Seit dem Anfang materieller Weltgeschichte ist angenommen worden, daß die Menschheit ein Leben für sich, von Gott getrennt, lebt, indem der Schöpfer sie ihrer Vermutung nach geformt und in eine Welt gesetzt hat, in der sie durch sich selbst zu leben anfängt, reift und stirbt, während auf einander folgender Generationen, sich an keine andere Quelle um Rat wendend als an einen Gott, der vermutlich weit in einem entfernten Himmel wohnt und auf keine gewisse Art der Vermittlung in Zeiten der Not erreicht werden kann. So hat der sterbliche Mensch derartig vom Schöpfer entfernt, ohne Hoffnung mit diesem Gott in nahen Verkehr treten zu können als bis nach dem Tode, dem endlichen Scheiden von der Bildfläche dieser getrennten Existenz, sich in seinen eigenen Kreisen bewegt, oft nicht wissend, wie sich an irgend etwas außer der Arena menschlicher Erfahrung zu wenden, ja, er ist tatsächlich so von Gott getrennt, daß er größtenteils die Gewohnheit, in täglichen Angelegenheiten über Ihn zu sprechen, verloren hat. Diese irrtümliche Ansicht hat die Nachkommen Adams in eine Lage gebracht, die von Jesus in der Geschichte vom verlorenen Sohn bezeichnet wird,— als einen Wanderer aus seines Vaters Haus,— ein Verbannter im fremden Lande. Gleich einem Kinde, daß sich außerhalb der heimatlichen Tore in fremden Straßen verirrt hat, so ist die Menschheit jedem vorübergehenden Übel preisgegeben. Es gibt keine Sicherheit, bis wir den Schutz der Heimat suchen und finden, dann brauchen wir nichts mehr zu fürchten, denn nichts Schädliches kann durch ihre bewachten Tore eindringen. Unser Scheiden von der Heimat hat uns dem Bösen ausgesetzt, und die Rückkehr dorthin ist der einzige Weg der Zuflucht und des Schutzes.
Die Stimme der Offenbarung und Prophezeiung hat durch geheiligte Schriften den Generationen der Menschen Vorstellungen gemacht mit der Warnung, sich von diesem getrennten Sinn der Existenz zu der Erkenntnis eines Lebens in Gott zu wenden, die den Gedanken zu individueller, gegenwärtiger Verbindung mit Ihm erhebt. Sowohl Moses und David als alle späteren Propheten drangen darauf, die Sünde zu verlassen und dem Gesetze Gottes zu gehorchen, das den Menschen als eine Offenbarung Gottes — des Guten bezeichnen würde. Jesus erklärte stets seine Pflicht, seinen Gehorsam gegen den Vater, sein Einssein mit Ihm, und Paulus kam als klar sehender Jünger zu der Erkenntnis, daß ihn nichts trennen könnte „von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn.” Von Anfang an hat die Stimme der Erlösung sich in mannigfachen Botschaften durch verschiedene Boten gegen den Begriff des getrennten Seins aufgelehnt, und was auch immer die Menschen der göttlichen Quelle näher geführt oder getrieben, hat ihre Befreiung und ihr Heil bewirkt.
Alle religiösen Lehren, die mit biblischen Angaben übereinstimmen, haben auf diese Einigung mit Gott im Herzen und Leben als den Weg des Heils gedrungen; dennoch sind nicht alle religiösen Lehren im stande gewesen, dies so klar zu machen, daß sie im Leben ihrer Anhänger den Trennungsbegriff von Gott haben überwinden können; im Gegenteil, die Menschheit ist fortgefahren in einer Welt zu leben und zu sterben, die so durch Sünde, Unglück und Kummer verunstaltet war, daß sie zu Zeiten fast von der einzigen Macht, die zu retten und zu befreien fähig ist, verlassen zu sein schien. Dieser Glaube an die Trennung von Gott kommt vielfach von der Tatsache, daß viele Religionsformen einen persönlichen Begriff von Gott und einen persönlichen Sinn vom Menschen genährt haben. Dieser persönliche Gott ist dargestellt worden als bei weitem erhabener als der Mensch; doch ein in Gedanken festgehaltenes, darstellendes Bild von Gott entwickelt natürlich einen Begriff der Trennung, der die Annahme eines Ortes und einer Entfernung in sich schließt, Gott „dorthin” und den Menschen „hierhin” stellt, und dadurch natürlich den persönlich bezeichneten Menschen direkt vom persönlich dargestellten Gott entfernt. Zwei solche Personen müssen von einander getrennt sein wegen der angenommenen von einander entfernten Verkörperung.
Dieser Begriff von Gott und den Menschen wurde sicherlich von Jesus aufgehoben, als er sagte: „Ich und der Vater sind eines.” Es ist augenscheinlich so unmöglich, daß zwei getrennte Körper in einen sich vereinigen, daß kaum eine Frage wegen der Bedeutung seiner Worte aufkommen kann. Das Einssein ist ein Gedankenzustand, und in diesem Verständnis, welches Christian Science der Welt bringt, ist Gott als Geist offenbart. Die Erkenntnis Gottes als Geist befähigt den Gedanken, Gott als Allgegenwart zu unterscheiden, und dies Abwenden vom Bereich materieller Umschreibung zum Bereich jenes allgegenwärtigen Geistes, der alle wirkliche Existenz in sich schließt und entfaltet, fängt an, den Glauben an eine Existenz von Gott getrennt zu vernichten, indem es einen rein geistigen Zutritt zu Gott durch das offene Tor individuellen Gebets und geistiger Einigung offenbart.
Eine klare Darstellung dieses Aufgebens eines Begriffes getrennter Existenz und der wahren Auffassung des Einsseins mit Gott wird in Henry Van Dykes „Gospel for a World of Sin“ (Evangelium für eine Welt der Sünde) beschrieben. Er sagt:
„Sünde ist die Trennung des Menschen von Gott. ... Dies bezeugen die Opfer zahlloser Altäre. Die von den verborgensten Ecken der Welt aufsteigenden Bußgebete, das bebende Heimwärtswenden unzähliger Seelen aus fernen Ländern des Elends und der Einsamkeit.
„‚Vater, ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße!‘ Beachte jedoch, — er sagt trotzdem noch: Vater!”
Diese geistige Verwandtschaft mit Gott ist der Trost aller Christen gewesen, Christian Science aber in ihrem wissenschaftlichen Eindringen in die diesbezügliche menschliche Auffassung rüttelt den Gedanken auf aus dem Glauben an die Wirklichkeit einer in irgend einer Weise getrennten Existenz und führt ihn höher als zu einer bloßen Vertröstung, zum wirklichen Sieg über den Trennungsbegriff und ihre daraus folgenden Zustände. Materielle Erziehung hat den materiellen Menschen als die Schöpfung Gottes angesehen, doch von Ihm getrennt und dazu bestimmt auf Erden zu leben, bis der Tod seine Umgebung verändern wird. Christian Science hat diese Ansicht eines materiellen Menschen und eines materiellen Weltalls als eine falsche Darstellung, eine Fälschung bloßgelegt. Die Theologie hat versucht, diesen materiellen Begriff des Menschen mit einem Gott, der Geist ist, zu vereinigen. Christian Science aber erkennt, daß die Materie in ihrer ganzen Natur unwiderruflich von Gott getrennt ist, verwirft sie gänzlich und bringt das ans Licht, was immer gewesen ist und mit Gott immer eins sein wird, — nämlich, den wirklichen, geistigen Menschen. Diese grundsätzliche Darstellung der Christian Science ist so häufig mißverstanden worden, daß es bei vielen zu der Ansicht geführt hat, Christian Science verleugne durchaus die Existenz des Menschen und des Weltalls. Sei es hier jedoch verstanden, daß Christian Science die geistige Existenz des Menschen und des Weltalls offenbart als von der Materie getrennt, und unzertrennbar vom göttlichen Geist, der alles erhält und enthält, was wirklich existiert, und daß sie nur den falschen Sinn verneint, der eine Unwahrheit über den Menschen und das Weltall behauptet.
Eine Anzahl wohlbekannter Illustrationen machen diesen Unterschied zwischen dem Falschen und der wirklichen Tatsache klar und beweisen, wie durch das Verwerfen des Falschen, die Tatsache ans Licht gebracht wird. Die Augenscheinlichkeit in betreff der Bewegungen der Sonne und Erde ist nicht wahr, doch verneint diese Erkenntnis nicht die Existenz der Sonne und Erde in ihrer richtigen Beziehung zu einander. Die Aufdeckung von Falschmünzen und deren Trennung vom Geldsystem einer Nation verneint nicht die Wirklichkeit des echten Geldes. Der unwissende Glaube, daß die Summe von zwei und zwei fünf ist, macht nicht die korrekte Summe von zwei und zwei falsch. Die Verbesserung eines mißverstandenen oder verwirrten Begriffs vom Sonnensystem, einem gesetzmäßigen und echten Geldkursus oder dem richtigen Verhältnis der Zahlen vernichtet wohl den Fehler und die Verwirrung, aber nicht die Dinge selbst. Ebenso vernichtet die Verbesserung der Gedanken über Gott und Menschen durch wissenschaftliche Offenbarung die Unwissenheit darüber und stellt die Wahrheit über sie fest, wie sie wirklich sind. Wir finden in der Bildungsentwickelung der Christian Science, daß der Mensch in Wirklichkeit, als Ebenbild Gottes, niemals von Gott getrennt worden war, und daß alles, was das Gegenteil behauptet, nicht zum Menschen gehört, sondern nur ein falscher Existenzbegriff ist, der sich Mensch nennt, und sich in seinen eigenen Phänomenen, nämlich, in der Materie, Sünde, Krankheit und Tod verkörpert. Ein sorgfältiges Studium des Lehrbuches der Christian Science wird jedem Schüler dies klar beweisen.
Durch die Erkenntnis, daß Christian Science nicht diese getrennte Existenzauffassung ins Reich Gottes zu bringen versucht, fängt nun der weise, ernste Schüler sogleich an, sie zurückzuweisen und zu verwerfen, damit er das Reich Gottes finde und weigert sich, auf Grund seiner Überzeugung, länger an einen von Gott getrennten Menschen zu glauben. Eine völlige Verwirklichung von dem würde solch eine vollkommene Veränderung des Bewußtseins bedeuten, daß es eine Erhebung über alle irdische Disharmonie hervorbrächte, doch ist dies nicht das Werk eines Augenblicks. Es liegt aber in unserem heutigen Bereich es gewissenhaft zu erklären und anzufangen, es uns zu vergegenwärtigen. Jetzt laßt uns den Scheidepunkt vom Irrtum in Betracht ziehen. Oft bleibt der Schüler der Christian Science in einem „getrennten” Zustand des Glaubens, indem er sich tapfer bemüht mit den mannigfachen zum Erdenreich gehörenden Übeln zu kämpfen, aber zu erkennen verfehlt, daß der zu Grunde liegende Irrtum der sterbliche Sinn ist, der eine getrennte Existenz haben zu können oder zu haben behauptet. Im Widerstreit, das ihn versuchende unharmonische Auftauchen dieses Begriffes eines getrennten Seins zu überwinden ohne die Wirklichkeit einer möglichen Trennung an und für sich zu verneinen, ist gleich der Absicht einen immergrünen Baum fällen zu wollen und niemals die Wurzel zu streichen, sondern nur die Blätter und Zweige; um die Zweige in erster Hinsicht und eventuell das Absterben aller andern Äste zu erreichen, muß man notwendig an der Wurzel arbeiten. So heißt es geistig die echte Wissenschaft wirklich anzuwenden, durch sie erreicht man die Zerstörung des fundamentalen Irrtums in dem der Baum des Bösen wächst.
Eine sorgfältige Analyse zeigt, daß jedes Argument des Bösen, das den Schüler der Christian Science angreift, erfolgreich von diesem Standpunkte aus gehandhabt werden kann. Wenn der Irrtum Furcht, Krankheit und Tod in persönlicher Erfahrung als wahr darstellen will, kann das Bewußtsein, das sich weigert, selbst für einen Augenblick von Gott getrennt zu sein, sich von solchen Zuständen fern halten. Herrscht Konfusion, Überarbeitung, Verzögerung, Reibung, Selbstsucht, Ungerechtigkeit oder Opposition in individueller Umgebung, um die so notwendige, ruhige Stunde fürs Studium, pünktliche Anwesenheit beim Gottesdienst oder Verkehr mit den höchsten und besten Einflüssen zu verhindern, so überwindet die Kenntnis, daß der Mensch nicht von Gott getrennt werden kann, noch von irgend etwas, das Gott offenbart, die unharmonischen Zustände und öffnet den Weg zur rechten Stunde und am rechten Platz. Fordern Armut, Trägheit oder Begrenzung unsere Aufmerksamkeit, so beweist der Mensch, der sich seiner Unzertrennbarkeit vom göttlichen Geist bewußt ist, im Grade seiner Erkenntnis, daß er nicht von der Fülle aller guten Dinge, mit denen Gott Seine Kinder versorgt hat, getrennt ist. Mißversteht ein Bruder unsere besten Beweggründe oder wird man versucht einen seiner Lieben im falschen Licht zu sehen, trennt ein Schimmer des Mißtrauens zwei Freunde, droht Empfindlichkeit über ein gerechtes Urteil eine Freundschaft zu brechen, oder stolziert Kritik, Ärger und Klatscherei unter der Maske des „Aufdeckens von Irrtum” umher, so wird eine standhaft festgehaltene Kenntnis, daß es teine Tätigkeit des Übels gibt, welche die Menschen von Gott trennen kann und folglich keine, der es gelingen kann, den Menschen von „der Offenbarung Gottes” durch seinen Nächsten zu trennen, sicher diesen Baum böser Vermutungen mit seinen vielen unglücklichen Zweigen fällen und den unzerbrochenen Bund zwischen den Kindern Gottes offenbaren.
Wenn der Mensch, den Shakespeare als Othello darstellt, nur an der Grundwahrheit, wie sie Christian Science offenbart, festhält, in betreff der Verwandtschaft mit seinem Nächsten, in Kirchenorganisation, häuslichen Verhältnissen und Freundschaften, so kann keine Einflüsterung des Jago — des sterblichen Sinnes — ihn von allem, was ihm am teuersten und liebsten ist, trennen. Jago ist nichts weiter, als ein Typus des allgemeinen Bösen in seinen verschiedenen Formen des Neides, der Bosheit, des heimlichen Mißtrauens und Verdachts gegen den Aufrichtigen über den Aufrichtigen, und Othello ist ein solcher, der auf die falschen Dinge hört. Der klar sehende Christian Scientist, der weiß, daß der Mensch das Ebenbild Gottes ist und in Gedanken immer das vollkommene Vorbild behält, lernt, standhaft zu sein, lernt auf die Wahrheit in betreff seiner Mitmenschen zu hören und die trennenden Einflüsterungen des sterblichen Geistes zu beherrschen, ob sie in seinem eigenen Gedankenkreis oder in dem eines andern ihren Ursprung haben; und wer standhaft verweigert, sich durch irgend eine Phase des Irrtums von Gott oder seinem Mitmenschen trennen zu lassen, zertritt die Schlange aller Zeitalter. Christian Scientisten mögen wohl darüber jubeln, daß sie lernen den irrtümlichen Glauben von einer Trennung von Gott aussterben zu lassen und daß bei diesem Aussterben die Einigkeit der Kinder Gottes sichtbar wird. Der Sieg über die Lüge der Trennung bedeutet die Vernichtung alles dessen, was ein sündenbeflecktes Leben ausmacht, gebrochene Herzen schafft und was leidet, kränkelt und stirbt. Es führt den Gedanken in ein neugeborenes Verständnis des Reiches der Liebe ein, indem der Mensch mit Gott eins ist und eins mit all dem Guten, was seine Mitmenschen widerspiegeln. Und jeder Christian Scientist hat genug von diesem Weg des Heils gesehen um mit Freuden die scheinbaren Argumente einer von Gott getrennten Existenz zu verwerfen und mit dem Psalmisten auszurufen: „Ich aber will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit; ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde.”
