Eine Freundin hat mir neulich eine Geschichte erzählt, die mich zum Schmunzeln gebracht hat. Ein Mann war in einen Brunnen gefallen und schaffte es nicht, herauszukommen. Ein anderer Mann kam des Weges, sah ihn in seiner Klemme und hatte solches Mitleid, dass er in den Brunnen stieg, um dem Mann die Hand zu halten – er schloss sich ihm in seiner augenscheinlich hoffnungslosen Lage an. Doch ein dritter Mann fand eine produktivere Lösung, indem er ein Seil holte und beide Männer aus dem Brunnen zog.
Ich konnte den Inhalt der Geschichte sehr gut nachvollziehen.
Als Kind hatte ich viel Zeit damit verbracht, mich um das Leid in der Welt zu sorgen und Wege zur Abhilfe zu suchen. Ungerechtigkeit jeglicher Art belastete mich sehr. Ich war häufig überwältigt vom Leid der Unschuldigen und Hilflosen, einschließlich Tieren. Wie der Mann, der in den Brunnen stieg, um seinem Nächsten Trost zu spenden, kletterte ich im übertragenen Sinn immer wieder in den Brunnen anderer, indem ich mich dafür verantwortlich fühlte, sie zu retten oder ihre Probleme zu lösen. Doch das hinterließ oft Gefühle der Verzweiflung und Hilflosigkeit bei mir.
Ich war in der Christlichen Wissenschaft und mit einer großen Liebe zu Gott aufgewachsen, und als ich später Mutter und Lehrerin war, hatte ich unzählige Gelegenheiten, Gott meine Sorgen im Gebet vorzulegen. Nach und nach lernte ich, die Überzeugung zu überwinden, ich sei dafür zuständig, andere Menschen zu verbessern oder die Ungerechtigkeiten der Welt zu beheben; stattdessen lernte ich, mehr Vertrauen in Gottes Fähigkeit zu haben, alles in Ordnung zu bringen, was nicht in Ordnung ist, und Seine Kinder umfassend zu versorgen und zu behüten. Ich erkannte, dass ich die größte Verantwortung Gott gegenüber hatte – ich musste eine Transparenz für Seine heilende Liebe sein und meine Gedanken an dem ausrichten, was Gott über uns weiß. Das bedeutete, mich uneingeschränkt zu weigern, mich auf die angsteinflößenden Bilder und problematischen Vorfälle zu fokussieren, und stattdessen darum zu beten, das zu sehen, was Gott sieht, nämlich den geistigen Ursprung und die unveränderliche Harmonie Seiner Schöpfung. Ich verstand, dass dies die wirksamste Weise für mich sein würde, der Menschheit zu helfen.
Doch als ich vor 18 Jahren ein Ehrenamt übernahm und Menschen half, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden waren und in scheinbar unentrinnbarer Armut lebten, wurde mein diesbezüglicher Entschluss täglich aufs Neue auf die Probe gestellt. Ich war in einer semi-ländlichen Gegend in Südafrika tätig und wusste von Anfang an, dass meine Arbeit sinnlos sein würde, wenn ich sie als etwas anderes als eine Gelegenheit sah, Gottes Gnade zu bezeugen. Ich würde sonst in Emotionen oder Mitleid versinken, und das wäre niemandem von Nutzen.
Ich betete jeden Tag um Demut – um Zuversicht in Gottes Autorität, Macht und Gegenwart. Eines Tages lernte ich in einem Kindergarten einen kleinen Jungen (nennen wir ihn Sipho) kennen, der traurig und still war und sich abseits von anderen hielt. Meine Bemühungen, ihn aus der Reserve zu locken, fruchteten kaum, daher beschloss ich, ihn konsequent nur so zu sehen, wie Gott ihn sieht – als Sein Kind, von Gott nach Seinem Bild und Gleichnis erschaffen (siehe 1. Mose 1:26, 27) und somit vollständig, sicher, wertvoll und zufrieden. Das war kein Versuch, ihn als einen fröhlichen statt eines bedrückten Sterblichen zu sehen, sondern diesen Jungen als das unsterbliche, unbegrenzte Kind Gottes zu erkennen.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der göttlichen Wissenschaft, welche Jesus lebte und lehrte, schreibt: „Die Wissenschaft offenbart die herrlichen Möglichkeiten des unsterblichen Menschen, der für immer von den sterblichen Sinnen unbegrenzt ist“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 288). Als ich an dieser Aussage festhielt, fing ich an, das in Sipho zu erkennen, was schon die ganze Zeit da gewesen war – die Lebhaftigkeit, Liebe und Sicherheit, die jedem Kind Gottes zu eigen sind. Nicht lange danach begannen sowohl der Junge als auch der Kindergarten zu florieren.
Im darauffolgenden Jahr verstarb seine Mutter, und ich wurde von der Familie gebeten, mich weiter um ihn zu kümmern und für sein Wohl zu sorgen. Ich willigte ein in dem Wissen, dass ich davon keine Nachteile haben könnte, sondern ausschließlich Segen erleben würde. Ich betete auf jedem Schritt und bekräftigte, dass Gott die unfehlbare Quelle richtiger Ideen ist. Das Ergebnis war, dass sich oft unerwartete Lösungen für Siphos Unterbringung und Ausbildung zeigten.
Folgende Versicherung in Wissenschaft und Gesundheit wurde zu meinem täglichen Gebet: „Gott bringt im Menschen die unendliche Idee zum Ausdruck, die sich unaufhörlich entwickelt, sich erweitert und von einer grenzenlosen Basis aus höher und höher steigt“ (S. 258). Als unendlicher, geistiger Ausdruck Gottes, des göttlichen Geistes, konnte Sipho nicht durch Faktoren der Wirtschaft, Umwelt, seiner Abstammung oder seiner Kultur definiert oder begrenzt werden. Ich versicherte ihm immer wieder, dass Gott ihn erschaffen hat und befähigt, alles zu tun, was von ihm verlangt wird. Das trifft auf uns alle als Kinder Gottes zu.
Sipho akzeptierte diese Wahrheit, ohne zu zweifeln. Er wurde anderen gegenüber offener und erlangte mehr Selbstvertrauen, und ich bekam mehr Zuversicht, dass er ewiglich unter der Fürsorge seines göttlichen Vaters stand. Das war auch ein wichtiger Schritt für mich.
Allerdings zeigte sich ein paar Jahre später, dass Siphos schulische Leistungen den Erwartungen nicht gerecht wurden. Seine Lehrerinnen und Lehrer machten sich Sorgen um ihn, und er ging ängstlich und ungern zur Schule. An einem besonders entmutigenden Abend dachte ich, er könnte vielleicht an einer Leseschwäche leiden, und fürchtete, dass wenig Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft bestand, wenn er die Schule nicht abschließen konnte. Ich konnte keinen Weg voran erkennen und übergab die ganze Situation rückhaltlos Gott.
Am darauffolgenden Tag hörte ich, dass eine neue Schule in der Nähe von Siphos Zuhause entstehen sollte, die zwei Lehrkräfte haben würde, deren Ausbildung auf die Unterstützung von Kindern mit dieser besonderen Lernschwäche ausgerichtet war. Sipho wurde im darauffolgenden Schuljahr dort als Schüler angenommen. Ich schrieb diesen Bibelvers auf ein Stück Papier und gab es ihm mit dem Auftrag, ihn in der Schule zu lesen: „[Ich, Gott,] habe ihn mit dem Geist Gottes, mit Weisheit, Verstand, Erkenntnis und mit aller Geschicklichkeit erfüllt“ (2. Mose 31:3). Ich las ebenfalls diesen Vers jeden Tag und betete damit.
Als Siphos Selbstvertrauen und Liebe zum Lernen zunahmen, benötigte er keine Hilfe beim Lesen mehr. Vor drei Jahren bestand er seine Abschlussprüfungen und schloss die Schule ab.
Als ich ihn im darauffolgenden Jahr sah, fragte ich ihn, wie er die Prüfungen angegangen war. Er sagte, dass er immer, wenn er sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, Gott um Hilfe gebeten hatte. Und Gott hatte ihm auch wirklich geholfen.
Und es zeigte sich noch mehr Gutes. Dieser junge Mann wollte seit Jahren Koch werden. Wiederum ebnete Gott den Weg voran. Sipho besucht jetzt eine angesehene Kochschule, in der er erstklassige Leistungen erbringt.
Mit dem geistigen Wachstum während dieser Erfahrung ging die Zuversicht einher, dass keine Situation außerhalb der Reichweite von Gottes Hilfe ist. Die Probleme der Welt kommen mir zeitweilig auch weiterhin überwältigend vor, doch ich sitze nicht länger in einem „Brunnen“ des Zweifels oder Mitleids fest. Jetzt reagiere ich mit Anteilnahme, gegürtet mit der Überzeugung, dass Gottes Liebe jeden Menschen und alles einschließt – und dass diese geistige Grundlage das beste Geschenk ist, das ich oder sonst jemand im Dienst der Menschheit teilen kann.
