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Eine Geschichte der Dankbarkeit.*

Aus der November 1905-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Diejenigen, welche das Lehrbuch der Christian Science studieren, haben bemerkt, daß seine Verfasserin, Mrs. Eddy, als Einleitung zu dem wundervollen Kapitel, welches „Christian Science Praxis” betitelt ist, die Erzählung des Liebesdienstes wählte, welchen Maria Magdalena dem Meister leistete, als sie ihm das Glas mit Salbe darbrachte, wie es im siebenten Kapitel des Evangeliums St. Lukä erzählt wird. Diese Geschichte birgt in ihrem Ausdruck liebender Dankbarkeit, beständiger Treue und freigebiger Bemühungen für den Meister eine lebendige Botschaft. Als Jesus, am Mittag seines Glückes, ein Ehrengast im Hause Simons des Pharisäers war, ergoß sie ihre Dankbarkeit in der Gabe einer kostbaren Salbe. In der Mitternachtsstunde, als der Haß triumphierte, weil er die Unschuld an das grausame Kreuz genagelt hatte, war sie eine unermüdliche Wächterin, und als der neue, frohe Tag der Welt dämmerte, war sie die Erste, ein offenes Grab zu finden, die Erste den auferstandenen Christus zu begrüßen, die Erste, die frohe Botschaft der Auferstehung zu verkünden.

Es wird wenig von Maria Magdalena erzählt, vor ihrem Besuch, um die Füße des Herrn zu salben. In einer hebräischen Familie auferzogen, muß das Kind oft die heilige Geschichte des lang erwarteten Messias gehört haben. In den Gedanken ihres Volkes sollte er der große König sein, welcher das grausame Joch der Knechtschaft, welches ein fremder Feind auferlegte, abwerfen und ihre Nation frei machen würde. Er würde die gefallenen Tempel wieder aufbauen und den entschwundenen Ruhm ihrer Nation wieder herstellen. Er sollte der Immanuel, Gott mit uns, sein. Er würde die „zerstoßenen Herzen” heilen, den Blinden das Augenlicht zurückgeben, „den Zerschlagenen” predigen, „daß sie frei und ledig sein sollen” und „verkünden das angenehme Jahr des Herrn.” Ohne Zweifel teilte sie den allgemeinen Glauben, daß sein Kommen nahe wäre; und mit den Frommen dachte das kleine Mädchen oft an seine ruhmvolle Menschheit. Es kann sein, daß es ihr stilles Gebet war, würdig zu sein, in sein Antlitz zu sehen, und wenigstens den Saum seines Gewandes zu berühren. Das waren die schönen Träume der Kindheit. Die Welt, in welche sie als Weib eingeführt wurde, hatte wenig von dem Geiste Christi. Da gab es wenige, die heilten, da gab es viele, welche empfindliche Herzen brachen und verwundeten. Da gab es wenige, die Zerschlagenen zu befreien, da gab es viele, um sie in Fesseln zu schlagen. Maria Magdalena wurde ein Opfer derer, welche, Wölfen gleich, warten, um die Schwachen zu vernichten und bei dem Ruin der Unschuld hohe Feste feiern. Diejenigen, welche sie gerettet haben könnten, suchten sie mit ihrem bittern Hasse und mit ihrem grausamen Spotte heim.

Da gab es ohne Zweifel Augenblicke, in denen Bilder des alten lieben Heims in ihr Gedächtnis zurückkamen. Da gab es vielleicht Erinnerungen an jugendliche Träume von dem ruhmvollen Messias, der die Verlorenen erlösen und die Gefallenen wiederaufrichten sollte. Aber sie war nicht länger die schöne Blüte des Heims ihrer Kindheit, sie war nur ein zerbrochnes Rohr am staubigen Wege. Die hellen Flammen des Glaubens und der Hoffnung waren schon längst erloschen, aber noch gab es den Funken jenes heiligen Feuers, den nichts ganz ersticken konnte. Die Welt ihrer Tage hatte von dem Heilande gepredigt, der die Gefallenen aufrichten sollte; aber dem kommenden Messias blieb es vorbehalten, die Prophezeiung in Ausführung zu bringen: „Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.”

Es ist gerechtfertigt anzunehmen, daß ihr Besuch in Simons Haus nicht ihre erste Zusammenkunft mit dem Meister war. Sie wird unter gewissen Frauen genannt, welche von bösen Geistern und Plagen geheilt worden waren. Eine so große Umwandlung war durch Christum in ihr bewirkt worden, daß man von ihr erzählt, daß sieben Teufel aus ihr ausfuhren. Ihr wohlriechendes Opfer, welches sie dem Herrn darbrachte, nehmen wir als des Herzens tiefste Dankbarkeit an für den Frieden und die Reinheit, welche durch seine gnädigen Worte und Werke ihr Eigentum wurden.

Des Herrn liebevolle aber scharfe Worte zu Simon, werden die Geschichte wieder ins Gedächtnis zurückrufen. Er sagte: „Simon, siehest du dies Weib? Ich bin kommen in dein Haus, du hast mir nicht Wasser gegeben zu meinen Füßen, diese aber hat meine Füße mit Thränen genetzet und mit den Haaren ihres Haupts getrocknet. Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber, nachdem sie hereinkommen ist, hat sie nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbet; sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbet. Derhalben sage ich dir: Ihr sind viele Sünden vergeben; denn sie hat viel geliebet; welchem aber wenig vergeben wird, der liebet wenig.”

Es ist ein deutlich gezeichnetes Bild, welches in den wenigen Worten dargestellt wird, die die Geschichte einleiten: Maria „trat hinten zu seinen Füßen und weinte.” Ihre Tränen waren Tränen der Dankbarkeit, nicht des eitlen Bedauerns. Die leuchtende Dämmerung eines neuen Tages goß ihren Schimmer auf ihren Pfad. Die Qualen und der Aufruhr, die um sie getobt hatten, waren vorüber. Die Stunde war süß und schön in ihrer Prophezeiung. Ein großer Friede und eine heilige Ruhe waren ihr eigen. Sie hatte Christum gefunden und in seiner Gegenwart war kein Raum für irgend etwas, was ihm unähnlich war.

In des Heilandes Gesellschaft „stand Maria.” Wie verschieden war ihre Idee ihres Erlösers von derjenigen Simons. Der Pharisäer ruhte in dem befriedigten Gefühle seines eignen Wertes. Für ihn war es ein Akt der Herablassung, eine Gunstbezeugung, Jesus zu empfangen. Maria hatte keinen Selbstdünkel. Ein Segen war ihr zu Teil geworden, so reich, daß ihre einzigen Gedanken nur Gedanken der Dankbarkeit und der Dienstbereitschaft für den Geber waren. Der Himmel konnte ihr keine höhere Gunst gewähren, als diejenige, ihm dienen zu dürfen, der so viel für sie vollbracht hatte. Es war nur schicklich, daß sie vor dem Gesalbten stehen sollte. War das nicht der Gesandte des Königs der Könige? War es nicht der Erwählte, um unter den Menschen die Herrschaft des Rechts und des Friedens herzustellen? Waren nicht in ihm all die glänzenden Hoffnungen ihrer Nation eingeschlossen? Größer als Herrscher oder König, mächtiger als Priester oder Prophet war er, dem sie ihre auserlesendste Gabe brachte. Für Maria, im überströmenden Gefühle der Dankbarkeit, war es eine unaussprechliche Freude, in seiner Gegenwart stehen zu dürfen.

Sie nahm ihren Platz zu seinen Füßen. Es geziemte sich nicht für sie, zu seiner Rechten zu sitzen. Jedoch gab es eine innere Stimme, welche ihr sagte, daß sie zu Füßen Jesu willkommen sein würde. Von einer andern Maria, welche zu seinen Füßen saß, sagte der Meister: „Maria hat das gute Teil erwählt.” Sie trachtete nicht nach einer Stellung voll Würden und Ehren. Sie suchte demütig das Vorrecht eines niedrigen Dienstes. Derjenige, welcher seinen Platz zu Füßen des Herrn nimmt, ist für höhere Aufgaben ausersehen. Des Himmels Ruf kommt nicht zu den Großen der Welt, sondern zu denen, die sich freuen, in der Gegenwart von Gottes Gesalbten zu stehen.

Als sie ihr Opfer darbrachte, trat sie hinter ihn. Die Selbstgerechten würden vor ihn hingetreten sein. Die mit sich selbst zufrieden sind, würden ihre Plätze neben ihm eingenommen haben. Die dankbare Maria war glücklich, hinter ihm zu stehen. Sie verwirklichte sich die mächtige Arbeit, die er in Händen hatte. Sie wollte ihre Persönlichkeit nicht aufdrängen, sie wollte sie lieber verbergen. Sie kam um zu dienen, und in diesem Dienst wollte sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Es wird erzählt, daß sie seine Füße mit ihren Tränen wusch und sie mit den Haaren ihres Hauptes trocknete. Es war ihr Vorrecht, die Dienstleistungen zu verrichten, die der selbstsüchtige Simon vernachlässigt hatte. In Palästina, wo die Sandale die einzige Fußbekleidung war, war das erste Zeichen der Gastfreundschaft für den Gast, ihn mit Wasser zu versorgen, in welchem die Füße gewaschen werden konnten. Sie war von Unreinheit gereinigt worden. Sie war vom Materialismus zum geistigen Wesen in die Höhe gehoben worden. Die Tränen der Freude, mit welchen sie seine Füße wusch, waren ein Symbol der Reinheit, welcher ihr Leben geweiht war.

Sie „küßte seine Füße.” Der Kuß, welchen der Untertan auf die Hand seines Herrschers drückt, ist das sichtbare Zeichen seiner unverbrüchlichen Treue. Simon gab ihm keinen Kuß. Er erkannte keinen höheren Wert an. Er bekannte sich zu keinem Gefühle der Ehrerbietung, welche seinem geladenen Gaste gebührte. Er fühlte seine Macht nicht. Er liebte nur wenig. Jesus sagte: „Diese aber, nachdem sie hereingekommen ist, hat sie nicht abgelassen, meine Füße zu küssen.” Was die Lilie dem Sonnenschein verdankt, das fühlte Maria, war sie Jesu schuldig. Durch ihn war sie aus dem Sumpf der Unreinheit in den Sonnenschein seines fleckenlosen Lebens gehoben worden. Die Schönheit und der süße Hauch ihres neuen Lebens war seine Gabe, und ihm treu zu dienen, seine Sache zu fördern, sollte ihre höchste Freude werden.

Das Haupt eines Gastes mit seltenen Wohlgerüchen zu salben, war eine freundliche Höflichkeit. Sie trug die Anerkennung seiner erhabenen Stellung mit sich. Auf die Häupter der Könige und Priester, wenn sie zu hohen Ämtern bestimmt waren, wurde das heilige Öl gegossen. Simon gab keine Salbe. Für ihn war Jesus weder Herr noch Meister, weder Lehrer, Führer noch Freund. Simon konnte des Heilandes Haupt mit Öl gesalbt haben, da er aber diesem köstlichen Vorrechte gegenüber blind war, vernachlässigte er diese Gelegenheit. Maria fühlte ihre eigne Wertlosigkeit zu sehr, um das Haupt ihres geliebten Herrn zu berühren, aber es war ein heiliges Vorrecht, seine Füße mit wohlriechendem Öl zu salben. Maria wußte es nicht, aber dadurch, daß sie ihre Wertschätzung des Gesalbten bewies, wurde sie Zeuge ihrer eignen Salbung. In ihrem Herzen hatte sie den Christus-Menschen zum Könige und Herrn gekrönt, und seine Krönung machte den Christus in ihrem eignen Leben zum Herrscher. Sie war nicht mehr der Sklave der Leidenschaft, sondern ihr Meister. Sie betete keinen andern Gott als die göttliche Liebe an. Ihr ganzes Wesen war Christo geweiht und ihm allein.

Das waren die Früchte des Geistes, welche Maria als ihr dankbares Opfer dem Herrn darbrachte. Von ihr konnte man wohl in den Worten des Meisters sagen: „Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude.” Die Freude des Herrn, in welche sie zu ihrer Zeit eintreten würde, war des Himmels Belohnung für ihre maßlose Dankbarkeit.

Wir haben nur spärliche Berichte über Maria Magdalena bis zur Zeit der Kreuzigung, Zwei Jahre lang genoß sie das Vorrecht, zu der Gesellschaft zu gehören, welche mit dem Herrn von Stadt zu Stadt zog, um die frohe Nachricht von dem Reiche Gottes zu predigen und die Kranken zu heilen. Wir erfahren im achten Kapitel des Evangeliums St. Lukä, daß sie mit den zwölf Jüngern und mit vielen andern „ihm Handreichung thaten von ihrer Habe.”

Die Tage des Sonnenscheins waren von kurzer Dauer. Das Interesse, welches durch die Auferweckung des Lazarus erregt worden war, verstärkte noch den bittern Haß der Feinde der Wahrheit, welche sich zum Sturze dessen verschworen, der sprach, wie nie ein Mensch gesprochen hat. Sein Verrat durch einen Freund, welchem er traute, brachte ihn in die Hände seiner Feinde und führte ihn zur Kreuzigung. Am Kreuz, in dieser Stunde der Prüfung, wird Maria Magdalena genannt, als eine, die bei ihm war. Matthäus erzählt uns im siebenundzwanzigsten Kapitel seines Evangeliums: „Und es waren viele Weiber da, die von ferne zusahen, die da Jesu waren nachgefolget aus Galiläa, und hatten ihm gedienet; unter welchen war Maria Magdalena.” Die treue Maria verweilte so nahe am Kreuz, wie die römischen Soldaten es erlauben wollten. Kein Haß war so tief, keine Bosheit so bitter, um sie von ihrem geliebten Herrn zu trennen. Stellen wir das fest, daß in den Stunden der Prüfung und der Kreuzigung eine da war, die nie in ihrer treuen Anhänglichkeit an ihren verehrten Lehrer wankte.

Als der Haß sich verausgabt hatte, und der durchstochne Körper von Joseph von Arimathia vom Kreuz genommen worden war und „in sein eigen neu Grab” gelegt worden war, „welches er hatte lassen in einen Felsen hauen”; da war Maria Magdalena, „die setzte sich gegen das Grab.” Wenn man diese unwandelbare Anhänglichkeit an den Herrn sieht, wenn man die beharrlichen Demonstrationen über die sogenannten Mächte des Übels betrachtet, ist man versucht zu fragen: „Was würde das Resultat gewesen sein, wenn seine anderen Jünger und Nachfolger gleiche Treue bewiesen hätten?” Als sie in Gethsemane von ihrem Meister angerufen wurden zu wachen, würde der Verräter in seinem bösen Plane Erfolg gehabt haben, wenn sie treu im Wachen und im Arbeiten gewesen wären? Ist es nicht möglich, daß Wachsamkeit, das strenge Befolgen seiner oft wiederholten Lehren, die Verschwörung der geheimen und der offnen Feinde durchkreuzt und das große Vorbild von der Qual am Kreuz errettet haben konnten? Die Antworten der Menschheit auf diese Fragen mögen von einander abweichen, aber wir wissen, daß unser Erfolg oder unser Fehlschlag in der gegenwärtigen Zeit von unserm Standpunkt in der Stunde der Prüfung abhängt.

Das Grab, worin der Leib des Herrn ruhte, war zwei Tage versiegelt gewesen. Die Dämmerung des dritten Tages war nahe. Die kleine, hirtenlose Herde war zerstreut. Der Schreck und das Grauen der Kreuzigung hatte sie überwältigt. Sie hatten es noch nicht gelernt, sich über den anscheinenden Triumph des Neides und der Bosheit zu erheben. Die Jünger hatten sein Versprechen vergessen, daß er am dritten Tage wieder auferstehen würde. Für sie war die Laufbahn Jesu beendet. Ihre hohen Hoffnungen waren vernichtet. Das himmlische Reich, welches er zu gründen gekommen war, war zu nichte geworden. Für sie war das Kreuz ein Symbol des Unglücks, das versiegelte Grab ein Zeichen des Fehlschlags. Während er bei ihnen war, waren sie voll guten Mutes. Drei Jahre hatte er ihnen gedient. Sie waren vorwärts getragen worden durch die starke Flut seiner glorreichen Gegenwart. Als sie hungrig waren, hatte er ihnen zu essen gegeben. Als sie von Wind und Wellen hin und her geschleudert wurden, hatte er ihnen Frieden gebracht. Als sie Fehlschlägen gegenüberstanden, in ihren Bemühungen zu heilen, hatte er ihre Niederlage in Sieg verwandelt. Sie gestanden seine Helfer zu sein, während sie in der Tat nur Gnadensöldner seines Reichtums waren. In der Stunde seiner größten Not, wenn ihre standhafte Unterstützung eine Erleichterung und eine Linderung gewesen sein würde, da ließen sie es fehlen.

Johannes hat in der Offenbarung gesagt: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.” Maria Magdalena gab einen Beweis dieser Treue. Ihr wurde eine Krone des Lebens zuerkannt, und die Verleihung dieser Krone, in der Offenbarung des erstandenen Christus in ihrem geistigen Bewußtsein, geschah allmählich. Es wird uns erzählt: „An dem ersten Tage der Woche kommt Maria Magdalena frühe, da es noch finster war, zum Grabe.” Es sei zum ewigen Ruhme der Weiblichkeit verkündet, daß zu dieser bedeutenden Stunde eine treue Schildwache auf dem Posten der Pflicht stand. Es gab eine Wächterin, die wachte und arbeitete. Da gab es keine Verzögerung in der Erwartung, daß andere zuerst handeln sollten. Da gab es keinen Fehlschlag durch das Vertrauen auf Treulose. „Da es noch finster war,” begann die Wächterin ihre Arbeit. Finster war der Tag, aber noch finsterer die Dunkelheit um sie. Es schien die Stunde zu sein, für den Triumph des Hasses; doch sie ging hinaus zu ihrer Liebesmission. Wir erfahren aus dem legten Kapitel St. Marki, daß sie mit anderen Frauen Spezereien gekauft hatte, „auf daß sie kämen und salbeten ihn.” Selbst der Tod konnte ihren frommen Dienst für ihren Herrn nicht hindern. Sie bewies, daß sie nicht vom Irrtum überwältigt worden war, sondern daß sie Meister war. Das Samenkorn der Wahrheit, welches in ihr Herz gesät worden war, war auf guten Boden gefallen, und seine Reife sollte „hundertfältig” werden.

Als sie das steinige Grab erreichte, sah sie, daß der Stein, welcher vor dem Eingang sicher versiegelt gewesen war, fort gerollt war, und sie fand daß der Leichnam Jesu fort war. In Verzweiflung und Kummer kam sie zu Petrus und Johannes und verkündete ihnen ihre erstaunliche Entdeckung. So wurde ein leeres Grab des Himmels erste Ankündigung der Auferstehung. Durch Maria und die Jünger wurde es falsch ausgelegt. Es sprach zu ihnen nicht von Sieg, sondern von einer weiteren Niederlage. Sie dachten, daß ihre Feinde, nicht zufrieden mit der Kreuzigung, notwendiger Weise auch den Leichnam gestohlen hätten. Wie oft haben wir ebenfalls die Zeichen des Himmels falsch ausgelegt. Unsere Herzen sind schwer gewesen, wenn sie froh gewesen sein sollten. Die Botschaft der Auferstehung ist, daß Christus, die Wahrheit, nicht in der Materie ist. Das leere Grab war Zeuge, daß der geistige Mensch der Knechtschaft des Fleisches entkommen war. Damit gab Jesus den Beweis für seine Worte: „das Fleisch ist nichts nütze.”

Bei der Ankunft von Petrus und Johannes findet die Entdeckung statt, daß „das Schweißtuch, das Jesu um das Haupt gebunden war, nicht zu den Leinen gelegt” war, „sondern beiseits, zusammengewickelt, an einen besonderen Ort.” Das war nicht die Art und Weise eines Feindes, sondern das Werk eines Freundes. Ein Feind würde die Gewänder fortgenommen haben, oder sie in Unordnung hinterlassen haben. Der Tag dämmerte, und mit mehr Licht würde eine vollere Offenbarung kommen. Die leinenen Tücher und das Schweißtuch waren die Grabtücher des Todes gewesen. Ihre ordentliche Lage machten sie zu Zeugen des Lebens und nicht des Todes. Der Geist konnte nicht in ein Grab eingeschlossen sein. Haß ist kein Sieger. Diese abgelegten Grabtücher verkündeten, daß, wo „der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.”

„Da gingen die Jünger wieder heim.” Doch nicht die treue Maria. Sie „stund vor dem Grabe, und weinte draußen.” Als sie in das Grab hineinblickte, sah sie „zween Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu Füßen, da sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.” Maria nahm mehr wahr als Petrus und Johannes, denn die Engel waren unsichtbar für ihr unerwachtes Bewußtsein gewesen. Da kamen Maria neue und höhere Gedanken von dem Herrn, den sie liebte. Die Botschaft, die von diesen Engeln verkündet wurde, war ein weiterer Schritt in der allmählichen Offenbarung. Ihre Worte drangen zu ihr wie ein erwachender Vorwurf. Sie sagten: „Weib, was weinest du?” Was konnte sie anders tun als weinen in dieser Stunde der Dunkelheit? Der, den sie liebte, war ihren Blicken entrückt. Er, „der umhergezogen ist und hat wohlgethan,” war an das Kreuz genagelt worden. Ihr Herz brach. Warum sollte sie nicht weinen? Aber in dem Lichte der Auferstehung Jesu gehörte ihr die Stunde der Freude und nicht der Verzweiflung. Ein neuer Tag dämmerte — ein Tag, an welchem sie und die ganze Menschheit die Werke der Dunkelheit von sich stoßen und das Licht des Lebens wiederstrahlen sollten.

Der Vorwurf der Engel bereitete Maria vor, mehr von dem Christus zu sehen. Als sie sich von dem Grabe abwandte, „siehet” sie „Jesum stehen.” „Spricht Jesus zu ihr: Weib was weinest du? Wen suchest du?” Maria „weiß nicht, daß es Jesus ist,” sondern sie hielt ihn für den Gärtner. Wie oft spricht der Christus zu den Menschen und sie kennen ihn nicht! Gesegnet ist der, welcher ein offnes Auge und ein offnes Ohr haben wird, wenn Christus (die Wahrheit) kommt, wenn auch in niedrigem Gewande. Maria sagte: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingeleget? so will ich ihn holen.” Wie einfach und schön sind ihre Worte. Sie kam nicht mit dem Gedanken an das Grab, daß sie den Gekreuzigten lebend sehen würde. In dieser Stunde des tiefsten Kummers dachte sie nur an Liebesdienste. Hier war eine so echte Zuneigung, daß sie alle Furcht ausgetrieben hatte. Hier war eine so dauernde Dankbarkeit, daß sie die süße Gabe der Dienstbarkeit erflehte. Der Himmel erhörte diese selbstlose Bitte. Die Sonne ist aufgegangen. Ein neuer Tag dämmert. Das Morgenlicht fällt voll auf die Gestalt dessen, den sie liebt. Sie hört die ersten Worte der Offenbarung der Wahrheit zu einem erwachten Bewußtsein, als Jesus zu ihr spricht: „Maria. Da wandte sie sich um, und spricht zu ihm: Rabbuni, das heißet Meister.” Maria hatte den auferstandenen Christus gefunden. O! unschätzbare Entdeckung! Erklingt ihr Glocken des Himmels: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg.” Von nun an soll Leben, und Leben allein, die ewige Erbschaft des Menschen sein.

In ihrer Freude über die Entdeckung des erstandenen Herrn, suchte sie ihn anzurühren. Wieder, wie in dem Hause Simons, wollte sie ihre Liebe auf die sichtbare Gestalt ergießen. Sie hatte noch nicht die wahre Bedeutung der Auferstehung gelernt. Sie mußte erkennen, daß eine neue Epoche für das menschliche Bewußtsein herangekommen war. Nicht länger sollte der persönliche Jesus verehrt werden, sondern der erstandene Christus, die geistige Idee, die eins mit dem Vater ist, muß verstanden und bewiesen werden. Deshalb „spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an; denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.” „Gehe hin zu meinen Brüdern.” Sie sind mehr als Jünger, sie stehen ihm näher als Freunde. Sie sind die Brüder des erstandenen Christus. „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater.” In der erhabenen Glorie der Auferstehungsstunde, offenbart der Erstandene seinen Vater als den einzigen und alleinigen Vater von allen. Der lebendige Gott, welcher in Christus Jesus den Tod seines Stachels und das Grab seines Sieges beraubte, ist unser Gott, der das Siegel unserer Gräber öffnet, unsere Grabtücher der Materie löst und uns zu immerwährendem Leben hervorruft.

Ging je ein Bote zu einem freudigeren Botengange aus? Was für eine Offenbarung trug sie zu denen, die schweren Herzens und niedergeschlagen waren! Sie ging um für das geistige Reich Christi nicht Niederlage, sondern Sieg zu verkünden. Sie kündigte nicht Fehlschlag, sondern ewigen Triumph für den geistigen Menschen an. Sie brachte den Beweis zu den Worten: „Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.” Nicht länger sitzt Haß auf dem Throne und schwingt Bosheit das Scepter. Die falschen Usurpatoren sind ausgestoßen, und die Liebe ist die höchste Herrscherin. Lasset die Furcht verschwinden, und ihre Günstlinge — Sünde, Krankheit und Tod — lasset austreiben. Der unsterbliche Christus, welcher für immer bei uns weilt, ist gekommen, die Menschen zu befreien in Übereinstimmung mit seinen Worten: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.”

Als Maria, von der Liebe getrieben, eilte, ihre frohe Botschaft zu verkünden, mag sie wohl erwartet haben, daß ihre Worte die ganze Welt zu Christo bringen würden. Sie hatte ihn gesehen, und sie wußte wovon sie sprach. Aber denen die noch unerweckt und unaufgeklärt in der Materie verweilten, „deuchten ... ihre Worte eben, als wären’s Märlein, und glaubten ihnen nicht.” Sie waren noch im Dunkeln. Für sie dämmerte der neue Tag noch nicht. Aber ihre Worte waren wahr. Ihre Entdeckung von dem auferstandenen Christus konnte niemals von ihr genommen werden. Marias Offenbarung sollte die Erbschaft aller werden; denn jedes Kind des Vaters soll die Worte des Sohnes hören: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.”

Marias Leben war ein Psalm der Dankbarkeit. In ihrer Gabe des Glases mit Salbe ist das liebreiche Opfer der Dankbarkeit dargestellt. Am Kreuze, in der Stunde des Unglücks, sehen wir die Hingabe der Dankbarkeit. Am leeren Grabe, in dem Licht eines neuen Tages, als sie mit klaren Blicken den erstandenen Christus wahrnimmt, wird die Belohnung der Dankbarkeit offenbart. Das Opfer der Dankbarkeit ist: sich selbst hinzugeben. Sie macht keinen Vorbehalt, sie gibt alles hin. Sie mißt nicht ihre Dienstleistungen nach dem Lohn. Sie wird durch das Vorrecht, dienen zu dürfen, bezahlt. Die Hingabe der Dankbarkeit ist der freiwillige Ausdruck der tiefsten Liebe des Herzens. Erfolg kann sie nicht vermehren, noch können Fehlschläge sie vermindern. Im Unglück wird sie stärker, und in der dunkelsten Stunde scheint sie am hellsten. Die Belohnung der Dankbarkeit kommt ungesucht. Es ist die neue Geburt, es ist die Entdeckung des erstandenen Christus durch die, die reines Herzens sind; es ist die bleibende Gegenwart des Lebens, welches Liebe ist. Wieder hört man den Gesang der Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.”

Copyright, 1905, Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht im Jahre 1905, Mary Baker G. Eddy.

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