Ich denke oft und gern an eine Forderung im Handbuch der Mutterkirche: „Es ist die Pflicht der Mitglieder der Mutterkirche und ihrer Zweige, Frieden auf Erden und Wohlwollen unter den Menschen zu fördern; ... sie müssen danach streben, das Wohl der ganzen Menschheit zu fördern, indem sie die Regeln der göttlichen Liebe demonstrieren (Mary Baker Eddy, S. 45).
Ich glaube, dass diese Forderung uns das perfekte Übungsfeld dafür bietet, unsere Nächsten zu lieben: indem wir die Christliche Wissenschaft mit ihnen teilen. Das habe ich für mich herausgefunden, als ich eine Zeit lang frustriert war, weil ich mich danach sehnte, aktiv auf mein größeres Umfeld zuzugehen.
Als ich in der Kirche, in der ich Mitglied war, zur Bibliothekarin des Leseraums der Christlichen Wissenschaft ernannt wurde, war ich so begeistert. Wir räumten die Schränke und Regale aus, gestalteten die Schaufensterauslagen neu und brachten den Lesebereich auf Vordermann. Diese ganzen Aktivitäten waren sehr befriedigend. Ich dachte, all diese Bemühungen würden den Umsatz ankurbeln und Besucherinnen und Besucher anziehen.
Trotz dieser Verbesserungen musste ich feststellen, dass der Leseraum immer noch nicht sehr gut besucht war. Ich betete jeden Tag, um auf Gottes Führung zu lauschen, aber diese Gebete schienen vergeblich zu sein. Im Kirchenhandbuch schrieb Mrs. Eddy: „Jede Kirche der Konfession der Christlichen Wissenschaft muss einen Leseraum haben, jedoch können zwei oder mehr Kirchen gemeinschaftlich Leseräume haben, vorausgesetzt, dass diese Räume gut gelegen sind“ (S. 63).
Ich dachte über die Formulierung „gut gelegen“ nach. Unser Leseraum lag etwas abseits der Öffentlichkeit, aber ich dachte mir, dass ich mir die Formulierung „gut gelegen“ vielleicht vornehmen konnte, um sie auf mein Denken anzuwenden. Ich konnte mir den Leseraum als eine Struktur vorstellen, die „gut gelegen“ und umfassend, sorgfältig und quicklebendig war.
An einem sonnigen Frühlingsmorgen beschloss ich, dass ich es leid war, drinnen zu sitzen, aber niemand kam rein. Ich dachte, wenn es mir schon bestimmt war, den ganzen Sommer in diesem Leseraum zu sein, dann konnte ich wenigstens draußen auf dem Rasen sitzen und das Wetter genießen. Ich dachte an die schöne Schubkarre, die im Foyer der Kirche stand. Ich hatte diese Karre benutzt, um Bücher und die jeweils aktuellen Ausgaben der Zeitschriften der Christlichen Wissenschaft darauf auszulegen und so auf das Angebot des Leseraums hinzuweisen. Sie war für Ausstellungszwecke bei Vorträgen und anderen Kirchenveranstaltungen gedacht. An jenem Morgen brachte ich diese Schubkarre mit einigen Sentinels und weiteren Produkten aus unserem Bestand auf den Gehweg und stellte sie in die Sonne; dort erschien sie mir in jedem Fall „gut gelegen“.
Als ich so dasaß, war es plötzlich ganz leicht, jeden Menschen zu lieben, der vorbeiging, indem ich in jedem Mann, jeder Frau oder jedem Kind nur den Menschen sah, der nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen war. Ich sah sie als meine Brüder und Schwestern. Die meisten Leute, die vorbeigingen, sprachen mich an, und ich konnte ihnen vom Leseraum erzählen. Es stellte sich heraus, dass einige von denen, die vorbeigingen, regelmäßig dort vorbeikamen und den Leseraum nicht bemerkt hatten, oder ihn bestenfalls bemerkt hatten, aber keine Ahnung hatten, was für eine Art von Kirche wir waren. Ich begann, ein Muster zu erkennen, da ich bereits seit einigen Monaten in dieser Straße arbeitete – ich hatte nicht bemerkt, wohin sie gingen, und sie ihrerseits hatten nicht bemerkt, was im Leseraum vor sich ging.
Als ich mit den Menschen auf der Straße sprach, stellte ich fest, dass die meisten von ihnen medizinische Einrichtungen in derselben Straße besuchten. Jener Tag war ein Weckruf; ich erkannte, dass in dieser Straße so viel Liebe nötig war und dass ich beten konnte, um meine Nächsten wirklich zu lieben. Es stellte sich heraus, dass viele der Menschen, die am Leseraum vorbeigingen, mit körperlichen Problemen zu kämpfen hatten, und unsere Kirche und der Leseraum waren perfekt gelegen, um das Umfeld liebevoll zu unterstützen.
Dies war ein Wendepunkt für mich und unseren Leseraum. Meine Arbeit im Leseraum erfuhr einen kompletten Wandel; sie war nicht mehr eintönig, sondern zielgerichtet. Mary Baker Eddy schrieb: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 476). Ich verbrachte ziemlich viel Zeit auf dieser Straße oder im Leseraum damit, den vollkommenen Menschen zu sehen. Ich begann zu erkennen, dass „gut gelegen“ in meinem Denken bedeutete, meine Nächsten zu lieben und die Bedürfnisse meiner Nächsten zu verstehen sowie den Sinn ihrer individuellen Wege zu begreifen. Von dem Tag an hatten wir jedes Mal Besucherinnen und Besucher, wenn wir den Leseraum öffneten, und unser Umsatz stieg – unser Leseraum florierte.
Dieses neue Verständnis von Nächstenliebe brachte uns frische Inspiration und Ideen, die sich in der Gastfreundschaft zeigten, die wir unseren Besucherinnen und Besuchern anbieten konnten. Wir dachten darüber nach, was wir schon im Haus hatten und wie wir anderen einen Grund bieten konnten, den Leseraum zu besuchen. Es wurde ein wöchentliches Programm zusammengestellt, in dem die Besucherinnen und Besucher gemeinsam die Bibellektion der Christlichen Wissenschaft lesen konnten sowie die elektronische Ausgabe der Bibellektion, eine Radiosendung des Christian Science Sentinels oder einen Audio-Chat auf spirituality.com [jetzt JSH-Online] anhören konnten.
Manchmal änderten wir die geplante Aktivität, um spezifisch für eine aktuelle Situation in der Welt beten zu können. Eines Tages, als sich in Indien ein Zugunglück ereignet hatte, beschlossen wir, dass wir die Bibellektion an jenem Morgen mit der Absicht lesen würden, die Ideen daraus im Gebet für diese Situation zu verwenden. Wir waren noch nicht lange zugange, als eine Gruppe indischer Frauen in den Leseraum kam. Sie waren auf der Suche nach einem Kindergarten für ihre Kinder und dachten, wir könnten ihnen vielleicht helfen. Wir sprachen mit ihnen über den Leseraum und erzählten, dass wir für Indien beteten. Obwohl wir ihnen nicht mit dem Kindergarten weiterhelfen konnten, waren sie sehr dankbar, von unseren Gebeten zu hören. Wir stellten häufig fest, dass wir, wenn wir dazu geführt wurden, spezifisch für die Welt zu beten, eine Interaktion mit der Öffentlichkeit erlebten, die darauf hinwies, dass unsere Gebete die Menschen in unserem Umfeld berührten.
In der Arbeit für den Leseraum gibt es keine Hindernisse, die uns davon abhalten, die Christliche Wissenschaft mit anderen zu teilen. Dieser Ort eignet sich wunderbar dafür, neue Wege zu erforschen, mit der Öffentlichkeit bezüglich Heilung zu kommunizieren und aufzuzeigen, wie wir in unserem eigenen Leben bestrebt sind, dem Beispiel von Christus Jesus zu folgen. Als ich begann, die Bedürfnisse unserer Nächsten – sowohl vor Ort als auch weltweit – zu verstehen, war ich in der Lage, im Leseraum für eine „gut gelegene“ Atmosphäre zu sorgen. Dies wiederum eröffnete täglich Möglichkeiten, den Frieden zu fördern und sich um das Wohlergehen der gesamten Menschheit zu kümmern.