Christus Jesus, der lange verheißene Messias, predigte, dass das Himmelreich nahe gekommen ist. Welch eine Hoffnung muss diese Aussage in den Herzen eines Gott liebenden Volks geweckt haben, das vom heidnischen Rom unterdrückt wurde! Und doch wurde Jesus einmal von seinen Jüngern gefragt, wer der Größte in diesem Reich sei, und er überraschte sie damit, dass er ein kleines Kind vor sie stellte.
„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder“, so sagte er, „dann werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Matthäus 18:3). Von wegen der Größte sein – erstmal mussten sie überhaupt ins Himmelreich kommen! Vermutlich waren sie so erstaunt wie Nikodemus war, als er hörte, dass er neu geboren werden müsse. Jesus lehrte, dass die Größe eines Kindes in seiner Unschuld liegt. „Wer nun sich selbst erniedrigen wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich“ (18:4).
Was für eine Größe ist das? Oder vielleicht sollte man besser fragen: Was für ein Reich?
Bei Jesu Antwort auf die Frage der Jünger muss ich an den kleinen Jungen denken, den Jesaja erwähnt (siehe 11:1–9). In was für einem Reich hatte dieser unschuldige Junge die Macht, den Löwen und das Mastvieh miteinander zu treiben? In einem Reich, in dem eine materielle Grundlage vom Leben nicht existiert. Jesaja spricht von einer Zeit, in der die Erkenntnis von der liebevollen Herrlichkeit Gottes die Erde erfüllt, „wie Wasser das Meer bedeckt“, was auf ein Bewusstsein hindeutet, in dem das Böse unbekannt ist. War dieses Bewusstsein das Himmelreich, auf das Jesus sich bezog – das Reich, das hier und jetzt gekommen ist, wo Gottes Wille „auf Erden wie im Himmel“ geschieht (Matthäus 6:10)?
Jesus zeigte den Jüngern die Allgegenwart dieses Reiches und ihre eigene absolute Unschuld als Gottes Kinder. War es nicht dieses Verständnis, das Jesus die Macht gab, alles Böse aus dem Leben der Menschen auszutreiben, also alle Hinweise darauf, dass sie in einem materiellen Umfeld lebten und Sünde, Krankheit und Tod ausgesetzt waren? Bewies er nicht die herrliche Allheit des Geistes und definierte die ewige Wirklichkeit? Weder Gottes Kind noch Gottes Reich ist jemals mit etwas Bösem in Berührung gekommen.
Wir können uns in unserer begrenzten menschlichen Vorstellung vielleicht als stolze Regenten, treue Bürger oder elende Sklaven der verschiedensten Reiche sehen – einer Familie, der Wirtschaft, am Arbeitsplatz, in der Regierung usw., wo wir den Leidenschaften und Leiden unserer eigenen Überzeugungen untertan sind.
Jesus bezog sich auf jedes dieser „Reiche“, als er sagte: „[Ihr] werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8:32). Mary Baker Eddy, die die heilende Macht von Jesu Worten entdeckt und praktiziert hat, schrieb: „Die ewige Wahrheit zerstört, was die Sterblichen vom Irrtum gelernt zu haben scheinen, und das wirkliche Dasein des Menschen als ein Kind Gottes kommt ans Licht“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 288–289). Also müssen wir zulassen, dass die Wahrheit das zerstört, was wir vom Irrtum gelernt haben, und Wahrheit wird uns unsere wahre Existenz im Reich der allumfassenden Harmonie offenbaren. Heißt das dann nicht also, so frei zu werden wie ein Kind ist, unberührt von all den Irrtümern einer Sichtweise, eine Historie in menschlichen Reichen zu haben?
Das Grübeln über eine menschliche Vergangenheit oder Zukunft, ob gut oder schlecht, nimmt so viel Platz in unserem Denken ein und zeichnet das Angesicht, die Anatomie und die Landschaft unseres menschlichen „Jetzt“! Für Jesus hatte eine sterbliche Vergangenheit kein Gewicht. Ein Mann war 38 Jahre lang lahm? Jesus sagte ihm, er solle gehen, und der Mann gehorchte. Eine Frau konnte sich seit 18 Jahren nicht aufrichten? Sie stand aufrecht, als der Christus-Geist, den Jesus verkörperte, ihr Denken berührte und ihre Freiheit verkündete. Ein Blindgeborener? Jesus wies ihn an, sich den Staub der Vergangenheit abzuwaschen, und der Mann kehrte sehend zurück. Diese Werke waren Demonstrationen einer göttlichen Wissenschaft, die auch heute nachweisbar ist. Wir lesen in Wissenschaft und Gesundheit: „Die göttliche Wissenschaft vertreibt die Wolken des Irrtums mit dem Licht der Wahrheit und hebt den Vorhang über dem Menschen, der nie geboren ist und niemals stirbt, sondern mit seinem Schöpfer zugleich besteht“ (S. 557).
Was für ein heilendes Konzept! Wenn wir mit Geist koexistieren und nie in die Materie hineingeboren wurden, dann haben sterbliche Abstammung, genetische Erkrankungen, körperliche und seelische Narben und vererbliche Probleme keinen Einfluss auf uns. Dies gilt auch für unangenehme Erinnerungen – ob an kleine Missverständnisse oder traumatische Vorfälle. Hat Jesus nicht befohlen, wir sollten uns als von Geist geboren sehen und keinen Menschen auf Erden unseren Vater nennen? Als Kinder unseres Vaters im Himmel muss sich unsere Kindheit in diesem Himmelreich abgespielt haben. Wir haben ein göttliches Recht, unsere vollkommene Unschuld und Herrschaft als die ewigen Kinder des Geistes für uns und alle anderen in Anspruch zu nehmen.
Der menschliche Glaube rebelliert dagegen. Er präsentiert Jahre voller Szenarien! Er fragt: Und was ist also mit all diesen Sachen, die berichtigt und zurückgezahlt werden müssen? Doch wenn wir vom Geist geboren sind, wie Paulus sagte, und in ihm – in Gottes Reich – leben und weben, wann und wo sollen schädliche Ereignisse und ihre Auswirkungen dann im Geist stattgefunden haben?
Die Erkenntnis, dass jeder ein Kind Gottes im Reich der Harmonie ist, berichtigt die Gleichung und begleicht unsere Schulden – und die aller anderen. Zachäus, der Oberste der Zöllner, erkannte seine geistige Vergangenheit, als Jesus seinen Status als Kind Gottes öffentlich bekanntgab (siehe Lukas 19:9). Er wurde durch die unbegrenzte Liebe des Vaters in die Harmonie gehoben – wo er die Hälfte seiner Güter den Armen gab und jeden Betrug vierfach erstattete.
Freiheit von den Übeln einer menschlichen Vergangenheit entfernt den Balken einer sogenannten Ursache und Wirkung aus unserem Auge und reduziert ihn auf die Größe des Splitters im Auge unseres Nächsten. Sie macht Vergebung unvermeidlich, welches Unrecht uns auch angetan worden sein mag. Dann haben wir keine Feinde mehr, nur noch Schwestern und Brüder, die wir im Gebet lieben und deren immer wahren geistigen Status als Gottes Kinder wir wahrnehmen.
Auch wenn uns die schweren oder verletzlichen Vorkommnisse in unserem individuellen und kollektiven Leben verstörend erscheinen, bewies Jesus, dass sie ohne Substanz sind. Er forderte uns auf, aufzuwachen und jedes augenscheinliche Böse dadurch aufzulösen, dass wir wissen, wo und wer wir sind. Die Jünger taten dies letztendlich und trieben überall, wo sie waren, das Böse aus. Paulus und Silas sangen Lobgesänge im Gefängnis, und ein Erdbeben befreite die Gefangenen, woraufhin der Kerkermeister und sein Haushalt zum Christentum konvertierten. Auf Malta schüttelte Paulus eine Schlange ab und heilte anschließend viele auf der Insel durch seine Gebete.
Die Christliche Wissenschaft offenbart: „Gott ist zugleich der Mittelpunkt und der Umkreis des Seins“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 203–204). Nicht ein Atom des Bösen hat sich jemals in Gottes Reich eingeschlichen. Gottes allmächtige Allgegenwart offenbart jedes Anzeichen der Ungerechtigkeit, Geisteskrankheit, Ungleichheit, Ansteckung usw. als ohne jegliche Nachfolge und ohne Reich. Jeder von uns war schon immer groß in Gottes unendlichem Reich und wird es immer sein: als geliebtes Kind, geistig, rein, sicher und frei.
