Die zehn Gebote haben im Laufe der Zeit durchaus nicht an Bedeutung verloren. Sie sind heute von so großer Wichtigkeit wie früher, denn sie wurden für Zeit und Ewigkeit geschrieben. Der Thatbestand, daß sie auf Stein geschrieben wurden, ist von großer Bedeutung. Sie sind ein symbol der Unveränderlichkeit und endloser Dauer. Sie wurden für die ganze Menschheit geschrieben und nicht nur für die Kinder Israel.
Im allgemeinen werden sie als Basis der menschlichen Gesetze aufgefaßt. Die Rechtswissenschaft der civilisierten Nationen ist darauf gegründet. Die Menschen haben dieselben zur Grundlage gebraucht und alle menschlichen Angelegenheiten beruhen darauf. Sie sind ein wesentlicher Teil der menschlichen Geschichte und werden es bleiben, so lange die Geschichte währt. Alle moralischen Gesetze beruhen mehr oder weniger darauf. Sie sind gewöhnlich der Maßstab körperlicher Züchtigung für Verbrechen. Es heißt, daß körperliche Züchtigung ihre Vollmacht auf die zehn Gebote gründet. Das „Mosaische Gesetz” beruht auf den zehn Geboten. In weltlichen Angelegenheiten haben sie insofern nur die Bedeutung eines moralischen Gesetzes. Sie werden gewöhnlich nur als ein bloßes Verbot angesehen gegen solche Handlungen, aus denen das Sünden- und Verbrechen-Register besteht und es ist insofern gut. Es bestraft unzweifelhaft alle Verbrechen und Unsittlichkeit. Wir können ihnen in dieser Beziehung gar nicht zu viel Bedeutung beilegen. Im allgemeinen, können sie in moralischer Beziehung gar nicht zu strenge in Anwendung gebracht werden. Aber ist dies alles?
Es mag von großem Nutzen sein, hier Bedeutung und Wirkung des ersten Gebotes: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben,” genauer zu betrachten. Niemand kann Science and Health with Key to the Scriptures von Rev. Mary B. G. Eddy mit Verständnis lesen, ohne zu sehen, daß die Basis des Buches der Thatbestand des Dekalogs ist. In dem Kapitel „Recapitulation” ist diese Thatsache ganz deutlich hervorgehoben. Das ganze Buch ist nur eine genauere Ausführung dieser Erklärung des Dekalogs. Ebenso hebt Mrs. Eddy in ihren anderen Werken die praktische Anwendung der Gebote fast noch genauer hervor. Science and Health, das Lehrbuch macht die großartige Beteuerung der urspünglichen und endgültigen Wahrheit bekannt, und Mrs. Eddys andern Werke wiederholen dies in umständlicher Erklärung und Ermahnung. Dadurch werden sie zur unschätzbaren Stütze, das Textbuch zu verstehen, und sollten deshalb sorgfältig mit demselben zusammen studiert werden.
Wenn Sie es erlauben, möchten wir hier die Bemerkung einschalten, daß wir oft aus eigener Erfahrung die Notwendigkeit erkannt haben, Mrs. Eddys andern Werke mehr zu studieren, und nach den vielen Anfragen zu urteilen, die in diesem Comptoir gemacht werden, haben andere denselben Fehler gemacht; denn die besagten Fragen sind alle deutlich in diesen Werken beantwortet.
Um auf unser Thema zurückzukommen. Der Thatbestand, den wir erwägen wollen, wird als Warnung vor Götzendienst ausgelegt — das bedeutet, sich vor anderen Göttern beugen oder sie verehren, wie z. B. die alten Heidengötter. Es wird allgemein eingeräumt, daß es solch ein Befehl ist und alles in sich schließt, was jemals in dieser Beziehung Ansprüche erhoben. Aber schließt dies die ganze Bedeutung desselben in sich? — Keineswegs. Als Gebot ist es gegen alle denkbaren Formen der Abgötterei gerichtet. Was ist Abgötterei?
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, bedeutet es, irgend einem andern Ursprung Macht beizulegen, als Gott, der alleinige Ursprung, die einzige Macht. Es macht nichts aus, in was für einer Form diese mutmaßliche Macht sein mag. Die ursprüngliche Abgötterei, welche sich an den sterblichen Menschen zu allen Zeiten angeklammert hat, ist der falsche Begriff, daß es ein Materie-Leben, eine Materie-Intelligenz, eine Materie-Existenz und eine Materie-Realität gibt. Dies ist der falsche Sinn der Weisheit, so abschreckend in Science and Health geschildert; die verbotene Frucht, die, wenn gegessen, uns in alle Formen der Sünde führt. Es ist der Irrtum aller Irrtümer, die Sünde aller Sünden. Hieraus entsteht jeder falsche Begriff, welcher wiederum der Ursprung jedes Fehltritts ist. Der Götzendienst der Heiden ist nur ein kleiner Teil der Abgötterei. Dieselbe nimmt fast zahllose Formen an. Eine der beklagenswertesten Formen der Abgötterei ist Verehrung des sterblichen Körpers. Dieser wurde nicht „zum Ebenbilde und Bilde” Gottes erschaffen, und ist daher ein Abgott. Diesen zu verehren, indem man ihm Macht, Autorität oder Herrschaft in irgend einer Weise beimißt, bedeutet, einen andern Gott haben als den im Dekalog. Wohl mag diese gewaltige Erklärung dagegen die erste Beweisführung jener mächtigen Freiheitsurkunde bilden, die im feurigen Busch und unter Donnern und Blitzen vom Berge Sinai gegeben wurde. Wohl mag Jesus, der große Demonstrator und Erläuterer des Dekalogs, diese wiederhallenden Donnertöne verstanden haben. Er betonte sie immer wieder in Wort, That und Beweisführung: „Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung?” Dies war nur eine wörtlich wiederholte Versicherung des „Mosaischen Verbotes.” Wahrlich, Jesus’ ganze Mission war nur eine wiederholte Versicherung; denn jeder falsche Begriff des Lebens in Materie und Macht und Intelligenz, getrennt von Gott, ist in dieser Körper-Verehrung eingeschlossen.
Jetzt lassen Sie uns kurz die Bedeutung dieses großen, ersten Gebotes erwägen. Du. Wer ist dieser du? Wer ist hier im Gebot angeredet? Wurden nur die Kinder Israel angeredet? Nur insofern wie die Kinder Israel für die ganze Menschheit gelten. Im weiteren Sinne wurde die ganze Menschheit angeredet.
Welch große, tiefe Bedeutung hat es dann als Befehl! Aber ist es nur ein Befehl? Es ist unendlich mehr. Es ist ein allumfassendes, ewiges, göttliches Gesetz. In der vollsten Bedeutung ist es so unbegrenzt wie die Unendlichkeit. Es ist unbedingt ohne alle Begrenzung und Einschränkung.
Jetzt lassen Sie uns bemerken, daß die Sprache in der Befehlsform gegeben ist. Du sollst. Diese Worte haben keinen zweideutigen Sinn. Sie sind unbedingt, endgültig, gebieterisch. Das nächste Wort ist haben. Du sollst haben. Zu haben, be-deutet so viel, wie besitzen. Daher: Du sollst besitzen, was? ohne Ausnahme „keine anderen Götter neben mir.” Jedes Wort dieser göttlichen Verordnung ist in der Befehlsform. Es ist auch nicht die geringste Milderung in dem erhabenen Ton.
Und warum heißt es: „Du sollst keine anderen Götter haben?” Aus dem überwältigenden Grunde, daß du keine anderen haben kannst. Es gibt, es existieren keine anderen. Der sterbliche Mensch mag sich einbilden, daß er andere Götter haben kann, — allerlei Götter. In seiner Beschränktheit mag er sich Götter aus Holz, aus Stein, Eisen, Messing, Silber oder Gold errichten; er mag sich einbilden, daß er einen Gott aus seiner eigenen oder eines andern Körperlichkeit machen kann, oder aus dem die Welt regierenden Geld, aus Ruhm, Vermögen, — aber das göttliche Gesetz beweist, daß er nach all seinem kindischen Bemühen in der Wirklichkeit seines Daseins, doch nur den Gott der göttlichen Wissenschaft haben kann, das Prinzip der ganzen, der wahren Existenz. Der Mensch kann unmöglich vollbringen, was unmöglich ist. Und das Ergebnis all seiner Bemühungen, sich von Gott zu trennen, bringt ihn in diese unrechtmäßigen Zustände, wodurch er der Sünde, der Krankheit und dem Tode unterworfen ist. Dies sind die bitteren Früchte seiner Abgötterei; die einzige Antwort auf seine Gebete zu seinen Götzen.
Daß der Dekalog nur teilweise verstanden ist, berechtigt uns nicht zu der Annahme, es sei dies Gottes Absicht gewesen. Die göttliche Liebe kann dem Menschen nicht die Kenntnis des Himmelreichs vorenthalten. Wenn man fragen sollte, woher wir dies wissen, oder mit welchem Rechte wir eine scheinbar so dogmatische Behauptung aufstellen, so lassen Sie uns Ihnen sagen: „Die heilige Schrift bezeugt es.” Sie lehrt uns, daß es nur einen Gott gibt. Diese Erklärung schließt alles in sich. Wenn Gott Ein Gott ist und Er ist die Wahrheit, so folgt daraus, daß es nur eine Wahrheit gibt; wenn Er die Liebe ist, so gibt es nur eine Liebe. Wenn Er die Unendlichkeit ist, so gibt es nur eine Unendlichkeit. Daraus folgt, daß Er, der die Unendlichkeit ist, sich seinen Geschöpfen nicht vorenthält. Nur das beschränkte Fassungsvermögen, Ihn zu begreifen, kann die Wahrheit und Liebe im Bewußtsein seiner Geschöpfe verdunkeln.
Einer der überzeugendsten Beweise der grenzenlosen Liebe, der Unendlichkeit Gottes, ist die Thatsache, daß, nachdem diese allumfassende Wahrheit vom Berge Sinai verkündet wurde, mit solcher Macht und Eindringlichkeit, daß es genügend wäre die Toten zu erwecken, so fuhr Gott dennoch stetig fort, durch Moses und alle Propheten in kommenden Zeitaltern und Generationen zu beweisen, zu illustrieren, zu erweitern, es uns deutlich zu machen, durch Symbol, durch Metapher, Bild, erhabene Prosa und liebliche Verse; durch Ermahnung, Züchtigung, durch Handlungen hier und da, durch Worte hier und da, durch Bitten, durch Sinnsprüche der göttlichen Weisheit und Erbarmen, es den Sterblichen einzuprägen, daß Er der einzige und wahre Gott ist, und daß sie keinen anderen Gott haben können.
Er zeigt uns dies nicht nur mit unendlicher Geduld im ganzen Zeitalter des alten Bündnisses, sondern durch die Geburt Jesu Christi wird (dem menschlichen Verständnis nach) ein neues Bündnis eingeführt inmitten göttlicher Offenbarungen, noch herrlicher und eindringlicher als die bei den Äußerungen auf dem Berge Sinai. Die göttliche Liebe durch Jesus beweist deren Unendlichkeit mit vollkommener Geduld, Schritt auf Schritt, von der Krippe bis zum Kreuze. Durch Rede, durch bittende Ermahnung, Tadel und Drohung, durch alle erdenklichen Handlungen und Thaten, die nur irgendwie von jemand in fleischlicher Gestalt vollbracht werden können, versuchte dieser Beweisführer der unendlichen Liebe, die sterblichen Menschen aus dem unwahren Traum, daß sie viele Götter hätten, zu erwecken; er versuchte ihnen die Kenntnis der herrlichen Wirklichkeit zu offenbaren, daß sie nur einen Gott haben können. Der Wirkungskreis der unendlichen Liebe endigte nicht auf Golgotha. Nachdem der sterbliche Sinn Zeuge von Jesu Tod und Begräbnis gewesen war, erschien er wieder und fuhr fort die unendliche Liebe zu offenbaren. Und bei seinem Scheiden gab er seinen Nachfolgern die Versicherung, daß er sie nicht trostlos lassen würde, sondern er würde ihnen einen „andern Tröster” senden.
Hat er sie trostlos gelassen? Wenigstens wir, die wir teilweise diese „Göttliche Wissenschaft” begreifen, die in diesem Zeitalter durch einen andern Tröster zu uns gekommen, leben nicht ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt. Ist nicht die unendliche Liebe noch unendlich? Reicht uns Gott nicht noch jetzt seinen großen, starken Arm, und ladet uns zu selbstbewußter Gemeinschaft mit ihm ein?
Leben wir nicht im Lichte einer herrlichen Offenbarung; einer Offenbarung, welche uns wirklich leitet und uns verstehen lehrt, daß Gott die Liebe ist, und daß keine anderen Götter neben ihm sind?
Wir wissen also aus der heiligen Schrift, aus dem Donnern und Blitzen auf Sinai, aus der unendlichen Weisheit im Dekalog, aus den himmlischen Liedern in Bethlehem, aus den liebevollen Worten der Bergpredigt, aus der Verklärung Christi, aus dem Erdbeben auf Golgatha, aus den göttlichen Worten des auferstandenen Christus, durch Johannes auf Patmos, aus den erleuchteten Worten in unserm lehrreichen Textbuch: „Science and Health, with Key to the Scriptures“ — das wunderbare Buch, in dem jedes Wort auf dem Dekalog und der Bergpredigt beruht, — aus allen erleuchteten Werken unseres Führers: „Du sollst keine anderen Götter haben, neben dem Gott des Dekalogs, dem einzigen und alleinigen Gott.”
(Fortsetzung folgt).
