Die Evangelien würden eine gänzlich andere Geschichte erzählen, wenn sich alle gescheut hätten, Jesus um Hilfe zu bitten. Wenn die Frau, die zwölf Jahre unter Blutungen litt, sich nicht durch die Menge gedrängt hätte, um Jesus zu erreichen und geheilt zu werden, hätten wir keine Ahnung von ihrer Heilung. Wir wüssten auch nichts von dem Ausgestoßenen, der „voll Aussatz“ war, wenn er nicht vor Jesus auf sein Angesicht gefallen wäre und gesagt hätte: „Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen“ (Lukas 5:12). Der Meister berührte ihn, wodurch er augenblicklich rein und von dem Schicksal befreit wurde, den Rest seines Lebens in einer Leprakolonie zu verbringen.
Diese Menschen verlangten und erhielten keine persönliche Kraft, auch wenn sie das vielleicht nicht wussten. Sie erlebten den heilenden Christus, das geistige Verständnis von Gott, das Jesus verkörperte, immer aktiv und stets bereit, Erneuerung und Erlösung zu schenken. Diese Macht des Christus, Gottes göttliche Botschaft an die Menschheit, ist immer gegenwärtig im Bewusstsein und befähigt jeden Menschen, heilende Hilfe in Gott, der Liebe ist, zu suchen und zu finden.
In der Christlichen Wissenschaft lernt man, sich vertrauensvoll an diese göttliche Liebe zu wenden, um die Wirklichkeit des Göttlichen im Alltag und in Zeiten besonderer Bedürfnisse besser zu erkennen, zu fühlen und zu verstehen. Das führt häufig zu schnellen und vollständigen Heilungen. Und doch kann dieses Ziel manchmal übermächtig hoch erscheinen, und es gibt Zeiten, in denen unsere eigenen Bemühungen keine schnellen Ergebnisse zeigen. Dann können wir entdecken, dass es nicht nur in Ordnung ist, um geistige Hilfe von Personen zu bitten, die im Praktizieren dieser Wissenschaft mehr Erfahrung haben, sondern dass diese Hilfe bereitsteht und uns ihre Nutzung nahegelegt wird. Jesus sandte seine Jünger jeweils zu zweit aus, nicht nur, damit sie nicht allein waren, sondern auch, damit einer für den anderen beten konnte, falls ein Bedarf aufkam.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, gibt im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft folgende liebevolle Anleitung für die heutigen Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu: „Wenn Schüler sich nicht selbst schnell heilen, sollten sie beizeiten einen erfahrenen Christlichen Wissenschaftler bitten ihnen zu helfen. Wenn sie nicht bereit sind, das für sich zu tun, brauchen sie nur zu wissen, dass Irrtum diesen unnatürlichen Widerstand nicht bewirken kann“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 420).
Wie man jemandem, der überhitzt und erschöpft ist, ein Glas kaltes Wasser bringt oder eine Decke, wenn es kalt ist, so bereitet der gebetene geistige Helfer und Heiler – ob Freund, Ehepartner, ein Mitglied der Kirche oder ein öffentlich zugänglicher Praktiker (in allen Fällen eine Frau oder ein Mann) – den Weg für das Licht der geistigen Wahrheit und Liebe. Das stärkt die belastete Person häufig einfach dadurch, dass jemand da ist und bereit ist zu beten. Die klare, geistig-wissenschaftliche Überzeugung der Wahrheit dieser erfahrenen Christlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kann schnell die Wolken der Furcht und Entmutigung teilen und auf diese Weise zügig Fortschritt oder eine umfassende Heilung bewirken.
Ein „unnatürlicher Widerstand“, um Hilfe zu bitten, kann sich auf vielerlei subtile Weise zeigen. Die sterbliche Vorstellung behauptet, dass wir nicht geistig wachsen und kein Verständnis der Wissenschaft erlangen, wenn eine andere Person für uns betet. Doch selbstlose geistige Hilfe segnet Heiler und Patienten mit einem besseren Verständnis von Gott. Es geht nicht um Wissen, das von einer Person auf eine andere übergeht, also kann die helfende Person nicht etwas erlangen, während die hilfesuchende Person leer ausgeht. In Wahrheit wächst die ganze menschliche Familie geistig durch Hilfe, die gegeben und erhalten wird, wie Wissenschaft und Gesundheit erklärt: „... die Welt spürt die heilsame Wirkung der Wahrheit in allen Poren“ (S. 224).
Es ist nicht ungewöhnlich für Christliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu glauben, dass sie fähig sein müssten, sich in jedem Fall selbst zu heilen. Das kann auf Stolz oder Zweifel beruhen, der zu Passivität gegenüber einem Hilfsangebot führt, oder auf Angst, dass etwas ans Licht kommen könnte, von dem eine andere Person nichts wissen soll. Doch solche Bedenken und solch ein Widerstand haben nichts mit unserem eigenen Denken zu tun, und wir können sie bereitwillig zugunsten des geistigen Wachstums aufgeben, das wahre Freude bringt.
Und wo wäre die Gemeinschaft der Christinnen und Christen – und welchen Zweck würde sie erfüllen –, wenn wir nicht füreinander da wären? Ja, wir beten täglich für uns selbst und arbeiten sofort für uns, wenn ein Bedarf entsteht. Doch wenn die Heilung nicht zügig eintritt, teilt uns dann nicht die Liebe der Liebe mit: „Sei demütig und akzeptiere dieses Geschenk der Gnade von Mir durch deinen geistigen Bruder oder deine geistige Schwester; lass dir von ihm bzw. ihr helfen und sei gesund und wohlauf“? Leiden ist ein Fehler; es ist immer falsch. Wir sollen uns niemals damit abfinden, und es ist nie eine von Gott gesandte Herausforderung, um unseren Glauben zu stärken oder unsere Liebe zu Ihm zu prüfen.
Vielleicht glauben wir auch, dass es nichts nützt, andere um Hilfe zu bitten, weil einige Probleme einfach Zeit brauchen – oder dass es gar zu spät ist. Doch unser Meister hat uns gezeigt, dass das nicht stimmt. Er heilte viele, die seit Jahren krank waren, ebenso augenblicklich wie das Ohr des Knechts des Hohepriesters in Gethsemane (siehe Lukas 22:47–51). Es kann vorkommen, dass bei einer Heilung Zeit vergeht, doch Heilen erfordert keine Zeit.
Ich hatte einmal immer wieder Unterleibsschmerzen, die mich oft ans Bett fesselten. Diesen „unnatürlichen Widerstand“ dagegen, um Hilfe zu bitten, kannte ich nur zu gut – sie zeigte sich als eine Mischung aus Verlegenheit, Schuldgefühl (dass ich das nicht selbst heilen konnte) und dem Glauben, dass ich dann nicht geistig wachsen würde. Schließlich wünschte ich mir so verzweifelt Linderung, dass ich eine Praktikerin um Hilfe bat, und obwohl die Symptome nicht augenblicklich nachließen, fand ein sofortiger Wandel in meinem Denken statt.
Durch die Arbeit der Praktikerin verstand ich schnell, dass ich es nicht mit einem materiellen Problem zu tun hatte. Es ging um eine vollständig mentale Suggestion – ein irriges Verständnis meiner selbst als Mensch, der Gott bittet, einzugreifen. Obwohl die Praktikerin und ich nur zweimal miteinander sprachen, verschwand meine Furcht dank ihrer Gebete zügig und meine eigenen Gebete erlangten neuen Ansporn. (Wir erlangen selbstverständlich Segen daraus, selbst weiterzubeten, während wir eine Behandlung von einer anderen Person erhalten.) Ich fing an, die Christliche Wissenschaft wirklich zu verstehen, zu akzeptieren, dass Gott alles Gute, unendliche Liebe und Leben ist – und zu begreifen, dass ich als Gottes Kind in Wirklichkeit gesund und unschuldig und von Frieden erfüllt sein muss. Als ich von dieser Perspektive aus weiterbetete, war ich schon bald vollständig gesund.
Die grundsätzlich mentale Natur jeglichen Unwohlseins macht Heilung nicht nur möglich, sondern natürlich. Und das ist der Grund, warum eine Partnerin oder ein Partner in dieser Arbeit – „ein erfahrener Christlicher Wissenschaftler“, dessen Gebet mit Gott und nicht dem Problem beginnt und das Denken anspricht und nicht die Materie manipuliert – so unschätzbar wertvoll sein kann. Diese Bereitstellung ist ein Geschenk, ein reiner Segen der göttlichen Seele, der Befehl an den Irrtum: „Lass los, die du unterjochst; gib frei, die du bedrängst; reiß jedes Joch weg“ (Jesaja 58:6). Das unpersönliche geistige Wissen der Wahrheit kann die Nebel des Materialismus, die dem Leidenden wie Mauern und Ketten vorkommen, auflösen und so das notwendige Entkommen in die Wege leiten.
Wie zu Jesu Zeiten so ist es heute natürlich, eine schnelle, vollständige Heilung anzustreben und zu wünschen – und auch anderen dabei zu helfen. Und ob solche Ergebnisse allein durch unsere eigenen Gebete oder mit der Hilfe anderer bewirkt werden – die Schönheit jeder Heilung liegt darin, dass sie nicht nur uns (oder eine andere Person) befreit, sondern dazu beiträgt, die Menschheit von dem irrigen Glauben eines Lebens in der Materie zu befreien und zu wissen, dass Wohlbefinden, Freiheit und Freude uns allen als Gottes Kindern zu eigen sind.
Ethel Baker
Chefredakteurin
    