Eine Erfahrung, die ich vor einiger Zeit machte, veranschaulichte mir wieder einmal, worum es bei einer christlich-wissenschaftlichen Heilung geht: um geistige Entfaltung, einen tieferen Blick in die geistige Wirklichkeit und ein erweitertes Wahrnehmungsvermögen für den wahren Begriff vom Menschen. Ich litt an einem Zustand, der so unangenehm war und mir zeitweilig so große Schmerzen verursachte, dass ich deswegen zunächst sogar einen Arzt aufsuchte. Er diagnostizierte eine Gürtelrose und verschrieb mir u. a. Tabletten. Nach einem Monat war jedoch noch immer keine Besserung eingetreten, sondern der Zustand hatte sich verschlimmert. Daraufhin brach ich die medizinische Behandlung ab und wandte mich von ganzem Herzen dem christlich-wissenschaftlichen Gebet zu. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, weist in ihren Schriften immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, jedem Krankheitsanspruch furchtlos entgegenzutreten und ihn mit beharrlicher Überzeugung zurückzuweisen. Ich wusste, dass ich den aggressiven mentalen Suggestionen entgegentreten musste, die mein Denken von der geistigen Wahrheit ablenken und mich entmutigen wollten.
Das tat ich also. Ich begab mich mit meinen Gedanken „unter de[n] Schirm des Höchsten“, und betete, um „unter dem Schatten des Allmächtigen“ zu bleiben (siehe Psalm 91). In meinem Gebet bekräftigte ich, dass Gott allmächtig und allgegenwärtig ist. Gebet ist Kommunion mit Gott. Ich wusste, dass unsere Gebete beantwortet werden. Da aber „die Sprache des Geistes geistig“ ist (siehe Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 117), werden die Antworten durch geistige Inspiration und Intuition vermittelt. Es sind Ideen, die jeder Mensch empfangen kann, wenn er lernt, auf sie zu lauschen und für sie empfänglich zu sein.
Zwei wichtige Punkte beim Heilen sind Beharrlichkeit und Bereitschaft. Eine der Schilderungen in der Bibel, die mich immer sehr berührt, ist die Heilung des blinden Bettlers Bartimäus (siehe Markus 10:46-52). Als er mitbekam, dass es Jesus war, der vorüberging, da machte er sich zunächst lautstark bemerkbar, indem er schrie: „Jesus, du Sohn Davids, erbarm dich über mich!“ Und anstatt sich von der Forderung der Menge einschüchtern zu lassen, die ihm gebot zu schweigen, setzte er seine Rufe nach Jesus so lange beharrlich fort, bis er dessen Aufmerksamkeit erlangt hatte. Als Jesus ihn dann zu sich rief, sprang er spontan auf und warf „sein Obergewand weg“.
Zwei wichtige Punkte beim Heilen sind Beharrlichkeit und Bereitschaft.
Ich hatte mich früher manchmal darüber gewundert, dass er sein Gewand einfach so wegwarf. Immerhin besaß er als Bettler fast nichts, und die Nächte im Orient sind kalt. Also war dieses Kleidungsstück doch wichtig. Trotzdem zögerte er keine Sekunde es von sich zu werfen, und mir scheint, dass dieses Gewand ein Symbol für das ist, was er wirklich von sich warf und zurückließ, nämlich seine falsche Auffassung von sich selbst, die ganze Frustration über seine Blindheit, oder auch sein geduldiges Leiden. Seine spontane Bereitschaft drückte seine ganze Hoffnung auf Heilung aus. Und als er dann geheilt war und wieder sehen konnte, folgte er Jesus, was doch beweist, dass sein Interesse tiefer war und über die körperliche Heilung hinausging, dass er etwas von der Geistigkeit Jesu und seiner Manifestation der Gegenwart des Christus begriffen hatte. Diese Spontanität ist es, die mich immer sehr berührt, wenn ich diese Bibelstelle lese. Der Blinde hatte nicht resigniert, er hatte sich nicht aufgegeben. Er war voller Hoffnung. Sein Sehnen nach Leben, nach geistiger Erkenntnis und nach Freiheit war übermächtig und entfesselte sowohl die Kraft seiner Stimme als auch den Impuls aufzuspringen.
Jesus ließ ihn übrigens zu sich kommen, er ging nicht hin, sondern er erwartete seine Bereitschaft. Und wie bereits gesagt, ist diese innere Bereitschaft eine ganz wesentliche Voraussetzung für Heilung.
Im siebten Band der Interpreter´s Bible wird Vers 50 folgendermaßen kommentiert: „Bartimäus vergeudete keine Zeit damit, sein Obergewand erst sorgfältig zusammenzufalten; er sagte auch nicht zu den anderen: ‚Würden Sie wohl bitte einen Moment darauf aufpassen? Ich bin gleich zurück.‘ Nein, er warf es einfach weg und sprang auf seine Füße.
Solch eine spontane Reaktion auf die Worte ‚er ruft dich!‘ fällt uns manchmal schwer; ... Wie oft zögern wir und halten uns zurück. Wir wollen erst einmal schauen, ehe wir einen Schritt tun. Und dabei bleibt es dann häufig. Für den blinden Bettler spielte sein Gewand keine Rolle mehr. Von Hoffnung und großem Vertrauen erfüllt vergaß er es schlichtweg. Sind wir manchmal so von unseren ‚Gewändern‘ absorbiert, von unseren Interessen und Belangen, dass uns der geistige Impuls und die Freude spontaner Nachfolge abhanden gekommen sind? Sind Sie bereit, wenn Sie die Worte hören: ‚er ruft dich‘?“
Allmählich verschwand meine Furcht vor dem sichtbaren Augenschein und den Schmerzen, die langsam nachzulassen begannen, bis sich das Krankheitsbild mit allen Begleiterscheinungen in Nichts aufgelöst hatte.
Mein Vertrauen in das geistige Heilen ist durch diese Erfahrung wieder sehr gestärkt worden, und ich empfinde große Dankbarkeit für die Christliche Wissenschaft. „Alles, was das Denken geistig leitet, wirkt sich positiv auf Gemüt und Körper aus“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 149).
Zusammenfassend möchte ich noch einmal betonen, dass eine Heilung in der Christlichen Wissenschaft immer eine geistige Entfaltung ist, ein tieferer Blick in die geistige Wirklichkeit, und ein erweitertes geistiges Wahrnehmungsvermögen. Wenn wir innehalten, uns in Gedanken mit dem göttlichen Prinzip verbinden und anerkennen, dass der Mensch der unmittelbare Ausdruck Gottes ist, erwachen wir aus dem Traum der Materialität. Ein wichtiger Punkt dabei ist aber, dass unsere Gebete nicht von Zweifeln begleitet sind, sondern von der vollen Gewissheit ihrer Effektivität und Macht.
So betrachtet ist jede Heilung in der Christlichen Wissenschaft ein unermesslicher Segen!
Margret Ullrich, Berlin
