Bertolt Brechts „Geschichten vom Herrn Keuner“ kennen Sie vielleicht noch aus Ihrer Schulzeit? In einer dieser Geschichten antwortet Herr Keuner (auch „Herr K.“ genannt) auf die Frage, was er tue, wenn er einen Menschen liebe, dass er sich einen „Entwurf“ von ihm mache und dafür sorge, dass er ihm ähnlich werde. Wohlgemerkt: nicht etwa der Entwurf! Vielmehr geht es Herrn K. darum, dass der Mensch dem Entwurf ähnlich werde (siehe Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner, Suhrkamp Verlag, 1971).
Diese Parabel gibt zu denken. Ertappen wir uns bisweilen etwa dabei, dass wir uns gedanklich einen „Entwurf“ von unseren Lieben machen und dann versuchen, sie diesem Entwurf anzupassen – sie in die Form unserer Vorstellung zu pressen? Das ist, selbstverständlich, keine wahre Liebe.
Mir kam just diese Herr-Keuner-Geschichte wieder in den Sinn, als ich die Unterhaltung mit Alessandra Colombini las. Die Autorin basiert ihre Überlegungen auf Jesu Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht. Sie schreibt u. a.: „Für mich birgt dieses Gleichnis eine tiefe Lehre für menschliche Beziehungen. Wie viel Gutes empfangen wir von Gott, und wir haben Ihm gegenüber dennoch keine Schulden, doch wie oft sind wir der irrtümlichen Auffassung, dass andere uns etwas ‚ schuldig ‘ seien, in dem Sinne, dass sie sich so verhalten oder so handeln müssten, wie es unseren Vorstellungen entspricht.“ Im weiteren Verlauf berichtet sie, wie sie dank der Einsicht, dass ihre Lieben tatsächlich von der göttlichen Liebe regiert werden und es daher nicht ihre Aufgabe ist, sie „umzumodeln“, die Angewohnheit des mentalen Kritisierens ablegen und sich harmonischer zwischenmenschlicher Beziehungen erfreuen konnte.
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