David Haughtons Botschaft: Weniger ist mehr. Weniger nach einer bestimmten Wahrheit zum Heilen eines speziellen Problems suchen. Mehr ein Gefühl der Erleichterung, das daher rührt, dass man dem gegenwärtigen Wirken der Wahrheit als unendlichem Gemüt Raum gibt.
Als Brite nutzt er eine Analogie aus einem typisch britischen Sport: Cricket. „Der Werfer kann alle Anstrengungen aufs Werfen richten. Aber wenn er seine Hand nicht ein klein wenig öffnet, um den Ball loszulassen, kann der auch nicht zum Tor fliegen und den Schlagmann so ausschalten.“
David Haughton ist Praktiker und Lehrer der Christlichen Wissenschaft. Von seinem Zuhause in Wiltshire, England, aus sprach er über alles in Verbindung zu Gott, angefangen beim Thema Macht übers Nachdenken bis zu Haftnotizen. Und die willkommene Freiheit, die sich einstellt, wenn unser Leben genau das tut – in Verbindung zu Gott stehen.
Mr. Haughton, welche Ideen loten Sie zurzeit gerade aus?
Anfangen kann ich mit dem Gedanken, der mir kam, als ich Ihre E-Mail über die verkürzte Frist für dieses Interview bekommen habe, weil er so perfekt zu den Ideen passt, die ich schon seit Monaten über Leben, Gott, hege.
Jesus hatte nie einen Schlusstermin (im Englischen „deadline“). Er kannte keine Frist, keinen Endpunkt – er kannte nur Leben, das in ungebrochener Linie fortdauert. Als er hörte, dass Lazarus krank war (siehe Johannes 11:1-44), wartete er noch zwei Tage, bevor er hinging. Er wusste, dass eine reine „Lebenslinie“ sowohl in dem einen unendlichen Gemüt wie auch als Gemüt begründet ist. Als er unterwegs war, um Jairus’ Tochter zu heilen (siehe Matthäus 9:18-25), begegnete er der Frau, die seit 12 Jahren an Blutfluss gelitten hatte. Diese reine „Lebenslinie“ war auch hier schon begründet und diese Tatsache hat sie geheilt. Und dann zog er ganz natürlich weiter, um Jairus’ Tochter zu heilen.
Auf einmal habe ich jeden Journal-Artikel als eine „Lebenslinie“ für die Menschheit gesehen. Was bedeutet, dass unter der höchsten Herrschaft und Regierung des göttlichen Gemüts alles reibungslos und harmonisch – und zur rechten Zeit – seinen Platz findet.
Ah, ich verstehe. Das Wort Frist ist wirklich ein sehr begrenzender Begriff ...
Dieser Gedanke über eine ungebrochene Lebenslinie statt einer befristeten Zeit war die unmittelbare Auswirkung von etwas, worüber ich nun schon seit vielen Monaten nachdenke. Vor etwa einem Jahr verspürte ich einen sanften, aber sehr starken Impuls, klarer zu verstehen, was Leben, Gott, eigentlich ist und wie meine Beziehung zu Ihm aussieht. Mary Baker Eddy erklärt, dass Leben ein Synonym für Gott ist. Sagen wir mal, ich hatte ein tiefes Bedürfnis, diese geistige Tatsache noch umfassender zu verstehen.
Ich begann also etliche Zitate zu Leben in der Bibel und in Mary Baker Eddys Schriften nachzuschlagen. Und wie wir alle wissen, gibt es davon eine ganze Menge. Mehrere Wochen lang fühlte ich mich regelrecht etwas überwältigt. Also habe ich getan, was ich immer tue, wenn ich mich überwältigt fühle. Ich halte inne und lausche, um zu hören, was mir der geistige Sinn zu sagen hat. Und ich habe eine Engelsbotschaft gehört: „Hör auf zu studieren. Denke einfach eine Weile über Gott nach.“ Für mich hieß das, sorgfältig darüber nachzudenken, was Gott ist.
Das habe ich getan und was dann kam, war sehr einfach. Ich schlussfolgerte: Wenn Gott immer schon existiert hat, dann muss Leben immer schon existiert haben. Und wenn Leben, Gott, immer schon existiert hat, dann hat es niemals einen Anfang — Leben ist. Und wenn Leben ist und niemals angefangen hat, dann kann es auch keinesfalls enden. Alles, was ist, ist Leben. Grenzenloses Leben.
Als Nächstes fragte ich mich: „Wenn Leben also keinen Anfang und kein Ende hat, was hat das dann mit mir zu tun?“ Mit dieser Frage wurde mir ganz eindringlich klar, dass es kein „sterbliches Ich“ geben kann. Weil Gott ja Geist ist und ich das Bild und Gleichnis von Geist bin. Wenn uns wirklich aufdämmert, dass wir nicht sterblich sind, ändert das unseren Blickwinkel gänzlich. Die Wirklichkeit ist, dass wir immer mit Leben zusammenbestanden haben, dass wir in und aus Leben bestehen. Diese Gedanken haben eine direkte Auswirkung auf unsere tägliche Erfahrung.
Mr. Haughton, zu dem Bedarf an intensivem Nachdenken. Die lateinische Wurzel des englischen Wortes „ponder“ für „intensiv nachdenken“ geht auf „abwägen“ zurück. Wenn wir also geistig nachdenken, wägen wir ab, wir entscheiden, was es geistig betrachtet wert ist, darüber nachzusinnen, und was nicht. Wenn wir uns ernsthaft die Zeit nehmen, einer Idee nachzugehen, die uns sehr kostbar ist, dann verschwinden die weniger kostbaren Gedanken von der Bildfläche.
So ist es. Vor einigen Monaten habe ich etwas auf eine Haftnotiz geschrieben und sie an meinen Bildschirm geklebt. Darauf steht: „Was sagt mir der geistige Sinn?“ Es ist der geistige Sinn, der uns sagt, wann wir nachdenken oder wann wir eingehender studieren müssen.
Ich kann mir vorstellen, dass intensives Studium auch zu inspirierendem Nachsinnen führen kann.
Unbedingt. Nehmen Sie zum Beispiel einmal die Textstelle aus Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy: „Eine geistige Idee enthält kein einziges Element des Irrtums, und diese Wahrheit entfernt alles Schädliche in der richtigen Weise.“ (S. 463) Viele haben allein durch dieses Zitat Hilfe und Heilung gefunden. Und das ist wunderbar. Aber es ist ebenso wichtig, den Zusammenhang zu betrachten, in dem Eddy eine Aussage trifft. Bei dieser hier spricht sie eigentlich über Geburt. Wenn man sie jedoch in einem noch weiteren Kontext liest, also die Absätze davor und danach, entwickelt sie genau genommen die Idee der Reinheit, betrachtet den Menschen als geistige Idee, als „Kind“ Gottes, und das wandelt das Denken um. Die eigene Reinheit als dieses Kind Gottes, nicht einfach als ein „Baby“. Für mich bringt das eine sehr weit reichende Bedeutung dessen hervor, was sie da vermittelt.
Ich hatte einmal eine Patientin, die seit mehreren Monaten Schwierigkeiten mit ihrer Haut hatte. In meinem Gebet wurde ich dazu geführt, diese Textstelle zu durchdenken, und ich habe die Idee der Reinheit des Menschen aufrechterhalten. Dass der geistige Mensch niemals geboren wurde. Er ist kein Sterblicher, der sich entwickelt oder verändert. Er ist immer das Kind Gottes. Daran hielt ich fest. Und innerhalb weniger Tage kam die Heilung.
Es ist einfach so wichtig, den größeren Zusammenhang zu betrachten. Dabei muss ich an die wöchentliche Bibellektion der Christlichen Wissenschaft denken, also Textstellen, die aus der Bibel und aus Wissenschaft und Gesundheit stammen. Da sind welche, die uns sehr vertraut sind, weil sie mehrmals pro Jahr erscheinen. Aber wir müssen über das hinausgehen, was wir unmittelbar vor Augen haben. Wir müssen tiefer schauen und überlegen, warum eine spezielle Passage gerade in dieser Wochenlektion auftaucht, und auch mal zu Wissenschaft und Gesundheit und zur Bibel zurückgehen und um die Zitate herum lesen. Was sagt Eddy einige Abschnitte zuvor oder später? Und wenn Jesus über etwas spricht, was war vorher geschehen und was geschieht danach?
Können Sie uns noch ein anderes Beispiel liefern, wo es die Bedeutung erweitert, wenn man um ein Zitat herum liest?
Sicher. Ich denke öfter über den Satz nach: „Erblichkeit ist kein Gesetz“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 178). Zu Beginn des Abschnitts verbindet Eddy diese Aussage mit dem menschlichen Glauben, dass Krankheiten von einer Generation zur nächsten übergehen. Wenn ich aber einige Abschnitte vorher und hinterher lese, dann lese ich heraus, dass sie sehr klar über den zugrunde liegenden vererbten Glauben spricht, dass der Mensch sterblich sei — was ja die Hauptlüge ist, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen. Der gesamte Glaube, dass ich ein Sterblicher sei, dass Sie sterblich und alle sterblich seien.
Es ist also tatsächlich der geistige Sinn, der uns führt, ob wir über einen Begriff oder eine Feststellung nachsinnen oder uns ihm im intensiveren Studium nähern. Ich denke gerade auch an eine Zeit, als ich dazu geführt wurde, einfach loszulassen. Ich hatte heftige Schwierigkeiten im unteren Teil der Wirbelsäule, die starke Schmerzen verursachten. Über zwei Jahre hinweg hatte ich Hilfe von zwei oder drei Praktikern. Einmal wurde dann nachts gegen zwei Uhr der Schmerz so stark, dass ich auf der Bettkante gesessen und Gott gefragt habe, was ich wissen muss, damit ich eine Heilung erleben kann. Kurz darauf kamen mir zwei Aussagen. Die eine, wo Jesus zu den Jüngern sagt: „Fahre hinaus auf die Tiefe und werft eure Netze zum Fang aus!“ (Lukas 5:4, 5), und die Jünger antworten, dass sie „die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“ hatten. Genau so kam ich mir auch vor – dass ich bis über beide Ohren in Arbeit gesteckt, aber keine Heilung „gefangen" hatte!
Der andere Gedanke war aus Wissenschaft und Gesundheit: „Es ist unsere Unwissenheit über Gott, das göttliche Prinzip, die offensichtliche Disharmonie hervorbringt, und das richtige Verständnis von Ihm stellt die Harmonie wieder her.“ (S. 390) Mir wurde klar, dass ich nicht nur Wahrheitserklärungen auf ein Problem anwenden sollte, sondern ein besseres Verständnis von Gott erlangen musste. Daraufhin empfand ich einen großen Frieden.
Ich legte mich wieder hin und schlief ein. Am nächsten Morgen ging es mir viel besser. Ich fing an, die Bibellektion zu lesen und fiel doch geradewegs in alte Gewohnheiten zurück! Wie ist diese Wahrheit auf die Situation anzuwenden? Und wie ist diese andere Aussage anzuwenden? Das hat mich regelrecht wachgerüttelt. „Was tust du hier?“, dachte ich. „In der Nacht bist du genau zu dem geführt worden, was du brauchst: das richtige Verständnis von Gott.“ Und für mich heißt dieses Verständnis „intelligentes Wissen“. Zu wissen, dass Gott Liebe ist und dass diese Liebe in jedem Moment unendlich ist.
In kurzer Zeit, ich weiß nicht genau wie lange, weil meine Gedanken so auf Gott fokussiert waren, war ich völlig frei.
Manchmal verwirrt uns die Suche nach zu vielen geistigen Wahrheiten. Ich vergleiche das mit so riesigen Geschäften, wo ein Regal am andern steht und so viel Auswahl uns überwältigt. Für mich steht es im Widerspruch zur Einfachheit der Christlichen Wissenschaft, wenn man letztlich zu analytisch herangeht. Denken Sie an Jesus. Er vermittelte eine sehr klare Botschaft. Die Bergpredigt. Die schmale Pforte. Ich denke, das ist die simple Christusart zu leben.
Mir ist gerade aufgefallen, dass lhre Haftnotiz „Was sagt mir der geistige Sinn?“ zu dem passt, was Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit fragt: „Sind die Gedanken göttlich oder menschlich? Das ist die wichtige Frage.“ (S. 462)
Und mit dieser Frage sagt sie eigentlich, dass der geistige Sinn jedem Menschen innewohnt. Nur gibt es manchmal Zeiten, wo wir es zulassen, dass unsere Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeit getrübt – manchmal sogar arg getrübt – wird, wie ein Gegenstand aus Silber. Der Glanz ist immer im Silber und wir müssen es nur richtig polieren, um ihn zurückzuholen.
Folgenden Gedanken finde ich enorm hilfreich, wenn ich das Silber meiner Gedanken poliere: „Christliche Wissenschaftler, seid euch selbst ein Gesetz, damit euch die mentale Malpraxis nicht schaden kann, weder im Schlaf noch noch im Wachen.“ (WuG, S. 442) Ich glaube, wir interpretieren das, was Eddy hier sagt, oft im Zusammenhang mit jemandem, der keine guten oder eventuell sogar richtig böswillige Gedanken über uns hegt. Aber diese Aussage steht am Ende der fiktiven Gerichtsverhandlung (siehe S. 430-442) über den Mann, der einer Leberkrankheit „beschuldigt“ wird, und das abschließende Urteil zugunsten des Geistes lautet: „Nicht schuldig.“ Nach meinem Verständnis liefert Eddy uns eine übergeordnete Botschaft: Seid wach und klar über die Malpraxis, die durch den Weltglauben an Sünde, Krankheit und Tod, den Glauben, dass wir sterblich seien und sterben müssten, auf uns wirkt.
Der Traum der Sterblichkeit ist mentale Malpraxis, der wir als Christliche Wissenschaftler entgegentreten müssen. In meiner Praxis habe ich manchmal, wenn eine Heilung ausgeblieben war, beobachtet, dass der Patient unterschwellig, ohne es selbst zu bemerken, Gedanken hegte wie: „Na ja, wenn die Christliche Wissenschaft nicht funktioniert, dann kann ich immer noch die Medizin ausprobieren.“ Dieser Gedanke stammt nicht vom Patienten – er ist ein versteckter hypnotischer Sog des sterblichen Glaubens zu seiner eigenen Erfindung, der materiellen Medizin. Vielleicht war das der latente Gedanke, mit dem Jesus fertig werden musste, als er mehr als einen Anlauf benötigte, um den blinden Mann in Betsaida zu heilen (siehe Markus 8:22-25). Ich finde es interessant, dass Jesus den Mann „hinaus vor das Dorf“ führte – man könnte auch sagen, weg vom Mesmerismus des sterblichen Gemüts –, bevor die Heilung stattfand.
Wenn unsere Praxis fest auf dem Felsen der göttlichen Wissenschaft aufbaut, ist Heilung die unausweichliche Auswirkung. In ihrer Botschaft an die Mutterkirche für 1901 sagte Mary Baker Eddy: „Nur eine feste Grundlage in der Wahrheit kann Schwingen der Furchtlosigkeit und sicheren Lohn bieten.“ (S. 2)
Gekürzte Übersetzung aus dem Christian Science Journal vom November 2012