Ein charakteristischer Zug des Tempeldienstes, von Moses angeordnet, war die Anforderung einer persönlichen und ceremoniellen Reinlichkeit, und je mehr man über diese symbolischen und gehaltvollen Bedeutungen dieser Anforderungen nachdenkt, je wichtiger scheinen sie zu sein. Jesus deutet deren Zugehörigkeit an, wenn er sagt: „Wer gewaschen ist, ... ist ganz rein,” und ferner in seiner scharfen Verurteilung derjenigen, die so peinlich sorgfältig auf Äußerlichkeiten hielten, — „die Becher und Schüsseln,” — aber gleichgültig gegen das innere Leben waren, — das Denken und den Beweggrund.
Seine Lehre, daß Reinheit jede Richtung des geistig angeregten Lebens kennzeichnen muß, innerlich wie äußerlich, den Beweggrund und dessen Ausdruck, den Gedanken und dessen Aussage, wurde vom Apostel Paulus ganz klar erfaßt, als er, nachdem er eine glänzende Beschreibung unserer möglichen geistigen Ausführung gegeben, die Ermahnung folgen ließ: „Lasset uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen, und fortfahren mit der Heiligung in der Furcht Gottes.”
Die Erkennung der Unziemlichkeit der materiellen Unordnung — Schmutz — wächst im menschlichen Sinn mit dem Fortschritt von einer rohen zu einer gebildeten Civilisation und der Rang eines Volkes ist daher genau nach seinem Interesse in Gesundheitspflege bestimmt. Paulus’ Vorschrift bezieht sich jedoch auf beide, „des Fleisches und des Geistes.” — Person und Geistigkeit. Sie legt Nachdruck auf die Fassungskraft der Reinheit des Christusideals gegen den alten Pharisäismus, gegenwärtig noch existierend, welcher die größte Sorgfalt anwendet um sich äußerlich vor Verunreinigung zu schützen, während er fortwährend innerlicher Verunreinigung frönt.
Wie oft begannen wir den Tag mit einem Bad, machten all unsere Anordnungen rein und heilsam, und haben dann unser Inneres dem flutenden Abzugskanal der weltlichen Abnormitäten geöffnet, bis deren befleckende Trümmer in jedem Gedankenlauf angehäuft waren — ja, bis in unser Heiligstes, am Altar! Wahrlich, wenn das Bewußtsein bis ins Innerste durchsichtig werden soll, wenn wir „ganz rein” werden wollen, so müssen diese vergifteten Ströme aus unserem Innern fern gehalten werden. Wer sein Ohr den sinnlichen Verleumdungen leiht, oder den täglichen Beschreibungen der Krankheiten, Katastrophen und Verbrechen der Welt, gibt seine Schätze den Dieben und Räubern preis. Er willigt selbstbewußt in geistige Verderbnis und moralische Beraubung, und hier, wie immer, verstärken die höchsten Betrachtungen des Selbstinteresses den Ruf zu einem geistigen Leben.
Überdies verlangt das Christusideal, daß wir nicht nur der Annäherung des Übels widerstehen, sondern daß wir immer die Ordnung, Schicklichkeit und Harmonie der Wahrheit widerspiegeln. Jesus sagte: „Was aus dem Menschen gehet, das macht den Menschen gemein”; und wir werden leicht einsehen, daß der Ausdruck des Irrtums gemeinschaftliche Verbindung, wenn nicht gar Identität mit dem Irrtum finden muß, und daß die Gewohnheit dazu dient, den Gedankenzustand zu befestigen und zu verstärken, der die Wiederholung des Irrtums veranlaßte. Reinlichkeit bedeutet Übereinstimmung mit dem Gesetze. Sie blüht in wissenschaftlicher Genauigkeit, Klarheit und Läuterung des Denkens. Reinheit, Keuschheit und Schönheit des Ausdrucks ist der einzige passende Kanal für richtige Ideen, und nicht nur Unsittlichkeit, sondern Unklarheit und Unbestimmtheit in Aussagen, sollten als Anstoß erregend erkannt werden, denen wir durch Gebet und geduldiges Streben entkommen müssen. Wohl kennen wir das alte Sprichwort: „Nichts ist widerwärtiger als Schmutz” — der Schmutz der Unordnung. Das Geschwätz „man kann nicht aufhören,” welches eine Menge ungegliederter Ideen auf einen einzigen Faden zufälliger Bekanntschaften zieht, überzeugt nie, aber beleidigt oft und ist abstoßend, während das „Gewissen” derjenigen, die dieser Versuchung unterliegen „weil es so schwach ist, beflecket” wird. Jesus tadelte diese Versuchung scharf in seinen Worten: „Eure Rede aber sei: Ja, ja, nein, nein; was drüber ist, das ist vom Übel.”
Wenn wahre Tatsachen aus ihrem richtigen Verhältnis und Stand entfernt werden, leiten sie zuweilen irre, und wer kann die Größe und den Umfang der Mißverständnisse über die Wahrheit absehen, den Ernst und Nachteil jeder würdigen Sache, die durch die taktlosen und unzulänglichen Reden der Repräsentanten verursacht sind? „Und will rein Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet,” ist die Verheißung, und deren Erfüllung enthält beides, das Wissen der Wahrheit und deren verständlichen und gefälligen Ausdruck. Im Reiche des Gesetzes ist kein Schmutz, — nichts ist entstellt oder verschoben. Alle Dinge sind der Christusidee untertan, und wenn die Entdeckerin der Christian Science nichts weiter geäußert hätte, als ihren dringenden Ruf zur Kundgebung einer folgerechten christlichen Reinheit in Gedanken, Wort und Gewohnheit, so würde das uns alle zu ihren Schuldnern gemacht haben.
Die göttliche Ordnung und Einrichtung ist „rein.” Die Lehre der Christian Science begründet die Ordnung wesentlich im Denken durch die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, dem Wirksamen und dem Scheinbaren. Alle Unwahrheit, Unwirklichkeit, Irrtum ist Chaos, Verwirrung, Schmutz, „daß man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten.” Alles Materielle vom Begriff und alle Ungeistigkeit vom Leben soll beseitigt werden, bis der Sinn vom Selbst und vom Universum „ganz rein” ist; dann erscheint der Mensch unbefleckt und unverdorben wie ein Sommerhimmel, denn das Bild Gottes ist „wie die Gestalt des Himmels, wenn’s klar ist.”
