Ich war unlängst in Israel und habe an einer Besichtigungstour mit einer netten Frau teilgenommen, die mir Bethlehem und Jerusalem gezeigt hat, wo Christus Jesus geboren und wo er gekreuzigt wurde. Wir sprachen viel über Jesus und das, was er für die Welt getan hat. Die Frau fragte mich: „Glauben Sie, dass er der Messias war?“ Ich sagte ja. Sie sagte: „Ich nicht. Ich glaube, dass er umgebracht wurde, bevor er seine Arbeit abschließen konnte. Der Messias sollte die Welt retten, und gerettet ist sie nicht.“
Ich verstand die Frau. So viele Menschen sehnen sich auch heute nach Erlösung. Es scheint, als sei es eine überwältigende – wenn nicht unmögliche – Aufgabe, die Welt zu retten. Doch ich fragte mich, ob die Welt wirklich „gerettet“ werden muss.
Aus der Sicht Gottes, der allmächtigen, vollkommenen Quelle der Schöpfung, erscheint die Frage überflüssig. Wenn Gott wollte, dass die Welt anders ist, würde Er das dann nicht einfach so machen? Die Bibel sagt: „Wenn er spricht, dann geschieht es; wenn er gebietet, dann steht es da“ (Psalm 33:9). Der Glaube an einen allmächtigen, all-guten Schöpfer weist jegliche Suggestion zurück, dass die von Ihm erschaffenen Menschen auch nur das Geringste von dem verbessern könnten, was gemacht ist. Gottes Schöpfung ist gemäß dem ersten Kapitel der Genesis gut. Und damit Schluss.
Was muss dann errettet werden? Die menschliche Sicht der Welt muss erlöst werden. Als der Messias demonstrierte Jesus die Fähigkeit, die Welt aus der Sicht Gottes, des Geistes, zu betrachten und ihre geistige Vollkommenheit zu bezeugen. Mary Baker Eddy sagt in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift über Jesus: „Er erfüllte sein Lebenswerk in der richtigen Weise, nicht nur, um sich selbst gerecht zu werden, sondern auch aus Erbarmen mit den Sterblichen – um ihnen zu zeigen, wie sie ihr eigenes Lebenswerk erfüllen können, jedoch nicht, um es für sie zu tun, noch um ihnen eine einzige Verantwortung abzunehmen“ (S. 18). Und sie fügt hinzu (wobei sie Liebe als Synonym für Gott verwendet): „Jesus half, den Menschen mit Gott zu versöhnen, indem er dem Menschen einen wahreren Begriff von Liebe, dem göttlichen Prinzip der Lehren Jesu, gab, und dieser wahrere Begriff von Liebe erlöst den Menschen von dem Gesetz der Materie, der Sünde und des Todes durch das Gesetz des Geistes – das Gesetz der göttlichen Liebe“ (S. 19).
Somit müssen wir selbst schaffen, dass wir selig werden, wie die Bibel sagt. Das bedeutet, dass wir durch Jesu Lehren und Vorbild ein neues Verständnis der Wirklichkeit der göttlichen Liebe erlangen – die wahre Sicht unserer Beziehung zu Gott und unseren Mitmenschen. Erlösung ist die Demonstration unseres harmonischen, alle segnenden Einsseins mit Gott und all dem Guten, das Gott erschafft.
Wissenschaft und Gesundheit sagt über die in der Bibel verzeichnete Offenbarung des Johannes in Bezug auf das, was hier und jetzt möglich ist: „Der Offenbarer hatte die Übergangsstufe der menschlichen Erfahrung, die Tod genannt wird, noch nicht überschritten, aber er sah schon einen neuen Himmel und eine neue Erde. ... Der Offenbarer befand sich auf unserer Daseinsebene, während er doch schon erblickte, was das Auge nicht sehen kann – was für das uninspirierte Denken unsichtbar ist. Dieses Zeugnis der Heiligen Schrift stützt die Tatsache in der Wissenschaft, dass Himmel und Erde für das eine menschliche Bewusstsein, für das Bewusstsein, das Gott verleiht, geistig sind, während für ein anderes, das unerleuchtete menschliche Gemüt, die Vision materiell ist“ (S. 572–573).
Jesu Heilungen waren individuell. Als er einen Blinden heilte, waren damit nicht alle Blinden der ganzen Welt geheilt. Diese Betrachtung hat mir bei meinem eigenen Verlangen, das Leid auf der Welt zu lindern, sehr geholfen. Manchmal kann dieses Verlangen überwältigend werden und zu einem Gefühl von Hilflosigkeit führen. Aber ich habe festgestellt, dass ich, wenn ich mein Denken an der Allheit und Güte Gottes ausrichte und die Erlösung jedes Menschen hochachte, nicht nur Frieden finde, sondern dass sich auch die jeweilige Situation verbessert, oft auf unerwartete Weise.
Anfang der 1990er-Jahre wurden mein Mann und ich beide als unfruchtbar diagnostiziert und beschlossen, ein Kind aus Russland zu adoptieren. Während wir dort waren und einen Besuch in einem Waisenhaus arrangierten, stoppte die russische Regierung alle Adoptionen in die USA, und wir fuhren unverrichteter Dinge nach Hause, nachdem wir Kinder gesehen und kennengelernt hatten, die dringend eine Familie brauchten. Es war herzzerreißend.
Zu Hause erzählte uns eine Bekannte, die von unserer Situation gehört hatte, von einer Frau, die von ihrem Mann verlassen worden war und meinte, ihre einzige Option sei, einige ihrer Kinder zur Adoption freizugeben. Wir kamen zu dem Schluss, dass einer ihrer kleinen Söhne perfekt zu uns passte, und wir stimmten freudig zu, ihn aufzunehmen, erfuhren dann aber, dass die Mutter noch andere Familien in Betracht zog. Als sich bei mir Enttäuschung und Verzweiflung breitmachten, begann ich zu beten.
Ich betete darum, selbstsüchtige Wünsche aufzugeben. Mein größter Wunsch war, dass das Kind Liebe – göttliche Liebe – erfahren möge. Ich betete darum zu wissen, dass Gott wusste, was für das Kind am besten war, und dass Er für den Jungen sorgte. Mir kam die klare Antwort: „Dieses Kind kann niemals von seinem wahren Vater getrennt werden.“ Ich fühlte mich von einer Welle des Friedens und Trostes getragen. In meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass dieser Junge Gottes geliebtes Kind war und dass Gott alle seine Bedürfnisse vollkommen decken würde, ob mein Mann und ich daran beteiligt sein würden oder nicht.
Und dann dachte ich an die Kinder, die ich in Russland gesehen hatte, und wusste, dass diese Botschaft der Universalität von Gottes Liebe auch auf sie zutraf. Ob ich erkennen konnte, was mit ihnen war, oder nicht – sie konnten nicht von ihrem Vater-Mutter-Gott getrennt werden, der sie auf die liebevollste Weise versorgte. Als nächstes dachte ich an die Kinder in aller Welt, die Mangel zu leiden schienen – an Eltern, Nahrung, Sicherheit oder Unterkunft. Ich verstand, dass ich sie nicht als von Gott versorgt betrachten konnte, wenn ich akzeptierte, dass es ihnen an Seiner Liebe und Seinem Segen mangelte.
Und dann ging ich noch einen Schritt weiter und erkannte schließlich, dass auch ich Gottes geliebtes Kind bin. Ich konnte keinen Mangel an Liebe oder Gesundheit leiden, und mir wurde nichts von dem Guten vorenthalten, das ich mir erhoffte – für mich und andere. Ich erkannte, dass niemand, egal welchen Alters oder an welchem Punkt im Leben ein Mensch sein mochte, jemals von unserem Vater-Mutter-Gott getrennt sein kann. Der Christus-Geist ist bei uns allen präsent, um unsere Gedanken und Erfahrungen an Gottes Vollkommenheit auf eine Weise auszurichten, die für den jeweiligen Menschen genau richtig ist.
Drei Tage später erfuhr ich, dass der leibliche Vater des Jungen beschlossen hatte, das Kind zu behalten. Es kam mir vor, als hätte ich einen Blick auf den neuen Himmel und die neue Erde erhascht, die der Offenbarer uns verheißen hat. Ich hatte mit absoluter Überzeugung eine universale Wahrheit über Gottes Beziehung zu Seinen Kindern erkannt, und darauf folgte ein unverkennbarer individueller Beweis dieser Wahrheit im Leben einer der Personen in meinem Denken.
Nicht lange darauf stellte ich sehr erfreut fest, dass ich schwanger war, und mein Mann und ich hielten schon bald ein eigenes Baby im Arm. Auch dieses Ergebnis fühlte sich wie ein kleines Stück Himmel an – reich gesegnet.
Es obliegt jedem von uns, danach zu streben, die Allheit und Güte Gottes, der einzig wahren Macht, zu erkennen. Das ist die Erlösung, die Christus Jesus der Menschheit ermöglicht hat. Christus, Wahrheit, rettet wirklich, und zwar im jeweiligen Bewusstsein, und wir beginnen alle mit dem einzigen Bewusstsein in unserem Zuständigkeitsbereich: unserem eigenen. Und wenn wir nach unserer eigenen Erlösung streben, schließen wir damit automatisch Gottes Erlösung für alle in unser Vertrauen mit ein.
