Wer von uns hat noch nie Fehler gemacht? Ich schon viele. Und ich war so dankbar für Personen, die geduldig waren und mir gestattet haben, aus diesen Fehlern zu lernen. Die Bibel lehrt Langmut – geduldige Zurückhaltung angesichts der moralischen Aussetzer anderer –, um der jeweiligen Person den mentalen Raum zu geben, die erforderliche Lektion zu lernen.
Einige der besten Führungspersönlichkeiten in der Bibel mussten Versuchungen und Missetaten überwinden, um die geistigen Lektionen zu lernen, die sie brauchten, um ihre heilenden Missionen zu erfüllen. Mose hatte beispielsweise jemanden erschlagen, Petrus verließ Jesus während der Kreuzigung und Paulus verfolgte die Christen, bevor er selbst einer wurde. Was wäre gewesen, wenn diese drei keine Gelegenheit erhalten hätten, zu lernen und zu wachsen?
Langmütig zu sein kommt nicht nur anderen zugute, sondern ist auch entscheidend für unsere eigene Freiheit. Jesus hat ein Gleichnis von einem unbarmherzigen Schuldner erzählt, der nicht bereit ist, anderen dieselbe Langmut zu zeigen, die ihm selbst zugestanden wurde. Am Ende bringt ihn seine Heuchelei ins Gefängnis, da er selbst einen Berg Schulden hat (siehe Matthäus 18:23–35). Dieses Gleichnis führt eine Zeile aus dem Gebet des Herrn aus: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben“ (Matthäus 6:12). Die Wissenschaft des Christus offenbart, dass unser Verhalten anderen gegenüber wie ein Echo zu uns zurückkommt.
Langmut ist erforderlich, damit alle etwas geben und erhalten können, wenn wir individuellen und kollektiven Frieden sowie Stabilität und Wohlbefinden erlangen sollen. Das Gute ist, dass jeder Mensch als Kind Gottes – als die geistige Widerspiegelung von Gottes Sein – die natürliche Fähigkeit hat, Geduld und Gnade auszudrücken. Christus, Gottes immer aktive Übermittlung von Wahrheit an das menschliche Bewusstsein, zeigt uns unsere geistige Natur als der Ausdruck Gottes, der göttlichen Liebe. Diese geistige Natur schließt Langmut mit ein.
Jesu Gleichnis lehrt, dass wir so großzügig wie möglich zu einander sein sollen, wenn es darum geht, Langmut walten zu lassen. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt: „Es ist weise, bereitwillig auf Gott zu warten und klüger zu sein als die Schlangen; keinen Menschen zu hassen, seine Feinde zu lieben und sich über jede verstreichende Stunde ehrlich Rechenschaft zu geben“ (Botschaft an die Mutterkirche für 1902, S. 17).
Das Gegenteil von Langmut – Ungeduld, Intoleranz, Erregung – schließt vielfach Empörung, Vergeltung und Missgunst mit ein. Es will zwar Sünde aufdecken, aber nicht, um sie zu heilen. Es neigt dazu, andere als wertlos und unverbesserlich abzulehnen. Es fördert Opferdenken und Ressentiments, die die Menschheit in immer tiefere Abgründe führen.
Jesus deckte Sünde auf, um sie zu heilen. Als eine Frau zu ihm gebracht wurde, die des Ehebruchs beschuldigt worden war, hat er keinen Augenblick behauptet, die Frau hätte diesen Verstoß nicht begangen. Aber er erkannte ihre geistige Unschuld, ihre wahre Natur als Gottes geliebtes und reines Kind. Er wusste, dass das göttliche Prinzip, Liebe, keine sündigen Menschen erschaffen könnte und dass die Frau das göttliche Recht hatte, diese Maske abzulegen. Das war die Grundlage für Jesu Langmut, durch die die Frau erlöst wurde. Die Menschenmenge, die sie zu ihm gebracht hatte, verurteilte sie und wollte sie umbringen. Doch Jesus nutzte die Gelegenheit, um Heilung und Erlösung zu demonstrieren (siehe Johannes 8:3–11).
Er sagte über seine Mission: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um die Seelen der Menschen zu vernichten, sondern zu erretten“ (Lukas 9:56). Das verdeutlicht den Kern des Christentums. Und Jesus demonstrierte dies immer wieder neu. Er zerstörte die Übel der Menschheit, rettete jedoch das Leben vieler, die von diesen Übeln befallen waren.
Er lehrte, dass das Böse der Person niemals anhaftet. Es ist eine Lüge über Gottes Schöpfung. In der Unendlichkeit Gottes, des Guten, hat das Böse keinen Ursprung, keine Handlungsfähigkeit, keine Macht, keinen Urheber und kein Opfer. Jesus verstand dies und war deshalb fähig, der anklagenden Menschenmenge erkennen zu helfen, dass wir alle gelegentlich von anderen Langmut und Vergebung brauchen. Und der Christus sprach zum menschlichen Bewusstsein und führte die Frau zu einem neuen Verständnis ihrer Bürgerrechte im Reich Gottes. Wir alle haben dieselbe Möglichkeit.
Jedes Land betrachtet bestimmte Vergehen als Verbrechen, die durch Gefängnisstrafen geahndet werden. Wussten Sie, dass sich der Begriff Zuchthaus ursprünglich auf eine soziale Einrichtung bezog, bei der bestimmte Menschen zurück in die Gesellschaft eingegliedert wurden? Was wäre, wenn alle, die wir heute einer Straftat bezichtigen, auf beste und aufrichtigste Weise wieder in die Gesellschaft aufgenommen würden?
Das Christentum hat das Ziel, zu erlösen, eine zweite Chance bereitzustellen und so geduldig und langmütig miteinander zu sein wie Jesus dies war. Wir können die Augen für Gelegenheiten offenhalten, denselben Christus-Geist auch in unserem Leben deutlich werden zu lassen, und diese Gelegenheiten auch nutzen. Da wir alle der geistige Ausdruck Gottes sind, spiegeln wir hier und jetzt Christus-Eigenschaften wider. Wir können uns der Tatsache erfreuen, dass wir bereits fähig sind, Jesu Beispiel zu folgen und zu demonstrieren, dass Liebe sich in Liebe widerspiegelt (siehe Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, S. 17).
Mary Alice Rose
Mitglied des Vorstands der Christlichen Wissenschaft
