etwas, das in einen zu kleinen Raum gepreßt worden ist. Wir wissen, welcher Anstrengung es bedarf, genügend Luft in einen Fahrradschlauch zu pumpen, um den erforderlichen Druck herzustellen. Diese zusammengepreßte Luft ist ein wohlbekanntes Beispiel für physikalischen Druck. Die Sterblichen aber leiden an mentalem Druck, an der falschen Vorstellung, Geist oder Gemüt sei in einen Sterblichen gepreßt. Geist ist Gott und ist daher unendlich; doch zuweilen glauben wir, der unendliche Geist und die unendliche Seele seien in einen materiellen Körper eingeschlossen oder in die endliche Auffassung der Dinge; doch das wäre ein viel zu kleiner Platz dafür. Wir werden zu der Annahme verleitet, die Intelligenz des Menschen, das eine göttliche Gemüt, wohne in einem materiellen Organ, Gehirn genannt. Und dann erbittern uns diese irrigen Vorstellungen.
Das Folgende mag als Erläuterung dienen: Wenn man einen Gummiball zusammenpreßt bis er seine Form vollständig verloren hat und man dann fragt, was getan werden könne, um ihm seine normale Form wiederzugeben, so ist die Frage nicht schwer zu beantworten: Laß den Ball los, befreie ihn von dem festen Druck der Hand, und er wird schnell seine normale Gestalt wiedergewinnen. So wird unser Denken verzerrt und entstellt durch den Druck, den Furcht und menschlicher Wille ausüben, nicht aber durch zu hohen Blutdruck oder nervöse Abspannung. Die göttliche Liebe führt, der Teufel aber treibt und hetzt.
Das christlich-wissenschaftliche Heilmittel gegen das Gefühl des Druckes ist das Verständnis, daß Seele oder Geist Gott ist, niemals in irgend etwas eingeschlossen; daher ist Seele oder Geist niemals begrenzt noch kann Seele oder Geist je unter Druck stehen. Gott wird durch den Menschen ausgedrückt, aber Gott ist nicht in der Materie enthalten. Man muß sich von der Annahme frei machen, der Mensch, das Ebenbild Gottes, könne je unter Druck stehen oder das Gefühl haben, in einem begrenzten Gemüt oder einem begrenzten Körper eingeschlossen zu sein. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 256): „Der ewige Ich bin ist nicht auf die engen Grenzen der physischen Menschheit begrenzt oder beschränkt, noch kann Er durch sterbliche Begriffe richtig verstanden werden.“ Sie schreibt ferner (ebd., S. 467): „Geist, Seele, ist nicht vom Menschen umschlossen und ist niemals in der Materie.“
Sobald wir erfassen, daß die Seele des Menschen unendlich ist, stets außerhalb des Körpers, niemals beschränkt oder umschlossen, daß die Intelligenz unendlich ist und daß es für Leben oder Gemüt keine Begrenzungen gibt — dann fangen wir an zu fühlen, daß sich unser Bewußtsein weitet, und wir erleben die normale Freiheit des Denkens, des Handelns und Wirkens. Samuel Longfellow beschreibt diese Erfahrung in einem Gedicht mit den Worten:
Der freie Schritt und Atemzug
Dem Aug’ stets größren Ausblick beut.
Im Neuen Testament finden wir die hilfreiche Stelle, wo Paulus von dem schweren Druck spricht, unter dem sie standen, und seine Worte sind es wert, überdacht zu werden (2. Kor. 1:8–10): „Denn wir wollen euch nicht verhalten, liebe Brüder, unsre Trübsal, die uns in Asien widerfahren ist, da wir über die Maßen beschwert waren und über Macht, also daß wir auch am Leben verzagten und bei uns beschlossen hatten, wir müßten sterben. Das geschah aber, damit wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst sollen stellen, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt, welcher uns von solchem Tode erlöst hat und noch täglich erlöst; und wir hoffen auf ihn, er werde uns auch hinfort erlösen.“ Hier weist Paulus auf die wissenschaftlich richtige Antwort hin, die darin liegt, daß wir unser Vertrauen auf die begrenzte, falsche Vorstellung aufgeben, die lebendige Seele sei in einem materiellen Körper eingeschlossen und werde darin gefangen gehalten. Befreiung von diesem Druck wird nicht dadurch erlangt, daß wir auf uns selbst vertrauen, „sondern auf Gott, der die Toten auferweckt“; das heißt, dadurch daß wir auf unser Verständnis vertrauen, daß Leben oder Gemüt göttlich ist, allerhaben, fessellos, ewig, und daß die unendliche Seele oder der unendliche Geist das wirkliche und einzige Prinzip des Menschen ist.
