Der Aufruf des Apostels Paulus im zweiten Brief an die Römer: „Verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes,” hat in der allgemein angenommenen Theologie in etymologischer Deutung zu der Anschauung Anlaß gegeben, daß die Erneuerung, die Wiedergeburt ein Verfahren sei, in welchem der alte Mensch einfach gereinigt und neu gekleidet ist; die Form, Erscheinung, Umstände und Tätigkeiten sind alle neu, doch der wesentliche Bestandteil bleibt. Was „in Sünden empfangen und geboren wurde,” ist rein und Christusgleich gemacht; der verstockte Sünder ist in ein Kind Gottes verwandelt!
Dieser gewöhnlich gehegte Glaube löst sich in der einfachen Behauptung auf, daß das Böse zum Guten umgestaltet werden kann, und der selbstzufriedene Materialist drückt sich in ähnlicher Weise aus. Er sagt: „Das Böse ist gut im Entstehen,” es gehört zum Lauf der Dinge, in dem kein absoluter Wert ist, sondern nur beziehungsweise und in dem jeder Faktor seinen nötigen Platz und Verrichtung hat. Der christliche Gläubige sieht ein, daß die Logik der Stellung des Materialisten das Aufgeben moralischer Unterscheidungen verlangt, und er mag lebhaft dagegen protestieren, und doch, wenn dem Menschen die Fähigkeit zu sündigen von seinem Schöpfer verliehen wurde, so muß diese Fähigkeit natürlich sein, d. h., sie muß zur göttlichen Ordnung gehören. Ferner, wenn der Widerstand gegen die Sünde und das schließliche Entrinnen von derselben zum Charakter erforderlich ist und eine hohe, edle Sorte Menschen zu stände bringt, welche, wie wir gelehrt wurden, in keiner andern Weise erworben werden kann, dann hat das Böse sicherlich nicht weniger einen nötigen Platz im Gesichtskreis des Gläubigen als im Gesichtskreis des Materialisten, und in dieser Hinsicht gehören sie rechtmäßig zur selben Klasse.
Das Studium der Lehren des Apostels Paulus zeigt deutlich, daß „Erneuerung” die Verwirklichung der geistigen Menschheit in Christo meint, welche nicht nur das völlige Gegenteil vom alten Menschen in Charakter und Betragen darstellt, sondern ganz verschieden ist, die Veränderung wird nicht durch die Erneuerung des „alten Menschen” bewirkt, sondern durch seine Ausstoßung. Er hebt den Gedanken wiederholt nachdrücklich hervor, daß im „fleischlichen Menschen” nichts Gutes ist, und daß nichts Gutes aus ihm gemacht werden kann, daß er verleugnet, „abgelegt” werden muß, und daß wir uns ganz von ihm trennen müssen; und in diesem allen befolgt er durchaus die Lehre des Meisters und der Propheten, daß das Böse in jeder Beziehung, Richtung und Grad „ein Greuel vor Gott” ist, das er weder brauchen noch dulden kann.
Die menschliche Einwilligung zu dieser Beimischung von Gut und Böse ist die, „verbotene Frucht” aus Eden, dessen Genuß unaussprechlichen Kummer und Verlust zur Folge hatte, und das Ergebnis dieser falschen Auffassung von der Bedeutung der „Erneuerung” wie Paulus das Wort anwendet, rechtfertigt völlig die kummervollen Prophezeiungen der ersten Chronisten; der Irrtum ist so wesentlich und bestimmend um Unordnung und folglich Krankheit in jedes Gebiet des menschlichen Denkens und der Erfahrung zu bringen.
Im Gegensatz zu dieser religiösen Lehre, die seit Jahrhunderten geherrscht hat, stellt Christian Science die unzweifelhafte Behauptung auf, daß es keine Umwandlung des Bösen ins Gute, des Irrtums in Wahrheit gibt, daß es so unmöglich ist zu denken, daß eine Beschaffenheit oder ein Charakterzug des Menschen der Sünde beibehalten werden und dem Menschen des Geistes einverleibt werden kann, als zu denken, daß Finsternis in Licht, oder ein wahrscheinlicher Trugschluß in eine beweisbare Wahrheit verwandelt werden kann. Wenn wir geglaubt haben, daß eine krumme Linie die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist, sind wir genötigt diesen Glauben vollständig aufzugeben, wenn wir durch mathematischen Prozeß oder tatsächliche Messung begreifen, daß dies durch eine gerade Linie bezeichnet wird. Es ist eine falsche Ansicht, die ihren Platz in einem unaufgeklärten Bewußtsein behauptet hat — das ist alles. Vom richtigen Bewußtsein ist sie völlig und für immer ausgeschlossen. Desgleichen ist in der Lehre der Christian Science, das Ausbessern des Bösen so, daß es ein Teil des Guten wird — die Versetzung eines Restes vom alten Selbst ins neue — ganz abgeleugnet und verworfen und aus dem wesentlichen Grunde, weil Gott, das Gute, Alles in allem ist und deshalb für das geistige Bewußtsein kein Böses existiert, noch existiert hat.
In unserem Erwachen zur Wahrheit erzeugt das Entlarven des Irrtums einen Sinn von Gut und Böse, welcher zu der Auffassung leitet, daß das Universum und der Mensch eine dualistische Natur besitze, — diese Ansicht wird im allgemeinen von denen angenommen, dessen Glaubensbekenntnis die Existenz des einen Gottes bestätigt, welcher die alleinige Ursache und der Schöpfer ist. Der Sinn dieser Zweiheit und des folglichen Ringens, das so ausgezeichnet im siebten Brief des Paulus an die Römer beschrieben ist, folgt der Untätigkeit und Vertiefung in Irrtum, im Gegensatz zu demselben ist es ein „verbesserter Glaube,” doch er muß verschwinden und für immer verschwinden, bevor Jesu Gebet zur Einsetzung des wahren geistigen Bewußtseins „daß sie eines seien, gleichwie wir” verwirklicht werden kann. Die Idee, daß Gottes Mensch mit einer dualistischen Natur und Fähigkeit ausgestattet sei, beweist sich als unmöglich durch die Unendlichkeit Gottes und Seiner Offenbarung, und ist fernerhin durch die Tatsache verneint, daß wir in dem Maße, in dem wir den Geist besitzen, der in Christo Jesu war, das Böse vom Bewußtsein verschwindet. Offenbar hat für denjenigen, der nichts Böses kennt, das Böse kein Dasein. Es ist ein falscher Sinn, der keine Verwandtschaft mit dem Guten, nicht einmal Widerstand dagegen besitzt.
Der Begriff dieser lebendigen Wahrheit bewirkt wahrlich eine Erneuerung; nämlich, in unserem Bewußtsein die Erscheinung des Christusmenschen, „der von keiner Sünde wußte,” und in dessen argloser Gegenwart das Böse mit seinen Ansprüchen auf Ansehen und Macht verschwindet. Dies ist die Erneuerung unseres Sinnes in Christo Jesu, durch Christian Science.