Christian Scientisten halten es nicht für ihre Aufgabe, diejenigen zu kritisieren, die auf ihre eigene Art und Weise die menschlichen Leiden zu lindern suchen. Erstens haben sie, wie der scharfe Denker Lindsay neulich zugab, „ein herrliches Vertrauen” auf die Wahrheit und halten sich daher, theoretisch wie praktisch, an den wichtigen Ausspruch Gamaliels, daß die Ergebnisse menschlicher Weisheit „untergehen” werden, daß man aber nichts, was von Gott kommt, „dämpfen” kann. Zweitens haben sie stets als Warnung den Verweis vor Augen, welchen Jesus dem geliebten Jünger gab, als dieser zu ihm sagte: „Wir sahen einen, der trieb Teufel in deinem Namen aus, welcher uns nicht nachfolget; und wir verboten’s ihm darum, daß er uns nicht nachfolget.” Jesus antwortete: „Ihr sollt’s ihm nicht verbieten. Denn es ist niemand, der eine Tat tue in meinem Namen, und möge bald übel von mir reden.” Wenn nun Dr. McComb und diejenigen, welche ihm beistimmen, den Rat Gamaliels angenommen hätten, oder wenn sie dem Befehl Jesu gehorsam gewesen wären und hätten die Kranken auf ihre eigene Art und Weise geheilt, ohne sich aufzuhalten und ihre Nachbarn, die anderer Ansicht sind, anzugreifen, so hätten sie die Erfahrung gemacht, die Lot machte, als er mit Abram auf der Ebene zwischen Beth El und Ai stand: sie hätten eingesehen, daß in der Welt für einen jeden Raum ist. Da es ihnen aber nicht möglich war, das Evangelium nach ihrer Auffassung zu predigen, ohne zugleich zu erklären, Christian Science sei eine Verfälschung desselben, und da sie nicht umhin konnten, Funktionsstörungen zu heilen, ohne zu behaupten, Christian Science könnte keine organische Krankheiten heilen, so wird es nötig, ihre Argumente einer Prüfung zu unterwerfen; nicht etwa, um ihre Wirksamkeit herabzusetzen, sondern um die falschen Ansichten über Christian Science, welche sie verbreiten, zu berichtigen.
Dr. McComb ist einer der Gründer der sogenannten Emanuel-Bewegung. Er und seine Anhänger behaupten, im Gegensatz zur Christian Science stütze sich ihre Lehre „offen und ehrlich” auf die Bibel. Sobald wir aber näher auf diese Behauptung eingehen, befinden wir uns einer Bibelerklärung gegenüber, die mit Matthew Arnolds Theorie übereinstimmt, und die er „das Eindringen des Aberglaubens” nennt. Es ist die Theorie, daß sich die Erzählungen von den Wundertaten, wie sie in den Evangelien aufgezeichnet sind, nach und nach entwickelt hätten; daß Heilungen, die man ganz gut als Resultate mentaler Einflüsse erklären könne, mit der Zeit zu Wundertaten herangewachsen seien, die in der Totenerweckung und dem Gehen auf dem Wasser gipfelten. Diese Stellung nimmt Dr. McComb im Wesentlichen ein, denn er behauptet ganz entschieden, geistige Heilung — und damit meint er Heilung durch Suggestion — beschränke sich auf Funktionsstörungen; Christian Science habe deshalb noch niemals ein organisches Leiden geheilt und werde niemals ein solches heilen. Wenn eine derartige Lehre sich „offen und ehrlich” auf die Bibel stützt, so muß wohl eine zugestutzte Ausgabe gemeint sein. Erst vor kurzem schrieb Dr. Shaw einen Brief an die „Daily Mail,“ in welchem er erklärte, kein Arzt habe das Recht, irgend eine Krankheit als unheilbar zu bezeichnen. Obschon er nicht zu den Christian Scientisten gehöre, so glaube er doch an das, was er für den Hauptgrundsatz ihrer Lehre halte und was in den folgenden Worten kurz zusammengefaßt sei: „Siehe, des Herrn Hand ist nicht zu kurz, daß er nicht helfen könne.” Dr. McComb scheint jedoch hiervon nicht überzeugt zu sein, denn er erklärt, es stehe nirgends geschrieben, daß Jesus Schwindsucht, Nervenfieber oder Diphtheritis geheilt habe. Er gibt zu, Jesus habe, „wie berichtet,” Aussätzige geheilt, welche die Ärzte unserer Zeit als unheilbar ansehen würden; „aber,” fährt er fort, „wir dürfen nicht vergessen, daß es in früheren Zeiten zwei Arten von Aussatz gab, eine heilbare und eine unheilbare.” Ferner sagt er: „Wenn wir z. B. annehmen, daß der Aussatz, welcher dem Bericht in den drei ersten Evangelien zufolge in Kapernaum geheilt wurde, dieser Art [heilbar] war, so wird es uns klar, weshalb der Aussätzige zu Jesu kommen und sich unter das Volk mischen durfte.” Wer dieser Annahme beistimmt, ist genötigt, noch weit mehr anzunehmen. Konnte Christus Jesus auf dem Wasser gehen und den Sturm stillen, so ist es offenbar nicht unwahrscheinlich, daß er die sogenannte unheilbare Art des Aussatzes heilen konnte. War er hingegen nicht imstande diese Art zu heilen, so ist nicht anzunehmen, daß er imstande war, die Toten zu erwecken.
Die Berichte in den Evangelien sind doch klar genug. Jesus „heilte allerlei Seuche und Krankheit im Volk,” organische Leiden sowohl wie Funktionsstörungen,— heilte sie ohne materielle Mittel. Dr. McComb beschränkt sich auf Funktionsstörungen, und selbst solche Fälle nimmt er nur auf den Rat zuverlässiger Ärzte und unter ihrer Mitwirkung an. Dennoch aber behauptet er, seine Lehre stütze sich „offen und ehrlich” auf die Bibel. Jesus heilte nicht nur selber die Kranken, sondern er erklärte auch, es sei die Aufgabe aller derer, die an ihn glauben, dieselben Werke zu tun, die er tat. Mit anderen Worten: er tat die Wunder nicht, um seine Gottheit zu beweisen, sondern um zu zeigen, welcher Art die Werke derer sein müssen, die behaupten an ihn zu glauben. Die Apostel nahmen dieses Kennzeichen als selbstverständlich an. Man hat oft versucht zu beweisen, daß Lukas seine medizinische Praxis nach seiner Bekehrung fortgesetzt habe, und daß er auf den Reisen des Paulus sozusagen dessen Leibarzt gewesen sei. Eine solche Behauptung ist geradezu lächerlich. Daß einer aus der kleinen Schar, die das Heilungswerk Jesu miterlebt hatte, oder der ein Mitarbeiter derer war, die sie miterlebt hatten, wieder zur Galle roter Skorpione, zu verkohlten Schlangenfleisch-Täfelchen und anderen derartigen Mitteln jener Zeit seine Zuflucht nehmen konnte, ist rein undenkbar. Kein Geringerer als Professor Harnack schreibt in Bezug auf Lukas, den Arzt, den Geliebten: „Zu dem Christentum scheint ihn sein ärztlicher Beruf geführt zu haben; denn er ergriff es in der Zuversicht, durch dasselbe noch in ganz anderer Weise als bisher Krankheiten heilen, böse Geister austreiben, vor allem aber auch als Seelenarzt wirksam sein zu können.” Nun entsteht die Frage: Gibt es eine Wissenschaft des Christentums? Das Christentum ist die Religion, welche Jesus lehrte, und wie wir bereits gesehen haben, bezeichnete Jesus die sogenannten Wunder als das Kennzeichen des Verständnisses seiner Lehren,— ein Kennzeichen, das „Jakobus, des Herrn Bruder,” mit den folgenden unzweideutigen Worten betonte: „Der Glaube, wenn er nicht Werke hat”— wenn er sich nur in der Theorie, aber nicht in der Praxis zeigt —„ist er tot an ihm selber.” Wissenschaft ist analysiertes, demonstriertes und exaktes Wissen. Das Wissen der Wahrheit — vom christlichen Standpunkte aus die Erkenntnis Gottes — ist doch gewiß das exakteste Wissen. Petrus und Paulus bedienten sich öfters des Ausdruckes: „Erkenntnis Gottes.” „Volle, exakte, wissenschaftliche Kenntnis Gottes” wäre vollständiger und genauer. Es ist sehr bedeutungsvoll, daß gerade diese beiden Apostel ihre Kenntnis Gottes durch Erweckung der Toten demonstrierten. Wie uns der hervorragende Gelehrte und Theologe Bischof Wescott aus Durham versichert, macht der Verfasser des vierten Evangeliums einen Unterschied zwischen absoluter Wahrheit und relativer Wahrheit. In beiden Fällen kommt in der Übersetzung das Wort „Wahrheit” in Anwendung, anstatt, wie es richtig wäre, „die Wahrheit” und „Wahrheit,” beziehungsweise. Wenn wir deshalb das Neue Testament als Autorität anerkennen wollen, müssen wir zugeben, daß es eine Wissenschaft des Christentums gibt. Es liegt dies klar auf der Hand, und Mrs. Eddy sagt deshalb: „Das Christentum muß Wissenschaft und die Wissenschaft muß Christentum sein, denn sonst wäre das eine oder das andere nutzlos („Science and Health,“ S. 135).
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