An einem Sonntagmorgen kurz vor Weihnachten merkte eine Lehrerin in einer Sonntagsschule der Christian Science, daß die kleinen Mädchen in ihrer Klasse ungewöhnlich unruhig waren. Sie suchte diese geheime Erregung dadurch zu beschwichtigen, daß sie sie Abschnitte der Lektionspredigt lesen ließ. Aber die gewöhnliche Anteilnahme und Unmittelbarkeit fehlte. Einen Augenblick lang war die Lehrerin bestürzt; denn sie schien der Lage nicht Herr zu werden. Während die Kinder daher laut Stellen aus der Bibel und dem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift" von Mary Baker Eddy lasen, suchte sie bei Gott Führung und bat demütig, daß der Irrtum, der das beabsichtigte Gute zu vereiteln suchte, aufgedeckt werde. Es kamen ihr die vertrauten Worte Christi Jesu in den Sinn (Matth. 18, 20): „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen."
Gleich darauf machte ein kleines Mädchen in der Klasse ihre Bibel zu, schob sie beiseite und sagte mit entschlossener Miene ruhig: „Wir sprachen über Christbäume, ehe Sie kamen. Bitte, können wir die Lektion heute nicht einmal übergehen und statt dessen über Christbäume sprechen?"
Obgleich die Lehrerin ein wenig überrascht war, ließ sie sich kein Mißfallen über diese herausfordernde Frage anmerken, sondern lächelte. Das war also der tückische Irrtum, der ihren Unterricht zu unterbrechen gesucht hatte! Sie hatte gebetet, daß er aufgedeckt werden möge; die nächste Aufgabe war, ihn zu zerstören. Das konnte jetzt nicht schwer sein, weil sie wußte, daß der Christus, die Wahrheit, „mitten unter ihnen" war.
Wie tückisch der Irrtum war, erkannte sie erst, als er sie im nächsten Augenblick zu dem Gedanken zu verleiten suchte, wie schön es wäre, die Freude in den Mienen der Kinder zu sehen, wenn sie ihnen erzählen würde, wie nach der Überlieferung der erste Christbaum entstand. Aber sie verwarf den Gedanken schnell als etwas Verkehrtes, da sie völlig vertraut war mit der Vorschrift für das Unterrichten in der Sonntagsschule, die unsere verehrte Führerin im Handbuch (Art. XX, Abschn. 2) gegeben hat: „Die Kinder in der Sonntagsschule sollen in der Schrift unterwiesen werden, und der Unterricht muß ihrem Verständnis angepaßt sein, sowie ihrer Fähigkeit, die einfachere Bedeutung des göttlichen Prinzips, das sie gelehrt werden, zu erfassen."
Die Kinder waren gekommen, um Gott besser verstehen zu lernen, und sie hatte kein größeres Verlangen als zu sehen, daß dies in Erfüllung ging. Sie betete, daß diese Sonntagmorgenstunde nicht nur lehrreich, sondern auch fruchtbar sein möge. Nachdenklich wiederholte sie das Wort „fruchtbar", das ihr in den Sinn gekommen war, und das Wort Bäume, das die Kinder geäußert hatten. „Natürlich", sagte sie laut, „fruchtbare Bäume! Die Worte gehören zusammen." Dann veranlaßte ein Engelgedanke sie, unwillkürlich das abwechselnde Lesen für die Woche im Vierteljahrsheft aufzuschlagen, und sie las laut Jesu Worte vor: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht" (Joh. 15, 5). Sie hatte diese Worte während der Woche oft gelesen; aber erst jetzt brachten sie tatsächlich „viele Frucht".
In zuversichtlichem Verlaß auf die Führung der Liebe machte sie es sich nun dankbar und freudig zur Aufgabe, das Denken der Kinder von der materiellen auf eine geistige Auffassung von Baum hinzulenken.
Zuerst sprachen sie von den vielen Eigenschaften, für die ein Baum ein Sinnbild sein kann. Ein Kind erwähnte die knorrige Eiche als einen Ausdruck großer Charakterstärke und der Zuverlässigkeit; ein anderes die Trauerweide, deren anmutig sich zur Erde neigenden Zweige Zartheit, Sanftmut und Ausgeglichenheit andeuten; ein anderes die herrlichen Riesentannen, deren Schatten und Schutz einen an den zum Schutze Seiner Kinder ausgestreckten Arm Gottes denken läßt. Sie dachten auch an die Obstbäume, die durch ihre Blütenpracht im Frühling die Erde verschönen und ein Sinnbild der Liebe und Güte Gottes sind. Und sie vergaßen nicht, daß nach der Blüte die Frucht kommt, die Versorgung bedeutet.
Da die Lehrerin jetzt vollständig überzeugt war, daß sie und die Kinder ein besseres Verständnis erlangten, sagte sie: „Nun wollen wir ganz am Anfang beginnen und unsern eigenen Christbaum machen. Stellen wir uns in Gedanken zuerst nur einen Baumstamm vor. Wir wollen sagen, er sei ein Sinnbild des Christus, der Wahrheit. Dann kommen die Zweige. Bekanntlich sagte Jesus: ‚Ihr seid die Zweige.' " Dann fragte sie, was diese Zweige, von denen Jesus sprach, wohl sein könnten. Mit ernsten Mienen dachten die Kinder einen Augenblick nach. Dann antworteten sie bestimmt und voller Vertrauen: „Die Zweige sind die geistigen Ideen Gottes."
Dann fragte sie die Kinder, ob die Völker der Welt heute der Heilung bedürfen.
„O, ja!" antworteten sie ohne Zögern.
Nun wurden sie auf die Stelle auf Seite 406 im Lehrbuch aufmerksam gemacht, wo Mrs. Eddy erklärt: „, Die Blätter des Holzes dienten zu der Gesundheit' der Völker. Sünde und Krankheit werden beide durch ein und dasselbe Prinzip geheilt. Das ‚Holz' verbildlicht das göttliche Prinzip des Menschen, welches jeder Notlage gewachsen ist und völlige Erlösung von Sünde, Krankheit und Tod gewährt."
Die Aufmerksamkeit und Beteiligung der Klasse waren aufs höchste gestiegen, als die Lehrerin jetzt fragte: „Was für Eigenschaften Gottes wären wohl die Blätter an unserem Baum?"
Freudestrahlend führte jedes eine geistige Eigenschaft an, die zu dem „göttlichen Prinzip" gehörte, „welches jeder Notlage gewachsen ist". Unverzüglich nannten sie als solche heilende Blätter Liebe, Güte, Gehorsam, Glauben, Wahrhaftigkeit, Freundlichkeit, Gleichmut, Freudigkeit, Gesundheit, Sicherheit, Reinheit, Überlegung. An viele dieser Eigenschaften erinnerten sie sich, weil sie sie von dem immer wiederholten Unterricht über die Bergpredigt kannten.
In tiefer Demut fragte die Lehrerin nun die Kinder, welcher Baum wertvoller sei, der nur für Weihnachten aufgestellte und geschmückte Tannenbaum, der dann weggetan wird und bald vergessen ist, oder „der Baum des Lebens", dessen heilende Blätter der ganzen Welt Freude bringen. Die Begeisterung und Freude in ihren Stimmen wird ihr unvergeßlich bleiben, als sie alle zusammen antworteten: „Selbstverständlich der Baum des Lebens!" Sie hatten nicht den geringsten Zweifel.
Mit ernsten Mienen und aufmerksam hörten die Kinder zu, als die Lehrerin ihnen weiter erklärte, daß der von Gott gepflanzte Baum immer gut und volkommen ist, und daß wir, wenn wir nicht die Früchte gottgleicher Eigenschaften hervorbrigen, wie der Baum wären, von dem Jesus sagte, daß er „abgehauen" werden muß, weil er „nicht gute Früchte bringt" (Matth. 7, 19).
Wenn der Mensch die geistigen Eigenschaften, mit denen Gott ihn in so reichem Maße ausgestattet hat, widerspiegelt und anwendet, wächst und erweitert sich sein Begriff von „dem Baum des Lebens". Dann kann es keine verdorrten und verwelkten Blätter der Unwirklichkeit wie Neid, Argwohn, Ungehorsam, Unfreundlichkeit und Krankheit geben, sondern es werden immer von neuem grüne, herrlich heilende Blätter der Liebe, der Duldsamkeit, des Verstehens und der Geduld wachsen. Dies sind fühlbare Eigenschaften; wir können ihre heilende Gegenwart empfinden, wenn wir und andere sie ausdrücken. Wie dankbar wir sein sollten, daß sie durch den Gebrauch nie abnehmen, daß sie auf keine Person, keinen Ort und kein Ding beschränkt sind, und nie vernichtet werden oder verloren gehen können!
Als am Schluß der Sonntagsschule die Glocke läutete, hatte die Klasse eine neue Bedeutung von „Bäumen“ erlangt, und die Lehrerin war dafür, daß sie den Vorschriften im Handbuch gehorsam geblieben war, reichlich belohnt, als sie die strahlenden Gesichter der befriedigten Kinder sah. Sie waren wahrlich von „dem Baum des Lebens“ gespeist worden.
Auf alle unsere Sonntagsschulkinder überall sind die Worte aus dem Buch des Jesaja (61, 3) anwendbar: „Daß sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise.“ Und die Worte aus der Feder unserer verehrten Führerin schließen einen an Weisheit und Liebe reichen Segen in sich (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 202): „‚Darin wird mein Vater geehrt, daß ihr viel Frucht bringet'. Gott segne diese von Ihm gepflanzte Rebe.“
Nähme man nur die Gelegenheit wahr, zu erfahren, welche Freude und welchen Lohn das Unterrichten in der Sonntagsschule der Christian Science mit sich bringt, so würde man diesem Vorrecht sofort nachkommen, wenn die Aufforderung ergeht, im Weinberg des Vaters zu pflanzen.
