In der 11. Klasse fühlte ich mich plötzlich wie eine Versagerin – wertlos, alleingelassen, mit Akne und mit Schwierigkeiten, im Unterricht mitzukommen. Meine Zensuren waren abgerutscht; ich konnte mich nicht konzentrieren und auch keine gute Zukunft für mich erkennen. Und als die Berufsberaterin mir sagte, ich sei fürs College ungeeignet, glaubte ich, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Die Versuchung, Selbstmitleid und Depression nachzugeben, war damals sehr groß, doch meine Eltern hatten möglicherweise erkannt, dass ich eine mental erhebende Umgebung brauchte, und schickten mich in ein Sommerlager für Christliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Diese Wochen erwiesen sich als enormer Segen! Die Lagerleitung und die Betreuerinnen und Betreuer sahen alle Beteiligten als Gottes vollständige, vollkommene Schöpfung, die alles hatten, was sie brauchten, um zu gedeihen und Fortschritte zu machen. Es war eine Zeit fröhlicher Aktivitäten, wertvoller Freundschaften und befriedigender Errungenschaften.
Doch vor allem war es der Anfang der Erkenntnis, was es bedeutet, Gottes Meisterwerk zu sein, und wie jede und jeder von uns nachvollziehen kann, wie dieses Ideal sich in unserer jeweiligen Erfahrung entfaltet.
Bei dem Wort Meisterwerk muss ich oft an Michelangelos wunderschöne Statue von David als jungem Hirten denken, der einen Riesen besiegt hat, dem sich keiner der erfahrenen Krieger in der Armee Israels zu stellen wagte. Bevor Michelangelo angefangen hatte, den Stein zu meißeln, hatten sich einige andere Bildhauer an diesem extrem großen Stück Marmor versucht, waren aber zu dem Schluss gekommen, dass die Unreinheiten in der Maserung dieses besondere Stück unbrauchbar machten. Doch der junge Michelangelo war zuversichtlich, dass er den Marmor bearbeiten konnte, und als er fertig war, präsentierte er diese wundervolle Figur des David.
Auf die Frage, wie er seine Meisterwerke hervorbrachte, sagte er der Überlieferung zufolge: „Die Skulptur ist bereits vollständig im Marmor enthalten, bevor ich anfange. ... Ich muss nur das überschüssige Material entfernen.“
Ich bin von dem Konzept begeistert, dass die Skulptur bereits vollständig im Stein enthalten war; er musste nur alles entfernen, das dem Vorbild in seinem Denken nicht entsprach.
Als ich mehr über mein wahres Wesen als Bild und Gleichnis Gottes, des vollkommenen Geistes, erfuhr, erkannte ich, dass ich das ebenfalls tun musste. Wir fühlen uns vielleicht manchmal wie ein unvollkommenes Stück Materie ohne sinngerichtete Identität, doch das ist nichts als eine fehlerhafte materielle Sichtweise, die wir ohne es zu merken als über uns zutreffend akzeptiert haben. Auch wir können anfangen, alles aus unserem Bewusstsein herauszumeißeln, was nicht mit unserem wahren Vorbild – dem Gott-ähnlichen Menschen, den Christus Jesus veranschaulicht hat – übereinstimmt.
Mary Baker Eddy erklärt im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, wie man das tut: „Der Bildhauer wendet sich vom Marmor seinem Modell zu, um seine Vorstellung zu vervollkommnen. Wir alle sind Bildhauer, die an unterschiedlichen Formen arbeiten, den Gedanken gestalten und meißeln. Was für ein Vorbild hat das sterbliche Gemüt? Ist es Unvollkommenheit, Vergnügen, Kummer, Sünde, Leiden? Hast du das sterbliche Vorbild akzeptiert? Bildest du es nach? Dann wirst du bei deiner Arbeit von bösartigen Bildhauern und scheußlichen Gestalten heimgesucht. Hörst du nicht von der ganzen Menschheit über das unvollkommene Vorbild? Die Welt hält es dir beständig vor Augen. Als Folge davon neigst du dazu, diesen niederen Mustern zu folgen, deine Lebensarbeit zu begrenzen und die verwinkelten Konturen und Missbildungen materieller Vorbilder in deine Erfahrung aufzunehmen“ (S. 248).
Wenn wir verinnerlichen, was wir im Internet, Fernsehen, Kino, in Zeitschriften oder sogar im Familien- und Freundeskreis über uns lesen und hören, dann sind wir vielleicht versucht zu glauben, wir seien materiell, begrenzt, inkompetent, gestört, unvollständig, ein Sonderling. Das kommt, weil die weltliche Sicht besagt, dass alle Menschen der Vererbung und anderen angeblichen physischen Gesetzen unterliegen und von ihrer Ausbildung, ihrem familiären Hintergrund, ihren Fehlern und den Ungerechtigkeiten definiert werden, die sie erlitten haben. Doch all das ist eine falsche, sterbliche Geschichte, die niemals auf Gottes Kinder zutrifft. Tatsache ist, dass Geist, Gott, uns alle zum göttlichen Ebenbild erschaffen hat, und Gott verliert niemals die Kontrolle über Seine vollkommene, geistige Widerspiegelung – Sie und mich.
Die Stelle aus Wissenschaft und Gesundheit lautet weiter: „Um dem abzuhelfen, müssen wir zuerst unseren Blick in die richtige Richtung lenken und dann in diese Richtung gehen. Wir müssen vollkommene Vorbilder im Denken formen und ständig auf sie schauen, sonst werden wir sie niemals zu einem großartigen und edlen Leben ausgestalten. Lasst Selbstlosigkeit, Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Gesundheit, Heiligkeit, Liebe – das Himmelreich – in uns herrschen, und Sünde, Krankheit und Tod werden abnehmen, bis sie schließlich verschwinden.“
Da wir die Kinder unseres Vater-Mutter-Gottes, der unendlichen Liebe, sind, ist es völlig natürlich für uns, liebevoll und liebenswert, selbstlos und mitfühlend zu sein. Da Gott, göttliches Gemüt, das einzige Gemüt ist und uns alle erschafft und regiert, ist es natürlich für uns, Weisheit, Kreativität, Verständnis und Zuversicht zum Ausdruck zu bringen. Da Gott unendlich gut ist, ist es selbstverständlich für uns, mit allen richtigen Ideen ausgestattet zu sein, Erfolg zu haben und zu gedeihen.
Michelangelo liebte Gott sehr und betrachtete Ihn als die Quelle seiner Kreativität und Inspiration. Folgende Aussagen schreibt man ihm immer wieder zu: „Das wahre Kunstwerk ist nur ein Schatten der göttlichen Vollkommenheit“; „Ich lebe und liebe in Gottes besonderem Licht“ und „Ich arbeite aus Liebe zu Gott und setze alle meine Hoffnung auf Ihn.“
Wenn wir Gott und nicht uns selbst in unserem Herzen an erste Stelle setzen und Gott als die Quelle unserer wahren Identität erkennen, dann ist es, als würden wir überflüssiges Material wegmeißeln – wir entfernen sämtliche ungeistigen, negativen Eigenschaften von unserem Bewusstsein, sodass das von Gott erschaffene Meisterwerk zum Vorschein kommt, das schon immer als unser wahres Wesen existiert hat.
Während meiner Zeit im Sommerlager fing ich an, auf meine Gedanken zu achten und diejenigen zu entfernen, die nicht von der göttlichen Liebe kamen. Ich war bestrebt, die geistigen Eigenschaften für mich zu behaupten und umzusetzen, die Christus Jesus lehrte und lebte. Als die 12. Klasse begann, konzentrierte ich mich nicht auf mich und meine Unzulänglichkeiten, sondern schloss alle Menschen in meine Gebete ein; ich sah mich und alle anderen als Gott-ähnlich, die Widerspiegelung Gottes. Ich belegte fortgeschrittene Kurse, schloss die Schule mit einem guten Durchschnitt ab und gehörte am Ende zu den Besten. In jenem Jahr hatte ich tolle Freundschaften begonnen und an sehr lohnenswerten Aktivitäten teilgenommen. All das führte dazu, dass ich auf ein College ging, dann ein Aufbaustudium absolvierte und anschließend Jura studierte. Ich fand immer mehr Freiheit, Herrschaft und Zuversicht, als ich beharrlich das geistige Modell der Schöpfung Gottes im Auge behielt. Und die Akne verschwand ebenfalls ganz natürlich.
Wir haben uns nicht selbst erschaffen – das hätte unzuverlässige und unsichere Ergebnisse! Auch wurde niemand von uns nach einem materiellen Vorbild geformt. Das Verständnis, dass wir bereits das exquisite Meisterwerk des Geistes sind, gibt uns die Freiheit, unsere Rolle als Bildhauerinnen und Bildhauer zu erfüllen, die „den Gedanken gestalten und meißeln“, um alles zu entfernen, was dem Christus-ähnlichen Menschen nicht entspricht. Und dann können wir, wie Michelangelo, mehr und mehr von Gottes brillantem, göttlichem Vorbild erkennen, das in jeder und jedem von uns manifestiert wird.
