Vor vielen Jahren wurde ich gebeten, in der informellen Gruppe Christlicher Wissenschaftler, der ich angehörte, als Leservertreterin zu fungieren. Das bedeutete, dass ich der Gemeinde die im Vierteljahresheft der Christlichen Wissenschaft enthaltene wöchentliche Bibellektion vorlesen musste.
Doch mein Leben lang hatte mich jede Tätigkeit, bei der ich öffentlich reden sollte – und sei es nur mit einem Verkäufer im Geschäft –, mit Schrecken erfüllt. Als Kind war es äußerst schwierig, im Schulunterricht aufgerufen zu werden.
Viele wichtige Entscheidungen waren von dieser augenscheinlichen Unzulänglichkeit betroffen, und ich ging sogar bestimmten Chancen am Arbeitsplatz aus dem Weg und bewertete Freundschaften auf dieser Grundlage.
Ich unternahm mehrere Versuche, die Sache zu überwinden, doch nichts schien auf Dauer zu funktionieren, und ich war jedes Mal wütend auf mich selbst.
Wir lesen in der Bibel, dass Gott Mose zum Pharao sandte, um die Kinder Israel zu befreien. Mose sagte Gott: „Ach mein Herr, ich bin von jeher kein beredter Mann gewesen, auch jetzt nicht, seitdem du mit deinem Knecht redest; denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge.“ Gott antwortete: „Wer hat dem Menschen den Mund geschaffen? ... So geh nun hin: Ich will mit deinem Mund sein und dich lehren, was du sagen sollst“ (2. Mose 4:10–12).
Ich dachte: „Wenn ich doch nur wie Mose meinen Widerstand überwinden und diese Aufgabe mit Mut ausführen könnte!“
Meine wahre Existenz war immer als das geliebte und vollkommen fähige Kind Gottes.
Rückblickend ist mir klar, dass ich diese Eigenart als Teil meines Charakters betrachtete, der mir mein Leben lang anhaften würde. Ich hatte den Glauben angenommen, eine von Gott, der göttlichen Liebe, getrennte Existenz haben zu können. Doch meine wahre Existenz war immer die des geliebten und vollständig fähigen Kindes Gottes. Kein legitimer Anspruch könnte mir meinen geistigen Fortschritt und meine natürliche, gottgegebene Freiheit verweigern.
Ich erlangte die Herrschaft über diese Redeangst nicht sehr schnell, doch jede Überwindung stärkte meine Entschlossenheit und demonstrierte das göttliche Gesetz der Befreiung.
Wir lesen in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy über Christus Jesus: „Die einzige höfliche Äußerung, die er für Irrtum übrig hatte, war: ‚Geh weg von mir, Satan!‘ (S. 7). Wir können es dem Meister-Metaphysiker nachmachen und Suggestionen einer Einschüchterung durch den Irrtum die Stirn bieten. Doch das muss keine Last sein! Jesus sagte seinen Nachfolgern immer wieder, dass alle seine Werke durch Gott, nicht ihn selbst möglich waren. Das Gefühl von Demut und Anerkennung der Erhabenheit von Gottes Wort ist befreiend.
Ich fing an, Gott zu loben und zu danken, wann immer ich meine Furcht überwand. Es war leicht, Gott zu loben, als ich mich von dem Problem ab- und diesem Satz von Paulus zuwandte: „Denn Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Timotheus 1:7).
Ich nahm eine Umstellung vor, nämlich egozentrisches Denken (das mir wie der „Geist der Furcht“ vorkam) gegen ein gottzentriertes Denken einzutauschen und für Gottes Engelsbotschaften offen zu sein.
In diesen Botschaften enthalten war die Erkenntnis, dass die geistige Bedeutung der Bibel und die Mary Baker Eddy offenbarten Worte von der höchsten Ebene kamen, nämlich Gott, und die Macht zu heilen enthielten! Als ich später gebeten wurde, Leservertreterin in den Gottesdiensten einer Vereinigung der Christlichen Wissenschaft zu sein, erkannte ich, dass die geistigen Botschaften, die ich aus der Bibel und Wissenschaft und Gesundheit, dem zwiefachen und unpersönlichen Pastor (siehe Mary Baker Eddy, Vermischte Schriften 1883–1896, S. 332), vorlas, meine von Gemüt gesteuerte Tätigkeit tragen würden.
Mein Denken wurde von dem Gefühl eines persönlichen Erfolgs oder Misserfolgs fort und hin zu der reinen Freude gelenkt, Bibelstellen und Worte aus Wissenschaft und Gesundheit weiterzugeben, selbst vor Publikum. Als mein Verständnis der geistigen Natur der Wirklichkeit wuchs, fiel es mir leichter, die Ideen in den wöchentlichen Bibellektionspredigten laut vorzulesen.
An einem Sonntagmorgen, als ich lesen sollte, war ich erkältet und verlor dann sogar meine Stimme. Auf dem kurzen Weg zur Kirche betete ich um die Überzeugung, dass sich einer richtigen Aktivität nichts in den Weg stellen kann.
In der Kirche war es während der Ansage des ersten Liedes offenkundig, dass meine Stimme nicht normal klang. Ich versuchte gar nicht erst zu singen, sondern schaute auf die Gemeinde. Dabei wurde mir die Wärme und heilende Unterstützung aller bewusst. Als der Zeitpunkt für die Auswahl aus der Heiligen Schrift gekommen war, konnte ich sie mit Überzeugung und klarer Stimme lesen.
Ich erfuhr später, dass Mitglieder der Gemeinde zur Unterstützung des Gottesdienstes gebetet hatten. Das war mir eine Lehre, täglich für mich selbst, die Gottesdienste, die Kirche und die Umgebung zu beten. Im Handbuch der Mutterkirche werden wir angewiesen, dass die „Gebete in den Kirchen der Christlichen Wissenschaft ... insgesamt und ausschließlich für die Gemeinden darzubringen“ sind (Mary Baker Eddy, S. 42). Ebenso wie ich für die Gemeinde betete, schlossen die Gebete der anderen mich ein, und dasselbe Gebet, das die anderen segnete, segnete auch mich. Auf diese Weise spiegeln wir die göttliche Liebe wechselseitig wider.
Viel Zeit ist seit meinen ersten ängstlichen Versuchen vergangen, „aus meinem Schneckenhaus“ zu kommen. Doch seitdem hatte ich das Privileg, sowohl Erste als auch Zweite Leserin in einer Vereinigung der Christlichen Wissenschaft zu sein. Einmal las ich acht Jahre lang in Folge.
Wenn ich heute als Leserin gewählt werde, kann ich das Amt mit freudiger Dankbarkeit und der Erwartung immer neuer Segnungen in Form des tieferen Studiums und der Erkenntnis ausfüllen, die die Vorbereitung des Lesers mit sich bringt.
Wie bei jeder Behauptung des Irrtums – ob Mangel, Krankheit oder sonstige Disharmonie – zeigt sich Furcht als Suggestion, die angenommen werden will. Beim ersten Auftreten ängstlicher Gedanken über öffentliches Reden kann ich nun die Suggestion als etwas durchschauen, das nicht meinem Denken entstammt, und die Versuchung abweisen, es gebe etwas, das nicht Bestandteil meiner wahren Identität ist. So kann ich die Freiheit, Gottes Willen für mich zu erfüllen, von ganzem Herzen annehmen und mich ihrer erfreuen.
Christine Weller