Wenn wir auf eine vertraute Bibelgeschichte stoßen, könnten wir versucht sein, sie nur flüchtig zu überfliegen, weil wir glauben mögen, wir hätten bereits alles daraus gelernt, was es zu lernen gibt. So erging es mir immer mit dem biblischen Bericht über Jesu Heilung des kranken Mannes, der am Teich Betesda auf „die Bewegung des Wassers“ wartete (siehe Johannes, Kapitel 5). Doch vor einiger Zeit betrachtete ich diese Heilung einmal mit ganz neuen Augen und mir fielen mehrere Punkte auf, die spezifische heilende Lehren enthalten. Als Jesus den Mann heilte, durchschaute er diverse materielle Lügen und irrige Vorstellungen und sah stattdessen die dem Menschen angeborene Vollständigkeit und Geistigkeit.
Jesus muss intuitiv erkannt haben, dass der Mann für Heilung empfänglich war. Die Bibel berichtet, dass etliche Hilfesuchende auf die Bewegung des Wassers warteten, und dennoch wandte sich Jesus ausgerechnet an diesen kranken Mann, von dem er wusste, dass er schon lange auf eine Heilung gewartet hatte. Meines Erachtens verkörperte der Mann Eigenschaften wie Ausdauer, Beharrlichkeit und Geduld.
Allerdings fühlte er sich augenscheinlich hilflos. Er glaubte, dass eine Heilung nur dann möglich wäre, wenn jemand ihn im richtigen Moment in den Teich brächte, aber er hatte „keinen Menschen“, der das tun könnte. Tatsächlich jedoch spielte dies beim Heilen, wie Jesus es demonstrierte, keine Rolle. Jesus betrachtete die Situation aus einer anderen Perspektive, er schaute von der Materie hinweg und erblickte die geistige Tatsache, dass der Mensch nie von seiner wahren, geistigen Identität als das Bild und Gleichnis Gottes getrennt sein kann.
Jesu klares Verständnis dieser Tatsache befähigte den kranken Mann, augenblicklich aufzustehen und zu gehen. Die Demonstration bestand nicht darin, dass dieser Mann eine Behinderung hatte, die geheilt wurde; nein, Jesus bewies vielmehr, dass Unvollkommenheit, in welcher Form auch immer sie sich präsentieren mag, nicht zu Gottes Kindern gehört und dass die geistige Vollkommenheit des Menschen nicht von anderen Menschen oder materiellen Umständen abhängt.
Vor vielen Jahren machte mir kurz vor meinem Urlaub plötzlich eine schmerzhafte Verdauungsstörung zu schaffen. Da Gott kontinuierlich wirkt, kann, so folgerte ich, Sein Gesetz, das doch die Vollständigkeit und Unversehrtheit Seiner Schöpfung aufrechterhält, nicht plötzlich außer Kraft gesetzt werden. Als Gottes Widerspiegelung bin ich daher geistig und vollkommen.
Ich rief mehrere Praktiker der Christlichen Wissenschaft an, um sie zu bitten, für mich zu beten, aber aus verschiedenerlei Gründen stand niemand zur Verfügung. Da dachte ich: „Was mache ich denn jetzt bloß? Ich habe quasi auch ‚keinen Menschen‘!“ Doch dann kam mir eine wunderbare Botschaft aus der Bibel in den Sinn, geradeso als käme sie direkt von Gott: „Der Geist selbst gibt unserem Geist die Bestätigung, dass wir Kinder Gottes sind“ (Römer 8:16).
Auch wenn es häufig richtig und hilfreich sein mag, einen Praktiker der Christlichen Wissenschaft um Behandlung zu bitten, so hängt die Heilung doch niemals von einer Person ab. Aber der göttliche Geist ist ständig bei uns, ja, er ist uns sogar näher als die Luft, die wir atmen, und offenbart uns die Wahrheit über uns und unsere Beziehung zu Gott. Gott ist eine konstante Gegenwart – nicht wie das Wasser in dem Teich, das sich mal bewegte und dann wieder nicht –, und Jesus bewies, dass Gott, Wahrheit, allmächtig und allgegenwärtig ist. Dank dieser Erkenntnis wurde ich schnell geheilt und trat frohgemut meinen Urlaub an. Die Symptome sind nie wieder aufgetreten.
Ein weiterer Punkt in unserer Bibelgeschichte ist der, dass der Mann am Teich glaubte, mit anderen Hilfesuchenden um Heilung konkurrieren zu müssen – denn nur, wer als erster in den Teich stieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, wurde wiederhergestellt. Der Glaube, dass nur einige wenige unter uns geheilt werden können, möchte auch uns in die Irre führen. So mögen wir zwar die Heilungsberichte in den christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften lesen, aber gleichzeitig damit hadern, dass eine Heilung sich anscheinend einfach nicht einstellen will. Jesus bewies jedoch, dass Gottes Gesetz allgemeine Gültigkeit besitzt und dass jeder von uns die vollkommene, geistige Idee Gottes ist.
Mary Baker Eddy schreibt im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Erlöser Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken. Auf diese Weise lehrte Jesus, dass das Reich Gottes intakt und universal ist und dass der Mensch rein und heilig ist“ (S. 476 f. [Anm d. Red.: Kursivsetzung durch d. Autorin]). Das göttliche Gesetz, das eine Person heilt, gilt für alle Menschen, genauso wie die mathematische Gleichung „2 + 2 = 4“ für alle Gültigkeit besitzt, nicht nur für Mathematiker.Jede wissenschaftliche Heilung segnet in gewisser Hinsicht die gesamte Welt.
Vor Jahren las ich im Sportteil meiner Zeitung einen Artikel, in dem ein spezifischer schmerzhafter Zustand an der Ferse erwähnt wurde. Ich dachte: „Sieh mal einer an – das ist ja genau dasselbe Problem, von dem ich durch die Christliche Wissenschaft geheilt wurde.“ Da traten die Symptome plötzlich wieder auf. Ich bestand im Stillen darauf, dass eine Heilung weder ungeschehen noch rückgängig gemacht werden kann, denn Gott, die Wahrheit, ist ewig. Doch es gab noch eine Lektion zu lernen und zwar die, dass die Wahrheiten, die mich geheilt hatten, für alle Kinder Gottes gelten. Also betete ich, um die Tatsache besser zu verstehen, dass Gottes Gesetz universale Gültigkeit besitzt. Mit diesem neuen Verständnis waren die schmerzhaften Symptome bald verschwunden und sie sind nie wieder
zurückgekehrt.
Sind wir entmutigt, weil ein Problem schon lange andauert, und glauben wir, dass es deshalb schwerer zu heilen sei? Jesus widerlegte diese Lüge, indem er den Mann an dem Teich augenblicklich heilte, obwohl dieser schon seit 38 Jahren dort krank gelegen hatte und sich nicht bewegen konnte.
Wenn wir im Schlaf träumen, spielt es da eine Rolle, ob wir eine Stunde oder fünf Minuten lang von einem Bären gejagt werden? Natürlich nicht! Die Lösung ist in beiden Fällen die gleiche, nämlich aufzuwachen. Dann erkennen wir, dass wir keinen Schaden genommen haben, weil die Situation von vornherein unwirklich war.
Mrs. Eddy schreibt: „Die sterbliche Existenz ist ein Traum von Schmerz und Lust in der Materie, ein Traum von Sünde, Krankheit und Tod; und er ist wie der Traum, den wir im Schlaf haben, in dem jeder seinen Zustand ganz und gar als einen Gemütszustand erkennt“ (ebd., S. 188). Da Gott, Geist, Alles ist, haben eine materielle Vorgeschichte und ein sterblicher Zeitbegriff nichts mit unserem wahren, geistigen, vollkommenen Sein zu tun. Die Demonstration unserer Vollständigkeit ist keine Frage der Zeit. Vielmehr „erwachen“ wir zu der Wahrheit des Seins.
Als Jugendliche hatte ich oft Probleme mit den Nasennebenhöhlen. Mein Kopf schmerzte tagelang und es kam mir vor, als ob alles geschwollen sei. Da wir die Christliche Wissenschaft damals noch nicht kannten, brachten mich meine Eltern zu einem Spezialisten, der prognostizierte, dass der Zustand mir auch zukünftig zu schaffen machen würde, wenn man mich nicht operierte. Ein anderer Arzt empfahl eine medikamentöse Behandlung, um das Problem in den Griff zu bekommen, und meine Eltern entschieden sich für diese Option (und gegen eine Operation).
Jahre später, als ich bereits eine junge Mutter war, machten sich die schmerzhaften Symptome wieder bemerkbar. Inzwischen hatte ich jedoch erfahren, dass man durch die Christliche Wissenschaft geheilt werden kann, und beschloss daher, die Sache mit Gebet in Angriff zu nehmen. Ich bekräftigte, dass es weder in Gottes Reich noch in mir eine Entzündung geben konnte, weil Er, Geist, allen Raum erfüllt und ich in Ihm bin.
Diese Wahrheiten beruhigten mich, aber dennoch kam mir die Warnung des Arztes, dass die Symptome eines Tages zurückkehren würden, wie eine falsche Prophezeiung oder ein Fluch vor, der auf mir lastete. Ich musste an Jesu Warnung denken: „Nehmt euch in Acht vor den falschen Propheten, ...“ (Matthäus 7:15), ebenso an eine Aussage Mrs. Eddys: „Der eine unendliche Gott ... hebt den Fluch über den Menschen auf und lässt nichts übrig, was sündigen, leiden, was bestraft oder zerstört werden könnte“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 340). Was für eine wunderbare Verheißung! Mir wurde bewusst, dass der eine unendliche, allliebende Gott jede Möglichkeit eines sogenannten materiellen Fluchs ausschließt.
Nachdem ich dies erkannt hatte, verstand ich plötzlich, dass weder ein Fluch noch eine falsche Prophezeiung Macht über mich ausüben konnten. Obwohl das Problem eine lange Vorgeschichte gehabt zu haben schien, war es binnen eines Tages vollständig verschwunden. Das ist nun Jahre her und die schmerzhaften Symptome sind nie wieder aufgetreten.
Dadurch dass ich diesen Bericht über Jesu Heilung des Mannes am Teich Betesda einmal mit ganz neuen Augen betrachtete, konnten geistige Wahrheiten erhellt und verfestigt werden, die sich seither für meine eigene Betätigung der Christlichen Wissenschaft als hilfreich erwiesen haben. Dieser Heilungsbericht veranschaulicht, dass die Macht zu heilen beim Geist liegt; sie liegt weder in der Materie oder beim Menschen: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze“ (Johannes 6:63). Der Bericht beweist ferner, dass Gottes Gesetze vollkommen und universal sind: Gottes Allheit schließt alle ein – keiner bleibt außen vor. Und er zeigt auf, dass Zeit bei einer Heilung kein Faktor ist.
Im Liederbuch der Christlichen Wissenschaft heißt es:
Bis Zeit und Raum und Furcht vergehn,
Darf ich nicht rasten hier.
Du wendest mir Dein Antlitz zu,
Dein Friede geht mit mir.
(Violet Hay, Nr. 136, deutsche Übersetzung © CSBD)