Vielen Europäern erscheint es wie ein Wunder, dass der Kontinent seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so viele Fortschritte gemacht hat. Statt Furcht und Feindseligkeit pflegen die ehemals erbitterten Feinde seit vielen Jahren gute Handelsbeziehungen und friedliche Zusammenarbeit. 1999 wurde eine Währungsunion geschaffen und seitdem haben siebzehn europäische Staaten den Euro eingeführt. Gegenwärtig stellen andauernde finanzielle Probleme in den Ländern der Eurozone ernsthafte Herausforderungen für das kollektive Ganze dar und können Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. In diesem Artikel berichten Autorinnen aus Europa über ihre im Gebet gewonnenen geistigen Erkenntnisse und beschreiben auch einige Verhältnisse in Europa, die des Gebets bedürfen.
Michaela von Burski schreibt über ihre Beobachtungen in Deutschland: Einzelpersonen und Organisationen mit Visionen für den Weltfrieden trugen die Idee eines vereinten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg voran. Zu ihnen zählte auch „Moralische Aufrüstung“, die zwischen den zwei damaligen Gegnern Deutschland und Frankreich Brücken zur Freundschaft bauen half und die Idee förderte, dass es eine moralische und ethische Grundlage für einen stabilen Frieden und Kooperation zwischen den Nationen geben muss.
Heute steht Europa vor vielen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen und es wäre hilfreich, wenn Moral und Ethik dabei eine größere Rolle spielten. Anstatt Korruption, begrenztes Denken und mangelnde Veränderungsbereitschaft als Realität zu akzeptieren, können unsere Gebete diese Charakterzüge als Täuschung zurückweisen und darauf bestehen, dass Gottes Herrschaft sich durchsetzt. Selbst angesichts der harten wirtschaftlichen Bedingungen, die einigen Ländern der Eurozone zu schaffen machen, sind friedliche und konstruktive Verhaltensweisen und Maßnahmen möglich, wenn wir uns von dieser viel größeren Vision von Gottes Liebe zur Menschheit inspirieren lassen.
Ehrlichkeit, Integrität und Aufgeschlossenheit für das Wohl der Mitmenschen sind Eigenschaften, die es zu schätzen gilt. Bundespräsident Gauck sagte es in seiner Weihnachtsansprache 2012 so: „In der Sprache der Politik heißt das: Solidarität. In der Sprache des Glaubens: Nächstenliebe. In den Gefühlen der Menschen: Liebe.“
Es erfordert Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen, um die Freude der Selbstlosigkeit zum Wohl der Allgemeinheit zu erleben. Die geistige Grundlage und die praktische Herangehensweise wird von Mary Baker Eddy sehr schön beschrieben: „Gott gibt die geringere Idee Seiner selbst als Bindeglied zu der größeren und dafür beschützt die höhere immer die niedere. Die geistig Reichen helfen den Armen in einer großen Bruderschaft, in der alle dasselbe Prinzip oder denselben Vater haben; und gesegnet ist der Mensch, der seines Bruders Not sieht und ihr abhilft, indem er das eigene Gute in dem des anderen sucht.“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 518)
Frieden und Einheit bilden eine kraftvolle Grundlage für Wachstum, Wohlergehen und Zufriedenheit – sowohl individuell wie kollektiv. Und es gibt Zeiten wie diese, wo wir diesen Frieden und diese Einheit vehement verteidigen müssen, weil sie gerade jetzt von Bedeutung für die Eurozone sind.
Myriam Betouche (Frankreich) sagt: Viele Beobachter glauben, dass wir momentan auf halber Strecke, sozusagen „in Strommitte“, festsitzen. Die Eurozone hat eine gemeinsame Währung, jedoch keine Fiskal- oder Arbeitsregulation oder Haushaltskoordinierung unter ihren Mitgliedern. Das ist derzeit schmerzlich für die südlichen Länder, die bereits harte Sparmaßnahmen durchgeführt haben, aber nicht viele Anzeichen für eine Rückkehr zu existenzsichernden Lebensbedingungen für ihre Bevölkerung sehen.
Gebet ist tatsächlich eine Kraft zum Guten ohne Grenzen.
Beim Überqueren eines Stroms ist es sehr gefährlich in der Mitte anzuhalten. Entweder strebt man mutig vorwärts oder man kehrt um. Aber wenn man schon bis zur Mitte gekommen ist, ist es meistens besser, den einmal begonnenen Weg weiter fortzusetzen, auch wenn es nicht einfach ist. Am Ende erntet man den Lohn seiner Anstrengungen. Der folgende Satz aus Wissenschaft und Gesundheit fasst diesen Punkt für mich zusammen: „Ein unruhiges Übergangsstadium ist an sich niemals erstrebenswert.“ (S. 65)
Abgesehen davon, dass es mutige Staatsführer braucht, die die Nationen „über den Strom“ zu gemeinsamen Lösungen lotsen, kann niemand die Veränderung der Welt ignorieren und weiter im „Museum der Vergangenheit“ leben.
Eine weitere Gefahr liegt darin, dass einige Mitglieder aufgrund von politischer Manipulation von Extremisten der Rechten wie der Linken die Eurozone verlassen wollen. Ein „Geben und Nehmen“ vonseiten aller Mitgliedsländer ist notwendig, um in den verschiedenen Staatssystemen flexibel zu agieren und die Bürger in allen Ländern der EU zu unterstützen.
Wir können unsere Gebete inspirieren lassen durch die Worte von M. B. Eddy: „Alles Gute, das ich geschrieben, gelehrt oder gelebt habe, entsprang dem Kreuz, das ich auf mich nahm, der Selbstvergessenheit und meinem Glauben an das Rechte. Leiden oder Wissenschaft, oder beides, werden uns in dem Verhältnis, wie wir uns ihre Lehren aneignen, den Weg weisen, den Prozess abkürzen und die Freude, sich der Ordnung der göttlichen Liebe zu ergeben, vollenden.“ (Vermischte Schriften 1883-1896, S. 213). Die Methoden der göttlichen Liebe münden weder in nationalistischen Extremismus und eine Glorifizierung der „guten alten Zeit“ noch darin, dass „reiche“ Nationen sich von den „armen“ abspalten. Denn beide brauchen einander, nicht nur um eine gesunde Wirtschaft zu schaffen, sondern auch um die Vielfalt an Identitäten, Sprachen und Kulturen zu gewährleisten, die Europa kennzeichnet und bereichert.
Auch müssen die Befürchtungen einzelner Nationen überwunden werden, wie die Furcht davor, durch Immigration und die damit verbundenen Veränderungen im Völkergemisch die eigene Identität und Unabhängigkeit, ja die eigenen Wurzeln, die eigene Geschichte und Kultur zu verlieren.
In Wissenschaft und Gesundheit wird es so ausgedrückt: „Diese wissenschaftliche Auffassung vom Sein, die Materie für Geist aufgibt, bedeutet keinesfalls, dass der Mensch in der Gottheit aufgeht und seine Identität einbüßt, sondern sie verleiht dem Menschen eine erweiterte Individualität, eine umfangreichere Sphäre des Denkens und Handelns, eine umfassendere Liebe, einen höheren und beständigeren Frieden.“ (S. 265)
Elizabeth Mata (Spanien) bietet folgende Überlegungen an: Das Beten zu dem einen Gott, Leben und Liebe, öffnet unser Herz für die Unendlichkeit des Guten, das für uns alle da ist und die Antwort auf jedes Bedürfnis enthüllt. Gebet ist tatsächlich eine Kraft zum Guten ohne Grenzen. Dieses fokussierte Licht durchbricht die Dunkelheit von begrenztem menschlichen Denken über Kulturen und Nationen. Es befreit uns von der Versuchung, uns an vergangene Ansichten zu klammern, die Veränderung und Fortschritt ablehnen und eine negative Zukunft vorhersehen.
Ich finde es hilfreich zu wissen, dass das Licht des Christus – das Licht der heilenden und erlösenden Macht Gottes – verschwommene und dunkle materielle Vorstellungen und Gesetze durchdringt, die den Einzelnen und ganze Regierungen daran hindern, den Weg nach vorn zu erkennen.
Im tiefsten Innern haben wir alle das Verlangen voranzuschreiten. Das ist die Kraft der Liebe am Wirken, die der Negativität jedes Beharrungsvermögen entzieht. Sie taut das in Furcht erstarrte Denken auf, dass etwas verloren gehe oder nicht zur Genüge vorhanden sei.
Anstrengungen, Geduld, Kompromisse und die Fähigkeit nachzugeben sind in zwischenmenschlichen Beziehungen erforderlich. Auf der breiteren Ebene der Bürger aller miteinander interagierenden Kulturen, auch auf staatlicher und institutioneller Ebene, sind die Anforderungen nicht geringer. Ein höheres Vertrauen kann das Denken erheben und die Machtlosigkeit von Korruption, Betrug und allen Formen des Bösen bekräftigen.
Und was ist dieses Vertrauen? Die Überzeugung, dass Gott regiert. „Verlass dich auf den Herrn von ganzem Herzen, und verlass dich nicht auf deinen Verstand; sondern denke an ihn in allen deinen Wegen, dann wird er dich recht führen. Meine nicht, weise zu sein, sondern fürchte den Herrn und weiche vom Bösen.“ (Sprüche 3:5-7) Ich finde es hilfreich, um die Erkenntnis zu beten, dass Gott meine Augen und die meiner Mitmenschen nah und fern für die eindringliche Ermahnung und den Segen in dieser Bibelstelle öffnen kann.
Im Gebet – uneingeschränkt – zu akzeptieren, dass Gott jeden von uns untrennbar von Seiner Intelligenz, Erkenntnis und Gelassenheit geschaffen hat, kann bei den Herausforderungen, denen sich die Eurozone gegenübersieht, wie auch bei anderen globalen Problemen zu furchtloseren Schritten und sogar Sprüngen vorwärts führen.
Wir können um die Erkenntnis beten, dass das Licht des Christus in jedem von uns gegenwärtig ist, um das falsche Vertrauen in religiöse, politische, soziale und wirtschaftliche Konzepte zu zerstören, die Selbstgefälligkeit nähren und den Fortschritt blockieren.
Christus bringt zugleich das Vertrauen hervor, das durch ein bedingungsloses Sich-Verlassen auf Gott als die einzige Macht und Gegenwart gekennzeichnet ist. Christus spricht direkt zu den Einzelnen und daher zu den Völkern und Regierungen. Für Gottes Kinder – jeden Mann, jede Frau und jedes Kind – ist es ganz natürlich, auf Gottes Führung zu vertrauen, der jeden von uns auf den richtigen Pfad leitet. Wie zu Jesajas Zeiten gilt auch für uns heute die Verheißung: „Und deine Ohren werden hinter dir her das Wort hören, wenn ihr nach rechts oder nach links geht: ‚Dies ist der Weg; den geht!‘“ (Jesaja 30:21)
Das Vertrauen auf diese Verheißung bringt uns und all denen Segen, die daran arbeiten, die Schwierigkeiten in der Eurozone zu beseitigen.
