Unlängst verspürte ich eines Morgens den mütterlichen Impuls, die ganze Welt im Gebet in die Arme zu schließen. Die geplagte Menschheit schien geradezu danach zu hungern, liebevoll umsorgt und beschützt zu werden. Die Medien waren täglich voll von Berichten über Gewaltverbrechen, gewissenloses Verhalten, Terrorismus und ethnische Auseinandersetzungen. Keiner schien davor gefeit zu sein, ein Opfer der Gewalt zu werden: weder Kind noch Erwachsener, keine Bevölkerungsgruppe und keine Religion. Wohin man auch blickte, die Schlagzeilen hatten alle denselben Tenor: „Eskalation von Gewalt“.
Dieser Impuls, der ein Ausdruck der göttlichen Liebe, der Vater-Mutter-Liebe, oder Gottes, war, drängte mich, aktiver zur Deeskalation von Gewalt beizutragen. Ich erkannte, dass es nicht allein darauf ankam, tröstliche Antworten parat zu haben, nachdem sich eine Tragödie ereignet hatte, sondern dass es vielmehr darum ging, das unausgesprochene Verlangen nach echtem Verständnis zu stillen, durch das sich schon im Vorfeld das Eintreten tragischer Ereignisse verhindern ließe – nicht lediglich die Wunden zu verbinden, sondern vielmehr für eine undurchdringliche Schutzausrüstung zu sorgen, durch die Verwundungen von vornherein vermieden werden können. Nichts führt einem diese Notwendigkeit mehr zu Bewusstsein als die Bilder von trauernden Müttern, deren Kinder zwischen die Fronten der Gewalt geraten sind und darunter zu leiden haben.
Die Allgemeinheit reagiert auf die bösartigen Taten, die durch Hass und Aggression motiviert wurden, in der Regel mit großem Mitgefühl und tut alles, um die furchtbaren Folgen so schnell wie möglich einzudämmen und zu beheben. Doch das höhere Ziel ist es, diesen niederträchtigen Handlungen zuvorzukommen, sie aufzudecken und sie zu unterbinden, ehe die Täter ihre grauenhaften Vorhaben ausführen können. Helfer vor Ort spielen zweifellos eine wichtige Rolle. Aber noch besser ist es, wenn schon im Vorfeld durch eine wachsame „Abwehr“ das dynamische Gesetz des göttlichen Prinzips, Liebe, demonstriert wird, das die Absicht, Leid zu verursachen und Zerstörung anzurichten, aufdeckt, neutralisiert und zerstört. Mary Baker Eddy schreibt im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Die Wissenschaft neutralisiert den Irrtum und zerstört ihn“ (S. 157).
Aber welcher Methode bedient sich die göttliche Liebe, um Hass, Bösartigkeit und Terrorismus entgegenzuwirken und zu zerstören? Wie geht sie vor, um deren Aktivität zu unterbinden?
Die göttliche Liebe, der eine und einzige Gott, ist unendlich und erfüllt allen Raum. Diese unendliche Liebe ist völlig gut. In der Universalität ihrer Allheit gibt es nichts, was über ihr stehen, nichts, was über das allgegenwärtige, allwirkende Gute hinausgehen könnte. Dieses allwissende Gute ist sich nur seiner eigenen Vollkommenheit bewusst und kann selbst von der geringfügigsten Unvollkommenheit keine Kenntnis nehmen. Und da dies hier und jetzt die absolute, unveränderliche Wahrheit der Liebe ist, handelt es sich dabei um ein Gesetz.
Dieses Gesetz der Liebe wirkt über Grenzen oder Mauern hinaus. Es wirkt im menschlichen Bewusstsein und auf dem Schauplatz menschlichen Handelns. Genau wie Licht die Dunkelheit durch seine eigene Helligkeit vertreibt, so entlarvt Liebe einfach dadurch, dass sie Liebe ist, das vermeintliche Gegenteil ihrer selbst und rottet es völlig aus. Und so kann schon ein Einzelner, der dieses Gesetz der Liebe versteht und es betätigt, selbst die entferntesten Enden der Erde erreichen und die größte, heimtückischste Bösartigkeit durchdringen und sie damit zwingen, ihre üblen Pläne in der Gegenwart der Allmacht der Liebe zu begraben.
Unser Meister Christus Jesus bewies unwiderlegbar und für alle Zeiten, dass das absolute Gesetz unerschütterlicher Liebe die schändlichen Machenschaften des Bösen aufdeckt, zerstört und damit die Unwirklichkeit des Bösen beweist und die endgültige Antwort auf gnadenlosen Hass ist, der sich über alle Gesetze hinwegsetzt.
Christus Jesus veranschaulichte die große Kluft, die zwischen hemmungsloser Bösartigkeit und dem unüberwindlichen Guten besteht, als er zu Pontius Pilatus sagte: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; ...“ (Johannes 19:11). Er bewies, wie unfehlbare Liebe bei der Überwindung aller Machenschaften des Bösen praktisch anwendbar ist. Als Beweis seiner vollkommenen Demonstration bedingungsloser Liebe betete er sogar für seine Peiniger und sagte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lukas 23:34). Er unterwarf sich freiwillig der schlimmsten Prüfung des Bösen, um für andere zu demonstrieren, wie sie sich den Ansprüchen des Bösen entgegenstellen können. Auch entkam er in seinem täglichen Tun und Treiben immer wieder den Händen seiner Feinde, denn er kannte deren Gedanken und konnte so Gefahren im Voraus erkennen und sich vor ihnen schützen.
In Wirklichkeit kämpft Gott, das göttliche Gemüt, nicht mit dem Bösen, denn die Allheit und Ausschließlichkeit des allgegenwärtigen, allmächtigen Gemüts – das durch und durch gut ist – schließt jede andere Existenz aus. Der scheinbare Kampf findet nur im menschlichen Bewusstsein statt; dieses wird zum Schlachtfeld, da das menschliche Gemüt sich mit aller Macht gegen den Einfluss der göttlichen Liebe, durch den es zerstört wird, sträubt. Die große Herausforderung für uns besteht nun darin, bereit zu sein, den Glauben an ein von Gott getrenntes Gemüt in der Materie aufzugeben und uns der Allheit des göttlichen Gemüts, der vollkommenen Liebe, unterzuordnen und erneuert zu werden. Mary Baker Eddy schreibt im Lehrbuch: „Die despotischen Neigungen, die dem sterblichen Gemüt eigen sind und in immer neuen Formen der Tyrannei keimen, müssen durch das Wirken des göttlichen Gemüts ausgerottet werden“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 225).
Der Apostel Paulus erklärte: „Wir haben Christi Gemüt“ (1. Korinther 2:16, nach der King-James-Bibel). Wenn wir uns Jesu Lehren zu eigen machen und uns immer mehr darum bemühen, seinem Beispiel reiner Liebe und Güte zu folgen, dann entdecken und erkennen auch wir unsere Einheit mit dem göttlichen Gemüt. Dieses Gemüt wird von zeitlichen und räumlichen Begrenzungen nicht berührt. In dem Maße also, wie wir unsere Einheit mit Gemüt leben und unser Denken mit Gemüt in Übereinstimmung bringen, können wir die Begrenzungen von Raum und Zeit überwinden. Dadurch sind wir in der Lage unvorhersehbare gegenwärtige oder zukünftige Ereignisse intuitiv zu erahnen und genau die Hinweise zu bekommen, die uns vor Gefahr warnen und einen sicheren Weg aufzeigen. Auf diese Weise können auch wir heute schon im Vorfeld zu einer wachsamen „Abwehr“ beitragen.
Vor vielen Jahren war ich mehrere Monate auf einer Vortragsreise in einem lateinamerikanischen Land unterwegs, das sich damals gerade in einem politischen Umbruch befand, der von Gewalt begleitet war; Extremisten platzierten Bomben wahllos an verschiedenen Orten, wo sie dann ohne Vorwarnung explodierten. Ich betete täglich darum, die Wirkung des göttlichen Prinzips, das alles und jeden beherrscht, zu sehen. Eines Morgens kam mir ganz klar der folgende machtvolle und schützende Gedanke: „Ich werde nicht von Zufall, Umständen, Risiken, Glück, Statistiken, Personen, Orten oder Dingen regiert, sondern von Gottes unfehlbarem Gesetz der richtigen Führung.“ Während meines Aufenthalts fühlte ich mich wiederholt dazu veranlasst, meine Route oder meinen Zeitplan kurzfristig zu ändern. Mehrmals kam es vor, dass eine Bombe, kurz bevor oder nachdem ich an einem bestimmten Ort vorbei kam, explodierte. Und nicht nur ich war beschützt, sondern niemand sonst kam zu Schaden.
Deeskalation von Gewalt ist mehr als lediglich ein wünschenswertes Ziel. Sie ist ein lebenswichtiges Erfordernis, das Mut, Liebe und Beharrlichkeit erfordert. Die folgende Aussage in Wissenschaft und Gesundheit bietet uns hierfür einen Zwei-Stufen-Plan. Erstens: „Wir sollten gründlich verstehen, dass alle Menschen ein Gemüt, einen Gott und Vater, ein Leben, eine Wahrheit und eine Liebe haben.“ Dieser Punkt ist, meiner Auffassung nach, die absolute Wahrheit, die den Menschen und das Universum wirklich regiert. Und die praktischen Auswirkungen, die folgen, wenn diese Tatsache verstanden wird, sind im zweiten Teil der Aussage zusammengefasst: „In dem Verhältnis, wie diese Tatsache sichtbar wird, wird die Menschheit vollkommen werden, der Krieg wird aufhören und die wahre Brüderlichkeit des Menschen wird begründet werden“ (S. 467).
Die Welt bedarf zweifellos der mütterlichen Fürsorge der göttlichen Liebe, des allwissenden Gemüts, das vor den Taten des Bösen warnt, ihnen zuvorkommt und sie durch seine allmächtige Allheit zerstört.
James Spencer
