In meiner vierzigjährigen Berufstätigkeit als Anwalt sind mir gelegentlich Situationen begegnet, in denen Personen – zum Teil erfolgreich – versuchten, andere dazu zu bringen, Dinge zu tun oder zuzulassen, die sie sonst nie gutheißen würden. Eine dabei verwendete Taktik ist die Abwertung – ein Vorgang, bei dem man im Denken der Zielpersonen den ethischen Standard, der solch einem Vorgehen normalerweise im Wege steht, subtil und systematisch herabwürdigt. Abwertung zielt darauf ab, das Gute und Wahre zu zerstören; sie stiftet böswillig Verwirrung und ist von Grund auf unehrlich.
Allerdings ist sie nicht neu. Abwertung ist buchstäblich einer der ältesten Tricks in der Trickkiste. Das erste Kapitel der Genesis beschreibt, dass alles, was Gott erschaffen hat, sehr gut war. Doch in einer abweichenden Schöpfungsgeschichte in nachfolgenden Kapiteln wertet eine Schlange im Garten Eden den ethischen Standard – nach dem Gottes Gesetze befolgt werden – im Denken einer Bewohnerin des Gartens, nämlich Eva, ab.
Die Bibel erklärt, dass die Schlange listig war. Als Erstes hinterfragte sie die Existenz eines solchen Gesetzes und implizierte, dass es, falls es bestand, nicht Evas Nutzen diente und dass es unsinnig für sie war, es zu befolgen. Als Eva versuchte, Gottes Gesetz zu verteidigen, sagte ihr die Schlange, dass Gott sie täuschte – die Schlange warf Gott genau das vor, was sie selbst gerade tat! Und mithilfe dieser Taktik überzeugte sie Eva, dass ihr etwas Wertvolles entging, wenn sie ihren ethischen Standard aufrechterhielt. Man muss Eva zugutehalten, dass sie hinterher reuevoll zugab, wie sie sich von der Schlange dazu hatte manipulieren lassen, eine Lüge zu glauben.
Abwertung, wie hier von der Schlange verübt, ist das, was Mary Baker Eddy, die Entdeckerin der Christlichen Wissenschaft, als tierischen Magnetismus bezeichnet. Sie schreibt, dass tierischer Magnetismus „das sterbliche Gemüt zu irrigem Denken [treibt] und ... es zur Verübung von Taten [verführt], die der natürlichen Veranlagung fremd sind. Die Opfer verlieren ihre Individualität und lassen sich als williges Werkzeug benutzen, um die Pläne ihrer ärgsten Feinde auszuführen, nämlich derer, die ihre Selbstzerstörung beabsichtigen. Der tierische Magnetismus nährt argwöhnisches Misstrauen, wo Ehre gebührt; Furcht, wo Mut am stärksten sein sollte; Vertrauen, wo Vorsicht walten sollte; ein Gefühl der Sicherheit, wo größte Gefahr ist ...“ (Die Erste Kirche Christi, Wissenschaftler, und Verschiedenes, S. 211). Genau das ist bei Eva geschehen.
Jahrelang fand ich es in gewisser Weise tröstlich, bestimmte Personen des öffentlichen Lebens zu verachten, weil sie Wahrheit, Bescheidenheit, Rücksicht und Gesetzestreue abwerteten. Und dann wurde mir vor ein paar Jahren klar, dass ich durch diese Verachtung selbst einen ethischen Standard herabwürdigte, noch dazu einen, den Jesus uns vorgegeben hat: „Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut denen Gutes, die euch hassen, betet für die, die euch beleidigen und verfolgen“ (Matthäus 5:44).
Mir wurde bewusst, dass ich diese Verachtung aufgeben musste – doch gehorsam zu sein fiel mir schwer. Ich machte erst Fortschritte, als ich mich fragte, ob Gott den Gegenstand meiner Geringschätzung liebte. Das hatte überraschende Folgen.
Schon allein die Frage setzte eine Änderung meiner Denkweise über diese Personen in Gang. Wir lesen in der Bibel, dass Gott sagte: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr; sondern so fiel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“ (Jesaja 55:8, 9). Somit war es erforderlich, dass ich meine falschen Vorstellungen über diese Personen aufgab – dass ich aufhörte zu sagen: „Nein, Gott, Du begreifst nicht; lass mich erklären: Diese Leute sind schrecklich!“ – und stattdessen danach strebte, Gottes Sichtweise von ihnen, Seinen Kindern, zu begreifen.
Erschafft Gott schreckliche Menschen? Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift (S. 444): „Die Unsterblichen, oder die Kinder Gottes in der göttlichen Wissenschaft, sind eine harmonische Familie ...“, fügt dann aber hinzu: „... die Sterblichen oder die ‚Menschenkinder‘ im materiellen Sinne sind unharmonisch und oft falsche Brüder. “ Und an anderer Stelle im selben Buch (S. 409) schreibt sie: „Der wirkliche Mensch ist geistig und unsterblich, aber die sterblichen und unvollkommenen sogenannten ‚Menschenkinder‘ sind Fälschungen von Anfang an, die zugunsten der reinen Wirklichkeit abgelegt werden müssen.“
Mrs. Eddy verstand so klar, was Jesus wusste und lehrte: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich rede, die sind Geist und sind Leben“ (Johannes 6:63). Die Botschaft ist, dass die materielle Existenz nicht das wahre Leben ist, und das bedeutet, dass Gott diese Existenz nicht erschaffen hat. Vielmehr konzipiert Gott, das göttliche Gemüt, vollkommene, geistige Ideen, und diese gottähnlichen Ideen machen daher die Schöpfung aus.
Damit stellt sich die Frage: Wie reagiere ich auf diese Tatsache? Und konkret: Wie kann ich „diese Leute“ wirklich lieben?
Es ist eine Erleichterung zu wissen, dass niemand von uns gezwungen wird, Liebe zu generieren oder von irgendwo anders herzuholen und dann auf die vorliegende Situation anzuwenden. Vielmehr sind wir gefordert anzuerkennen, dass Gott Liebe ist und dass Seine Liebe daher bereits zugegen – von Natur aus in uns allen vorhanden – ist, denn „die göttliche Liebe kann ihrer Manifestation oder ihres Gegenstandes nicht beraubt werden“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 304). Wir alle als Schöpfung der Liebe sind sowohl die Manifestation als auch das Objekt der göttlichen Liebe.
Dieser Wahrheit zu folgen hat mich – trotz der abwertenden Handlungen von Personen und meiner Reaktion darauf – zunehmend befähigt, Gottes Liebe zu diesen Personen und mir wahrzunehmen und ferner das anzuerkennen, was Gott auf dieser Grundlage über unsere Natur weiß, und diese Natur kann ich lieben. Für mich hat sich das als willkommener Schritt nach vorn erwiesen. Doch ein wesentlicher Teil dieser Liebe – und der fordert beständigen Einsatz meinerseits – ist, meine vorherige Überzeugung von der Existenz böswilliger Egos aufzugeben, denn es gibt kein von dem einen unendlichen Gemüt, Gott, getrenntes Ego.
Das kann schwierig sein, doch ich praktiziere es, wenn ich an diejenigen denke, die meiner Ansicht nach von Abwertung betroffen sind. Ich habe erkannt, dass es nicht meine Aufgabe ist, andere von einer eingebildeten Stellung höherer menschlicher Weisheit aus zu belehren oder zu ändern. Meine Aufgabe besteht darin, meine Wahrnehmung anderer und von mir selbst demütig auf der Grundlage dessen zu berichtigen, was Gott über unsere Natur weiß, und folgende Tatsache aus Wissenschaft und Gesundheit (S. 204) anzuerkennen: „... in der Wissenschaft kann man niemals sagen, dass der Mensch ein eigenes Gemüt habe, das sich von Gott unterscheidet, von dem Gemüt, das alles ist.“
Betrachten wir das einmal näher. Die geistige Tatsache ist, dass es kein „von Gott getrenntes“ Ego und somit kein böses Ego gibt, das durch Abwertung dazu bewegt wird, etwas zu tun, andere zu hassen oder sich täuschen zu lassen. Das befähigt mich, mir in Situationen, in denen ich etwas Abweichendes denken könnte, mit Autorität und guten Ergebnissen zu sagen: „Das ist nicht mein Denken! Ich kann mir nur dessen bewusst sein, was Gott über die Natur jedes Seiner Kinder weiß.“
Das bedeutet nicht, dass wir den Anspruch ignorieren, der Abwertung zugrunde liegt. Im Hinblick auf „das unsichtbare Unrecht ..., das einzelnen oder der Gesellschaft angetan wird“, mahnt Mrs. Eddy (Verschiedenes, S. 211): „Dieser irrige Weg, das Verbergen der Sünde, um Harmonie aufrechtzuerhalten, lässt das Böse gewähren und gibt ihm die Freiheit, zunächst zu schwelen und dann in verzehrende Flammen auszubrechen. Alles, was der Irrtum verlangt, ist, in Ruhe gelassen zu werden; ebenso wie zu Jesu Zeit die unsauberen Geister ausriefen: ‚Was willst du von uns?‘“
Wir dürfen Abwertung also nicht zulassen. Wenn wir sie so aufdecken und verurteilen, wie die göttliche Weisheit es uns vorgibt, müssen wir erkennen, dass sie nichts als ein falscher, sterblicher Glaube ist – Gott hat Abwertung nicht erschaffen und auch nicht einem Seiner Kinder zugeordnet.
Der sechste Glaubenssatz der Christlichen Wissenschaft (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 497) enthält das feierliche Gelöbnis, das Gemüt anzustreben, das auch in Christus Jesus war. Und Mrs. Eddy beschreibt etwas von dem, was das von Jesus zum Ausdruck gebrachte Gemüt wahrnimmt: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint“ (ebd., S. 476–477).
Heute ziehe ich diesen Glaubenssatz und den danach zitierten Satz in Betracht, wenn ich versucht bin, jemanden als einen sündigen Sterblichen zu betrachten, der meiner Geringschätzung würdig ist. Ich gelobe in meinen Gebeten feierlich, zu wachen und zu beten, um in der Wissenschaft nur das zu sehen und zu lieben, was Gott über die Natur der jeweiligen Person weiß. Das gelingt mal besser und mal schlechter, doch es hält der Prüfung jedes Gebets stand (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 9) und fügt Gutes zur Waagschale des menschlichen Bewusstseins hinzu.
Ich fasse Mut durch die wachsende Überzeugung, dass dies eines der wichtigsten Dinge ist, die ich für die Welt tun kann.
