Jedes Projekt, das ich in Angriff nehme, beginnt mit folgenden Worten: Lege den Engel frei. Ganz gleich, ob ich etwas male, ein Gebäude entwerfe oder einen Artikel (wie diesen) schreibe – diese Worte fordern mich auf, im Geiste von Michelangelo zu arbeiten, der seine Kunst folgendermaßen beschrieb: „Ich sah den Engel im Marmor und meißelte, bis er freigelegt war.“
Dieser großartige italienische Bildhauer, Maler und Architekt ging vom Ergebnis aus. Er wusste, dass der Engel bereits existierte. Er entfernte alles, was dem Ideal in seinem Denken nicht entsprach, und so konnte er dieses Ideal ganz einfach ans Licht bringen. Er konnte den Engel freilegen, da dieser bereits vorhanden war.
Michelangelos Beschreibung des Engels im Marmor führt uns zu einer umfassenderen metaphysischen Erkenntnis. Mary Baker Eddy definierte Engel als „Gottes Gedanken, die zum Menschen kommen; geistige Intuitionen, ... die Inspiration der Güte ...“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 581). Wir sind von diesen Engeln umgeben. Sie sind bereits bei uns. Geistige Intuitionen und gute Inspirationen, die Seele ausstrahlen, überwinden in jedem Moment den Nebel der Sterblichkeit und bewegen uns dazu, mit Schönheit und Ehrfurcht, Schwung und Eleganz zu tanzen und zu musizieren, Filme zu machen und zu schauspielern, zu entwerfen, zu kochen, zu schreiben, zu komponieren und zu singen.
Kreativer Ausdruck ist bereits in uns enthalten; er fließt frei und beständig aus Seele, Gott, der Quelle uneingeschränkter, ja sogar atemberaubender künstlerischer Talente, hochwertiger Fertigkeiten und kreativer Kraft.
Wir müssen nur all das fortmeißeln, was dem Ideal unserer wirklichen Existenz unähnlich ist. Wir müssen fortfahren, bis wir uns selbst freigelegt haben; bis wir die tiefe Gegenwart und Macht der Seele fühlen, die uns von allem befreit, was unsere Freiheit hemmt. Wenn ich das tue – wenn ich den Engel mithilfe von wissenschaftlichem Gebet „freilege“ –, ist es erheblich einfacher, ihn in meiner Arbeit zutage zu fördern.
Diese Herangehensweise kann jeder Mensch anwenden; sie ist nicht nur im künstlerischen Bereich nützlich, sondern auch, wenn es um das Schaffen von Industrierobotern, Traktoren, Computern oder um andere Dinge im Leben geht, wie den Stundenplan, eine Dissertation, eine Konferenz, ein Start-up, die Menüplanung oder um eine völlig neue kulinarische Kreation.
Egal welcher Bereich der Kreativität bei Ihren Tätigkeiten gefragt ist, Sie können immer daran denken: Lege den Engel frei.
Gedanken meißeln
Wenn wir unser Bewusstsein formen müssen, um den Engel, der unser ideales Wesen offenbart, in uns freizulegen, geht das mit folgenden Fragen einher: Wie stellen wir uns unser ideales Wesen vor? Wie sehen wir uns in Bezug zur wirklichen Quelle der kreativen Macht?
Sind wir selbst diese Quelle? Oder ist die Quelle größer als wir? Woher entspringen unsere Kreativität und Originalität, unsere künstlerische Identität und Stimme, unsere sich entfaltende Meisterschaft und Entwicklung – und unsere Wertschätzung von Kunst? Aus einem materiellen Gehirn? Aus einer Mischung aus materiellem Gehirn und einer persönlichen, einzigartig ausgestatteten Seele? Oder entstammen unsere kreativen Ressourcen und Energien der unendlichen Quelle, der einen universalen göttlichen Seele, die keinen begrenzten Horizont kennt, sondern nur Horizonte der Unendlichkeit; keine Hürden, sondern nur unbegrenzte Pfade der Freiheit; keine Abstufungen des Talents und Könnens, sondern Gipfel der Exzellenz? Seele, die heller scheint als alle Sterne in allen Galaxien eines unendlichen Universums. Seele, die unbegrenzt ist.
Sich anderen Quellen als Seele zuzuwenden kann in Frustration und Verzweiflung, Rivalität, Neid und Ego-Trips enden, die zwischen Minderwertigkeits- und Überlegenheitskomplexen hin und her pendeln. Doch wenn man Seele wählt – sich selbst bewusst korrekt als Ausdruck des göttlichen Geistes sieht, für den Seele ein Synonym ist, dann wird Seele das Denken formen und alles entfernen, was dem Engel in uns unähnlich ist. Dann fallen Selbstsucht, Angst und Ehrgeiz von einem ab. Man fühlt sich von der „beseelenden“ Energie des Mutes, der Zuversicht und der gelassenen Heiterkeit angetrieben, während man in das von Licht erfüllte Universum unendlicher Möglichkeiten schaut. Von Seele erzeugte Kreativität wird so sicher zu Ihnen hin- und durch Sie hindurchfließen, wie Stahl von Magneten angezogen wird. Sehen Sie sich (und andere) als den einzigartigen und unendlich talentierten Ausdruck der einen Seele, und Sie werden die Versicherung der von Gott stammenden Botschaft des grenzenlosen Potenzials und der unendlichen Erfüllung empfinden, die uns durch die Bibel vermittelt wird: „Ich kenne deine Werke. Sieh, ich habe vor dir eine offene Tür gegeben, und niemand kann sie zuschließen“ (Offenbarung 3:8).
Wir könnten uns ferner fragen: Wie sieht unsere eine universale Seele, Gott, uns? Betrachtet Seele uns als verletzliche, körperliche Wesen, die Schwierigkeiten, Verfall und Tod ausgesetzt sind, der Seele ungleich?! Oder sieht uns Seele als vollständig geistig und somit unzerstörbar, unsterblich und zu Gutem ermächtigt? Gleiches erzeugt logischerweise Gleiches. Von dieser Perspektive aus können wir unser ideales Wesen noch klarer erkennen.
Wir alle müssen selbst wählen, wie wir uns sehen – materiell oder geistig – und wohin wir uns wenden, um Inspiration und künstlerisches Licht zu erhalten: entweder bei den zermalmenden Klippen der Materie oder den erhebenden Seelen-Wassern der Geistigkeit. Wird unser persönliches Ego oder die universale Seele unsere Gedanken meißeln?
Einen neuen Weg ebnen
Sie können entweder den gut markierten Weg nehmen oder einen neuen ebnen. Das 1920 erschienene Gedicht des US-Dichters Robert Frost, „Der Weg, den ich nicht nahm“, spricht sich für diese Wahl aus. Frost ermuntert uns zu überlegen, welche Vorteile uns der weniger befahrene Weg bringen kann. Bei meiner Arbeit als Architekt und Maler habe ich mich für einen weniger befahrenen Weg entschieden. Ich schreibe dies meinem Vertrauen zu, dass Seele, Gemüt, Leben (Synonyme für Gott), die den Forschungsgeist in mir wecken, dieses Verlangen auch umsetzen werden. Und tatsächlich hat die Hoffnung und Erwartung, den weniger befahrenen Weg zu nehmen, meinem Wachstum und meiner künstlerischen Entwicklung großen Nutzen gebracht, und zwar auf überraschend reichhaltige Weise.
Die Bibel versichert uns für unsere Reise auf unserem individuellen Pfad wiederum, dass alles in Ordnung sein wird: „Sieh, ich sende einen Engel vor dir her, der dich auf dem Weg behüten und dich an den Ort bringen soll, den ich bereitet habe“ (2. Mose 23:20). Ich bin sicher, dass das nicht nur auf Mose, sondern – immer – auf alle Menschen zutrifft. Die „geistigen Intuitionen“ der Seele gehen vor uns her. Seele wird uns an den künstlerischen Platz bringen, den sie für uns bereitet hat – sodass wir den Engel unserer einzigartigen Kunst freilegen können.
Erfreuen Sie sich also an Ihrer unzerstörbaren, wissenschaftlichen Einheit mit Seele! Lassen Sie sich von Seele lenken. Lassen Sie sich von Seele inspirieren, wenn Sie Ihr Leben und Ihre künstlerische Entwicklung komponieren, gestalten, schaffen, formen und planen. Lassen Sie Seele die Leinwand Ihres Lebens füllen. Lassen Sie sich von Seele führen, wenn Sie einen neuen Weg ebnen.
Einkommen erwarten
Viele Künstlerinnen und Künstler haben finanzielle Probleme. Doch wir können die Vorstellung vom „hungerleidenden Künstler“ zurückweisen, denn Seele sieht keine unglücklichen Menschen vor. Es ist angemessen, dass Künstlerinnen und Künstler ausreichend Geld und sonstige Versorgung haben, um davon zu leben und sogar gedeihen zu können! Mir ist dabei ein klarer mentaler Standpunkt zugutegekommen, der mich den falschen Regeln der Sterblichkeit haushoch überlegen sein lässt. Wenn wir eine klare, geistige Erkenntnis der Wirklichkeit erlangen, dann passt sich unser Alltag auf wundervolle Weise dieser Wirklichkeit an. Wenn wir also diese beiden Schlüsselaspekte der geistigen Wirklichkeit – Ausgeglichenheit und Fülle – wirklich klar verstehen, können wir erwarten, greifbare Beweise dieses Zusammenspiels in unserem Leben zu erkennen.
Kreativität und Einkommen haben dieselbe Quelle: Seele. Seele stellt uns nicht nur reichhaltig Kreativität bereit, sondern gibt uns auch reichhaltig Gelegenheiten, sie auszudrücken und für sie belohnt zu werden. Erwarten Sie, dieses geistige Gesetz von Angebot und Nachfrage selbst zu erleben. Erwarten Sie, dass die Nachfrage nach Ihren Talenten mit dem Reichtum Ihrer Talente einhergeht. Erwarten Sie Einkommen.
Eine metaphysische Kämpferin bzw. ein metaphysischer Kämpfer sein
Diese erwartungsvolle Haltung ist eine metaphysische Haltung – sie ist auf Lebensprinzipien ausgerichtet, die den materiellen Sinnen entgehen, unserem geistigen Sinn aber deutlich sind. Ohne diese metaphysische Grundhaltung wäre ich vermutlich wie bei einer Reifenpanne liegengeblieben, unfähig und zu entmutigt, um weiterzumachen. Stattdessen habe ich mir folgende Worte von Mary Baker Eddy zum Motto gemacht: „Tritt jedem widrigen Umstand als sein Meister entgegen“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 419).
Ich mache mir diese Forderung jeden Tag aufs Neue bewusst, denn allzu häufig neige ich dazu, mich von jedem widrigen Umstand erst einmal zum Spielball machen zu lassen. Dann weiß ich nicht weiter, bin ratlos bezüglich dessen, was passiert, und entmutigt, bis ich den Schalter umlege und mir wieder einfällt, dass wir von Gott dazu ermächtigt sind, jedem widrigen Umstand als sein Meister entgegenzutreten!
Alle Künstlerinnen und Künstler – und alle anderen, die in der Kunst des Lebens weiter wachsen und sich entwickeln möchten – können im Gebet widrigen Umständen mit der Stärke einer metaphysischen Kämpferin oder eines metaphysischen Kämpfers entgegentreten, die oder der durch geistige Kraft und Gelassenheit Beweise der absolut herrschenden und koordinierenden Kraft der göttlichen Seele erwarten kann. Sie können darauf vertrauen, dass Seele sämtliche Hürden entfernen, Stolpersteine aus dem Weg räumen und alle Elemente in der Gestaltung Ihres Lebens sinnvoll und kreativ anordnen wird. Rebellieren Sie hartnäckig gegen die unrechtmäßige Autorität widriger Umstände. Seien Sie eine metaphysische Kämpferin bzw. ein metaphysischer Kämpfer.
Erst lauschen
Folgendes habe ich gelernt: Erst lauschen, dann handeln. Lauschen Sie auf die leise innere Stimme, denn das ist die Stimme der Seele, die Ihnen aufträgt, diesen oder jenen Weg zu nehmen. Oder aber innezuhalten und – vorerst – nichts zu tun. Ich habe gelernt, dieser inneren Kraft zu vertrauen; sie ist unsere natürliche, von Seele ausgehende Intuition. Lauschen hilft mir, entspannt, bereit und immer empfänglich für die Sternschnuppen der Erkenntnis und Klugheit zu sein; es hilft mir, Minenfelder zu umgehen und Hürden zu umschiffen; es führt und beschützt mich und zeigt mir, was wie zu tun ist und wenn, dann wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Erst lauschen.
Auf göttliche Inspiration zu lauschen und ihr zu folgen befreit das Denken von Begrenzung und Mittelmäßigkeit. Dann werden wir über durch Seele inspirierte Bestrebungen zu radikalen Durchbrüchen und hervorragenden Ergebnissen geführt. Gemüt führt uns weg vom irrigen Konzept eines gehirnzentrierten materiellen Daseins mit einer persönlichen Seele, die begabt sein mag oder auch nicht, gute Verbindungen haben mag oder auch nicht, Glück oder Pech haben kann, hin zu unserer wahren unendlichen, von Seele angetriebenen, von Gott stammenden und erhaltenen künstlerischen Kraft, Originalität, Herrschaft und Freiheit.
Sie können den Marmor Ihres Lebens bearbeiten in der Hoffnung, etwas hervorzubringen, oder Sie können sich von Seele dazu leiten lassen, den göttlich bereitgestellten und unzerstörbaren Engel Ihrer kreativen Stimme freizulegen.
Meißeln Sie also Ihre Gedanken, ebnen Sie einen neuen Weg, erwarten Sie Einkommen, seien Sie eine metaphysische Kämpferin bzw. ein metaphysischer Kämpfer, lauschen Sie erst – und legen Sie dann den Engel frei!
