Bevor Jesus erklärte, dass nicht das Fleisch, sondern der göttliche Geist allein Leben schenkt und erhält, folgten ihm ganze Menschenmengen. Er hatte so viel und überzeugend gelehrt und geheilt, doch selbst viele seiner frühen Schüler fanden Jesu Forderung nach einer tieferen Hingabe an die Spiritualität schwer zu befolgen, und die meisten wandten sich von ihm ab.
Doch Jesus setzte seine Treue dem gegenüber, was seines Vaters war, fort, und seine Lehren wurden wieder beliebter. Als er später nach Jerusalem einzog, jubelten ihm Menschen sogar zu und schwenkten Palmwedel. Innerhalb einer Woche löste sich diese Beliebtheit jedoch wieder auf, und alle – selbst die meisten seiner verbleibenden Jünger – kehrten ihm und seiner Mission den Rücken.
Jesu Erfahrung gegen Ende jener Woche in der Nacht vor seiner Kreuzigung ist erhellend. Er hatte dort im Garten Gethsemane eindeutig zu kämpfen. Doch bestimmt ging es nicht darum, dass er um seine eigene Sicherheit besorgt war. Er wusste sehr genau, wie er sich denen entziehen konnte, die ihn kreuzigen würden. Als einmal eine wütende Menschenmenge versucht hatte, ihn von einer Klippe zu werfen, war er mitten durch sie hindurchgegangen.
In Gethsemane sagte er seinen Jüngern: „Meine Seele ist betrübt.“ Und der Bericht fährt fort: „Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete: ‚Mein Vater, wenn es möglich ist, dann gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!‘“ (Matthäus 26:38, 39).
Was machte Jesus so zu schaffen? Ist es möglich, dass er befürchtete, die Welt würde seine Botschaft, seine Taten, seine Beiträge bald wieder vergessen? Seine Gegner wollten ihn töten, doch ihr Ziel war in Wirklichkeit, all die Liebe, die Opfer und die geduldigen Lehren, die er der Welt beschert hatte, ungültig zu machen und zu begraben.
Bald darauf folgte Jesu siegreiche Auferstehung. Nach diesen drei Tagen, die er mit Gebet im Grab verbracht hatte, kam er mit einer deutlich anderen Perspektive hervor. Die vorherigen Sorgen um seine Mission schienen weit hinter ihm zu liegen. Als Jesus Petrus auftrug: „Weide meine Schafe!“ (Johannes 21:16), herrschte ein neues Vertrauen in Gottes unfehlbare Zielsetzung – alle Menschen weltweit und für alle Zeit zu Seiner heilenden, umwandelnden und reinigenden Macht zu erwecken. Jesus verstand, dass der Wille Gottes, dem er sich demütig gefügt hatte, so machtvoll ist, dass sich ihm nichts in den Weg stellen kann.
Sie und ich können ungehindert Jesu erhabene Sichtweise und Zukunftsperspektive annehmen und den unweigerlichen Fortschritt der Gesetze Gottes, der Gesetze der göttlichen Liebe, in uns einlassen. Heute, wie damals bei Jesus, kann es Zeiten geben, in denen das wissenschaftliche Christentum nicht an Beliebtheit zunimmt. Und es kann auch Zeiten geben, in denen dies geschieht. Doch wie für Jesus damals ist es heute bei uns: Die positiven oder negativen Meinungen der Welt können die Wahrheit und ihren unweigerlichen Sieg weder anerkennen noch verhindern.
Wir können durch die Tatsache ermutigt werden, dass die rüttelnden Winde menschlicher Meinungen unser Gottvertrauen stärken können, wenn wir sie aus der Warte von Gottes absoluter Autorität und Zielsetzung aus betrachten, und unser Vertrauen in einem Verständnis Seiner Weisheit und Allmacht verankern. Wenn große Bäume ohne Wind aufwachsen, werden sie überraschenderweise so schwach, dass sie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Doch wenn sie beim Aufwachsen mittelstarkem bis starkem Wind aus wechselnden Richtungen ausgesetzt werden, entwickeln sie aufgrund dieser rüttelnden Böen einen tieferen und kraftvolleren Wurzelwerk.
Diesem stärkenden und verankernden Prozess entsprechend macht Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, folgende hilfreiche Beobachtung: „Die Ellenbogenstöße der Menge zwingen uns, fester auf den Füßen zu stehen. In den mentalen Zusammenstößen der Sterblichen und in den Spannungen intellektueller Auseinandersetzungen erprobt sich die moralische Spannkraft, und wenn sie nicht nachlässt, wird sie stärker“ (Vermischte Schriften 1883–1896, S. 339).
Wahre Stärke und echtes Wachstum kommen nicht daher, dass man windähnliche Herausforderungen umgeht, sondern sich ihnen stellt. Wie fangen wir das an? Unsere Kraft wird in dem Maße gestärkt, wie wir uns und andere im Gebet als Ausdruck von Gottes Vollkommenheit – und sonst nichts – wahrnehmen. Jesus stellt die ewige Tatsache dar, die jedes Kind Gottes korrekt identifiziert: „Darum sollt ihr vollkommen sein, so wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Matthäus 5:48).
Wie Petrus sind wir alle aufgefordert, die „Schafe“ unseres Vaters zu weiden. Um diesen Auftrag gut zu erfüllen, muss uns die grundlegende Natur von Gottes Kindern besonders klar sein. Die Christliche Wissenschaft offenbart, dass jeder Mensch Gottes fehlerfreie, geistige Schöpfung ist und nicht etwa verloren, dumm oder stur. Je mehr wir Gottes vollkommene Natur, wie sie im Menschen (also uns allen) zum Ausdruck kommt, aus ganzem Herzen lieben – besonders in „windigen“ Zeiten –, desto mehr nehmen wir an Kraft zu und desto weniger Zeit verbringen wir damit, an verlorene oder fehlerbehaftete Schafe zu glauben. Wenn wir dies praktizieren, verstehen wir klarer, dass jeder Mensch ein Ausdruck von Gottes Vollkommenheit ist.
„Ich ... will Dir folgen und mich freu’n auf dem rauen Weg“, betete Mary Baker Eddy („Weide meine Schafe“, Vermischte Schriften, S. 398). Freuen wir uns, weil der Weg rau und windig ist und wir stolz sein können, dass wir den ganzen Weg über hart gearbeitet haben? Nein, wir freuen uns, weil wir im Gebet erkennen können, dass der alleinige Daseinszustand in Wirklichkeit die Allheit des vollkommenen Gottes ist, und dazu gehört Seine vollkommene Schöpfung. Jesus drückte es richtig aus, als er sagte: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze“ (Johannes 6:63). In den heutigen aufeinanderprallenden Winden der Beliebtheit und negativen Meinungen zeigt sich unsere fundierte Liebe für die Welt klar, wenn wir Gottes fehlerfreie Vollkommenheit in unseren „Mitschafen“ aus allen Teilen der Welt wahrnehmen. Und das heilt – deutlich und dauerhaft.
