Vor einigen Jahren, als ich mich für einige Sozialprojekte in Wohngebieten an der Peripherie von São Paulo engagierte, stimmte mich die Vorweihnachtszeit äußerst nachdenklich. Als ich bemerkte, wie sehnlichst die Kinder, die dort zu Hause waren, es sich wünschten, eine Bescherung im Familienkreis zu erleben – ein Wunsch, der jedoch unerfüllt bleiben würde –, da erkannte ich, wie wichtig es war, mich gedanklich mit der tieferen und dauerhafteren Bedeutung von Weihnachten auseinanderzusetzen.
Als ich über dieses Thema betete, das bekanntlich viele Menschen bewegt, da wurde mir mit einem Mal klar, dass es bei Weihnachten sehr wohl darum geht, ein Geschenk zu empfangen. Aber dieses Geschenk geht weit über rein materielle Dinge, ein besonderes Datum im Kalender oder über festliche Traditionen hinaus. Es ist eine Gabe, die soziale, kulturelle oder andere vergängliche Gegebenheiten übertrifft. Es handelt sich um ein Geschenk, das ein jeder von uns jederzeit uneingeschränkt und ununterbrochen zur Verfügung hat: nämlich das Bewusstsein des Christus, das unsere dauerhafte und unverbrüchliche Einheit mit Gott enthüllt.
Durch die Erfüllung seiner Mission segnete Christus Jesus die Menschen mit einem Geschenk von höchster Kostbarkeit: er verhieß ihnen, dass sie Erben des geistigen und immerwährenden Guten sind, das der gesamten Menschheit jederzeit und allüberall zur Verfügung steht.
Paulus erklärt in seinem Brief an die Galater: „Nun sind aber die Verheißungen Abraham und seinem Nachkommen zugesagt. Er spricht nicht von ‚den Nachkommen‘, als von vielen, sondern von einem: ‚und deinem Nachkommen‘, der ist Christus“ (Galater 3:16). Gegen Ende dieses Kapitels zieht er folgendes Fazit: „Da ist weder Jude noch Grieche, weder Knecht noch Freier, weder Mann noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus. Seid ihr aber Christi, dann seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben“ (28, 29).
Das christliche Zeitalter führte zu einem tieferen Verständnis des geistig Guten, indem es durch Christus offenbarte, dass die gegenüber Abraham gemachte göttliche Verheißung für alle Menschen gilt – es handelt sich um eine immerwährende Verheißung, die bereits vor dem christlichen Zeitalter existierte, was darauf hinweist, dass es keine „Lieblingskinder“ gibt, sondern dass wir alle von jeher „die Auserwählten Gottes“ (Kolosser 3:12) waren – und immer sein werden.
Dieses höhere Verständnis vom wahren Geschenk der Weihnacht, das der Christus unserem Bewusstsein kontinuierlich enthüllt, weist ferner darauf hin, dass die eigentliche Bedeutung dieses Festes weit über das feierliche Gedenken an die Geburt Jesu hinausgeht. Weihnachten bedeutet, den Stellenwert von Jesu Lebensmission anzuerkennen, es bedeutet, den Christus, die Wahrheit, vermehrt durch Vollkommenheit und Reinheit zum Ausdruck zu bringen, damit das, was von jeher gegenwärtig war, klarer zutage trete: unsere unverbrüchliche Einheit mit Gott.
Wir lernen in der Christlichen Wissenschaft, dass die Einheit von Gott und Mensch ans Licht kommt, wenn wir unser wahres Wesen demonstrieren und die Eigenschaften Gottes immer mehr ausdrücken. Unsere Einheit mit der göttlichen Liebe kommt also dadurch zum Ausdruck, dass wir diese Liebe widerspiegeln. Jedes Mal wenn wir uns unserem Nächsten gegenüber liebevoll verhalten oder göttliche Eigenschaften – wie beispielsweise Güte, Reinheit, Weisheit, Kreativität – transparent machen, bringen wir in dem Moment etwas von unserer Einheit mit Gott zum Ausdruck.
Diese universale Verheißung der Einheit mit der göttlichen Liebe, unser Erbe, ist unser wahres und fortwährendes „Weihnachtsgeschenk“. Wir brauchen nicht bis Heiligabend zu warten, um dieses Geschenk auszupacken und uns an seinen Segnungen zu erfreuen, denn es handelt sich um ein immer-gegenwärtiges Geschenk! Wenn wir allerdings die universale Bedeutung dieser Verheißung ignorieren, dann laufen wir Gefahr zu glauben, dass das Gute etwas Persönliches und somit begrenzt und endlich ist. Dies wiederum führt zu Selbstgerechtigkeit, zu Gefühlen und Verhaltensweisen, die nicht von Gott stammen, wie zum Beispiel unsere Mitmenschen oder uns selbst nicht gebührend wertzuschätzen.
Mit anderen Worten, wenn wir meinen oder voraussetzen, dass die Eigenschaften, die wir ausdrücken, personenbezogen sind, so verkennen wir, dass das göttliche Gemüt die Quelle dieser Eigenschaften ist. Dieser menschliche Ausgangspunkt ist wie ein Haus, das auf Sand gebaut wurde – ein Haus, das leicht im Boden der Minderwertigkeitsgefühle versinken kann.
Wenn etwas Gutes, das wir vollbracht haben, auf mangelnde Anerkennung stößt, so mag uns das unangenehme Gefühl beschleichen, wir seien nicht gut genug. Wie wichtig ist es doch, in solchen Augenblicken nicht zu vergessen, dass Gott, das göttliche Gemüt, die geistige Grundlage alles Guten und Wahren ist! Unser Eingeständnis, dass diese Grundlage universal ist und niemand von der Allheit des Guten ausgeschlossen werden kann, vermittelt uns die Gewissheit, dass das Gute, das wir individuell widerspiegeln, nicht im „Sand“ des persönlichen Sinnes versinken kann.
Wenn wir die Dinge so betrachten, dann freuen wir uns über das Gute, das sich im Leben unserer Mitmenschen manifestiert. Wir erkennen, dass jeder dieses Gute demonstrieren kann, da es ja darum geht, das göttliche Gesetz zu demonstrieren. Wir alle sind demselben unveränderlichen Prinzip der universalen Harmonie untertan. Aus diesem Grund können wir uns ganz natürlich der geistigen Eigenschaften erfreuen, die andere zum Ausdruck bringen, in dem Wissen, dass jeder diese göttlichen Gaben bekommen hat. So gesehen bedeutet Freude über das Wohl unseres Nächsten auch Freude über unser eigenes Wohl.
Eine der wesentlichen Eigenschaften, die uns befähigt, für die Gaben, die der Christus verleiht, empfänglich zu sein, ist Demut. Die Bibel berichtet von einer wunderbaren Heilung eines hochrangigen syrischen Offiziers namens Naaman, der von Aussatz geheilt wurde. In seinem Bemühen, den Glauben zu überwinden, dass das Gute personenbezogen sei, und in seinem Ringen um Heilung, stieß er allerdings auf viele Hindernisse (siehe 2. Könige 5:1–14).
Naaman hatte innerhalb der Gesellschaft seines Landes eine hohe Stellung inne. Als ihm zu Ohren kam, dass es in Israel einen Propheten geben sollte, der ihn von seiner Krankheit heilen konnte, ging er zunächst zu seinem König, dem König von Syrien. Dieser schickte ihn zum König von Israel. Und so reiste Naaman schwer beladen mit Schätzen und kostbaren Gewändern zum König von Israel. Er führte außerdem ein Empfehlungsschreiben an den König von Israel bei sich, in dem der syrische König um Heilung für seinen Offizier ersuchte. Der König von Israel allerdings vermutete, es handele sich hierbei lediglich um einen Vorwand des syrischen Königs, um einen Krieg mit ihm anzuzetteln. Der Prophet Elisa jedoch ließ den König wissen, dass er Naaman empfangen würde.
Doch ungeachtet Naamans hoher sozialer Stellung hieß Elisa den Bittsteller nicht persönlich willkommen, sondern ließ ihm stattdessen ausrichten, er möge sich siebenmal im Jordan waschen, um rein zu werden. Diese Reaktion rief augenblicklich Naamans Stolz auf den Plan. Naaman fühlte sich zutiefst in seiner Ehre gekränkt und weigerte sich zunächst, der Aufforderung Elisas nachzukommen. Doch die Liebe seiner Knechte, die Naaman demütig baten, eine so einfache Anweisung doch zu befolgen, berührte schließlich sein Herz. Nachdem er seinen Stolz überwunden hatte, „stieg er ab und tauchte im Jordan siebenmal unter, ...“ Da wurde er geheilt.
Eine weitere Heilung von Aussatz, über die im Neuen Testament berichtet wird, ist ebenfalls ein gutes Beispiel für die nötige Demut, die uns für den Christus empfänglich werden lässt. Im Markusevangelium (1:40–42) lesen wir, dass Jesus einmal in Galiläa von einem Aussätzigen auf Knien angefleht wurde: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ Mehr noch als ein bloßer Akt der Verzweiflung war dies ein Zeichen von Demut, wie aus der Haltung des Mannes ersichtlich ist: er kniete nicht nur vor dem Menschen Jesus, sondern vor dem Christus nieder, der durch Jesus zum Ausdruck kam. Von Mitleid bewegt, rührte Jesus ihn an und sagte: „Ich will; sei gereinigt!“, und der Mann war augenblicklich geheilt.
Worin unterscheiden sich die zwei Heilungsberichte? Diese beiden unterschiedlichen Erfahrungen beginnen mit verschiedenen Grundeinstellungen. Es ist Demut, die uns befähigt, das wahre Weihnachtsgeschenk anzunehmen, das uns durch den immerwährenden Christus präsentiert wird. Der Christus ist zeitlos, und von jeher haben Patriarchen und Propheten Lichtblicke von ihm erhascht. Als Naaman den Grad der Demut erreichte, den der von Jesus geheilte Aussätzige von Anfang an zum Ausdruck brachte, wurde er rein. In diesem Sinne könnte sich jeder von uns fragen: Gibt es da etwa noch einige „Empfehlungsschreiben“, die erst beiseite gelegt werden müssen, ehe ich mit der tiefen Demut niederknien kann, die mich für eine Heilung empfänglich macht? Oder bin ich stets bereit, demütig zu sein und das Geschenk zu empfangen, das der Christus für mich bereithält?
Als Gottes Bild und Gleichnis tragen wir alle in diesem Augenblick Demut und geistiges Verständnis in uns. Und deshalb haben wir in Wirklichkeit ständig die gottgegebene Fähigkeit, die immerwährende Gegenwart des Christus in unserer Erfahrung zu bejahen. Mary Baker Eddy drückt es folgendermaßen aus: „Nichts, was Gott gibt, geht verloren: ...“ (Vermischte Schriften 1883–1896, S. 111). Unsere wahre geistige Natur befindet sich immer auf der Höhe der Vollkommenheit und wurde nie von Irrtum oder Sünde jedweder Art berührt. Daher kann unser Bewusstsein von der allumfassenden Liebe, die Gott zu allen Seinen Kindern hat, durch nichts beeinträchtigt werden, und diese Wahrheit ist durch geistiges Wachstum und Heilen demonstrierbar.
Wenn wir den Ballast des Materialismus, der uns von Gott – und daher auch von unseren Mitmenschen – zu trennen scheint, abwerfen, dann erkennen wir, dass wir alle dieselbe Grundlage besitzen, dass wir alle aus demselben geistigen „Holz“ der Vollkommenheit und Reinheit „geschnitzt“ sind. Dieses geistige Bewusstsein enthüllt, dass wir uns alle auf dem Standpunkt Christi befinden, denn als Widerspiegelung Gottes sind wir alle „Miterben derselben Verheißung“ immerwährender Harmonie (siehe Hebräer 11:9). Dies ist das eigentliche Geschenk, das der Christus uns beschert – das beste Geschenk, das wir empfangen können, egal zu welcher Jahreszeit.
