Seit ich meine neue Schule das erste Mal betrat, träumte ich davon, im Theaterstück der Abschlussklasse mitzuspielen. Ich lernte später die betreffende Rolle fast vollständig auswendig und betete sogar darum, sie zu bekommen. Ich war sicher, dass Gott mir helfen würde.
Schließlich lag die Entscheidung zwischen einer anderen Schülerin und mir. Sie war 1,60 m und hatte braune Haare, ich war 1,75 m und blond. Die Schülerin, die die Mutter spielte, war 1,79 m und hatte braune Haare. Ich konnte hören, wie die Regisseure beschlossen, der anderen Schülerin die Rolle zu geben. Damit war mein Traum verpufft.
Ich wurde den Eindruck nicht los, dass ich etwas falsch gemacht hatte – oder Gott hatte wohl meine Gebete ignoriert. Warum hatte es nicht so geklappt, wie ich es mir wünschte? Wenn Gott mich wirklich liebte, wieso bekam ich dann die Rolle nicht?
Obwohl ich ziemlich sauer auf Gott war, betete ich trotzdem instinktiv hinsichtlich der Sachen, mit denen ich im Unreinen war. Also betete ich wieder – um Antworten zu finden und meine Enttäuschung zu überwinden.
Ich wusste aus dem Unterricht in der Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft, dass ich um Zufriedenheit beten konnte, selbst wenn ich die Rolle nicht bekommen hatte. Ich las eine Stelle in den Sprüchen in der Bibel, die lautet: „Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand; sondern denke an ihn in allen deinen Wegen, dann wird er dich recht führen“ (3:5, 6). Ich war ziemlich traurig, keine Rolle in dem Stück bekommen zu haben, wollte aber auf Gott und Seine Führung vertrauen. Als ich Gott um Hilfe bat, bekam ich sofort eine Antwort, allerdings nicht die, die ich erwartet hatte. Mir kam die Idee, dabei zu helfen, das Stück für andere besser zu machen.
Zwar war nichts daran auszusetzen, über meine eigenen Wünsche zu beten, doch jetzt wusste ich, dass mein Ziel darin lag, Gott zu dienen und nicht mich selbst zu verherrlichen. Ich las eine Stelle in Mary Baker Eddys Buch Vermischte Schriften 1883–1896, die mir das sogar noch klarer machte: „Um zu lieben und geliebt zu werden, muss man anderen Gutes tun. Wenn man gesegnet werden will, ist es unerlässlich, dass man andere segnet, aber dabei müsst Ihr Euch so unter Gottes Führung wissen, dass Ihr Seinen Willen tut, selbst wenn Eure Perlen mit Füßen getreten werden“ (S. 127).
All das aus einer anderen Perspektive zu betrachten, half mir zu verstehen, dass es bei Gebet um viel mehr geht als nur das, was ich als für mich das Beste betrachtete; es ging darum zu lernen, sich von Gott zeigen zu lassen, wie man Ihn besser liebt und Ihm besser dient. Demut und ein innerer Wunsch, liebevoll und hilfsbereit zu sein, wurde zu meinem Gebet.
Ich fing an zu erkennen, dass eine Rolle im Theaterstück nicht so wichtig war, wie ich zuerst gedacht hatte. Mich Gott zuzuwenden war wichtig, und es war ein großes Geschenk zu erkennen, dass mein Ziel geistiges Wachstum war. Ich wirkte hinter den Kulissen als Maskenbildnerin im Theaterstück mit und konzentrierte mich darauf, wie ich Hilfe leisten konnte. Das Selbstmitleid verschwand nach und nach, als ich an das Gute dachte, das ich für andere und nicht nur mich selbst tun konnte. Es war wunderbar, Teil der kreativen Arbeit zu sein, bei der jeder von uns eine ganz besondere Rolle übernahm. Während der Produktion sagte mir der Regisseur sogar, dass er wusste, wie sehr ich eine Rolle gewollt hatte, und wie sehr er respektierte, dass ich so selbstlos mitwirkte.
Statt mich von Gott wegzubringen, bewirkten die Umstände, dass ich mich Gott näher fühlte, denn ich fing an zu verstehen, dass ich genau das bekommen hatte, worum ich gebetet hatte, nur nicht in der ursprünglich erwarteten Form. Hinter meinem Wunsch, die Rolle zu bekommen, hatte die Absicht gesteckt, Freude zu verbreiten, Kreativität zum Ausdruck zu bringen und meine Liebe zur Kunst mit anderen zu teilen. All das wurde erfüllt, und noch viel mehr. Nichts hatte mich davon abgehalten, meine gottgegebenen Gaben weiterzugeben. Ja, meine eigene spezielle Rolle in dem Stück hat mir gezeigt, dass es viele Möglichkeiten für uns gibt, etwas zu geben, und Gott wird uns immer zeigen, wie und wo wir dies am besten tun.