Vor Jahrhunderten gab es eine Zeit, die das Zeitalter des Glaubens genannt wurde, doch ist diese jetzt vorüber insofern wir unter dem Wort Glauben einen blinden Glauben verstehen. Kenntnis, das Verlangen nach klarer Erkenntnis ist zu weit vorgeschritten und zu allgemein geworden, so daß wir uns hinfort in allem durch den Verstand sowohl wie durch das Gemüt leiten lassen müssen. Unser letztes Jahrhundert bildete nun einen direkten Gegensatz dem Glaubenszeitalter gegenüber — man könnte es das Zeitalter des Unglaubens nennen, und doch ging aus den letzten Jahren dieses skeptischen Jahrhunderts eine rückwirkende Macht hervor, die mehr als alles andere das zwanzigste Jahrhundert charakterisiert und es zu einem Zeitalter, nicht nur des blinden Glaubens oder Unglaubens, sondern eines aufgeklärten Verständnisses macht. Die Zeichen der Zeit weisen auf dieses unvermeidliche Resultat hin.
Um besser verstehen zu können, was diese Zeichen der Zeit sind, und warum sie ein Zeitalter des Verständnisses in Aussicht stellen, laßt uns erst auf das soeben vergangene zurückblicken. Nur ein kurzer Überblick ist notwendig, um uns zu überzeugen, daß das neunzehnte Jahrhundert ein Zeitalter des Materialismus in jedem Sinne des Wortes ist. Ein Jahrhundert in dem der Geschäftsmann sowohl wie der Mann der Wissenschaften einzige Befriedigung in der äußerlichen Welt suchten: Der eine durch die Jagd nach Reichtum und der Hingabe materieller Interessen, der andere dadurch, daß er die Materie als einzigste Wirklichkeit anerkennend, nur in dem „Sichtbaren” die Lösung des Problems zu finden suchte. Weltlichkeit und materialistische Lehren triumphierten in diesem Zeitalter.
Dieser Umstand war größtenteils den Wirkungen zweier bedeutender Mächte zuzuschreiben, welche deutlich das Jahrhundert charakterisieren, nämlich einen noch niemals vorher erreichten Fortschritt der Wissenschaften und eine ungeheure Anhäufung des Reichtums. Als die Kenntnisse der Naturgesetze zunahmen und eine außerordentliche, wissenschaftliche Entdeckung oder Erfindung der andern folgte, fingen die Menschen an, in dem materiellen Weltall ihr alles in allem zu finden. Als die wilde Sucht nach Gewinn sich überall verbreitete und das Wort Millionär zu einem täglichen Wort wurde, hörten die Menschen auf, sich um etwas anderes als um das Wachstum ihrer Reichtümer zu kümmern. Sie lebten in der Atmosphäre materieller Dinge. Fragte man den Weltmann, warum er nicht Befriedigung in etwas Höherem als bloßem Reichtum oder hoher Stellung suche, so mag er geantwortet haben: „Das ‚etwas Höhere‘ ist zu unbestimmt, zu trügerisch. Ich muß das haben, was ich verstehen und sehen kann.” Wenn man nun die Frage an den Gelehrten gestellt hätte, ob er, indem er seine Philosophien und seinen Glauben auf wissenschaftliche Entdeckungen gründe, nicht etwas viel besseres, den einfachen Glauben seiner Kindheit habe aufgeben müssen, so mag seine Antwort gewesen sein: „Ich kann den Glauben meiner Kindheit nicht länger behalten, denn ich finde, daß die Religion und Wissenschaft der Jetztzeit unvereinbar sind. Ich mußte zwischen ihnen wählen und ich wählte die letztere, weil sie Beweise liefert.” Ja, aber was beweist sie? Ach, darin lag die Schwäche; der Mensch suchte in jedem Fall die Beweise durch seine materiellen Sinne. Man machte sich lustig über die Leute des Altertums, die glaubten, daß die Erde flach sei, nur weil sie so aussah, und trotzdem verließen sich die Menschen in andern Angelegenheiten allein auf die Kenntnisse, die die menschliche Sehkraft ihnen geben konnte und machten es sich nicht klar, daß diese Kenntnis sich von jeher als veränderlich und falsch bewiesen hat.
Endlich kam die Rückwirkung solcher falschen Anschauungen. Der bloße Besitz des Reichtums war am Ende nur leeres Blendwerk, und das Glück das er gab, war nicht der Mühe wert gewesen. Das Aufgeben des kindlichen Glaubens, eines Glaubens, der nicht mit der Gelehrsamkeit der Zeiten übereinstimmte, brachte weder Frieden noch Befriedigung. Die Antworten, welche materialistische Philosophie den Problemen der Existenz bot, waren kalt und ungenügend. Nun, da die Menschen in jeder Hinsicht zu Sklaven des Materialismus geworden waren, fanden sie das Joch unerträglich und suchten mit einem fast an Verzweiflung grenzenden Eifer Mittel und Wege zu finden, um das Joch abwerfen zu können und frei zu werden. Aber wo war die Freiheit zu finden? Die Vermehrung der Kenntnisse hatte blinden Glauben zur Unmöglichkeit gemacht; Unglaube war durchforscht und mangelhaft befunden worden. Wohin sollten die Menschen sich nun wenden? Da erblickten sie plötzlich ein neues Licht, anfangs schien es schwach und unkenntlich, als sie jedoch mit zagenden Schritten folgten, wurde es klarer und klarer, bis diejenigen, die voraus waren, durch sein helles, wundervolles Leuchten und den beseligenden Frieden, den es der müden Menschheit brachte, überzeugt wurden, daß sie endlich die Wahrheit gefunden hätten, etwas, was vordem unmöglich schien.
Laßt uns einmal um des Vergleiches willen, auf das erste Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung, auf die alte Zeit des römischen Reiches zurückblicken. Gerade wie das eben vergangene, war auch dies ein Zeitalter des Unglaubens und Materialismus; damals wie jetzt beteten die Menschen nur die Dinge „die da sichtbar sind” an und glaubten, daß das Glück nur im Verhältnis zum Überfluß materieller Besitztümer stände, und dennoch wurde in der ersten Generation jenes materiellen Zeitalters durch das fleckenlose Leben und die Lehren des demütigen Nazareners eine Neigung für das Geistige hervorgebracht, die durch ihre reine Natur den Menschen zu Gott zurückführte. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich in den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, und von neuem wurde das Verlangen nach geistigem Leben hervorgerufen durch die Herausgabe eines wundervollen Buches, welches angab, die Wiedervereinigung des scheinbar Unvereinbaren, nämlich Christentum und Wissenschaft, hervorzubringen, indem es die von Menschen gemachten Philosophien der Zeit beiseite setzend, den Geist, Gott die einzige Ursache, den Ursprung des Weltalls nannte. Das Buch führt heute die Menschen zu Gott zurück, wie Tausende es bezeugen können, und mit Recht ist „Science and Health, with Key to the Scriptures“ als das bedeutendste Buch des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet worden, und die Entdeckung und Gründung der Christian Science durch Mary Baker G. Eddy bedeutet das zweite Kommen Christi, wie es die Bibel geweissagt hat.
Die Zeichen der Zeit sind also eine wachsende Unzufriedenheit mit dem Materialismus und ein unaufhörliches Streben, sich davon fort und zu etwas Höherem zu wenden; ein Sehnen mehr von den unsichtbaren Dingen zu lernen und dadurch das Zeitalter durch Geistigkeit zu regieren. Weshalb kennzeichnen nun dergleichen Zeichen das zwanzigste Jahrhundert als ein Zeitalter des Verständnisses? Weil die Wahrheit alles Seins nur im geistigen Reich gefunden werden kann. Wie wir gesehen haben, strebten die Menschen im letzten Jahrhundert danach, die Lösung der Fragen: Was ist wahres Glück? Was ist der Mensch und welche Gesetze regieren ihn? im materiellen Weltall zu finden und fanden sie nicht. Im geistigen Zeitalter wird man die Antwort im geistigen Reich suchen; man wird suchen und man wird finden. Die Fragen werden beantwortet werden und daher wird das jetzige Jahrhundert zum Zeitalter der Erkenntnis werden.
Von jeher hat es Einzelne gegeben, die erkannt haben, daß wahres Glück vor allem vom aufrichtigen, rechtschaffenen Lebenswandel abhängig ist, nicht von äußerlichen Umständen oder irdischem Besitz, nicht vom Nehmen, sondern vom Geben. Nun ist die Zeit gekommen, wo die Menschheit im allgemeinen durch die Neigung zum Geistigen geführt, die richtige Auffassung vom Glück bekommt, indem sie sich von der Selbstliebe zur Nächstenliebe wendet und die Vision des Christus und seines Kreuzes vor Augen, im Leben und in der Hingabe für andere eine bleibende Zufriedenheit findet. So wird man wirklich wissen, worin das wahre Glück besteht.
In jedem Zeitalter hat es Menschen gegeben, die sich die Existenzfragen: Was ist der Mensch und welche Gesetze regieren ihn? gestellt haben und die eingesehen haben, daß die Antwort in der richtigen Auffassung der Wahrheit liegt, daß, wenn der Mensch das Ebenbild Gottes ist, das einzige Gesetz, dem er Untertan sein kann, das geistige Gesetz der Freiheit sein muß. Propheten, Apostel und vor allem der demütige Nazarener waren im stande dies klar zu erkennen und zu bezeugen, dadurch die Würde und Größe ihres Lebens und die Wunder, die sie wirkten ermöglichend. Jene Verwirklichung wird auch in diesen Tagen wieder in den Besitz der Menschen kommen und wird sie aus der Knechtschaft des materiellen Selbst befreien und ihnen das Bewußtsein geben, daß sie in Wahrheit die Kinder Gottes sind. Als solche werden sie nun allmählich lernen, daß sie nicht der Krankheit und Sünde ausgesetzt sind, sondern daß ihr Erbteil „Herrschaft” ist, „Herrschaft über die ganze Erde,” und die wachsende Erkenntnis dieses Geburtsrechtes wird sie befähigen, die materiellen Gesetze, welche Krankheit und Sünde unvermeidlich zu machen scheinen, zu besiegen, wodurch sie wie einst die heiligen Männer beweisen, wie unwahr, machtlos und falsch die physischen Gesetze der Zerstörung und des Übels sind, und wie es in Wahrheit nur ein Gesetz geben kann, gleichviel ob es Naturgesetz oder Gottesgesetz genannt wird, nämlich das Gesetz der Freiheit und des geistigen Lebens. Seine Individualität in der unendlichen Individualität des Geistes suchend wird der Mensch durch „die Zeichen, die da folgen” lernen, wer er ist und unter welchem Gesetz er steht.
Dieses Zeitalter des Geistes, folglich des Verständnisses, ist jetzt schon hier. Das Aufwälzen des Falschen und die Wiedergeburt des Wahren, welche den Anfang dieser neuen Epoche kennzeichnen, hat schon begonnen. Die Welt scheint vielleicht in äußerlichen Dingen unverändert und Materialismus mag dem Anscheine nach noch triumphieren, dennoch ist tief im Innern der Menschheit die Neigung, das Verlangen nach dem Geistigen — jene große Macht, die ihren Stand vor einer Generation wieder behauptete und die das jetzige Zeitalter charakterisiert. Können wir in unserer materiellen Blindheit noch an das Irdische hängen und Befriedigung suchen, wo sie niemals gefunden werden kann? Oder werden wir, die Zeichen der Zeit bemerkend, uns mit Freuden an das Geistige wenden und die Worte Christi erinnern: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben?” Und „ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen?”
Eine Kenntnis der Bibel und der biblischen Geschichte ist so wesentlich zur allgemeinen Fassung jetziger Gesellschaft, als zur Entwickelung litterarischen Geschmackes. Wenn die Universitäten das Studieren der Bibel wieder einführen, werden sie sich neuen Anspruch auf unsere Achtung erwerben. — Chicago Tribune.
