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Christian Science ist wissenschaftliches Christentum.

Aus der Februar 1905-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Wenn Christian Science ihren Ansprüchen auf das, was sie ist und was sie zu bieten vermag, gerecht werden kann, dann ist sie in der Tat der verheißene, unüberwindliche Befreier, welcher „Gerechtigkeit und Lob vor allen Heiden aufgehen” lassen wird. Denn Ziel und Verheißung von Christian Science ist, Recht und Gerechtigkeit auf sicherer Grundlage aufzubauen, das Böse auszurotten, und die Menschen in den Stand zu setzen, ihr Ideal zu verwirklichen. Als Beispiel und Muster dieses Ideals gilt ihr ohne Rückhalt das Leben und die Lehre von Jesus, und sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu zeigen, wie dieses Ideal in die Praxis übersetzt werden kann. Der Zweck dieses Vortrags nun ist es klar zu machen, wie in Christian Science einerseits alle wesentlichen Bestandteile des historischen Christentums erhalten und all seine Ideale mit Nachdruck hervorgehoben werden; und wie in ihr andrerseits ein bestimmtes, beweisbares Verfahren offenbart wird, mit einem Wort, wie Christian Science wissenschaftliches Christentum ist.

Ehe wir nun zur Betrachtung der Bedeutung von Christian Science als Lehre übergehen, müssen wir die Frage berücksichtigen, ob diese beiden Ausdrücke überhaupt vereinbar sind; ob man sich Christentum und Wissenschaft als wesensgleich vorstellen kann, und ob nicht darin eine Vermischung von Dingen liegt, die ihrem Inhalt nach ganz verschieden sind. Bis jetzt hat man jedenfalls allgemein angenommen, daß Christentum und Wissenschaft zwei Gedankengebiete darstellen, welche in ihrem Wesen und Verfahren weit auseinandergehen. Vielleicht berührte uns die Zusammenstellung dieser Ausdrücke anfangs recht unsympathisch, denn die Wissenschaft ist das, was die Dinge in all ihren Einzelheiten prüft, sie klassifiziert, in ihrer Ordnung und Größe betrachtet. Das Christentum dagegen beschäftigt sich mit dem für das menschliche Gemüt und Gefühl Heiligsten und Höchsten; mit dem Christusleben, das im tiefsten Innern des menschlichen Bewußtseins Geburt und Heimat findet. Dieses Allerheiligste mit den Methoden der Wissenschaft zu betreten, und die Elemente, welche das Leben in Christus zusammensetzen, zu prüfen und zu ordnen, erscheint auf den ersten Blick wie eine Entweihung von dem, was für immer heilig und unberührt bleiben sollte. Ein tiefgewurzeltes Gefühl sagt uns, daß Gefühl und Wissenschaft unvereinbar sind; daß ein wesentlicher Gegensatz, ja sogar Widerstreit zwischen dem Reich der Ideale und dem des Gesetzes besteht. Und doch wissen wir, daß jedes Gefühl auf die ihm eigentümliche Art und unter den ihm eigenen Bedingungen entspringt und lebt, daß es in ganz bestimmter Weise und Ordnung seinen Ausdruck findet, daß es daher seine Wissenschaft haben muß; ferner, daß jedes Ideal in sich selber das Gesetz seiner Entwicklung trägt. So gewinnen wir tatsächlich den Gesichtspunkt, von dem aus wir die Vereinigung dieser scheinbaren Gegensätze wahrnehmen können; eine Vereinigung wie sie in Brownings Worten klingt:

„Ich sprach, wie ich sah,
Als Mensch, der Gottes Werk erkennt, alles ist Liebe, doch alles ist Gesetz;”

oder noch deutlicher in den Worten des Apostels Paulus: „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.” Wir finden dies in der Musik, der natürlichen Sprache des Gemütes und der Empfindung klar veranschaulicht. Die Musik ist das Mittel des Ausdrucks, wenn der Gedanke sich in ein Reich erhebt, wo Worte nicht mehr ausreichen, um die Schönheit und Herrlichkeit einzukleiden. Gegenüber diesem von Wärme und Farbe glühenden Reich der Töne kann man sich kaum einen schärferen Kontrast denken, als die kalten, farblosen Methoden der Mathematik. Und doch wissen wir, daß die Musik bis in die kleinsten Einzelheiten des Tones und der Bewegung von mathematischen Gesetzen beherrscht wird; und durch diese Entdeckung verliert sie nicht an Wert in unseren Augen, vielmehr sind uns dadurch ihre weiteren und höheren Möglichkeiten offenbart. Ebensowenig wird der Charakter des Christentums herabgezogen oder sein Ideal erniedrigt werden, wenn wir entdecken, daß es in der Tat eine Wissenschaft ist, vielmehr werden neue Quellen und Möglichkeiten dadurch aufgedeckt und den Menschen dienstbar werden.

Um das wahre Wesen und die Bedeutung von Christian Science zu erforschen, können wir das Beispiel der Musik noch weiter verfolgen. Ebensowenig wie ein Verständnis für die Musik durch ein mathematisches oder logisches Verfahren zu gewinnen ist, sondern vielmehr durch Erwecken und Ausbilden des Sinnes für Musik, und durch Entfalten und Üben musikalischer Empfindung, so erlangt man die geistige Erkenntnis von Christian Science nicht durch die Tätigkeit des Verstandes, sondern durch geistige Einsicht. Es ist das Erwecken des Verständnisses für die geistige Idee im menschlichen Bewußtsein, und die Entfaltung und der Ausdruck derselben im Denken und Leben.

Die praktische Grundlage von Christian Science und ihr Verhältnis zur Bibel.

Christian Science führt uns jedoch nicht auf ein Gebiet von verwirrenden Abstraktionen oder des langwierigen Mystizismus, sie ist nicht auf Theorien, sondern auf Tatsachen gegründet. Der standhafte starke Glaube ihrer Anhänger ist nicht durch eine Woge von Schwärmerei, die da kommt und wieder verschwindet, noch durch bloße philosophische Sätze und Schlußfolgerungen geweckt worden. Diese Lehre sendet ihre Wurzeln tief hinein in die Berichte und Lehren der Bibel und sieht in den Worten und Werken Jesu die Berechtigung für ihre Ansprüche und Behauptungen. Andrerseits jedoch sucht sie nicht allein in den Aussagen der Bibel ihre Beweise, sondern vielmehr in praktischer Beweisführung, und jeder Christian Scientist hat die Gewißheit, selber wiederholt gesehen, gefühlt und bewiesen zu haben, wie ihre Macht Krankheit heilt, Sünde zerstört, und in jeder Lage und Bedingung des Lebens Disharmonie in Harmonie umwandelt. Wir haben daher als Grundlage unseres Glaubens eine tatsächliche Erfahrung in der Gegenwart, welche, in vernunftgemäßer Weise erklärt, sich als wissenschaftliche Grundlage erweist. Hierdurch verliert die heilige Schrift nicht an Bedeutung, vielmehr gewinnt sie unendlich an Macht, Schönheit und Autorität. In dem Lichte solcher Erfahrung und der Erkenntnis, welche dieselbe mit sich bringt, wird die Bibel aus der Atmosphäre des Geheimnisvollen und Wunderbaren herausgehoben. Wir sehen jetzt, wie es in alter Zeit Leute gab, welche bis zu einem gewissen Grade Gott und Seine Wege verstanden, und dadurch im stande waren, solch gewaltige Werke zu vollbringen, — und so erscheinen die sogenannten Wunder nicht mehr übernatürlich, sondern göttlich natürlich. Nachdem diese Entfaltung des Gottessamens, diese geistige Evolution einmal festen Fuß im Bewußtsein des jüdischen Volkes gefaßt hatte, war es natürlich und unvermeidlich, daß dieselbe sich fortentwickeln würde, bis sie den Gipfel der Vollkommenheit erreichte; und dies geschah, als in der Fülle der Zeit Jesus als vollkommener Ausdruck der göttlichen Idee erschien. So sehen wir im alten Testament eine Schilderung der stufenweisen Entwicklung dieser geistigen Erkenntnis, wie sie im erwachenden Gedanken des auserwählten Volkes erschien; und das neue Testament beschreibt ihre vollkommene Offenbarung durch Jesus und die, welche ihn verstanden; Christian Science endlich zeigt nun den vollkommenen wissenschaftlichen Charakter dieser göttlichen Erkenntnis und ihre Anwendbarkeit auf jedes menschliche Bedürfnis. Die Christian Scientisten nehmen daher den ganzen neu-testamentlichen Bericht über das Leben Jesu an; beginnend mit der geistigen Empfängnis der Jungfrau Maria, alle Erzählungen von den mächtigen Taten Jesu, bestehend im Heilen der Kranken, im Auferwecken der Toten, im Wandeln auf dem Meere, im Speisen der Tausende, und schließlich in der Auferstehung und Himmelfahrt, dem krönenden Werke seines Lebens auf Erden; und dies ist bei ihnen nicht so sehr Sache des Glaubens; vielmehr sehen sie darin eine notwendige Entwicklung; doch halten sie diese Äußerung seiner Macht nicht für die Gabe eines Wundertäters, sondern für die Betätigung eines göttlichen Prinzips und eines geistigen Gesetzes, gültig für alle Zeiten, deren Wesen nur erkannt zu werden braucht, um sie sofort zur Anwendung zu bringen.

Glaube und Erkenntnis.

Hier mag man einwerfen: Ist die Erfüllung der Bibelverheißung nicht von Glauben mehr als von Erkenntnis und Wissen abhängig gemacht? Als Antwort möchten wir fragen: Wie weit kann man die beiden trennen? Wie kann man einen vernünftigen Glauben an das haben, von dem man nichts versteht? Und weiter möchten wir fragen: Beginnt nicht in menschlicher Erfahrung alle Erkenntnis mit Glauben? Wir lernten das Einmaleins auf Glauben hin, wir wandten es im Glauben an, und gelangten so zu richtigen Resultaten; und so wurde aus dem unfertigen Wissen, welches größtenteils aus Glauben bestand, allmählich ein wissenschaftliches Verständnis. Ebenso beginnt unser Verständnis von geistigen Dingen zuerst mit Glauben, Glaube an göttliche Hilfsquellen, an das, was dem Geiste möglich ist, zuerst nur undeutlich wahrgenommen und unvollkommen verstanden; wenn wir jedoch dieses begrenzte Verständnis dem geistigen Gesetze gemäß anwenden, gewinnen wir richtige Resultate, und Glaube entfaltet sich zu wissenschaftlicher geistiger Erkenntnis. Der Apostel Paulus schreibt: „Bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohns Gottes, und ein vollkommner Mann werden.” Der Verfasser des Briefes an die Ebräer schreibt: „Durch den Glauben merken wir, daß die Welt durch Gottes Wort fertig ist.” Während Johannes an einer Stelle den Glauben zur Bedingung für das ewige Leben macht: „Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben,” — macht er es an einer anderen Stelle von Erkenntnis abhängig. „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christ, erkennen.” Geht nicht aus diesen und vielen anderen Stellen deutlich hervor, daß Glaube und Erkenntnis in gleichem Sinne gebraucht werden, und einfach verschiedene Grade desselben Dinges ausdrücken? So werden wir notgedrungen zu der Schlußfolgerung hingeleitet, daß der Lehre Jesu und seiner Jünger eine exakte Wissenschaft zu Grunde liegt, welche sie in dem Grade, in welchem die Welt reif dafür war, lehrten. Das neue Testament lehrt Christian Science dem Inhalte, wenn auch nicht dem Buchstaben nach. In der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ist diese Wissenschaft wiederum einem Menschen, den Gott erwählt hat, offenbart worden, und in dem Werke von Rev. Mary Baker Eddy „Science and Health with Key to the Scriptures“ ist der Welt eine volle Auseinandersetzung dieser Wissenschaft geboten worden. Wir wollen einen kurzen Blick über die Ereignisse und Umstände werfen, welche zu dieser Entdeckung führten.

Die Entdeckung und die Entdeckerin.

Die Christian Science Bewegung gehört der Neuzeit an, da die Lehre in ihrer charakteristischen Eigentümlichkeit zuerst am Ende des neunzehnten Jahrhunderts gehört wurde. Während sie sich ausschließlich auf die in der Bibel ausgesprochene Wahrheit gründet und in den Worten und Werken Jesu ihre vollkommene Verkörperung sieht, so bedurfte es doch einer neuen Entdeckung dieser alten Wahrheit, um die Erkenntnis, welche wir heute von ihr besitzen, ins Leben zu rufen.

Mrs. Eddy ist als anerkannte Entdeckerin und Begründerin die natürliche und notwendige Führerin dieser Bewegung. Durch Geburt, durch Erziehung, durch natürliche Anlage und durch die aus Erfahrung erwachsende Bildung des Geistes wurde sie befähigt, der Welt eine Botschaft der Wahrheit zu bringen. Von berühmten Vorfahren abstammend, erzogen in einem Heim, wo die höchsten geistigen Ideale gepflegt wurden, umgeben von einer Atmosphäre, in der ein mächtiges Streben nach Freiheit und Wahrheit lebte; all diese Einflüsse vereinigten und verkörperten sich in ihrem Charakter und Lebenslauf. Mit ungewöhnlicher Verstandesklarheit, mit einer Natur, die in allen Motiven und Bestrebungen auf das Geistige gerichtet war, ausgestattet in der Schule der Widerwärtigkeiten, ausgebildet und geläutert im Feuer der Schicksalsschläge, war ihr reines Bewußtsein vorbereitet auf die Erfahrung, welche ihr schließlich zu teil wurde, als im Schatten des Todes ihrem geklärten Blick die Sonne der Gerechtigkeit mit der göttlichen Heilkraft aufging.

Die Christian Scientisten blicken auf Mrs. Eddy mit Vertrauen, Dankbarkeit und Liebe für den Segen und die Wohltaten, welche ihnen durch ihre Lehre und Arbeit zu teil geworden sind. Heute ist es kaum noch nötig einer Versammlung wie dieser zu versichern, daß die Christian Scientisten Mrs. Eddy in keiner Weise vergöttern; sie beten ihre Persönlichkeit nicht an, bringen ihr keine göttlichen Ehrenbezeugungen dar, und betrachten sie nicht als einen zweiten Christus. Sie widmen ihr einfach die Verehrung, das Vertrauen und die Liebe, welche ihr als Entdeckerin von Christian Science, und als natürliche, passende und notwendige Führerin dieser Bewegung zukommt.

Was ist nun Christian Science? Auf diese Frage läßt sich keine bessere Antwort finden, als die, welche Mrs. Eddy selber gibt, wenn sie Christian Science definiert als „das Gesetz Gottes, das Gesetz des Guten, welches das Prinzip und die Herrschaft universeller Harmonie erklärt und beweist” (Rudimental Divine Science, S. 7).

Die Offenbarung geistiger Macht.

Für die meisten Menschen, welche das Wesen der Christian Science zu ergründen suchen, ist das auffallende, auf das ihre Aufmerksamkeit gelenkt wird, die direkte Wirkungskraft des Gedankens, daß derselbe ein entscheidender Faktor im Leben und Treiben der Menschen ist, selbst wenn er in Wort oder Tat keinen Ausdruck findet; und doch finden wir in unserer täglichen Erfahrung so häufige Beispiele hiervon, daß es in Wirklichkeit durchaus keine überraschende Behauptung ist. Wie kommt es, daß uns ein Heim so ganz anders berührt als ein anderes, schon in dem Augenblick, wo wir es betreten? Es liegt dies daran, daß wir die Gedankenzustände, welche die geistige Atmosphäre eines Heims zusammensetzen, fühlen. Wenn wir bei der ersten Begegnung mit bis dahin unbekannten Personen uns instinktiv angezogen oder abgestoßen fühlen, so läßt sich dies nur aus der geistigen Berührung erklären. Oder wir finden, daß unser Denken mit dem unseres Freundes übereinstimmt, und beide dasselbe zu gleicher Zeit denken. Dies alles sind alltägliche Erfahrungen. Die meisten unter uns wissen gewiß von noch weit auffallenderen Beispielen vom Einfluß und der Wirkung der Gedanken aus eigener Erfahrung zu berichten. Diese verschiedenartigen Erscheinungen mögen nun teilweise im Einklang mit der Christian Science Lehre oder auch mit derselben im Widerspruch stehen; in der Regel ist das letztere der Fall, denn sie sind nicht Äußerungen der Tätigkeit des göttlichen Geistes, sondern des menschlichen, sterblichen Geistes. Auf jeden Fall sind sie jedoch ein deutlicher Beweis von dem Dasein von Gedankenquellen und Gedankentätigkeit, deren Möglichkeiten wir gerade erst zu erkennen anfangen. Christian Science offenbart diese Macht des erweckten Gedankens; sie zeigt, wie der menschliche Geist, mit seinen falschen Anschauungen und Befürchtungen dem göttlichen Geist Platz machen, von demselben beherrscht und in die rechten Bahnen geleitet werden muß; und wie sich auf diese Weise die heilende und erlösende Wirkung des göttlichen Geistes erklärt.

Hieraus geht deutlich hervor, daß das Werk von Christian Science nichts gemein hat mit hypnotischer Suggestion oder mesmerischem Einfluß, und es nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden kann, daß Christian Science das direkte Gegenteil des animalischen Magnetismus in jeder Form ist. Da die Wirkung nicht von der menschlichen Persönlichkeit, sondern von dem göttlichen Prinzip ausgeht, so ist die Macht, deren Tätigkeit dadurch bewiesen wird, nicht menschlicher, sondern göttlicher Natur. Andrerseits darf Christian Science nicht mit dem sogenannten Glaubensheilen verwechselt werden, denn wenn sie uns auch lehrt, zur Heilung auf Gott allein zu vertrauen, so ist dieses Vertrauen nicht ein blinder Glaube, sondern gründet sich auf die Erkenntnis von Gottes Wesen und von dem geistigen Gesetze, welche die heilende Wirkung ausüben. Der Christian Scientist steht mit seiner Erkenntnis mit der Ursache und Art der Heilung auf ganz anderem Boden als der Glaubensheiler, da Christian Science unverkennbare Beweise dafür liefert, daß alle Ursache und Wirkung geistiger, nicht materieller Art ist. Die Ursache aller Krankheit liegt in den falschen Anschauungen und in der Furcht des menschlichen sterblichen Geistes, — und die Heilung erfolgt durch die klare Erkenntnis und Überzeugung von der Gegenwart und Allmacht des göttlichen Geistes, — durch die Zerstörung des Irrtums durch die Wahrheit und die Liebe, welche die Furcht austreibt. Wenn der Christian Scientist auf diese Weise die heilende Wirkung der göttlichen Wahrheit und Liebe beweist, so sieht er hierin nicht ein besonderes Eingreifen der Gottheit, sondern den Beweis der Tätigkeit göttlichen Gesetzes. Er beschäftigt sich mit dem Geistigen nicht als mit dem geheimnisvollen Reich des Unbekannten, sondern bewegt sich auf dem Gebiete, wo er mit Ursache und Wirkung vertraut ist.

Das rechte Gebet in Christian Science.

Welches sind nun die Wege und Mittel, durch die wir die unerschöpflichen göttlichen Quellen des Lebens und der Liebe erreichen können? Es gibt nur ein Mittel, von der Bibel vorgeschrieben und von Jesus nachdrücklich empfohlen, nur eins, welches Christian Science anerkennt, — und dieses ist das Gebet. Durch Gebet erhalten wir Zutritt zu den Hilfsquellen Gottes. Das Gebet kann keine Änderung im Unendlichen hervorbringen; es kann Gott nicht veranlassen, „noch mehr zu tun, als Er schon getan hat” (Science and Health, S. 2); wohl aber kann es unseren Geist so heben und erleuchten, daß wir erkennen, was Gott für die, welche Ihn lieben, bereitet hat.

Wenn wir uns das wahre Wesen und die Bedeutung des Gebetes klar zu machen suchen, so müssen wir fest im Auge behalten, was der Apostel Paulus sagen will mit den Worten: „Alles ist euer,” ferner: „Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz kommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.” Petrus spricht dieselbe Wahrheit aus, wenn er sagt: „Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dienet, uns geschenkt ist.” Mit anderen Worten, es ist ein Reich unerschöpflicher Quellen da, auf welches wir ein Anrecht haben, ein gelobtes Land, das unser ist unter der Bedingung: „Alle Stätten, darauf eure Fußsohlen treten werden (welche ihr mit dem Wachsen eurer Erkenntnis erreichen werdet), hab ich euch gegeben.”

Diese Wahrheit wahrzunehmen und klar zu erfassen, bedeutet dieselbe als Wirklichkeit in unsere Erfahrung zu bringen, und so die mächtige Wirkung dieser geistigen Quellen zu beweisen; und wenn die Lehre des Christentums auf Wahrheit beruht, so muß jedes menschliche Bedürfnis aus derselben befriedigt werden können; jetzt verstehen wir auch, weshalb unser Meister sagte: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.” Wenn nun solch ein Erbteil geistigen Reichtums, solch eine Fülle göttlicher Quellen unser wartet, so sollte unsere Gemütsstimmung derart sein, daß wir unser Recht auf dieselben geltend machen und darauf bestehen, daß wir sie besitzen. Um das, was uns Gott mit offenen Händen anbietet, brauchen wir nicht zu flehen, wir brauchen es nur anzunehmen.

Die Schritte zu dem Gebet, dem Erhörung gewiß ist, sind also diese: Erstens, ein geistiges Erkennen unserer göttlichen Hilfsquellen: zweitens, ein geistiges Ergreifen dieser Hilfsquellen, indem wir das Vorhandensein derselben und unser Anrecht auf dieselben erklären; drittens, ein beharrliches Festhalten an dieser Erklärung, bis unser Bewußtsein eine Stufe klarer geistiger Erkenntnis erreicht; dieses mit klarem Sinn durchgeführt, wird in den Worten von Science and Health „die Dinge des Lebens, der Wahrheit und der Liebe zur tatsächlichen Äußerung bringen.” Um noch einmal zu wiederholen: Wenn wir die Tatsache, daß aus der unerschöpflichen Reichtumsfülle Gottes jedes Bedürfnis hier in der Gegenwart befriedigt werden kann, immer klar vor Augen halten, so ist das wahre Gebet, ein geistiges Erkennen, ein Bestehen auf, ein sich bewußt werden und beweisen der Gegenwart und Tätigkeit dieser geistigen Hilfsquellen.

Sollte dieses vielleicht den Eindruck erwecken, als ob wir die Dinge in unsere eigenen Hände nehmen und dem Gebet den Charakter des Bittens rauben wollen? Der Begriff, daß wir durch das Gebet Gott umstimmen oder Ihn bewegen können noch mehr zu tun als Er schon getan hat, wird allerdings dadurch zerstört, aber nach der Lehre des neuen Testamentes ist das Bitten in gewissem Sinne ein Element des rechten Gebetes. Wenn wir nun fragen, aus was für einer Gemütsverfassung das Bitten hervorgeht, so müssen wir antworten, daß wir bitten, weil wir von dem, an welchen wir uns mit unserem Anliegen wenden, abhängig sind, und von ihm die Erfüllung unserer Bitte erwarten; und in dieser Erkenntnis von dem Wesen Gottes, als Dem, von welchem wir für alles Gute abhängig sind, und von dem wir zuversichtlich alles Gute erwarten können, verliert das Christian Science Gebet niemals den Charakter der Bitte.

Das wahre Gebet sucht also Gott nicht zu ändern oder zu beeinflussen, sondern zu erkennen. Das wahre Gebet sucht nicht die Tätigkeit von Gesetzen zu stören oder zu unterbrechen, sondern in Einklang mit denselben zu kommen. Solch ein Gebet, welches die Macht und Gegenwart der göttlichen Liebe, welche Gott „eine Hilfe in den großen Nöten” beweist, geht nicht aus dem Wunsch hervor, daß Gott in die menschlichen Zustünde eingreifen möge, vielmehr findet es seinen Weg hinauf zu der Höhe der göttlichen Herrschaft. Solch ein Gebet, welches erkennt, daß in dem Reich der geistigen Wirklichkeit die Vollkommenheit herrscht, weil Gott das ist, was Er ist, sucht nicht die göttliche Liebe zu veranlassen, sich uns anzupassen, vielmehr sucht es zu ergründen, wie wir in Einklang mit der göttlichen Liebe kommen können. Und solch ein Gebet erlangt seine Erfüllung dadurch, daß es in Gott das findet, was jede Sehnsucht stillt, jedes Ideal verwirklicht und jedes Bedürfnis befriedigt. Indem wir uns so der Gegenwart und Macht des göttlichen Geistes bewußt werden, verliert der menschliche Begriff von der Materie und vom Bösen auch seine scheinbare Macht, Gottes Kinder in den Banden der Not, der Krankheit und der Sünde zu halten.

Das göttliche Prinzip.

Das Gebet ist also das Mittel durch welches wir Gott finden; durch dasselbe lernen wir Sein Wesen kennen, damit wir Frieden finden und Segen empfangen können. Das, was allein diesen Frieden bringen kann, ist solch eine Erkenntnis von dem Wesen Gottes, welche sowohl den Bedürfnissen des menschlichen Herzens wie auch den höchsten Anforderungen des Verstandes genügen wird; und der ganze Zweck und Ziel von Christian Science wird uns klar, wenn wir finden, daß sie gerade diese Erkenntnis von Gott gewährt. Hier erweist sich Seine liebevolle Fürsorge als so unfehlbar und gütig, daß kein Sperling ohne Ihn zu Boden fällt und alle Haare auf unserem Haupte gezählt sind; Seine Weisheit und Macht zeigen sich in solcher Vollkommenheit und Größe, daß Er „misset die Wasser mit der hohlen Hand, und fasset den Himmel mit der Spanne, und begreift den Staub der Erde mit einem Dreiling, und wäget die Berge mit einem Gewicht.” Um nun die Nähe und unbegrenzte Macht und Größe unseres Gottes auszudrücken, nennt Christian Science Ihn: göttliches Prinzip.

Diese verhältnismäßig neue Bezeichnung Gottes ist notwendig, um das menschliche Denken von gewissen begrenzten und begrenzenden Begriffen von Gott als einer Person zu läutern. Es ist von der allergrößten Wichtigkeit, daß wir ein für alle Male die Vorstellung aufgeben, als sei Gott ein Wesen mit einer bestimmten Form, welches einen gewissen Ort bewohnt. Gottes Beziehung zu Seinem Weltall ist nicht die eines Schöpfers, welcher einen wunderbaren Mechanismus — oder Organismus, wenn Sie so wollen — geschaffen, denselben nach gewissen Gesetzen in Tätigkeit gesetzt hat und ihn dann aus Seiner Zurückgezogenheit beobachtet und gelegentliche Eingriffe macht, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Vielmehr erkennen wir das Verhältnis Gottes zu Seiner Schöpfung, wenn wir wahrnehmen, daß jedes Ding, welches existiert, eine göttliche Idee ist. Jede Einzelheit derselben war und ist seinem eigentlichen Ursprung nach ein Ausdruck von Gottes Gedanken; Seine Schöpfung existiert heute, weil sie unmittelbar durch Seine Gedanken und als Sein Gedanke erhalten wird, und wenn die wahre Natur der Dinge auf diese Weise erkannt wird, so wird man sehen, daß alles ein unmittelbarer Ausdruck von Gottes Gegenwart, Macht, Weisheit und Liebe ist.

Wenn wir wissen, wie Gottes Gedanke alle Dinge erhält und belebt, so wird die Bedeutung vieler Bibelstellen klar. Jedesmal, wenn die Macht Gottes in der Bibel erwähnt wird, wissen wir, daß dies die Macht des göttlichen Gedankens ist, denn „Gott ist ein Geist” „ohne Körper, Teile oder Leidenschaften.” Wenn die heilige Schrift z. B. von Gottes Hand spricht, so ist dies ein Bild, um die Idee der Macht des Gottesgedankens zu veranschaulichen. Wenn wir lesen, Er „misset die Wasser mit der hohlen Hand,” so hat er dieselben in Seinen Gedanken gemessen; ebenso Er „fasset den Wind in Seine Hände,” in Seinem Gedanken. „In Seiner Hand” — in Seinem Gedanken — „ist die Seele alles des, das da lebet, und der Geist des Fleisches aller Menschen.” Gottes Gedanke ist es, welcher „den Morgenstern hervorbringt zu seiner Zeit” und „den Bären am Himmel samt seinen Jungen heraufführt.” Es ist in der Tat buchstäblich wahr, daß wir unserem wirklichen Wesen nach, Gottes Gedanken sind und so „in Ihm leben, weben und sind.” Aus dem Gesagten geht hervor, daß wir in einer Welt leben, welche ihrem Wesen nach eine Geistes-Welt oder eine Gedankenwelt ist; ein Weltall, welches von Gedankenmacht erhalten, von Gedankengesetzen beherrscht und gelenkt, und von Gedankenleben belebt wird. Mit anderen Worten, der Geist begründet alles und beherrscht alles, aber dieser Geist ist göttlich und nicht menschlich; und er offenbart sich uns als Leben, Wahrheit und Liebe. Um nun dieses innige Verhältnis von Gott zu Seiner Schöpfung anzudeuten, und um einen Ausdruck zu gebrauchen, welcher unserem Begriff von der Gottheit als der schaffenden, erhaltenden, beherrschenden und lenkenden Ursache aller Dinge, frei von allen Begrenzungen der Person, gerecht wird, nennen wir Ihn das göttliche Prinzip, und deshalb verehren wir doch noch den Gott unserer Väter.

Alles dies erhält eine lebendige und praktische Bedeutung, wenn wir sehen, daß der Mensch Gottes Ebenbild ist und als solches die Intelligenz und Energie des göttlichen Geistes widerspiegelt. In dem Maße, in welchem die Sterblichen diese Wahrheit begreifen, werden sie sich bestreben, mit den göttlichen Hilfsquellen in Einklang zu kommen und den praktischen Nutzen daraus zu ziehen. Wer dies versteht, wird erkennen, daß der wahre Mensch mit dem unendlichen Leben, der Wahrheit und der Liebe unzertrennlich verknüpft ist, und wird so den Beweis erbringen, daß das Göttliche das entscheidende Element in jeder Lebenserfahrung ist. Der Mensch ist nicht selber die Macht; aber als Gottes Ebenbild, als Gottes Kind, ist er die Widerspiegelung der Macht und Liebe Gottes, wie Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.”

Vielleicht können wir durch ein treffendes Beispiel mehr Licht auf das Ganze werfen. Wenn ein Lichtstrahl durch ein Prisma hindurch auf eine weiße Fläche, eine Wand oder einen Schirm, in einem dunklen Raum fällt, so haben wir die Erscheinung der Spektralanalyse; das klare weiße Sonnenlicht wird in seine ursprünglichen Elemente — Violett, Indigo, Blau, Grün, Gelb, Orange und Rot, gespalten. Wie nun das Sonnenlicht die Basis und Quelle der Farben auf dem Schirm, — ja aller Farben — ist, so ist Gott das Prinzip Seines eigenen Weltalls. Ebenso wie die Farbengesetze das sind, was sie sind, weil das Licht das ist, was es ist, so sind die geistigen Gesetze, welche die Schöpfung erhalten, das, was sie sind, weil Gott das ist, was Er ist. Wenn die Farben auf dem Schirm unklar, verschwommen oder verdunkelt sind, so tadeln wir deshalb nicht das Licht und denken nicht daran, seinen Charakter oder die Art seiner Tätigkeit zu ändern, denn wir wissen, daß die Schuld nicht an dem Licht, sondern an dem Prisma, welches das Licht hindurchläßt, liegt. So ist Erkenntnis, geistige Erkenntnis, das Prisma für das menschliche Bewußtsein. Wenn sich in unserer Erfahrung Finsternis und Disharmonie findet, so werden wir niemals Befreiung erlangen dadurch, daß wir Gott dafür verantwortlich machen, oder dadurch, daß wir einen Wechsel in Ihm oder Seinem Verhalten gegen uns hervorzubringen suchen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, alles aus unserem Bewußtsein fortzuräumen, was das Hereinströmen des göttlichen Geistes verhindert; und wenn es auf diese Weise gereinigt, das göttliche Licht klarer hindurchstrahlen läßt, so werden an Stelle des verschwommenen Lichtes und der schweren Schatten der Erde die Farben, die Schönheit und die Herrlichkeit des Himmels treten.

(Fortsetzung folgt in nächster Nummer.)

Copyright, 1904, by Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht im Jahre 1904 von Mary Baker G. Eddy.

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