Meine Schwester und ich gehörten als Kinder zusammen wie Pech und Schwefel, Zimt und Zucker ... Kartoffelsalat und Würstchen. Wir hatten viele gemeinsame Freunde und machten viel zusammen. Und heute ist es eigentlich genauso. Aber zwischendurch gab es eine Zeit, als die Kameradschaft verloren schien.
Als ich in der Mittelstufe war, fing ich an, mich ständig mit meiner Schwester zu vergleichen. Ich sah die Unterschiede und wurde eifersüchtig und unsicher. Meine Schwester, die meine Vertraute gewesen war, erschien mir auf einmal wie eine Rivalin. Ich war neidisch auf ihre Beziehungen und Erfolge. Aufgrund dessen sah ich die guten Dinge in meinem Leben oft gar nicht.
Obwohl meine Schwester mich immer unterstützte und gern mit mir redete, zog sich meine Eifersucht hin, bis ich in der 10. Klasse damit konfrontiert wurde.
Kurz nachdem ich aus dem Sommerlager nach Hause gekommen war, erfuhr ich, dass meine Schwester einen Platz im Internat erhalten hatte. Ich war traurig, dass sie wegging, aber auch ärgerlich, dass sie mich mit den Problemen des Alltags allein ließ.
Später im Schuljahr besuchten meine Familie und ich sie im Internat. Ich hörte viel Lob über die fantastische Arbeit, die meine Schwester bei der Theaterproduktion leistete. Statt mich für sie zu freuen, verschloss ich mich und redete mir ein, dass der Respekt anderer, was ihr Talent anging, keinen Platz für eine Anerkennung meiner Stärken übrigließ. Dort in der Schule zu sein, förderte all die Eifersucht zutage, die sich während der Monate ihrer Abwesenheit aufgestaut hatte.
Am Morgen nach der Theatervorstellung wachte ich mit Halsschmerzen auf. Es war Ostersonntag, und nach der Kirche ging es mir körperlich und seelisch schlecht. Später konnte ich vor Schmerzen kaum reden. Einmal zog ich mich zurück, weil ich weinen musste. Körperlich ging es mir schlecht, und meine Schwester kam mir wie ein riesiges Hindernis vor, das meiner glücklichen Zukunft im Weg stand. Da fielen mir folgende Worte auf, die jemand an einer Pinnwand befestigt hatte:
Schaff für den Strom der Liebe Raum,
dass er sich frei ergießt;
die Quelle unerschöpflich ist,
die für uns alle fließt.
Doch wo die Herzen unnahbar
und ohne Liebe sind,
versiegt der Quell der Liebe bald,
der Segensbronn zerrinnt.
(Richard C. Trench, Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 182)
Das rüttelte mich auf. Die Stelle, die besagt, dass der Quell der Liebe und somit der Brunnen des Segens austrocknet, zeigte mir, dass ich meine Schwester ohne Liebe betrachtete. Wenn ich das Gute in meinem eigenen Leben weiter ignorierte, würde es mir vorkommen, als ob mir das Herz brach und mein „Segensbronn“ zerrann. Ich wollte all die Liebe aus diesem Brunnen für mich haben, doch das wäre lächerlich, denn Liebe ist ja kein Besitztum, nichts, was jemand ablegen kann. Liebe kommt von Gott, dem unendlichen Guten. Als ich mir vorstellte, dass meine Schwester mehr Liebe hatte als ich, bildete ich mir ein, sie könnte mir meine Liebe wegnehmen oder eine größere Portion Liebe erhalten als ich. Doch Liebe gehört niemandem, und so kann ein Mensch dem anderen keine Liebe wegnehmen.
Meine Schwester hörte mich weinen, und sie und meine Mutter fingen an mich zu trösten. Meine Mutter versicherte mir, dass ich nie weniger wert sein könnte als meine Schweser. Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, merkte ich, dass bei mir ein Umdenken stattfand.
Später am selben Tag beschloss ich, eine Praktikerin der Christlichen Wissenschaft anzurufen, denn ich hatte immer noch Halsschmerzen und fühlte mich aufgewühlt. Was die Eifersucht anging, hatte sie mich so lange begleitet, dass ich nicht sicher war, ob Heilung überhaupt möglich war. Doch als die Praktikerin mit mir redete, zerbrachen meine Schutzmauer und meine Rechtfertigung für die Eifersucht immer mehr.
Als ich ihr von meinen Gefühlen erzählte, zeigte sie mir ein ganz einfaches und anschauliches Beispiel. Sie sagte, ich solle mir einen Vogel vorstellen, der im Flug in einen Windstrom gerät. Egal wie stark er mit den Flügeln schlägt, er kommt nicht voran. Er muss aber nur die Flügel etwas weiter ausstrecken und schon wird er über den Windstrom erhoben, so dass er frei ist. Ich begriff, dass meine „Flügel“ meine Sichtweise waren. Ich steckte im Strom der Gefühle fest, dass ich dazu verurteilt war, eine eifersüchtige Schwester zu sein. Doch wenn ich meine Schwester – und mich selbst – in einem geistigen Licht betrachtete, konnte ich mich über den „Strom“ destruktiver Gedanken erheben. Und ich wollte über diese Wolken der Eifersucht erhaben sein! Ich konnte sehen, dass Eifersucht gar nichts mit mir zu tun hatte.
Nach unserer Unterhaltung stimmte die Praktikerin zu, mit mir zu beten, und wir legten auf. Ich fühlte mich sofort besser. Erst am Abend merkte ich, dass meine Halsschmerzen ganz verschwunden waren.
Diese Nacht verbrachte ich bei meiner Schwester und ihren Zimmergenossinnen. Zum ersten Mal sah ich, dass meine Schwester und ich zwar verschieden waren, uns aber trotzdem vertragen konnten, und dass andere gern mit uns zusammenwaren, weil jede die andere ergänzte.
Am nächsten Tag war ich immer noch etwas unsicher, ob ich das umsetzen konnte, was ich gelernt hatte, aber ich begriff, dass Eifersucht ohne meine Erlaubnis nicht einfach mein Denken besetzen konnte. Sie war nichts und ich brauchte keine Angst zu haben. Ich hatte ihr Macht gegeben, doch sobald ich ihr den Zugang zu meinem Denken verweigerte, war ich frei. Als mir klar war, wer ich bin und was ich wert bin – die Idee, dass ich der Welt genauso viel zu geben habe, wie meine Schwester –, verschwand alle Negativität und Eifersucht ganz natürlich.
Wenn Leute meine Schwester und mich nach diesem Wochenede verglichen, verstand ich das völlig positiv. Wenn ich versucht war, negativ darüber zu denken, stellte ich dem Gedanken die geistige Wahrheit entgegen, dass sie es verdient, geliebt zu werden, und dass es mir nichts wegnimmt, wenn Leute sie mögen.
Ich kann ehrlich sagen, dass ich mich meiner Schwester heute enger verbunden und näher fühle. Das heißt nicht, dass wir nicht auch Meinungsverschiedenheiten haben, doch meine alte Denkweise ist verschwunden. Ich habe neu angefangen. Gleichzeitig habe ich weniger mit Eifersucht anderen gegenüber zu kämpfen. Wenn ich sehe, dass jemand etwas Wunderbares macht, erinnere ich mich daran, dass ich auch glänzen kann!
Heute sehe ich meine Schwester in einem ganz neuen Licht. Ich betrachte uns gern als Leuchten auf einer Bühne, die einander ergänzen. Wenn du weißt, wie Bühnenbeleuchtung aussieht, weißt du, dass sie oft aus mehreren Farben besteht – rot, grün, blau, violett. Es sind alles unterschiedliche Farben, doch wenn sie miteinander verbunden werden, schaffen sie ein viel helleres, reicheres, wärmeres und einladenderes Licht als jede Leuchte dies allein könnte. Das war mein Augenblick zu glänzen, statt mich meiner Schwester in den Weg zu stellen oder sie nachahmen zu wollen. Nachdem mir diese riesige Last genommen war, fühlte ich mich so frei wie ein Vogel, und das ist so geblieben.
Meine Schwester und ich passen jetzt wieder zusammen wie Zimt und Zucker. Doch das hat nichts damit zu tun, dass wir zur selben Familie gehören, denn wir sind durch die unendliche Liebe verbunden, und diese Verbindung besteht auf geistiger Grundlage.
