Als ich zur U-Bahn hinunterging, bemerkte ich einen Mann, der um Geld bettelte. Eine Viertelstunde vorher war mir der Gedanke gekommen, meinen Arbeitsweg zum Beten zu nutzen, anstatt nur über Projekte nachzudenken. Und sofort fiel mir dieser Satz aus der Bibel ein: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild“ (1. Mose 1:27). Ich hatte auf dem Weg tief über dieses Konzept und diese geistige Feststellung der göttlichen Natur eines jeden Menschen nachgedacht. Die Heiligkeit aller wurde mir auf unleugbare Weise klar – und ich war dankbar.
Als ich unten in der U-Bahn ankam, hörte ich jemanden rufen, und als ich aufschaute, sah ich denselben Mann auf mich zukommen. Er entschuldigte sich laut dafür, „schreckliche Dinge“ zu mir gesagt zu haben. Ich hatte diese „Dinge“ gar nicht gehört, nahm seine Entschuldigung aber an, und wir unterhielten uns einen Moment, auch über Gott, bevor wir getrennte Wege gingen.
Auf dem restlichen Heimweg dachte ich über den Vorfall nach. Wieso hatte ich diese „schrecklichen Dinge“ nicht gehört? Und wieso war es dem Mann so wichtig, sich zu entschuldigen? Mir kam der Gedanke, dass der Geist der göttlichen Wahrheit und Liebe mein Denken in dem Moment so erfüllt hatte, dass für andere Dinge kein Platz mehr war, ähnlich wie Licht Dunkelheit vertreibt. Somit gab es weder Vergehen noch einen Schuldigen mehr. Augenblicklich hatten der Mann und ich erlebt, dass wir Geschwister sind – Gott unser Ursprung und wir beide Gottes Ebenbild –, und das hatte uns verändert.
Auf diese Weise erlebte ich zum ersten Mal die Macht des göttlichen Bewusstseins und erkannte die Fähigkeit eines jeden von uns als Widerspiegelung des göttlichen, unbegrenzten Gemüts, das kollektive Leben positiv zu beeinflussen.
Denken ist die Essenz unseres Lebens. Wenn das Denken sich mit göttlichem Geist, Gott, vereint, haben wir teil an diesem Geist, der Quelle alles Guten, und werden zu einem Vehikel dafür. Und wir stellen fest, dass wir uns nicht selbst als geistig erkennen können, ohne unsere Mitmenschen ebenfalls als geistig zu erkennen, denn da das göttliche Gemüt universal ist, muss jeder die geistige Idee, das Kind, dieses einen Gemüts, Gottes, sein.
In einer Ansprache anlässlich der Einweihung ihrer Kirche beschrieb Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft und Gründerin dieser Zeitschrift, wie wichtig diese geistige Gesinnung in der Welt sein kann: „Ist nicht ein Mensch metaphysisch und mathematisch Nummer eins, eine Einheit, und daher eine ganze Zahl, von seinem göttlichen Prinzip, Gott, regiert und beschützt? Ihr müsst euch einfach ein wissenschaftliches, positives Bewusstsein der Einheit mit eurem göttlichen Urquell bewahren und dies täglich demonstrieren. Dann werdet ihr finden, dass einer, wenn er aufrichtig ist und recht handelt und somit das göttliche Prinzip demonstriert, ein ebenso wichtiger Faktor ist wie [Duodezillionen]“ (Kanzel und Presse, S. 4).
Der Begriff Duodezillion steht für eine gigantische Zahl – sie hat 72 Nullen. (Im Vergleich dazu hat eine Billion nur 12 Nullen.) Solch eine Fähigkeit, Autorität bzw. solch ein Einfluss ist aus menschlicher Sicht unvorstellbar, egal wie viel Wohlstand oder Einfluss ein Mensch haben mag. Doch als Tochter oder Sohn Gottes, als Ausdruck der unendlichen Liebe und Wahrheit, ist unser Einflussbereich so umfassend wie unser Verständnis von Gott.
Diese Macht oder Wichtigkeit ist nicht persönlich; sie kommt nicht aus uns, noch ist sie ein menschliches Talent oder eine menschliche Gabe, die manche Menschen besitzen und andere nicht. Wenn wir auch nur ein wenig von der grenzenlosen, allumfassenden, all-guten Natur des göttlichen Lebens und der göttlichen Liebe sowie unserer dauerhaften Einheit verstehen, fühlen und zeigen wir ganz natürlich mehr von Gott, dem Guten – mehr Liebe, Integrität, Reinheit, Intelligenz, Frieden. Solche Eigenschaften sind in jedem von uns normal und unwandelbar, denn wir sind der Ausdruck des göttlichen Prinzips. Und unsere Erkenntnis und Umsetzung dieser Eigenschaften auf der Grundlage eines geistigen Verständnisses von Gott ebnet den Weg für das Gute in unserem Leben und darüber hinaus.
Niemals wurde ein Leben gelebt mit einer größeren Auswirkung als das von Christus Jesus, und doch sah er sich selbst als persönlich machtlos. Er sagte: „Ich kann nichts von mir selber tun“ (Johannes 5:30). Aber da er wusste, dass er untrennbar von Gott war – und einmal sagte: „Ich und der Vater sind eins“ (Johannes 10:30) –, erkannte er auch, dass ihm kraft Widerspiegelung „alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben“ war (Matthäus 28:18).
Der heilende Einfluss dieses christlichen Lebens hat sich seitdem über die Welt verbreitet und Zeit und Raum überwunden. Die körperlichen Heilungen und moralischen Erneuerungen, die andere durch dieses von Gott geführte Leben erlangt haben, gründeten sich auf seine tägliche, demütige Kommunion mit Gott, Gebete, die Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift als „tiefe und gewissenhafte Bezeugungen der Wahrheit“ erklärt „– Bezeugungen des Menschen als Gottes ‚Bild‘ und der Einheit des Menschen mit Wahrheit und Liebe“ (S. 12). Diese geistig-wissenschaftlichen Gebete wirkten sich nicht nur auf sein Leben aus, sondern auf das Leben aller, an die er dachte.
In dieser Zeit der Pandemie, des politischen Aufruhrs, der gesellschaftlichen Selbstprüfung und finanziellen Unsicherheit mag „Eins“ nicht nur als die einsamste Zahl, sondern auch die unwichtigste erscheinen. Doch das scheint nur aus materieller Sichtweise so. Durch die göttliche Wissenschaft kann jeder von uns auf der Seite des Richtigen und Guten viel bewirken. Immer wenn wir uns „ein wissenschaftliches, positives Bewusstsein der Einheit mit [unserem] göttlichen Urquell bewahren und dies täglich demonstrieren“, bringen wir uns auf der Seite von Fortschritt, Heilung und Gerechtigkeit ein. Und so wie ich die „schrecklichen Dinge“ in der U-Bahn nicht gehört hatte, sollten wir nicht überrascht sein, wenn dieser geistige Einsatz nicht nur uns hilft, sondern auch positive Auswirkungen auf das Leben anderer nah und fern hat, und zwar auf unvorhergesehene Weise.
Ethel A. Baker
Chefredakteurin
