Als meine Frau und ich vor ein paar Jahren Umzugsvorbereitungen trafen, fiel mir ein Brief in die Hände, den ich ihr ca. 25 Jahre vorher geschrieben hatte. Es ging um ein Thema, das wir nicht problemlos direkt besprechen konnten.
Mein Brief bezog sich auf eine Situation, in der ich sicher war, dass ich wusste, was getan werden musste. Ich war überzeugt, dass es keine andere Betrachtungsweise der Dinge gab und dass das nichts mit Meinungen zu tun hatte, sondern unwiderlegbare Tatsachen waren.
Einige Zeit nach diesem Brief schienen mehrere Dinge in meinem Leben schief zu laufen, und das ungelöste Problem des Briefes war nur eins davon. Ich brütete ständig darüber, was zu tun war, und mir fielen alle möglichen Schritte ein, manche davon ziemlich drastisch. Es war keine glückliche Zeit. Doch ich las jeden Tag die wöchentliche Bibellektion aus dem Vierteljahresheft der Christlichen Wissenschaft und rang in meinen drängenden Gebeten mit diesen Problemen.
Als ich eines Tages die Lektion fertiggelesen hatte und betete, hatte ich ein tiefgründiges Erlebnis. Mir kam plötzlich folgender Gedanke, begleitet von der absoluten Überzeugung, dass dies die Wahrheit war: „Der menschliche Verstand ist gänzlich unfähig, Glück für sich selbst zu schaffen.“
Als ich staunend tiefer darüber nachdachte, wurde mir klar, dass man Glück nur erlangt, wenn man mit absolutem Glauben, Vertrauen und Gehorsam zulässt, dass das göttliche Prinzip, Gott, jeden Aspekt unseres Lebens lenkt. Dieser Gedanke war mir nicht neu, doch ich war hocherfreut, ihn plötzlich mit neuer Klarheit und absoluter Überzeugung zu erkennen. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Ich musste keinen Ausweg finden und auch nichts bewirken! Ich fühlte mich getragen, frei und in göttliche Liebe, Gott, gehüllt. Das war ein Wendepunkt für mich. Ich will nicht behaupten, dass ich diesen Wahrheitsgedanken seitdem einwandfrei umgesetzt habe, aber er hat mich wiederholt gesegnet und mir auf wichtige Weise geholfen.
Unlängst verstand ich diesen Gedanken in einem größeren Kontext, als ich über Jesu Versuchungen in der Wüste nachdachte. Nachdem Johannes ihn getauft hatte und bevor er seine Mission aufnahm, „wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden“ (Matthäus 4:1). Jesus konterte jede Versuchung erfolgreich mit einem konkreten Bezug auf die hebräische Heilige Schrift. Er hatte beispielsweise Hunger, und die erste Versuchung lag darin, durch seinen Status als Gottes Sohn Steine in Brot zu verwandeln. Mit Bezug auf 5. Mose 8:3 antwortete Jesus: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt“ (Matthäus 4:4).
Für mich konnte diese Versuchung folgendermaßen ausgedrückt werden: „Du weißt genau, was zu tun ist. Nutze deine Beziehung zu Gott, um es in die Wege zu leiten!“ Das klingt vernünftig. Wenn nicht, wäre es keine wirkliche Versuchung. Jesu Zurückweisung sagt mir, dass er den Fehler in der grundlegenden Prämisse erkannte. Wenn wir mit dem menschlichen Gemüt anfangen und mit jedem Mittel – weltlich und religiös – versuchen, den Verlauf der Dinge für uns und andere zu steuern, wird unser Stolz uns unweigerlich zu menschlichem Irrtum verleiten. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, rät uns: „Alle Zustände und Stadien menschlichen Irrtums werden dadurch bekämpft und überwunden, dass die göttliche Wahrheit den Irrtum in der von Gott verordneten Weise verneint“ (Vermischte Schriften 1883–1896, S. 208).
Jesus hat uns gezeigt, dass das wahre Motiv für Gebet nicht in dem Wunsch liegt, etwas zu bewirken, das wir für nötig halten. Vielmehr ist es der Wunsch, unser Denken und Handeln in Harmonie mit „jedem Wort [zu bringen], das aus dem Mund Gottes kommt“. Dies ist das Ziel. Doch als Jesus in dieser Art betete, wurde sein Bedarf an Nahrung in der Wüste selbstverständlich erfüllt, und zwar vermutlich auf eine Weise, die ihm zum Zeitpunkt der Versuchung nicht klar war. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass er seine Jünger später mit so viel Zuversicht anwies: „Darum sollt ihr euch nicht sorgen und sagen: ‚Was werden wir essen? Was werden wir trinken?‘ ... Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das alles zufallen“ (Matthäus 6:31–33). Der echte Bedarf liegt darin, in erster Linie das Reich Gottes zu suchen und von dieser Grundlage aus zu handeln.
Wir mögen vielleicht sehr aufgewühlt über einen Aspekt unseres Lebens sein und glauben, wir wüssten, was nötig ist. Wir mögen beispielsweise denken: „Ich muss eine Frau finden“, „Ich brauche einen Job“, „Ich muss eine Bleibe haben“, „Wir müssen mehr gegen den Klimawandel tun.“ Der Weg voran erfordert nicht, selbst eine Möglichkeit aufzutun, diese Probleme zu lösen. Jesus hat uns vielmehr gezeigt, dass es darum geht, unseren Bezugsrahmen mithilfe von Gebet vom Materiellen zum Geistigen, vom Menschlichen zum Göttlichen zu ändern, um empfänglicher für richtige Ideen zu werden. Wir erkennen, dass der beste Einsatz für uns darin liegt, unsere Gedanken und unser Vorgehen in Harmonie mit Gott zu bringen. Wenn wir uns der Natur Gottes als göttliches Prinzip bewusst sind, offenbart die richtige Idee das absolut Beste, das wir in jeder Situation tun können. Mehr kann man sich nicht wünschen.
Gott, das unendlich intelligente göttliche Gemüt, weiß, was wir brauchen, und kommuniziert mit jedem von uns genau so, wie wir bereit sind, Seine Führung zu erhalten. Die richtige Idee, die mir vollständig geformt kam, beruhte nicht auf meinen Überlegungen. Sie kam nicht aus mir, sondern zu mir. Und so schlicht wie er war, kam mir dieser Gedanke genau auf eine Weise, die mir in jenem Augenblick einleuchtete und nützlich war.
Der Brief, den ich an meine Frau geschrieben hatte, bewirkte natürlich gar nichts, außer mich – als ich ihn Jahre später noch einmal las – demütig und reuevoll dankbar dafür zu machen, dass er wirkungslos geblieben war. Es stellte sich heraus, dass ich trotz meiner Überzeugung in Wirklichkeit nicht gewusst hatte, was zu tun war. Die Erkenntnis, dass der menschliche Verstand unfähig ist, Glück für sich selbst zu schaffen, befähigte mich, das zu erkennen, was Mrs. Eddy „eine geistige Idee“ nennt, „die euren Pfad erleuchtet!“ (Vermischte Schriften, S. 306). Solche geistigen Ideen sind immer bei uns und zur Hand, um jeden von uns zu führen.
