Als Marie Helm 1991 Russland zum ersten Mal besuchte, hatte sie nicht die leiseste Ahnung von dem geistigen Abenteuer, das sie dort erwartete. Sie machte Bekanntschaft mit den Menschen in Russland, begann ihre Sprache zu lernen und entdeckte in ihnen eine tiefe Sehnsucht, mehr über Gott zu erfahren. Dort unternahm Mrs. Helm ihre ersten Schritte in die öffentliche Praxis der Christlichen Wissenschaft und begann Patienten zu heilen, noch bevor sie mehr als ein paar Worte Russisch sprach.
2002 wurde sie als Praktikerin in den Christian Science Journal eingetragen und begann vier Jahre später in St. Petersburg als Praktikerin zu wirken. 2005 wurde sie Mitglied im Vortragsrat der Christlichen Wissenschaft und hielt Vorträge in Russisch im gesamten russischsprachigen Feld. 2006 wurde sie Lehrerin der Christlichen Wissenschaft. Gegenwärtig lebt Helm sechs Monate im Jahr in St. Petersburg, wo sie ihre Klasse und ihre Schülerversammlung abhält.
Sie hatten einmal erwähnt, dass die Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft in Ihrer Jugend zu Ihrer Kirchenheimat wurde. Welche Auswirkung hatte das auf Ihr Leben?
Als Kind habe ich die Sonntagsschule besucht und mit 15 oder 16 ging ich regelmäßig hin. Sie vermittelte mir ein neues Gefühl von Möglichkeiten. Und darüber hinaus verschaffte sie mir einen klaren Begriff von Gott als der Quelle von Dauerhaftigkeit und Stabilität in meinem Leben.
Diese Stabilität muss Ihnen eine große Stütze gewesen sein, wenn man bedenkt, welche Richtung Ihr Leben später einschlug.
O ja! Mein Mann hatte eine wundervolle berufliche Laufbahn in einer großen Firma, wobei dies üblicherweise häufige Umzüge für die Familie mit sich brachte. Das war bisweilen eine Herausforderung, denn mein Mann und unsere beiden Kinder fanden zwar nach den Umzügen umgehend ihren Platz in der Gemeinschaft, doch ich fühlte mich oft etwas haltlos. In diesen Situationen war die Christliche Wissenschaft so wichtig, denn ich lernte, dass ein Zuhause nicht ein bestimmter Ort ist. Wenn ich mein Zuhause als ein materielles Umfeld betrachte, ist es immer verletzlich. Also stellte ich fest, dass ich eine geistige Auffassung von Heim brauchte. Und damals wurde das Gefühl der Einheit mit unserem Vater‑Mutter Gott ein Zuhause für mich.
Im zweiten Buch Mose gibt es den wunderbaren Vers: „Sieh, ich sende einen Engel vor dir her, der dich auf dem Weg behüten und dich an den Ort bringen soll, den ich bereitet habe.“ (23:20) Den liebe ich, weil es für mich eine Zusage war, dass ich mir keine Gedanken darüber machen musste, was ich tun oder wie ich meinen Platz finden würde. Gott hatte ihn für mich vorbereitet und Gott würde ihn mir offenbaren.
Wenn wir uns unserer Einheit mit Gott bewusst werden und erkennen, dass Gott die Absicht hat, uns zu segnen, richtet die Hoffnung uns auf.
Zu welchem Zeitpunkt entwickelten Sie ein Interesse an Russland?
Nun, wir zogen 1983 nach Alaska um. Dort sollten wir zwar nur 18 Monate bleiben, doch unsere vorübergehenden Verpflichtungen wurden zu einem 25 Jahre währenden Aufenthalt. Das war eine interessante Zeit. Alaska hat tiefe Verbindungen zu Russlands Fernem Osten. Früher gehörte es einmal zum russischen Zarenreich, deshalb haben viele Orte in Alaska russische Namen. Es war faszinierend zu erfahren, dass mit den ersten russischen Forschern auch russisch‑orthodoxe Priester nach Alaska gekommen waren und dass viele Ureinwohner, wie Aleuten, Tlingits und Haida, in die russisch‑orthodoxe Kirche aufgenommen worden waren.
Wann begannen Ihre Reisen nach Russland?
Als Russland sich unter der Führung Michail Gorbatschows zu öffnen begann, gab es für die Leute in Alaska plötzlich die Gelegenheit, ihre russischen Wurzeln zu erforschen. Mein erster Besuch in Russland fand 1991 im Rahmen eines Programms von Partnerstädten statt, bei dem wir einige der älteren Aleuten aus Alaska mit ihren Verwandten in Kamtschatka zusammenbrachten. Und was ich zunächst für einen einmaligen Besuch hielt, erwies sich als eine Tür, die eine ganze Reihe von Abenteuern auftat. Mir wurde klar, dass ich Russisch lernen musste, wenn ich weiter daran teilnehmen wollte. Und so fing ich an Russisch zu lernen. Nachdem ich von meinem ersten Besuch wieder nach Hause gekommen war, erhielt ich eine ganze Flut von Briefen, doch ich konnte sie nicht lesen, denn sie waren in Russisch. Das verstärkte noch meinen Wunsch, diese Sprache zu lernen – und das tue ich bis heute.
Meine ersten drei Besuche in Russland waren also Teil dieses Programms der Partnerstädte. Doch dann fragte mich die Leiterin des Programms, ob ich ihr bei der Vorbereitung eines Seminars helfen könne, das in einem neuen Frauenzentrum im Fernen Osten Russlands gehalten werden sollte. Das tat ich sehr gern. Darin ging es um die Entwicklung und das Management von gemeinnützigen Organisationen. Nachdem ich ihr geholfen hatte, das Seminar zusammenzustellen, sagte sie: „Und nun hätte ich gern, dass Sie selbst hingehen und es halten.“ Ich weiß noch, dass ich sagte: „Oh! Dafür spreche ich nicht genug Russisch.“ Und sie sagte: „Das ist schon okay, Sie bekommen einen Dolmetscher.“ Also willigte ich ein, wobei ich keinen Schimmer hatte, wohin Gott mich hier führt.
Je mehr sie über meinen Glauben und über geistiges Heilen hörten, desto mehr wollten sie wissen.
Als ich dann für das Seminar ankam, war die Sowjetunion gerade zerfallen und die Russen hatten zum ersten Mal seit drei Generationen die Gelegenheit, ihre Spiritualität zu erkunden. Jeder wollte von meinem Glauben hören und in jeder Pause vom Seminar oder vom Tagesgeschäft stellten die Leute Fragen über meinen Glauben. Je mehr sie über meinen Glauben und über geistiges Heilen hörten, desto mehr wollten sie wissen. Ungefähr am dritten Tag hatte ich Patienten, die sich anstellten, um Heilung zu erbitten. Das war eine ziemliche Herausforderung, denn ich sprach nicht genug Russisch, um ihnen den Heilprozess erklären zu können. Doch ich habe es immer als eine tolle Art und Weise empfunden, eine öffentliche Praxis zu starten. Da ich nicht auf Worte zurückgreifen konnte, musste ich wirklich den Christus mein Denken und das Geschehen lenken lassen. So öffnete ich dann häufig die russische Bibel zu einer Textstelle, die ich entsprechend der englischen Verse kannte, bot sie meinen Besuchern an und sagte: „Lesen Sie das.“ Und dann teilte ich noch etwas aus der russischen Übersetzung von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy mit ihnen und sagte: „Sie bewahren das im Denken und ich bete.“ Und wir hatten einige wunderbare Heilungen.
Können Sie uns einen Kurzüberblick über das russischsprachige christlich-wissenschaftliche Feld geben?
Ich glaube, für die meisten aus dem Westen ist es schwierig, sich das auch nur vorzustellen. Russland ist ein so riesengroßes Land, es überspannt zehn Zeitzonen und reicht vom Nordpolarmeer bis hinunter zum Schwarzen Meer. Es gibt Anhänger der Christlichen Wissenschaft verstreut über diese riesige Weite. Sie sind sehr isoliert. Und in Ländern, wo Russisch gesprochen wird, sind die einzigen Zweigkirchen in St. Petersburg, Russland, Cherson, Ukraine, und Riga, Litauen. Wir haben kleine informelle Gruppen in Armenien, Georgien, der Ukraine, Kasachstan und in verschiedenen Städten in Russland. Seit der Auflösung der Sowjetunion ist das, was einmal eine einzige Nation gewesen ist, nun zerfallen in viele verschiedene Nationen. Und viele von ihnen haben die ursprüngliche Sprache ihres Volkes wieder angenommen, doch die meisten von ihnen erhalten auch die russische Sprache lebendig. Es gibt auch einzelne Leser von Wissenschaft und Gesundheit in Weißrussland wie auch über ganz Russland verteilt.
Inzwischen haben wir eine tolle Website, wo die Leute Kontaktinformationen finden können, wenn sie mehr über die Christliche Wissenschaft erfahren möchten. Unsere Zweigkirche in St. Petersburg bietet seit Kurzem Mittwochsversammlungen über das Internet via Skype an, was für viele Leute sehr anregend und hilfreich ist. Diejenigen, die an weit entfernten Orten leben und keine Kirche haben, können sich uns per Skype anschließen. Was wir alle gemein haben, ist, dass wir die Christliche Wissenschaft wirklich als unser geistiges Zuhause erkannt haben. Durch die russische Übersetzung der wöchentlichen Bibellektionen, die russische Ausgabe des Herold der Christlichen Wissenschaft auf JSH-Online und die auf Russisch gehaltenen Vorträge der Christlichen Wissenschaft haben wir wirklich ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Empfinden der Einheit mit unserem Vater‑Mutter Gott und mit dieser weltweiten Familie. Es ist eine große Stärkung, sich bewusst zu werden, dass man nicht allein ist.
Einiges von dem, womit sich das russische Volk auseinandersetzen musste, wie große politische oder wirtschaftliche Umwälzungen, kann Menschen auf der ganzen Welt herausfordern. Was können Sie zum Beispiel Leuten sagen, die etwa durch den Beruf, durch Naturkatastrophen oder Krieg aus ihrem Zuhause vertrieben worden sind?
Wenn derlei Dinge passieren, bieten die Zusagen aus der Bibel Trost für jeden. Bei Jeremia gibt es ein wundervolles Versprechen: „Ich werde einen ewigen Bund mit ihnen schließen und nicht ablassen, ihnen Gutes zu tun; … und es soll meine Freude an ihnen sein, ihnen Gutes zu tun; und ich will sie treulich, von ganzem Herzen und von ganzer Seele in diesem Land einpflanzen.“ (32:40, 41) Wenn wir uns unserer Einheit mit Gott bewusst werden und erkennen, dass Gott die Absicht hat, uns zu segnen, richtet uns die Hoffnung auf, dass wir auf unseren Vater‑Mutter Gott zählen können, dass Er uns schützt und stützt, ganz gleich, wie düster die Dinge gerade erscheinen mögen.
Gott hat einen Platz für uns bereitet und Seine Engel, Seine Gedanken, führen uns zu diesem Platz.
Der schon erwähnte schöne Vers aus dem zweiten Buch Mose versichert uns, dass Gott einen Ort für uns bereitet hat und dass Seine Engel, Seine Gedanken, uns zu diesem Ort führen, der auch das Zugehörigkeitsgefühl, die Leistungsfähigkeit und alles, was wir für den täglichen Bedarf benötigen, in sich schließt. Ich finde, mehr als alles andere begrenzt es uns, wenn wir versuchen, diese Zusage in einen materiellen Rahmen zu pressen und zu sagen: „Ich muss dieses und das und jenes haben, dann fühle ich mich zu Hause und dann fühle ich mich sicher.“ Wenn wir jedoch diese materielle Box beiseiteschieben und nur auf Gottes Führung lauschen und Seiner Güte und Fürsorge wirklich vertrauen, werden wir Schritt für Schritt zu einem Gefühl der Fülle im Leben geführt.
Was Sie sagen, erinnert mich an etwas, was M. B. Eddy den Mitgliedern ihres Haushalts gesagt hat: „Das Heim ist nicht ein Ort, sondern eine Macht. Wir finden unser Heim, wenn wir zum vollen Verständnis von Gott gelangen.“ (Zwölf Jahre mit Mary Baker Eddy, Irving D. Tomlinson, S. 175)
Da stimme ich ganz und gar zu. Wenn wir ein Zuhause aus der physischen Örtlichkeit herausheben und es als einen Ausdruck unserer Einheit mit unserem Vater‑Mutter Gott verstehen, dann erkennen wir, dass wir umfassend durch Gottes Allmacht ermächtigt sind, die uns führt, leitet, schützt und uns alles gibt, was wir benötigen, um uns unaufhörlich weiterzuentwickeln und zu wachsen. Dann verstehen wir, dass ganz gleich wo wir sind, wir überall zu Hause sind.
