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Der rechte Weg zur Wahrheit.

Aus der September 1908-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ein Vortrag von gehalten in der Ersten Kirche Christi, des Scientisten, in Boston, Mass.,

Obgleich Jesus erklärte, die Wahrheit werde uns frei machen, so gibt es doch überall in der Christenheit Tausende von Männern und Frauen, welche in Verzweiflung die Worte des Pilatus wiederholen: „Was ist Wahrheit?” Hieraus ist zu ersehen, daß die Welt im allgemeinen aus irgend einem Grunde den richtigen Weg zur Wahrheit bis jetzt noch nicht gefunden hat. Überall hört man die Klage des Agnostikers, welcher behauptet, er könne in Bezug auf die grundsätzliche, endgültige Wahrheit nichts behaupten und nichts verneinen. Hierin widerlegt sich jedoch der Agnostizismus selbst, weil die Behauptung, daß man nichts behaupten und nichts verneinen könne, tatsächlich eine Behauptung und eine Verneinung ist. Wir finden deshalb gleich an der Eingangstüre der sogenannten agnostischen Philosophie der Verneinung einen verhängnisvollen Widerspruch. Die Philosophie der Wahrheit ist eine Philosophie der Behauptung und nicht der Verneinung.

Wenn wir beobachten, wie sich die Welt mit religiösen Problemen abmüht, so gewinnt die Frage, welches der richtige Weg zur Wahrheit sei, große Bedeutung für uns. Um diesen Weg zu finden, muß es uns zuallererst klar werden, warum so viele Menschen den Weg einschlagen, der nicht zur Wahrheit führt, und warum es auf demselben so viel Atheismus, Agnostizismus, Materialismus und religiösen Zweifel gibt.

Wenn man die Geistestätigkeit des Menschen genau analysiert, so findet man, daß entweder die induktive oder die deduktive Methode der Folgerung verfolgt wird. In den meisten Fällen ist es die erstere. Davon kann sich ein jeder aufmerksame Beobachter leicht überzeugen. Nun bringt uns aber die induktive Methode nie und nimmer zur Erkenntnis der grundsätzlichen, endgültigen Wahrheit — der Wahrheit, welche Bezug hat auf des Menschen Stellung im Weltall, auf das wahre Wesen Gottes, auf das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen und auf das traurige Problem im menschlichen Bewußtsein, welches das Problem des Übels genannt wird.

Wir finden, daß die Logiker des Altertums hauptsächlich die deduktive Methode verfolgten; so z. B. Aristoteles, dessen Methode oft die aristotelische genannt wird. Obgleich dieser große Philosoph in einem Lande wohnte, wo der Glaube an viele Götter vorherrschte, und obgleich er zu einer Zeit lebte, in welcher die Welt noch nicht von dem hellen Lichte des Evangeliums Christi erleuchtet war, so hatte er dennoch ein hinreichendes Verständnis der Wahrheit, um das Weltall in zwei Abteilungen einteilen zu können, nämlich in das „Noumenon,“ das Wesen oder die Substanz aller Dinge, und das „Phainomenon,“ die bloße Erscheinung der Wahrheit im Gegensatz zu der Wahrheit selbst. Diese Einteilung besteht bis auf den heutigen Tag.

Vor einigen Jahrhunderten erschien der große Denker und Philosoph, Lord Bacon — welcher der Welt am besten durch sein berühmtes Werk „Novum Organum“ bekannt ist —, und schlug ein neues philosophisches System vor — ein System, das wenigstens der damaligen Welt der Wissenschaft neu war, obgleich es im Grunde genommen von jeher in Anwendung gebracht wurde. Es ist das induktive System der Logik, welches in der neueren Zeit irrtümlicherweise das wissenschaftliche System der Logik genannt wird. In den Abhandlungen über Naturwissenschaft, welche seit Bacons Zeit erschienen sind, wird diese Methode fast ausschließlich verfolgt. Sie macht es sich zur Aufgabe, Tatsachen zu untersuchen, dieselben so viel als möglich zu gruppieren und dann die Gesetze, auf welche sie hindeuten, festzustellen. Daß diese Tatsachen wirkliche Tatsachen sind, ist natürlich bloß eine Annahme. Ich werde später auf diesen Punkt zurückkommen.

Vor etwas mehr als hundert Jahren stellte Hume die Behauptung auf, daß alle Kenntnis von außen komme; mit anderen Worten, daß wir uns alles, was wir wissen und wissen können, durch unsere sogenannten physischen Sinne aneignen. Diese Behauptung hat seither die ganze Weltliteratur beeinflußt. Der hinterlistige Irrtum, daß alle Kenntnis von außen komme, ist häufig in den Lehrbüchern der Volksschulen und der Universitäten zu finden und hat sich sogar in viele religiöse Werke und Abhandlungen eingeschlichen. Dieser Irrtum ist eine Verneinung aller geistigen Erkenntnis, aller göttlichen Eingebung und Offenbarung. Er behauptet, der Mensch könne nur vermittelst der sogenannten fünf Sinne wahrnehmen und habe nur in ihnen eine Basis des Denkens. Eine solche Theorie bildet die Grundlage des Materialismus. Wenn wir unsere Kenntnisse nur von außen erhalten und wenn es keine geistige Erkenntnis gibt, so beruht der Materialismus auf Wahrheit. Dann Lebewohl jede religiöse Hoffnung und Anregung, aller christliche Glaube, alles, was durch die Jahrhunderte das menschliche Denken und Handeln gereinigt und veredelt hat!

Ist die induktive Methode der Folgerung bei der Erforschung der wichtigen Wahrheiten des menschlichen Daseins anwendbar, oder ist sie zu diesem Zweck völlig wertlos? In ihrer natürlichen Sphäre ist sie manchmal von Nutzen. Sie kann z. B. angewandt werden, um falsche Theorien bloßzulegen.

Betrachten wir nun die materialistische Behauptung, welche seit Jahrhunderten gegolten hat, daß das Gehirn auf eine geheimnisvolle Weise Gedanken erzeuge, und daß das Denkvermögen ein unerklärliches Produkt der Gehirnmasse sei. Gibt es irgendwelche Tatsachen, welche dieses beweisen? Wie lange hat man doch schon vermittelst des Mikroskops und des Seziermessers im Gehirn nach Gedanken gesucht, ohne sie zu finden! Und dennoch behaupten die Vertreter der induktiven Methode, es sei dieses Gehirn der Schöpfer der Gedanken. Dadurch stoßen sie aber ihre eigenen Theorien um, indem sie nicht von bekannten und bewiesenen Tatsachen, sondern von bloßen Ansichten und Mutmaßungen ausgehen.

Die induktive Methode der Folgerung, in ihrer eigenen Sphäre angewandt, hat in der neueren Zeit den Beweis geliefert, daß die Theorien des Materialismus gänzlich falsch sind. Es ist nämlich durch anatomische Untersuchung bewiesen worden, daß das Gehirn durch Fallsucht, Wahnsinn und andere Krankheiten und Geisteszustände nicht beeinflußt wird; daß dasselbe beim Irrsinnigen und in den anderen Fällen in demselben Zustand ist wie vorher. Das Gehirn ist deshalb nicht das Organ, welches Gedanken erzeugt. Es kann sie ebensowenig erzeugen, als der Wachszylinder des Phonographen die menschliche Stimme erzeugen kann.

Ein Grund, warum die Wahrheit nicht vermittelst der induktiven Methode affirmativ festgestellt werden kann, liegt darin, daß diese Methode nicht alle Tatsachen in Betracht zieht. Wenn Sie von Tatsachen ausgehen, um die Wahrheit zu ergründen, so dürfen Sie keine Tatsachen unberücksichtigt lassen. Sie haben sozusagen einen ganzen Kreis von Tatsachen nötig. Ein Halbkreis kann nur täuschen und irreführen, wie die Erfahrungen der Physiker von Jahrzehnt zu Jahrzehnt klar bewiesen haben. So hat z. B. vor einigen Jahren die Entdeckung der Eigenschaften des Radiums viele der bestehenden Theorien in der Chemie umgestoßen. Ein anderer schwacher Punkt bei der Erforschung der Wahrheit nach der induktiven Methode ist der, daß viele Tatsachen, von denen aus diese Methode folgert, gar keine Tatsachen sind. Sie sind nur scheinbare Tatsachen. Ich werde diese Behauptung durch die eigenen Vertreter der induktiven Methode beweisen. Hierin sehen Sie wiederum, daß die induktive Methode zur Bloßstellung falscher Theorien manchmal Wert hat.

Die induktive Folgerung hat bewiesen, daß das sogenannte materielle Weltall nicht das wirkliche Weltall ist, sondern daß dasselbe nur aus Erscheinungen besteht, wie sie Aristoteles schon vor zwei Jahrtausenden klassifiziert hat. Diesen Punkt haben die Physiker in ihren Forschungen, in ihrem Streben, von sogenannten Tatsachen aus die Materie zu ergründen, jetzt erreicht. Ich bitte Sie, mich recht zu verstehen. Unter dem Wort Materie ist die Gesamtheit aller Erscheinungen des materiellen Weltalls, wie das menschliche Bewußtsein sich dasselbe vorstellt, gemeint. Seit Jahrhunderten haben die Physiker gesucht, das wahre Wesen der Materie zu ergründen. Sie gingen von ihren sogenannten Tatsachen aus und wollten vermittelst der induktiven Methode die Wahrheit über das materielle Weltall feststellen. Und was haben sie erreicht? Sie haben bewiesen, was die Materie nicht ist, aber nicht, was sie ist.

Diese Behauptung wird von dem großen Physiker und früheren Premierminister von England, Lord Balfour, unterstützt. Er führte vor etwa vier Jahren in einer Versammlung der Physiker Großbritanniens den Vorsitz und machte da folgende wichtige Bemerkung: „Die Naturwissenschaft erklärt jetzt die Materie dadurch, daß sie dieselbe wegerklärt.” Solcher Art ist das Resultat aller induktiven Folgerungen, welche von vermeintlichen Tatsachen ausgehen. Und warum? Weil diese sogenannten Tatsachen im Grunde genommen bloße Erscheinungen sind und nicht der Wahrheit des Daseins angehören. Leider wird die induktive Methode in der Christenheit immer noch sehr häufig angewandt, um die Wahrheiten des Daseins affirmativ festzustellen. Seit Jahrhunderten sind wir dazu angehalten worden, diese induktive Methode als die richtige anzuerkennen, obgleich die allgemeine Erfahrung bewiesen hat, daß man Gott nicht vermittelst des physischen Wahrnehmungsvermögens erkennen kann. Im Jahre 1875 wurde ein Buch herausgegeben, welches dieses induktive System der Folgerung größtenteils widerlegte und die deduktive Methode in Anwendung brachte. Dieses Buch heißt „Science and Health with Key to the Scriptures,“ und wurde von Mary Baker G. Eddy, der Führerin der Christian Science Bewegung, verfaßt. Mrs. Eddy gelangte auf dem deduktiven Wege zu der Folgerung, daß das, was wir Materie nennen, nicht existiert und keine Substanz ist. Trotz alles törichten Spottes und aller verknöcherten Vorurteile hat sie den einen wichtigen Punkt in der Philosophie des Christentums treu und unerschrocken vertreten, nämlich den, daß alle unsere Ansichten über die Wirklichkeit der Sünde, der Krankheit, des Leidens, des Todes usw. mit unseren falschen Meinungen über die Materie verknüpft sind und in denselben ihren Ursprung haben.

Wir wollen dieses deduktive System der Folgerung, wie es zur Erforschung der grundsätzlichen Wahrheiten des Christentums angewandt wird, etwas näher betrachten. Die deduktive Folgerung setzt eine Prämisse voraus. Sie nimmt eine gewisse Wahrheit als selbstverständlich an — macht sie zur Prämisse. Wenn man nun von diesem Punkte aus logisch zu Werke geht, so sind die Folgerungen richtig. Sie müssen richtig sein. Man kann bei der Anwendung der deduktiven Methode der Folgerung nur dann irregehen, wenn man entweder eine falsche Prämisse annimmt, oder wenn man von einer wahren Prämisse aus unlogisch folgert; anderenfalls führt uns diese Methode unfehlbar zur Wahrheit.

Mrs. Eddys Prämisse lautet: Gott hat Dasein. Sie findet es nicht für nötig, dies zu beweisen, und auch ich werde es nicht zu beweisen suchen. Ein jeder von Ihnen wird das als eine selbstverständliche Wahrheit anerkennen. Gott hat Dasein. Wenn wir nun nach der deduktiven Methode unsere Schlüsse ziehen, so folgt der ganze Bau und der ganze Inhalt der Christian Science Lehre und Ausübung als unausbleibliches Resultat. Gott hat Dasein; deshalb schließen wir, daß Gott sich immer gleich bleibt, oder, um es in den Worten des Apostels Paulus auszudrücken: „Es bleibe vielmehr also, daß Gott sei wahrhaftig und alle Menschen Lügner.” Da nun Gott sich selbst gleich bleibt, so müssen die Gesetze und die Herrschaft Gottes, die Werke Gottes, Seine Beweggründe und Taten — so muß alles was von Gott kommt, mit Seinem Wesen übereinstimmen. Die deduktive Methode bringt uns daher zu der natürlichen Folgerung, daß Gott allmächtig, allwissend und allgegenwärtig ist. Nun schließen wir weiter, daß man sich Gott nicht als ein verkörpertes oder physisches Wesen denken kann. Er ist Geist, der allgegenwärtige Geist, der unendliche Geist, die göttliche Intelligenz des Weltalls. Weil Er Gott ist, muß Er unendlich sein; Er muß gut sein; Er muß die Liebe und die Wahrheit sein, wie die Bibel erklärt. Sie können sich Gott nur als allmächtig, allgegenwärtig und allwissend denken — als den göttlichen Geist, die göttliche Intelligenz, als ewig, als gut, als Leben, Liebe und Wahrheit, als das göttliche Prinzip alles Daseins. Daß Gott anders sein könnte, als ich Ihn hier beschrieben habe, ist undenkbar. Diese Eigenschaften bilden die Basis des Lehrbuches der Christian Science, welches ich vorhin erwähnt habe.

Auf die Prämisse, welche die Christian Science in Bezug auf Gott einnimmt, folgt nach der deduktiven Methode die Folgerung, daß alle wirklichen Manifestationen der Intelligenz von Ihm kommen, denn Er ist Geist. Deshalb ist alle Intelligenz im höchsten Sinn des Wortes der Abglanz und die Manifestation des unendlichen Geistes; deshalb muß alles, was von Gott, dem Geiste, kommt, geistig sein. Die Materialisten sagen oft — ohne zu wissen, daß sie Materialisten sind —, der Mensch werde von den Naturgesetzen regiert. Nun gibt es aber keine Naturgesetze außerhalb der Gesetze Gottes; keine, die von den Gesetzen Gottes getrennt sind. Deshalb gehören alle Gesetze, deshalb gehört alle Macht Ihm an. Nach der deduktiven Folgerung muß daher alle wirkliche Macht in ihrem Ursprung geistig sein; und da sie in ihrem Ursprung geistig ist, so muß sie auch in ihrem Charakter und in ihrem Wesen geistig sein. Alles, was Gott erschaffen hat und was von Ihm kommt, ist geistig, denn Er ist Geist. Seine ganze Schöpfung ist ewig, unveränderlich und vollkommen, weil Er ewig unveränderlich und vollkommen ist. Alle wahren Kundgebungen des Geistes sind ewig, und weil sie ewig sind, so müssen sie vollkommen sein. Nur das, was zeitlich und unvollkommen ist, kann zerstört werden.

Ich möchte Ihnen diesen Punkt gerne durch ein Beispiel erklären. Gott ist also die Wahrheit. Nun wollen wir annehmen, ein Knabe hat gelernt und er glaubt, daß zwei mal zwei fünf sei, anstatt vier. Ist das Wahrheit? Nein, es ist nur eine falsche Annahme des Knaben. In dem Reich der Wahrheit hat diese Annahme keinen Raum. Was ist nun das Gegenmittel? Jesus hat uns dasselbe verschrieben, indem er sagte: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.” Alles, was der wahren Natur Gottes entgegengesetzt ist, muß ein falscher Begriff sein. Angenommen, einer von Ihnen denkt in diesem Augenblick, er könne durch die Übertretung irgend eines Gesetzes Gottes, welches den Menschen regiert, wahren Genuß und wahre Glückseligkeit erlangen. Eine solche Annahme wäre törichter und schädlicher als die Annahme des Knaben, daß zwei mal zwei fünf sei. Sie hat nicht den geringsten Wert, denn sie enthält keine Wahrheit. Jesus gab uns das wissenschaftliche Mittel gegen alles, was falsch ist, als er sagte, die Wahrheit werde uns frei machen.

Sind nun Sünde und Krankheit der deduktiven Folgerung nach ein Teil der Wahrheit des göttlichen Weltalls? Wir wissen gar wohl, daß sie unserem sogenannten physischen Wahrnehmungsvermögen und materiellen Bewußtsein als wahr erscheinen, auch leugnet Mr. Balfour, der Physiker, nicht, daß das Phänomen, welches wir Materie nennen, unseren physischen Sinnen wesentlich erscheint; in unserer Beweisführung kehren wir uns jedoch nicht an Erscheinungen. Wir verfolgen bloß den Pfad der Wahrheit und suchen festzustellen, was wahr und was unwahr ist, mögen auch die Erscheinungen sein was sie wollen. Man hört manchmal die Frage: Wenn Sünde, Leiden und dergl. nicht ein Teil der Wahrheit des menschlichen Daseins sind, wie Ihr Christian Scientisten behauptet, was sind sie dann? Wo haben sie ihren Ursprung? Wo kommen sie her?

Da die Christian Science von der Prämisse ausgeht, daß Gott Dasein hat, so muß die Antwort notwendigerweise die sein: Sünde und Krankheiten sind Wahnbegriffe, die keinen göttlichen, sondern einen menschlichen Ursprung haben. Sie gehören in das Reich des sich irrenden, menschlichen Bewußtseins und sind dem göttlichen Bewußtsein unbekannt. Sie repräsentieren das direkte Gegenteil des göttlichen Wesens, ebenso wie eine Unwahrheit der Wahrheit entgegengesetzt und mit derselben unvereinbar ist. Wenn nun Sünde und Krankheit nicht von Gott kommen, wo kommen sie dann her? Sie sind falsche, menschliche Annahmen. Sie haben in dem Reich der Wirklichkeit, in dem Weltall Gottes keine Existenz. Sie sind nur in dem wesenlosen, irrenden menschlichen Bewußtsein zu finden und repräsentieren deshalb die Unwirklichkeit, weil sie ihren Ursprung nicht in Gott haben, weil sie dem wahren Wesen Gottes widersprechen und weil sie deshalb als Tatsache oder Wahrheit undenkbar sind. Ich weise daher nochmals auf die Worte Jesu hin, daß uns die Wahrheit frei machen wird.

Als Jesus diese Worte sprach, war er mitten unter der sündigen, kranken und leidenden Volksmenge und verrichtete sein Liebeswerk, um die Menschheit von der Wahrheit seiner Lehren zu überzeugen. Aber mehr als das: er gebot seinen Nachfolgern aller Zeiten und in allen Ländern, daß sie dieselben Werke tun sollten; nicht nur aus Nächstenliebe, sondern auch deshalb, weil die Menschheit auf keine bessere Weise davon überzeugt werden kann, daß seine Lehren wahr und seine Verheißungen glaubwürdig sind. Als Jesus lehrte, die Wahrheit werde uns frei machen, bewies er dies dadurch, daß er die Sünde und die zahllosen körperlichen Leiden, welche in dem Verzeichnis des menschlichen Elends zu finden sind, vernichtete.

War es Jesu Absicht, irgendwelche Wahrheiten des Daseins zu überwinden, als er sagte, die Wahrheit werde uns frei machen? Wenn Sünde und Krankheit Wahrheiten des Daseins sind, würde dann die Erklärung Jesu, daß uns die Wahrheit frei machen werde, nicht gleichbedeutend gewesen sein mit der törichten Behauptung, daß uns die Wahrheit von dem befreien werde, was wahr ist? Jesus wollte mit diesen Worten sagen, daß Sünde, Krankheit und Tod nicht Wahrheiten des Daseins sind. Sein Leben, seine Lehren, seine Verheißungen, seine Werke waren alle Folgerungen von der Prämisse, daß Gott Dasein hat. Deshalb wußte er, daß nichts, was im Gegensatz zu Gott steht, ein Teil Seiner Schöpfung sein kann. Indem die Christian Science Sünde, Krankheit, Leiden und dergl. zu überwinden sucht, sieht sie dieselben nicht als einen Teil des menschlichen Daseins an, sondern als die Unwahrheiten des sich irrenden menschlichen Bewußtseins. Wir könnten sie unmöglich zerstören, wenn sie dem menschlichen Dasein angehören würden, oder mit anderen Worten, wenn sie ein Teil der göttlichen Weltordnung wären.

Erlauben Sie mir eine genauere Auseinandersetzung dieses Punktes. Angenommen, Sie sind der Überzeugung, daß Sie sich in Todesfällen in den vermeintlichen Willen Gottes fügen müssen, und daß Krankheit, Sünde, Tod und dergl. „unerklärliche Heimsuchungen Gottes” sind, wie man Sie gar oft versichert hat. Was ist die Folgerung einer solchen Annahme? Wenn Sie das denken und wirklich glauben, wie können Sie dann erwarten, daß Ihnen Arzneimittel, „das Gebet des Glaubens” oder irgend etwas anderes bei der Überwindung dessen, was von Gott kommt, behilflich sein könne? Beherzigen wir doch die Worte Jesu in Bezug auf diese Frage. Um für alle Zeiten und in allen Ländern jedem Zweifel vorzubeugen und denselben aus den Gedanken seiner Nachfolger zu entfernen, erklärte er sehr nachdrücklich, daß sein Werk der Zerstörung des Übels und der Krankheit das Werk des Vaters sei. Seine Worte lauteten: „Der Sohn kann nichts von ihm selber thun.” Aus dieser Erklärung schließen wir, daß er seine Werke aus Gehorsam gegen die ewigen Gesetze Gottes verrichtete, daß er im Einklang mit diesen Gesetzen handelte und daß Sünde, Krankheit und alle Arten von Leiden den Gesetzen Gottes gemäß überwunden werden können. Nach der deduktiven Methode folgt notwendigerweise, daß diese Übelstände nicht von Gott herrühren und daß sie nicht „unerklärliche Heimsuchungen Gottes” sind, welchen wir uns fügen müssen, weil sie den Willen Gottes kundgeben, sondern daß sie in Überstimmung mit Gottes Gesetz und Leitung überwunden werden können. Wenn Sie wirklich glauben, daß Krankheit und Sünde zur Wahrheit gehören oder daß sie das Resultat der göttlichen Gesetze sind, welche Ihr Dasein regieren, welches Recht haben Sie dann, Krankheit und Sünde zu überwinden? Wie können Sie sich unterstehen, den Absichten, dem Plan und der Leitung Gottes entgegenzuarbeiten?

Man hilft sich oft dadurch aus der Klemme, daß man behauptet, diese Dinge seien Disziplinarmittel zur Besserung der Menschen. Hat Gott solche Mittel nötig, um Sein Weltall mit Erfolg zu regieren? Denken Sie an eine arme Mutter, welche sich in angstvoller Ungewißheit über ihr krankes Kindlein beugt. Angenommen, diese Mutter hat gelernt und glaubt es endlich, daß der unendliche, allmächtige, allwissende Gott, der Gott der Liebe — daß dieser Gott aus irgend einem Grunde es in seinem Haushalt für nötig gefunden hat, ihrem armen Kindlein Krankheit und Schmerzen aufzuerlegen: denken Sie nicht, daß ein solcher Glaube die Mutter so weit bringen kann, daß sie das Dasein Gottes bezweifelt? Wie leicht führt doch die Lehre von einem strengen, vernunftwidrigen, unbeständigen und sich selbst widersprechenden Gott in die Verzweiflung des Atheismus! Wir müssen uns von dem Glauben an einen solchen Gott lossagen. Gott ist gut und es ist wahr, was die Bibel erklärt: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut” — nicht halb gut und halb schlecht.

(Schluß folgt.)

Copyright, 1908, by Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht 1908, von Mary Baker G. Eddy.

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