Als meine Tochter ca. zwei Jahre alt war, kam sie mit einem glänzenden, gelben Bleistift ins Zimmer, den sie mit der scharfen Spitze nach oben hielt. Natürlich nahm ich ihn ihr schnell weg – oder versuchte es jedenfalls. Sie wollte ihn nicht hergeben. In diesem Augenblick war er das Wichtigste in ihrem Leben. Als es mir endlich gelang, ihr den Stift aus der Hand zu nehmen, war sie am Boden zerstört. Sonst war sie ein fröhliches Kind, aber nun vergrub sie das Gesicht im Teppich und weinte herzzerreißend.
Ich versuchte ihr zu erklären, dass sie so viele Bleistifte haben konnte, wie sie wollte, wenn sie etwas älter war und dass Bleistifte gar nicht so wichtig waren. Das half nicht, und ich verstand, dass ich nichts tun konnte, als sie zu trösten in dem Wissen, dass sie die Wahrheit mit der Zeit verstehen würde. Ein kleiner Vorfall, aber vielleicht einer, mit dem eine nützliche Erkenntnis einherging.
Ich habe oft das Gefühl gehabt, dass ein Objekt, eine Arbeitsstelle oder eine Beziehung für mein Glück unerlässlich war. Derlei Dinge mögen wichtiger erscheinen als ein Bleistift, doch bin ich mir nicht sicher, dass sie mir zum jeweiligen Zeitpunkt wichtiger waren als der glänzende, gelbe Bleistift für meine kleine Tochter gewesen war.
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