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Original im Internet

Warum sollen wir vergeben?

Aus dem Herold der Christlichen Wissenschaft. Online veröffentlicht am 25. Juli 2022


Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

– Matthäus 6:9–13

In einer kleinen Hafenstadt kam eine große Gruppe Menschen in einem Haus zusammen. Es hatte sich herumgesprochen, dass ein Mann, dessen Botschaften die Herzen der Menschen erreichten, eine Ansprache halten würde. Wovon redete er, dass er auf solch ein Interesse stieß? Von Erlösung, Wiedergeburt und Vergebung. Und nicht nur das, er heilte auch.

Dieser Mann war natürlich Jesus von Nazareth. Und die Stadt war Kapernaum am Ufer des Sees von Galiläa.

Zu den Menschen in Kapernaum, die Jesus sprechen hören wollten, gehörte auch ein Mann, der so stark gelähmt war, dass er von vier Männern auf einer Bahre getragen werden musste. Doch als sie zu dem Haus kamen, in dem Jesus war, kamen sie wegen der Menschenmenge gar nicht an Jesus heran. Sie müssen den Freund sehr geliebt haben und sicher gewesen sein, dass er geheilt werden konnte, wenn sie ihn nur bis zu Jesus bringen konnten. Also hievten sie die Bahre auf das Dach, deckten es teilweise ab und ließen ihren Freund durch die Öffnung hinunter.

Und was sagte der Meister nach alldem zu dem Mann? „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ (Markus 2:5). Warum sagte er das? Wieso sagte er einem Mann, der sehr dringend von Lähmung geheilt werden wollte, etwas über Vergebung? Ja, Jesus hat den Mann geheilt. Doch warum hat er ihm erst versichert, dass ihm vergeben worden war?

Jesus hat das, was die körperlichen Sinne als wahr präsentieren, nicht akzeptiert, sondern über den oberflächlichen Anschein hinausgeblickt. Damit ihm etwas wirklich erschien, musste es so sein, wie Gott es erschaffen hatte. Gott hat alles, was Er gemacht hat, als gut erklärt, und dazu gehört der Mensch (männlich und weiblich) als Gottes Bild und Gleichnis. Wenn jemand zu ihm kam, um geheilt zu werden, sah Jesus nicht wie alle anderen einen leidenden Sterblichen. Diese Sichtweise hat Jesus nie akzeptiert. Er hat jeden Menschen als vollständig gut erkannt, als jemanden, der Gottes Vollkommenheit widerspiegelt. Die allgemeine theologische Sichtweise seiner Zeit war, dass der Mensch in Sünde geboren wurde. Wenn Jesus diese irrige Sichtweise übernommen hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen zu heilen.

Geistiges Heilen in der Christlichen Wissenschaft findet statt, wenn wir diesen vollkommenen Menschen erkennen, und das ist auch die Grundlage von Vergebung.

Warum sollen wir also vergeben? Weil Vergebung unerlässlich ist, um geistig sehen, heilen und Erneuerung erlangen zu können. Die Bibel verdeutlicht, dass Jesus in dieser Sache keine Wahl hatte. Er wusste, dass Gott dem Mann bereits vergeben hatte, und Jesus konnte es sich nicht leisten, falsch Zeugnis gegen seinen Nächsten abzulegen. Wenn wir dies verstehen, können wir erkennen, dass Buße und Vergebung jeden Tag erforderlich sind, wenn wir etwas sehen oder erleben, das Gottes vollkommener Schöpfung nicht entspricht.

Ich bin in Deutschland aufgewachsen, als Hitler an der Macht war. Während des Krieges war die Christliche Wissenschaft in Deutschland verboten. Mein Vater, ein Praktiker der Christlichen Wissenschaft, der aktiv in der Kirche mitarbeitete, kam ins Gefängnis, wurde später allerdings daraus entlassen und gezwungen, Soldat zu werden. Ich musste mit zehn Jahren der Hitlerjugend beitreten. Jedes Kind musste das. Es war gesetzlich vorgeschrieben. Doch nachdem mein Vater ins Gefängnis gekommen war, weigerte ich mich, an den Versammlungen teilzunehmen oder etwas mit der Organisation zu tun zu haben. Aus diesem Grund musste ich den letzten Teil des Krieges in einem Zwangsarbeitslager verbringen.

Als unsere Familie nach dem Krieg wieder vereint war, fiel mir auf, dass mein Vater sehr freundlich zu einem unserer Nachbarn war, der ein aktives Mitglied der Nationalsozialisten gewesen war. Ich war empört über die Haltung meines Vaters und sagte es ihm. Wie ich mich erinnere, fragte mich mein Vater, ob ich glaubte, darüber richten zu können, wer als Kind Gottes akzeptabel war und wer nicht. Er betonte, dass ich, wenn ich mich selbst als Gottes vollkommene Schöpfung erkennen wollte, alle anderen Menschen ohne Ausnahme in demselben Licht sehen musste. Ich musste vergeben.

Ich weiß noch, wie ich sagte: „Als Nächstes sagst du mir noch, ich solle Hitler vergeben.“ Er erklärte, dass er den Terror, der unter den Nazis geherrscht hatte, niemals für gut befinden könne und dass die Verantwortlichen bestraft werden müssten. Doch das hatte nichts damit zu tun, dass der Einzelne vergeben und jeden so sehen muss, wie Gott dies tut.

Mehr als 20 Jahre später hatte ich eine eigene Familie. Meine Frau und ich hatten drei Söhne und wollten ein Mädchen adoptieren. Das Adoptionsverfahren erforderte ein psychologisches Gutachten meiner Frau und von mir. Nach dem Test erklärte der Psychologe, dass ich erstaunlich wenige seelische Narben von meiner Kriegserfahrung hatte. Erst freute ich mich, das zu hören. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fragte ich mich, wieso ich überhaupt Narben haben sollte.

Als ich mein Denken prüfte, erkannte ich, dass ich nach all den Jahren gelegentlich Alpträume hatte, die mit dem Krieg zusammenhingen, und es gab Zeiten, in denen ich mir vorstellte, wie ich mir einen der Lagerwärter vorknöpfen würde, wenn ich ihm jemals gegenüberstünde. Ich erkannte, wie irrational diese Gedanken waren, und beschloss, ernsthaft und systematisch darum zu beten, von diesen letzten verbleibenden seelischen Narben befreit zu werden.

Meine Gebete richteten sich auf zwei Elemente. Das erste war mein Bemühen zu erkennen, dass es in Gottes Wirklichkeit, Seinem Reich, nie einen Krieg oder die Nachwirkungen eines Krieges gegeben hatte. Lassen Sie mich das erklären. Ich verstand, dass der Krieg, den ich durchlebt hatte, nur zu „dem Traum des materiellen Lebens“ gehört hatte, wie er in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift genannt wird (Mary Baker Eddy, S. 14). Und ein Traum kann in der Wirklichkeit keine Narben hinterlassen. Wenn ich nachts geträumt hätte, von einer Herde Elefanten gejagt zu werden, würde ich beim Aufwachen nicht nach Spuren der Elefanten auf dem Schlafzimmerteppich suchen.

Wenn ich mich selbst als Gottes vollkommene Schöpfung erkennen möchte, muss ich alle Menschen ohne Ausnahme in demselben Licht sehen. Ich muss vergeben.

Und zweitens hatte ich nun die geistige Reife, um die Notwendigkeit unvoreingenommener Vergebung zu erkennen. Es war unlogisch, meine Freiheit von den Auswirkungen des Krieges zu erklären und gleichzeitig Ressentiments gegenüber Personen zu haben, die mit der Erfahrung des Krieges verbunden waren. Vergebung war eine Voraussetzung für meine Freiheit von diesen verbleibenden Narben. Ich dachte an Jesu Gebet für die Menschen, die ihn misshandelt und gekreuzigt hatten: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lukas 23:34).

Dem Lagerkommandanten, den Wärtern und vielen anderen zu vergeben war am Ende einfacher, als ich gedacht hatte. Es war klar, dass alle Beteiligten Rollen innegehabt hatten, die ihre wahre, gottgegebene Identität verborgen hatten.

Ich weiß noch, wie ich mich prüfte, wie ehrlich meine Vergebung nun wirklich war. Nach viel Gebet beschloss ich, dass ein guter Test war, mich zu fragen, ob ich diese Menschen lieben konnte. Fast zu meiner Überraschung war die Antwort ja. Ich erkannte, dass jeder von ihnen als Kind Gottes absolut der Liebe würdig war.

Jesus lehrte seine Nachfolger im Gebet des Herrn zu beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben“ (Matthäus 6:12). Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, gab in Wissenschaft und Gesundheit das, was sie als „die geistige Bedeutung des Gebets des Herrn“ versteht, und für diese Zeile sagte sie: „Und Liebe spiegelt sich in Liebe wider“ (S. 16–17). Liebe wird hier als Name für Gott verwendet und deshalb in Kapitälchen geschrieben. Da wir immer von dieser göttlichen Liebe umgeben und getröstet werden und als Gottes Widerspiegelung niemals von ihr getrennt sind, ist es natürlich für uns, diese Liebe aktiv widerzuspiegeln und andere zu lieben, egal wie wir behandelt worden sind.

Während meiner Zeit im Zwangsarbeitslager wurde ich einmal ausgepeitscht, weil ich etwas Verbotenes gesagt hatte. Der Lagerarzt sagte voraus, dass die Narben mein ganzes Leben lang bestehen würden. Da sie auf meinem Rücken waren, habe ich nie weiter darüber nachgedacht. Daher war ich umso überraschter, als ich eines Tages entdeckte, dass diese physischen Narben ebenfalls vollständig verschwunden waren, nachdem ich meine seelische Freiheit von den verbleibenden Ressentiments erlangt und vollständig vergeben hatte. Sie waren über 20 Jahre auf meinem Rücken gewesen.

Ich lernte, dass ich nie meine eigene Vollkommenheit als Gottes Kind erleben kann, wenn ich nachtragende oder kritische Gedanken anderen gegenüber hege. Wenn ich meinen Nächsten aus dem Himmelreich vertreibe, falle ich quasi selbst mit heraus.

Das, was uns davon abhält, unvoreingenommen zu lieben, ist vielfach Selbstgerechtigkeit. Ich habe immer wieder gelernt, dass es nicht in jedem Fall wichtig ist, darauf zu bestehen, dass ich recht habe. Wir werden viel mehr gesegnet, wenn wir das Gute im anderen erkennen und lieben.

Und manchmal müssen wir uns auch selbst vergeben, um einen Fehler der Vergangenheit zu überwinden, der uns heute noch anhängt. Das wird viel leichter, wenn wir uns bewusst machen, wie sehr ein vergebender Gott uns liebt. Es gibt nur eine Sache, die man mit einem Fehler machen kann, und zwar, ihn zu berichtigen, und zwar immer einen nach dem anderen. 

Es ist wichtig, völlig ehrlich mit sich selbst zu sein und jegliche verbleibenden sündigen oder irrigen Gedanken und Verhaltensweisen zu erkennen und zuzugeben. Warum sollten wir an unnötigen Lasten festhalten? Sie halten uns nur auf. Gottes Vergebung umgeht nicht die Notwendigkeit, unsere eigenen Taten zu bereinigen.

Mary Baker Eddy hat 1895 in einer Ansprache in ihrer Kirche folgende sehr starke Aussage gemacht: „Ohne die Erkenntnis der eigenen Sünden und ohne eine Reue, die so ernst ist, dass sie die Sünden austilgt, ist man kein Christlicher Wissenschaftler und kann es nicht sein“ (Vermischte Schriften 1883–1896, S. 107).

Reue ist unerlässlich. Wenn wir einen Gedanken oder eine Tat einmal vollständig bereut – durchschaut und dann losgelassen – haben, ist es kontraproduktiv, uns selbst zu verdammen und immer wieder daran zurückzudenken. Wenn wir einen Irrtum ausreichend bereut haben, werden wir umgewandelt, und zwar so, dass wir das ausdrücken, was wir in Wirklichkeit immer gewesen sind. Und Irrtum und falsches Verhalten war nie ein wahrer Teil von uns.

Mrs. Eddy schrieb hinsichtlich der Zeit Jesu: „Heute wie damals werden beim metaphysischen Heilen von physischer Krankheit Zeichen und Wunder vollbracht; aber diese Zeichen dienen nur dazu, seinen göttlichen Ursprung zu demonstrieren – die Wirklichkeit der höheren Mission der Christus-Kraft zu bestätigen, die Sünden der Welt wegzunehmen“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 150). Für mich ist es hilfreich, täglich für mich selbst zu beten und zu wissen, dass ich nur das denken kann, was Gott mir eingibt, und dass ich mich nur so verhalten kann, wie Gott es mir sagt. Schließt das meine Gedanken über mein Umfeld oder die Welt ein? Ganz und gar.

In mancher Hinsicht scheint die Menschheit so gelähmt zu sein, wie der Mann in Kapernaum. Ein kollektives Engagement zu vergeben würde viel bewirken, um den hartnäckigen Widerstand der Welt gegen friedliche Lösungen zu überwinden, und uns allen mehr Freiheit verdeutlichen.

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