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Erkenntnisse und Einsichten

Die Christliche Wissenschaft und Jesus

Aus der Juli 2015-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft

Übersetzt aus dem Christian Science Journal, Ausgabe März 2015.


Dieser Audio-Vortrag war eine Unterhaltung zwischen Heloísa Gelber Rivas, der Co-Leiterin des Vortragsrats der Christlichen Wissenschaft, und Alessandra Colombini, einer Praktikerin und Lehrerin der Christlichen Wissenschaft, die in São Paulo, Brasilien zu Hause ist. Frau Colombini war in der Vergangenheit außerdem Vortragende der Christlichen Wissenschaft.

Alessandra, würden Sie uns bitte einmal erzählen, wie Sie durch die Bibel, die Sie schon als Kind gelesen haben, zur Christlichen Wissenschaft geführt wurden? Wir würden außerdem gerne erfahren, wie Ihre geistige Entdeckungsreise zu einer wunderbaren Entfaltung Ihres Verständnisses geführt hat.

Also, Heloísa, es fing eigentlich alles damit an, dass ich lesen lernte. Ich war eine ausgesprochene „Leseratte“ und eines Tages bekam ich ein Buch mit Bibelgeschichten geschenkt. So gewann ich schon als Kind die Bibel sehr lieb. Ich besuchte eine Grundschule, in der ich eine streng religiöse Erziehung genoss, in der aber nur relativ wenig Bibelkunde vermittelt wurde. Als Jugendliche hatte ich dann Gelegenheit, mich innerhalb einer protestantischen Glaubensgemeinschaft eingehender mit der Bibel zu beschäftigen. Dort traf ich Menschen, die  mit mir über die Bibel sprachen und von denen ich manches über die Bibel lernte, und ich war sehr dankbar dafür. Doch trotz meiner religiösen Erziehung hatte ich nicht das Gefühl, die Bibel wirklich zu verstehen.

Wann war denn dann der Zeitpunkt, als Sie anfingen, die Bibel besser zu verstehen – als sich Ihnen die Logik der Bibel zu erschließen begann?

Mit zwanzig Jahren. Ich studierte damals und mein Freund, der später mein Ehemann wurde, machte mich mit der Christlichen Wissenschaft bekannt und gab mir das Lehrbuch, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy. Ich fing an, darin zu lesen. Als ich zu dem Kapitel „Versöhnung und Abendmahl“ kam, fiel mir auf, wie logisch alles war, denn es erklärte Jesu Mission – seinen Daseinszweck – auf eine Weise, die mir wirklich einleuchtete. Ich dachte: „Dies ist eine Offenbarung! Jetzt kann ich die Evangelien weitaus besser verstehen.“

Neben dem neuen Verständnis von Jesu Mission, das dieses Kapitel mir vermittelte, verhalf es mir darüber hinaus zu der Erkenntnis, dass Jesus und Christus an sich nicht synonym sind. Jesus war der Mensch, der den Christus verkörperte; er zeigte uns, was der Christus ist. Der Christus ist ewig, er ist Gottes Ideal. Er ist das, was Gott von dem nach Seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen weiß, und Jesus war die menschliche Darstellung – die praktische Manifestation – dieses Christus. Durch diese Erkenntnis erschloss sich mir die Bibel auf eine Art, die für mich begreiflich war; ich sah, dass die geistige Bedeutung der biblischen Worte erfasst werden konnte, ja mir wurde bewusst, dass viele Ausdrücke in der Bibel eine geistige Bedeutung haben. Ich verstand nun besser, was in den Evangelien stand und was Jesus meinte, als er beispielsweise sagte: „Ich und der Vater sind eins“ (Johannes 10:30) oder: „Ich kann nichts von mir selber tun. ...“ oder „... Der Vater, der in mir wohnt, der tut die Werke“ (Johannes 5:30 und 14:10). Die ganze für das Christentum so grundlegende Thematik von Jesus und Christus eröffnete sich mir dank dieses neuen Verständnisses.

Wissen Sie, Heloísa, bis dahin hatte ich immer geglaubt, dass die Bibel eine Art Geheimnis enthielte, das zu wissen uns vorenthalten wäre. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall – wir haben ein Recht darauf, Jesu Lehren zu verstehen! Es steht uns zu, alles zu verstehen, was wir in der Bibel lesen. Unter dieser neuen Prämisse stand mein Studium der Christlichen Wissenschaft von Anfang an.

Alessandra, könnten Sie uns ein Gleichnis nennen, dessen Bedeutung Ihnen infolge Ihres neuen Verständnisses der Lehren Jesu klarer geworden ist?

Ehrlich gesagt, könnte ich mich stundenlang mit Ihnen über die Bibel unterhalten und Ihnen von den unzähligen geistigen Lektionen berichten, die ich aus meinem Studium der Bibel geschöpft habe! Aber lassen Sie mich vorerst auf ein Gleichnis Jesu näher eingehen. Jesus begann bekanntlich viele seiner Gleichnisse mit den Worten „Das Himmelreich gleicht einem ...“ Mithilfe von Worten und Begriffen, die seinen Mitmenschen geläufig waren, versuchte er, ihnen das Reich Gottes verständlich zu machen. In einem dieser Gleichnisse geht es um einen König, der „mit seinen Knechten abrechnen wollte“ (siehe Matthäus 18:23–35). Ein Knecht, der vor den König gebracht wurde, damit er seine Schulden begliche, schuldete ihm zehntausend Talente.

Wissen Sie was? Das war eine riesige Summe! In einem Bibelkommentar heißt es dazu, dass ein Talent bereits ein hoher Betrag war, zehntausend Talente hingegen eine so irrwitzige Summe, dass es so gut wie ausgeschlossen war, dass irgend jemand solch einen Schuldenberg je zurückzahlen konnte. Könnte es daher also vielleicht sein, dass der König gar nicht wirklich erwartete, dass der Knecht diese Schuld zurückzahlen würde? Das ist eine interessante Frage, denn sie beleuchtet, um welche Art von Schuld es sich hierbei handelte. Wenn ich Ihnen beispielsweise zehn Dollar schulde, dann haben Sie mir entweder zuvor zehn Dollar geliehen oder ich habe von Ihnen etwas im Gegenwert von zehn Dollar erhalten. Wenn also dieser Knecht dem König eine so hohe Summe schuldete, dann deswegen, weil er zuvor etwas erhalten hatte, das diesem Wert entsprach. Und der König erließ ihm seine Schuld.

Wenn Jesus also sagte: „Darum gleicht das Himmelreich einem König, ...“, könnte dies nicht bedeuten, dass dieser König für Gott steht? Gott hat jedem von uns eine Unmenge an Gutem gegeben, das wir niemals „zurückzahlen“ können. Und das brauchen wir auch gar nicht – wir müssen es lediglich annehmen und dankbar dafür sein! Ist es nicht wunderbar zu wissen, dass wir eine riesige Summe Gutes von Gott erhalten haben, dass wir dieses Gute kontinuierlich  empfangen und dass es ein enormes Ausmaß hat?

Und wir sind nichts schuldig.

Genau! Als Jesus dieses Gleichnis erzählte, stand ihm die Kreuzigung noch bevor. Seine unmissverständliche Botschaft war, dass niemand in Gottes Schuld steht. Der „König“, Gott, hat sie bereits erlassen. Somit verkennt die Doktrin, wonach Jesus durch seinen Tod, durch seine Kreuzigung, Gott für unsere Sünden „bezahlt“ habe, Gottes Liebe zu einem jeden von uns, der allen alles Gute gibt. Ich glaube, was Jesus uns durch dieses Gleichnis sagen wollte, war Folgendes: Es gibt gar keine Schuld, die man zurückzahlen müsste.

Und von daher wäre es ein Fehler zu glauben, dass er sich für uns opfern musste, damit Gott uns vergibt.

So ist es. Wissen Sie, Heloísa, diese Erkenntnis lässt mir das, was wir „Versöhnung“ nennen, in einem ganz anderen Licht erscheinen – ich sehe Jesu Mission und Gottes Plan jetzt aus einer ganz neuen Perspektive. Gottes Plan war nämlich nicht, dass Jesus leiden oder ein Opfer sein sollte, etwa eine „Opfergabe an Gott“, so wie Lämmer im Tempel geopfert wurden. Nein, Gottes Plan für Jesus war, dass er Ihn manifestieren sollte, dass er das Gute manifestieren sollte.

Dass er Liebe manifestieren sollte, nicht wahr, Alessandra?

Ganz genau. Mary Baker Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit über Jesus: „Aus der Fülle seiner reinen Neigungen definierte er Liebe. Mit dem Reichtum der Wahrheit bezwang er Irrtum. Die Welt erkannte seine Rechtschaffenheit nicht an, denn sie sah sie nicht; aber die Erde empfing die Harmonie, die sein verherrlichtes Beispiel einführte.“

Dann beschreibt sie unsere Rolle bei der Versöhnung: „Wer ist bereit seiner Lehre und seinem Beispiel zu folgen? Alle müssen sich früher oder später auf Christus, die wahre Idee Gottes, gründen. Jesu Wunsch, seine teuer erkauften Schätze freigiebig in leere oder sündenerfüllte menschliche Schatzkammern hineinströmen zu lassen, war die Inspiration zu seinem großen menschlichen Opfer“ (S. 54). Mir wurde klar, worin Jesu wahre Mission bestand, und ich empfand es als sehr befreiend, ein logisch nachvollziehbares Verständnis von Versöhnung zu gewinnen. Ich verstand nun, weshalb Mary Baker Eddy das [englische] Wort für Versöhnung in drei Teile zerlegte: at-one-ment [Einssein]. Durch alles, was Jesus lehrte und tat, offenbarte er des Menschen Einheit mit Gott.

Jesus annehmen und ihm nachfolgen bedeutet, dass wir seine Lehren in jeden Winkel unseres Alltags hineintragen.

Das lässt einen die Stellung, die Jesus einnahm, aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten, meinen Sie nicht?

Allerdings. Jesus enthüllte die Tatsache, dass wir nichts schuldig sind, dass das Gute, das wir von Gott erhalten, unermesslich ist und dass wir es nicht „zurückzuzahlen“ brauchen.

Im weiteren Verlauf dieses Gleichnisses beschreibt Jesus, wie dieser Knecht, dem so eine enorme Schuld erlassen wurde, sich sodann seinerseits weigerte, einem seiner Mitknechte, der ihm eine wesentlich geringere Summe schuldete, die Schuld zu erlassen. Verglichen mit den zehntausend Talenten handelte es sich um einen weitaus niedrigeren Betrag. Doch selbst solch eine geringe Summe wollte der Knecht seinem Mitknecht nicht erlassen. Für mich birgt dieses Gleichnis eine tiefe Lehre für menschliche Beziehungen. Wie viel Gutes empfangen wir von Gott, und wir haben Ihm gegenüber dennoch keine Schulden, doch wie oft sind wir der irrtümlichen Auffassung, dass andere uns etwas „schuldig“ seien, in dem Sinne, dass sie sich so verhalten oder so handeln müssten, wie es unseren Vorstellungen entspricht. Sie wissen, was ich damit meine, nicht wahr? Wenn wir glauben, dass Herr oder Frau Soundso dieses tun und jenes lassen sollte, weil wir überzeugt sind, dass er/sie sich anders verhalten müsste.

Es handelt sich also nicht lediglich um Geldschulden ...

Genau, es geht hierbei nicht nur ums Geld. Es geht um das Verhalten, es geht darum, wie unsere Mitmenschen sich uns gegenüber  verhalten oder sogar inwieweit wir von dem, was andere tun oder lassen, betroffen werden.

Unterm Strich geht es also darum, wie wir über Andere denken?

So ist es, Heloísa. Oftmals meinen wir ja insgeheim, dass jemand sich anders verhalten müsse, dass er/sie die Dinge anders anpacken solle, weil wir davon betroffen sind.

Wollen Sie darauf hinaus, Alessandra, dass wir gedanklich Kritik an unserem Nächsten üben?

Ja. Dieses mentale Kritisieren ist das Gleiche, wie zu denken, dass die andere Person uns etwas schuldig sei. In zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es darauf an, diese falsche Denkweise zu korrigieren. Wir müssen begreifen, dass es keine „Schuld“ gibt, denn alles Gute kommt von Gott, nicht von einer anderen Person. Ich durfte das gleich am Anfang meiner Ehe lernen. Ich liebte meinen Mann von Herzen, aber ich dachte mir nichts dabei, wenn ich solche Gedanken hatte: „Na, das sollte er aber anders machen!“ oder „Hätte er das nicht auch anders sagen können?“ oder auch „Er sollte dieses und jenes tun, macht es aber nicht!“. Das war schlicht und einfach mentale Kritik! Obwohl ich gar nichts gesagt, nicht mit ihm gestritten habe, führte diese Denkart dann immer zu Spannungen in unserer Beziehung.

Durch mein Studium der Christlichen Wissenschaft erkannte ich, dass das, was wir denken, eine große Rolle spielt, und als ich meine eigenen Gedanken prüfte, wurde mir klar, dass dieses mentale Kritisieren sehr schädlich für unsere Ehe war. In diesem Zusammenhang kam mir die „Richtschnur für Beweggründe und Handlungen“ in den Sinn. Sie steht im Handbuch der Mutterkirche, das von Mary Baker Eddy geschrieben wurde, und sie wird an jedem ersten Sonntag eines Monats in den Kirchen Christi, Wissenschaftler verlesen. In dieser Richtschnur heißt es u. a.: „In der Wissenschaft regiert allein die göttliche Liebe den Menschen; ...“ (S. 40). Mir wurde bewusst, dass das die Art und Weise war, wie ich über meinen Mann zu denken hatte. Er wird allein von der göttlichen Liebe regiert, und wenn die göttliche Liebe ihn regiert, dann brauche ich mir überhaupt keine Gedanken zu machen, dann brauche ich nicht zu denken, dass er dieses oder jenes tun müsste. Ich konnte wissen, dass er nicht in meiner „Schuld“ stand. Diese Erkenntnis war wirklich wundervoll, denn damit hatte ich den Schlüssel zu einer harmonischen Ehe.

Natürlich gab es in 35 Ehejahren auch hin und wieder mal Probleme, aber mithilfe rechten Denkens, wie es die Christliche Wissenschaft lehrt, und indem wir uns Jesu Lehren und sein Vorbild im Umgang mit Anderen mehr zu eigen machten, konnten wir unsere Differenzen stets beilegen. Dies ist es, was ich darunter verstehe, Christus Jesus anzunehmen, ihm nachzufolgen.

Jesus anzunehmen ist aber mehr als lediglich ein Bekenntnis, oder? Es erfordert Taten.

Allerdings! Jesus annehmen und ihm nachfolgen bedeutet, dass wir seine Lehren in jeden Winkel unseres Alltags hineintragen.

Genau. Und es bedeutet, dass wir uns davor hüten, „Schulden“ einzutreiben, wenn wir der Auffassung sind, dass jemand sich falsch verhalten habe und glauben, dass wir das Recht hätten, ihn deswegen zu verurteilen und zu richten. Das weicht nämlich gänzlich von dem ab, was Jesus gelehrt hat.

Sie sagen es, Heloísa.

Wie können wir aber Jesus nachfolgen, solange wir anderen Vorwürfe machen und glauben, dass sie uns etwas schuldeten für Unrecht, das sie getan haben – egal was es gewesen sein mag –, auch wenn es sich dabei nur um eine Lappalie handelte? Sie wissen, was ich meine: Kleinigkeiten, die einem auf die Nerven gehen, von denen wir meinen, dass sie anders gemacht werden müssten, und wir dann versuchen, diese Schuld „einzutreiben“. Auf diese Weise folgen wir Jesus jedenfalls nicht nach.

Stimmt, und es sollte auch hinzugefügt werden, dass wir dann letzten Endes diejenigen sind, die leiden, wenn wir uns so verhalten.

So ist es.

Genau das passierte nämlich auch in unserem Gleichnis: Der Knecht, der versucht hatte, die Schuld seines Mitknechtes einzutreiben, landete am Ende selbst im Gefängnis. Und genauso ergeht es uns, wenn wir Jesu Lehren nicht wirklich folgen: wir finden uns dann über kurz oder lang im Gefängnis unseres eigenen falschen Denkens wieder – sei es Zorn, Feindseligkeit oder auch nur Gereiztheit.

Ist es nicht so, dass wir letztlich einen hohen Preis für unser eigenes liebloses Denken zahlen?

Ja, aber „den Preis zahlen“ bedeutet, dass wir unser Denken ins Lot bringen, indem wir es im Einvernehmen mit Jesu Lehren korrigieren.

Manchmal ist es ja ganz einfach, das Denken zu berichtigen, und das ist dann ein ganz wunderbares Erlebnis. Bisweilen fällt es einem allerdings nicht so leicht, und wir leiden, aber dieses Leid ist nicht Gott-gesandt.

Ja, und das vermittelt uns eine andere Auffassung davon, was es heißt, Jesus nachzufolgen, und ein anderes Konzept von Leiden. Was ich damit sagen will ist: Wir brauchen nicht zu leiden. Wir werden nicht dadurch heilig, dass wir leiden. Leiden ist keine Strafe Gottes. Es ist nichts anderes als der Widerstand des sterblichen Gemüts dagegen, sich auf den richtigen Weg zu begeben. Wir können daher mitten im Leiden denken: „Ich muss das nicht einfach so hinnehmen. Ich kann mein Denken und Handeln ändern.“

Wir können die Grundlage unseres Denkens ändern.

Richtig, denn als Jesus seine Werke vollbrachte und mit ein paar Broten und Fischen die Mengen speiste, als er den Sturm stillte und Menschen heilte, demonstrierte er, dass man Leiden nicht einfach so hinnehmen muss.

Und demonstrieren bedeutet beweisen, nicht wahr? Sie haben es ja bereits gesagt, Alessandra: Demonstrieren bedeutet, den Beweis zu erbringen, dass Leiden keine Notwendigkeit ist.

Ja. Wir sehen also, dass von uns, wenn wir Jesus nachfolgen, mehr erwartet wird als lediglich zu bekennen: „Ich liebe Jesus, ich mag Jesus und ich finde es toll, was er getan hat“, als ob das alles sei, was erforderlich wäre.

Nun mögen manche Leute ja sagen: „Ich glaube an Jesus und ich glaube alles, was in der Bibel steht.“ Doch wandelt dieser Glaube an sich schon den Charakter um? Nein, denn dazu bedarf es eines weiteren Schrittes, nicht wahr?

Das stimmt. Im Neuen Testament ist viel von Erlösung die Rede sowie davon, dass Jesus unser Erlöser ist. Aber was bedeutet das eigentlich? Ist Erlösung etwas, was sich so außerhalb von Gottes Schöpfung befindet, dass sie erst eintritt, nachdem wir gestorben sind? Nein, ganz im Gegenteil: Erlösung gehört zu Gottes Schöpfung, denn in Gottes Schöpfung sind wir vom Bösen befreit und vor allem, was uns schaden könnte, sicher. Und das ist hier und jetzt wahr – wir müssen nicht auf das Jenseits warten, um zu erleben, dass wir nicht länger Sklaven der Materie sind. Wenn wir uns all die Werke Jesu vor Augen halten – das, was gemeinhin als Wunder bezeichnet wird –, dann können wir nicht umhin anzuerkennen, dass er im Grunde bewiesen hat, dass die Söhne und Töchter Gottes keine Sklaven der Materie sind. Er besaß Herrschaft über alle Ansprüche der Materie. Und das ist Erlösung – diese Herrschaft über die Materie zu haben. Ist es nicht großartig zu wissen, dass Erlösung unser göttliches Recht ist – und zwar schon jetzt, da wir die Kinder Gottes sind?

Erlösung ist also etwas, was wir kontinuierlich erfahren, wenn wir erkennen, dass wir Jesu Beispiel folgen und immer mehr Herrschaft über materielle Zustände ausüben können.

In der Tat. Oder anders ausgedrückt: Erlösung ist Freiheit.

Der Christus steht uns jederzeit und in jeder Weise bei.

Genau. Allerdings verstehen wir unter Freiheit nicht, dass man tun und lassen kann, was einem gerade beliebt, sondern mit Freiheit ist die Herrschaft über materielle Begrenzungen gemeint. Wenn man die Materie misst, stößt man unweigerlich an Grenzen, egal worum es sich handelt. Wie befreiend ist doch die Erkenntnis, dass wir nicht dazu vorherbestimmt sind, materiellen Begrenzungen untertan zu sein, und dass wir unsere Freiheit finden werden, wenn wir Jesu Lehren befolgen!

Ich möchte an dieser Stelle auf einen weiteren wichtigen Aspekt der Lehren Jesu hinweisen, nämlich den wahren Begriff von Gott, den sie uns vermitteln. Mary Baker Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Es ist unsere Unwissenheit über Gott, das göttliche Prinzip, die offensichtliche Disharmonie hervorbringt, und das richtige Verständnis von Ihm stellt die Harmonie wieder her“ (S. 390).

Diese Unwissenheit mag ja schlicht und einfach davon herrühren, dass wir nicht wissen, was Gott ist. Oder sie mag auf der Gleichgültigkeit des sterblichen Gemüts beruhen, sich mit Gott vertraut zu machen. Aber wie dem auch sei – beides sind Formen von Unwissenheit.

Im Allgemeinen ist die Menschheit ja sehr daran interessiert, ihr materielles Wissen zu erweitern – und unterschätzt dabei völlig, wie wichtig es ist, ein rechtes Verständnis von Gott zu erlangen. Sie ist auf der Suche nach Lösungen für ihre komplexen Probleme, und das rechte Verständnis von Gott – dem Vater – fördert diese Lösungen zutage, wie Jesus es bewiesen hat. Die Evangelien geben Aufschluss darüber, was Jesus über den Vater gesagt hat – wie er wieder und wieder bewiesen hat, dass Gott eine machtvolle Autorität für das Gute ist. In seinen Gleichnissen stellte er den Vater gelegentlich als „den König“ dar, u. a. auch in dem Gleichnis, von dem wir eingangs gesprochen haben. Der König ...

Eine unumschränkte Autorität – eine allerhabene Autorität, nicht wahr?

Ja, oder mit anderen Worten: das göttliche Prinzip, das, wie Mrs. Eddy sagt, das göttliche Prinzip alles dessen ist, was geschaffen wurde. Wenn wir uns, wie ich bereits erwähnte, die Evangelien vornehmen und alles lesen, was Jesus über den Vater gelehrt hat, und dann Mrs. Eddys Schriften durchgehen, dann können wir auf diese Weise ein rechtes Verständnis von Gott erlangen.

Wissen Sie, Alessandra, man darf die wichtige Rolle nicht unterschätzen, die Jesus dabei spielte, uns ein Verständnis davon zu vermitteln, wer der Vater ist. Jesus hat übrigens nie behauptet, dass er der Vater wäre, sondern er sagte, er sei der Sohn.

Genau, und er traf in seinen Aussagen stets eine klare Unterscheidung zwischen dem Vater und sich selbst. Mit keinem seiner Worte legte er den Gedanken nahe, dass er selbst Gott sei.

Er hat das in der Tat nie von sich behauptet.

Stimmt. Was er hingegen immer wieder betonte, war, dass er Gottes Sohn ist. Und wenn er sagte: „Ich und der Vater sind eins“ (Johannes 10:30), so meinte er damit: eins, aber nicht dasselbe. D. h., wir sind eins, denn wir alle bilden eine Einheit, oder wie Mrs. Eddy es so wunderbar anschaulich formuliert: „Wie ein Wassertropfen eins ist mit dem Ozean, wie ein Lichtstrahl eins ist mit der Sonne, so sind Gott und Mensch, Vater und Sohn, eins im Sein“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 361).

Und woraus besteht denn ein Tropfen Wasser? Aus Wasser! Woraus besteht ein Lichtstrahl? Aus Licht! Man kann das nicht trennen – es handelt sich um ein und dieselbe Substanz.

Richtig. Und so erklärt es sich, dass „Ich und der Vater sind eins“ bedeutet, dass wir eins in Gott sind. Und sagte Jesus selbst es nicht ganz klar, als er für seine Jünger und alle, die an ihn glauben würden, zum Vater betete: „damit sie alle eins werden, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns eins werden, ...“ (Johannes 17:21)?

Was für ein liebevoller Gedanke! Er schloss die gesamte Schöpfung in diese Einheit ein und trennte die Menschheit nicht – weder von Gott noch von sich selbst.

Können Sie jetzt besser nachvollziehen, Heloísa, wieso dieses neue Verständnis so wichtig für mein Leben war? Es machte solch einen gewaltigen Unterschied aus! Und lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas anderes hinzufügen: Jedes Mal wenn wir Gott, Jesu Mission, Kirche oder unser Leben ein wenig besser verstehen – immer wenn wir in unserem Verständnis Fortschritte machen –, erleben wir das Kommen des Christus. Es ist das Erscheinen des Christus in unserem Bewusstsein.

Und das ist etwas, was kontinuierlich vor sich geht, nicht wahr? Es ist kein einmaliges Ereignis, es ist nicht mit der Geburt Jesu abgetan.

Ganz genau. Das Kommen des Christus ist etwas, was täglich vor sich gehen kann, da wir jeden Tag etwas Neues lernen und Heilung erfahren dürfen. Wir könnten es uns zum Ziel setzen, täglich etwas Neues über Gottes Wirklichkeit zu lernen. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Heilung ein, die ich einmal erlebte. Ich hatte starke Schmerzen – regelrechte Krämpfe im Unterleib –, es handelte sich um Menstruationsbeschwerden, und die Schmerzen waren wirklich stark.

Doch im selben Augenblick, als ich die Krämpfe verspürte, kam mir diese Freiheit von der Materie, die uns allen zusteht, in den Sinn. Mir wurde bewusst, dass ich Schmerzen nicht als Teil meines Lebens, als etwas Natürliches, das nach ein oder zwei Tagen wieder verschwindet, zu akzeptieren brauchte. Ich erkannte, dass ich dieselbe Herrschaft und Autorität über mein Leben ausüben konnte, die Jesus in jedem Augenblick seines Lebens demonstrierte. Das Ergebnis ließ nicht auf sich warten: In dem Moment, wo mir diese Dinge klar wurden, verschwanden die Krämpfe – ich fühlte mich ausgezeichnet! Ich habe seitdem nie wieder unter ähnlichen Beschwerden gelitten, und diese Erfahrung liegt jetzt viele Jahre zurück. War dies nicht das Kommen des Christus, in dem Sinne, dass Jesu Vorbild mir so klar vor Augen war, dass ich dadurch befähigt wurde, mich frei zu fühlen, die Schmerzen zu verneinen und zu erkennen, dass ich dasselbe göttlich verliehene Recht besitze, das Jesus demonstrierte? Es handelte sich um eine Erlösung, die in jenem Moment ganz praktisch erlebbar wurde. Es war ein völliges Bekennen zu Jesus – eine ganz herrliche Erfahrung! Immer wenn wir eine Wahrheit über unser wahres Wesen erfassen, erleben wir das Kommen des Christus.

Mrs. Eddy bezieht sich hierauf und bezeichnet es als ein Erwachen zum Christus; sie schreibt: „Dieses Erwachen ist das immerwährende Kommen des Christus, ...“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 230). Dieses „immerwährende Kommen des Christus“ geht weit über das Ereignis der Geburt Jesu hinaus. Das Baby, das vor 2000 Jahren zur Welt kam, war lediglich die Ankündigung des immerwährenden Kommens des Christus, den Jesus veranschaulichte, aber mit diesem Ereignis hörte es nicht auf.

Wissen Sie, woran mich das erinnert? An die Aussage Jesu im letzten Vers des Matthäusevangeliums, als er vor seiner Himmelfahrt zu den Jüngern sagte: „... seht, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt“ (Matthäus 28:20). Der Christus ist immer bei uns, sogar bis ans Ende der Welt. Das könnte bedeuten: bis ans Ende der materiellen Überzeugungen. 

So ist es.

Und deshalb dürfen wir erwarten, dass der Christus uns jederzeit und in jeder Weise beisteht, nicht wahr?

Ja, und zwar den ganzen Weg, bis ans Ende.

Richtig, ganz bis ans Ende – durch unsere ganze irdische Erfahrung hindurch, bis sie vom Erlöser, vom Christus, so von materiellen Überzeugungen befreit ist, dass wir die geistige Realität, den Himmel, die Wirklichkeit von Gottes Schöpfung völlig erfassen – und das ist Erlösung.

Und durch unser Studium von Wissenschaft und Gesundheit sowie der anderen Werke von Mary Baker Eddy leuchtet uns dies ein. Ich glaube, wenn wir die Bedeutung Jesu und die Bedeutung der Wissenschaft des Christentums verstehen, was uns durch das Studium von Mrs. Eddys inspirierter Entdeckung gelingt, dann verhilft uns dies zu einem logischen Verständnis dieser demonstrierbaren Wissenschaft, und das wiederum führt zu praktischen Beweisen, die sich positiv auf unser Leben auswirken.

Da gebe ich Ihnen völlig recht, Heloísa. Wie ich am Anfang unseres Gesprächs bereits erwähnte, liebte und studierte ich zwar die Bibel, doch ich muss sagen, dass sie damals keinen sonderlichen Einfluss auf mein Leben hatte. Ich hatte vielmehr den Eindruck, als stünden meine menschliche Erfahrung und mein Studium der Bibel, bei dem es sich eher um eine intellektuelle Übung zu handeln schien, in keinerlei Zusammenhang, und es hatte nicht den Anschein, als hätten die Lehren Jesu wirklich einen Bezug zur Praxis. Sie waren zweifelsohne großartig und sie bedeuteten mir sehr viel, gar keine Frage. Doch abgesehen davon, dass sie mich dazu anspornten, ein guter und ehrlicher Mensch zu sein, hatten sie keine Auswirkung auf mein Leben, auf meinen Alltag. Ehrlich gesagt, ein anständiger, rechtschaffener Mensch zu sein, war alles, was mir die Bibel vermittelte. 

Ich verstehe, was Sie meinen. Doch sogar wenn man den Lehren der Bibel nur bis zu dem Grade folgt, wo man sich bemüht, ein anständiges und ehrliches Leben zu führen, trägt man dazu bei, die Gesellschaft zu verbessern, meinen Sie nicht? Alles, was das Christentum die Menschen lehrt – selbst wenn es nur darum geht, Jesus anzunehmen oder den Glauben zu stärken, dass das, was in der Bibel steht, wahr ist –, hat eine positive Auswirkung, finde ich. Es leistet einen Beitrag zur Errichtung einer besseren Gesellschaft, und deshalb vertrete ich die Auffassung, dass man dankbar dafür sein sollte. Doch wenn man tiefer schürft und verstehen lernt, wie mithilfe des Christentums und der Lehren Jesu das Denken erneuert, das persönliche Verhalten verbessert, eine Beziehung gerettet oder ein kranker Mensch geheilt werden kann, dann wird deutlich, dass es eine echte Umwandlung bewirkt. Es ist mehr als ein Verhaltenskodex, es ist mehr als lediglich eine Liste von Dingen, die man zu tun oder zu unterlassen hat, es ist mehr als ein Regelwerk, das einem vorschreibt, bestimmte Dinge zu unterlassen, um sich zu reinigen. Vielmehr wandelt es uns von innen heraus um – es revolutioniert unser Verständnis von Jesus. Es zeigt uns, wie wichtig es ist, seine Lehren zu befolgen und im Maße unseres eigenen Verständnisses die Werke zu tun, die er tat. Das geht über den bloßen Glauben an Jesus weit hinaus.

Ja, und dann erfassen wir auch wirklich die Bedeutung von Jesu Versöhnung – diese Einheit mit Gott, die Jesus bewies und lehrte, dieses Einssein mit Gott, und wir verstehen, dass wir ebenfalls eins mit Gott sind. Das ist wahre Versöhnung – das ist das Verständnis, nach dem wir streben sollten. Jesus hat es uns vorgelebt, und wir können es auch tun!

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