Die Geschichte im 2. Buch Mose, wie Mose Gott begegnet ist, hat mir viel zu denken gegeben. Dort heißt es: „Der Herr aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freund redet“ (2. Mose 33:11). Mose hat vollständiges Vertrauen in Gott erlangt. Doch es reichte ihm nicht, wundersame Ereignisse zu sehen, sondern er wollte wissen, wie sie zustande kamen, und bat darum, dass ihm der göttliche Charakter, das Gemüt Gottes, offenbart werden möge. Die in Moses Kommunion mit Gott erkannte Macht hat die Menschheitsgeschichte geändert und beseelt die Menschen seit 3500 Jahren.
Als Christus Jesus seine Mission begann, schien die geistige Auswirkung von Moses Erlebnissen gänzlich verloren zu sein. In meinen Nachforschungen ist mir aufgefallen, dass Jesus Jahrhunderte von Ritualismus und Traditionen außer Kraft setzte, um den immer-gegenwärtigen Ich Bin, mit dem Mose vertraut war, wieder allgemein bekannt zu machen. Allerdings schienen auch Jesu Lehren im Verlauf der Jahre ihre Schlagkraft zu verlieren.
Dieser scheinbare Verlust hat mir die Notwendigkeit bewusst gemacht, die Anwendung der Wissenschaft des Christus, die von Jesus gelehrte geistige Wirklichkeit und heilende Macht, die Mary Baker Eddys Entdeckung allen wieder aufgezeigt hat, zu verteidigen. Im Verlauf mehrerer Monate kamen mir immer wieder gewisse Fragen in den Sinn, die mich herausforderten und zu einer Überprüfung meines Denkens anspornten.
Mrs. Eddy macht einen klaren Unterschied zwischen Glaubensheilung, dem eine Auffassung zugrunde liegt, und geistigem Heilen, das auf Verständnis beruht. Sie schrieb: „Glaube, der Wahrheit anerkennt, ohne sie zu verstehen, ist im Grunde Blindheit. ... Es liegt Gefahr in diesem mentalen Zustand, der Glaube genannt wird; denn wenn Wahrheit anerkannt, aber nicht verstanden wird, kann sie verlorengehen, und durch ebendiesen Kanal des unwissenden Glaubens mag der Irrtum eindringen“ (Rückblick und Einblick, S. 54).
Und in einem Artikel mit der Überschrift „Prinzip und Praxis“, den sie 1910 geschrieben hatte und der im November 2019 im Herold erschienen ist, lesen wir: „Die Christliche Wissenschaft ist kein Glaubensheilen, und wenn der menschliche Glaube nicht von wissenschaftlichem Heilen unterschieden wird, dann wird die Christliche Wissenschaft wieder aus der Ausübung der Religion verloren gehen, so wie es bereits kurz nach der Zeit geschah, in der unser großer Meister wissenschaftlich lehrte und praktizierte.“
Diese beiden Aussagen haben mich sehr aufgerüttelt. Es ist gut und nützlich, die Wahrheit anzuerkennen, doch diese Anerkennung bringt uns beim Übergang von einer materiellen Wahrnehmung des Daseins zu einem geistigen Verständnis nur einen Teil des Weges. Da ich wusste, dass Glaube zeitweilig positive körperliche Veränderungen hervorrufen kann, verstand ich, wie es passieren kann, dass man eine Glaubensheilung mit christlich-wissenschaftlichem Heilen verwechselt. Aber das ist keineswegs die Richtung, in die unser Glaube uns führen soll. Ich fragte mich: Wie viel von dem, was ich in meinem Leben als Heilung empfunden habe, war in Wirklichkeit Glaubensheilung gewesen?
Da ich weiß, dass Glaubensheilungen „die Ansprüche der körperlichen Sinne [zugeben] und sich mit einer vermenschlichten Vorstellung von der Macht Gottes an Ihn um Hilfe ... wenden“ (Rückblick und Einblick, S. 54), beginne ich meine christlich-wissenschaftliche Behandlung oft damit sicherzustellen, dass mein Motiv lupenrein ist: Ich mache mir bewusst, dass ich nicht darauf aus bin, einen von mir akzeptierten und von Gott zugelassenen materiellen Zustand in Ordnung zu bringen, sondern danach strebe, die Wirklichkeit einer vollkommenen, bereits vorhandenen geistigen Schöpfung zu demonstrieren, die die Behauptungen der körperlichen Sinne vernichtet.
Ein anderes Thema, das eine Selbstprüfung nach sich gezogen hat, war Tradition. Mrs. Eddy hat gelegentlich liebevoll über einige der christlichen Traditionen gesprochen, die sie als Mädchen gelernt hat, und über die Geistlichen, die ehrlich ihren Überzeugungen gemäß gelebt haben. Aber sie hat deutlich gemacht, dass deren auf Symbolen und Traditionen beruhenden Gebete unfähig gewesen waren, sie zu heilen. Erst ein höheres, auf Offenbarung, Schlussfolgerungen und Demonstration beruhendes geistiges Verständnis des Wortes hatte sie geheilt und vorangeführt.
Ich fragte mich: „Hat die Christliche Wissenschaft als Glaubensgemeinschaft in ihrem verhältnismäßig kurzen Bestehen bereits Traditionen errichtet, die von einer Generation auf die nächste übergegangen sind? Beruht das meiste, was ich über die Christliche Wissenschaft weiß, auf dem, was andere mir erzählt haben?“ Dann, so verstand ich, wäre die Christliche Wissenschaft eine Religion aus zweiter Hand. Das kann nicht gut sein. Es ist so wichtig, dafür zu sorgen, dass die im Verlauf der Jahre von anderen erlangte Inspiration und Kraft durch meine eigenen Forschungen in der Bibel und Mrs. Eddys Schriften zu Offenbarungen und eigenen Erfahrungen mit Gott als einer lebendigen, kommunizierenden Gegenwart führen können!
Mit dem Wissen, dass es Gottes Wille und Sein Gesetz ist, Ihn zu kennen, wurde ich zu mehr Kommunion mit Gott geführt; mein Leben wurde hingebungsvoller, ich bin mir Gottes Gegenwart besser bewusst und wacher für die offenbarenden Erfahrungen derer, die sich danach sehnen, Gott zu kennen und Seine Macht zu beweisen.
Die dritte Sache, die mein Denken aufrüttelte, zeigte sich durch Mrs. Eddys Antwort auf die Frage: „Stellt das Heilen der Kranken alles dar, was die Wissenschaft in sich schließt?“ Die Antwort lautet u. a.: „Das Heilen von körperlicher Krankheit ist der kleinste Teil der Christlichen Wissenschaft. ... Was die Christliche Wissenschaft mit allem Nachdruck anstrebt, ist das Heilen von Sünde ...“ (Grundzüge der Göttlichen Wissenschaft, S. 2).
Diese beiden Sätze warfen mehrere Fragen auf: Verbringe ich den Großteil meiner Zeit mit dem kleinsten Teil der Christlichen Wissenschaft? Ist meine Praxis der Christlichen Wissenschaft nichts als eine persönliche Gesundheitsfürsorge? Nutze ich sie ausschließlich für gesundheitliche Zwecke und bewege mich ansonsten im Traum eines materiellen Verständnisses der Realität?
Es gibt Dinge, die hier und jetzt über unsere eigene persönliche Fürsorge hinausgehen und unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Was kann man tun, um die Versuchung zu überwinden, nur nach innen zu schauen? Für mich lag die Antwort darin, umfangreicher hinsichtlich der Sünden der Welt zu beten.
Im Licht der Christlichen Wissenschaft betrachtet ist Sünde viel breiter gefasst als das allgemein in der Gesellschaft akzeptierte Konzept davon. Sünde ist Feindschaft gegen Gott und Seine Schöpfung, und Gehorsam Gott, Prinzip, gegenüber hilft uns, sie aufzudecken und zu zerstören. Sünde ist viel einfacher zu heilen als wir vielleicht denken, und Gott arbeitet mit uns, wenn wir uns daran machen, sie zu zerstören.
Was bedeutet es, die Sünden der Welt wegzunehmen? Mrs. Eddy schreibt: „Die Sünde war und ist die lügenhafte Voraussetzung, dass Leben, Substanz und Intelligenz sowohl materiell wie geistig und doch von Gott getrennt seien.“ In diesem Fall bezieht sich Voraussetzung auf eine Grundlage in der Vorstellung, für die es keinen Beweis gibt. Und Mrs. Eddy fügt hinzu: „Der Sünder hat weder sich selbst noch die Sünde geschaffen, sondern die Sünde schuf den Sünder ...“ (Rückblick und Einblick, S. 67).
Tiefe Erforschung dieser wichtigen Punkte hat mir offenbart, dass der Glaube an Sünde bei dem Versuch, sie zu zerstören, von zwei hypnotischen Lügen verdeckt wird: dass ein Problem aus materiellen Zuständen resultiert bzw. dass es auf eine menschliche Persönlichkeit zurückzuführen ist. Wenn wir uns von diesen Lügen nicht vom Weg abbringen lassen, erkennen wir, dass die Voraussetzung wehrlos ist und durch das Verständnis der absoluten Allheit Gottes, des Guten, zerstört wird. Wird diese Arbeit gut getan, bleibt nichts übrig, was das Böse hervorrufen oder ihm entspringen könnte.
Als ich Militärgeistlicher war, erhielt ich den Auftrag, Sonntagsgottesdienste für Streitkräfte zu halten, die vorübergehend an einem abgelegenen Ende des Militärstützpunkts stationiert waren. Erst lief alles gut, doch plötzlich kam niemand mehr zu den Gottesdiensten. Mein Kommandant drängte mich, diese Situation zu ändern. Doch als ich den Stationierten die Gottesdienste ans Herz legte, hörte ich Gelächter. Das kränkte mich.
Auf dem Weg zu einem weiteren Versuch, die Stationierten zum Besuch der Gottesdienste zu bewegen, merkte ich, dass ich keinerlei Interesse daran hatte, diese Arbeit weiterzumachen. Ich dachte: „Das ist denen egal. Ich gehöre hier nicht hin. Zeit, nach Hause zu fahren.“ Doch obwohl die Gefühle sehr stark waren, kam mir dieses aufgewühlte Denken fremd vor. Es hörte abrupt auf, als ich dachte: „Wenn es dir nicht wichtig ist, geistige Gedanken an diese Gruppe weiterzugeben, wie soll es ihnen dann wichtig sein, zuzuhören?“ Dieser Gedanke führte mich zu der Erkenntnis, dass sie als Kinder Gottes von Natur aus Interesse an Spiritualität hatten. Diese Inspiration half mir, als ich die Stationierten erneut einlud, die Gottesdienste zu besuchen. Diesmal war die Reaktion sehr positiv.
Hinterher sprach mich ein Soldat an und sagte, er sei Teil einer Jugendmission an meinem Posten und habe zuvor immer an meinen Gottesdiensten teilgenommen. Als er seinen Kirchenältesten gesagt habe, dass ich Christlicher Wissenschaftler sei, hätten sie ihm aufgetragen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die anderen von den Gottesdiensten abzuhalten, und er und andere hätten gehorcht. Doch, fügte er hinzu, nachdem er mich an jenem Tag hatte sprechen hören, konnte er nicht glauben, was seine Kirchenältesten ihm über die Christliche Wissenschaft gesagt hatten. In einem Gespräch mit dem jungen Mann gelang es mir, die Fehler zu berichtigen, die er gehört hatte, und ihm ein klareres Verständnis der Christlichen Wissenschaft zu vermitteln. Von da an nahmen die Stationierten wieder an den Gottesdiensten teil.
Rückblickend kann ich erkennen, dass die Heilung aus mehr als nur meiner Überzeugung gekommen war, Gott werde den Weg ebnen. Sie schloss auch ein Verständnis der zeitlosen Tätigkeit des Christus ein, der wahren Idee von Gott, um die Tätigkeiten des Trösters voranzubringen. Erst wusste ich nichts über die Personen, die versucht hatten, die Gottesdienste zu verhindern. So konnte ich gar nicht erst versucht sein zu denken, dass menschliche Persönlichkeiten das Problem hervorgerufen hatten, sondern direkt die grundlegende Vorstellung von einer von Gott getrennten Macht ausräumen.
Wenn unser Glaube zum geistigen Verständnis wird und unsere Kirchenaktivitäten uns hin zum Wissen und zur Erfahrung Gottes führen, die unsere geliebte Führerin Mrs. Eddy hatte, und wenn wir die Behauptungen der Sünde durch Demonstration der Allheit Gottes zerstören, dann werden wir selbst beweisen, dass die Christliche Wissenschaft Bestand hat.
