Das Gewicht, das Ansehen und der Umfang, welche der Christian Science Bewegung heute eigen sind, hat sich dieselbe unter dem Schatten allgemeiner Mißbilligung erworben. Sie ist das Ziel sinnlosen Hohnes, verständnislosen Witzes, wie ungerechter Kritik gewesen. Sie ist falsch dargestellt, unrichtig beurteilt, kritisiert und verdammt worden. Jetzt, nachdem die Kritiker und Gegner von Christian Science während eines drittel Jahrhunderts reichlich Gelegenheit gehabt haben, dieselbe gründlich zu beobachten, wäre es wohl an der Zeit, daß sie sich einmal ruhig überlegten, was denn eigentlich ihre Opposition und ihren Zorn erregt hat. Was ist das verderbliche Element in Christian Science, und in welcher Weise hat sie auf ihre Anhänger schädlich eingewirkt? Worin besteht der böse Einfluß, vor welchem Christen wie auch andere sich hüten sollten?
Man hat Christian Science utopisch, idealistisch, unpraktisch genannt, weil man die Segnungen, die sie den Menschen bietet, als zu gut für eine so schlechte Welt ansah. Man hat sie als unchristlich verdammt, weil sie die wirkliche Existenz und Macht jenes bösen Sinnes, oder Begriffes vom Bösen, von dem so viele Religionsvertreter in einem Atem mit Gott sprechen, leugnet. Ihre Anhänger hat man für Fanatiker erklärt, weil sie tatsächlich bei der praktischen Anwendung ihrer Lehre verharrt sind, und so weit gingen, daß sie sich in der Not lieber auf Gott als auf die irrenden sterblichen Menschen verließen. Und so haben die zahlreichen Kritiker von den verschiedenen Standpunkten aus ihre Munition auf dieselbe verbraucht, während die Anhänger der Christian Science ruhig ihres Weges gegangen sind und den Kranken und Sündigen Heilung gebracht haben.
Weshalb sollte Christian Science nicht auf Wahrheit beruhen? Aus was für einem Grunde sollten die Menschen beständig im Elend gefangen gehalten bleiben, und nicht vielmehr schon auf Erden ein wenig vom Himmel erblicken? Oder weshalb sollte es schwieriger sein, gute Ideale zu verwirklichen, als schlechte? Warum sollte es nicht auch für orthodoxe Christen besser sein, das Gute allein als herrschende Intelligenz und Macht in der Welt aufrecht zu erhalten, anstatt nur einen geringen Teil des Guten und ein großes Übermaß des Bösen? Wie kann es unchristlich sein, die ganze Welt und den ganzen Menschen Gott und Gottes Herrschaft zu überlassen? Und weshalb sollte es nicht ebenso wirkungskräftig sein, wenn man sich in Gebet und reines Denken versenkt, anstatt Arzneien zu nehmen? Oder weshalb sollte ein gottesfürchtiges Volk es für seltsam halten, auf Seine Liebe und Hilfsbereitschaft rechnen zu können, wenn der Mensch in der Not zu Ihm geht, wie der Mensch zum Menschen? Was man auch dagegen sagen oder denken mag, weshalb sollte es nicht so sein?
Wenn Christian Science wirklich das wäre, wofür viele sie in ihrer Unwissenheit halten, so wäre ihr Ende schon lange herbeigekommen, sie wäre durch ihren eigenen Trug, Torheit und Nutzlosigkeit vernichtet worden, ohne Eingreifen Außenstehender. Aber da diese Bewegung nicht den Entwicklungsgang genommen hat, den ihre Gegner ihr häufig prophezeit haben, sondern vielmehr jedes Jahr an Kraft und Umfang zugenommen hat, und Hoffnung, Freude, Kraft, Gesundheit und Freiheit einer großen Zahl Leidender auf Erden gebracht hat, sollte daher nicht doch das in Christian Science zu finden sein, was die ganze Welt besser und glücklicher machen würde? Wenn die menschliche Gesellschaft in einer wünschenswerten Verfassung wäre, so wäre für reformatorische Arbeit kein Bedürfnis vorhanden, und Christian Science könnte weder ein Feld noch Anhänger finden; aber selbst die eifrigsten Gegner derselben geben zu, daß sittlich, wie auch körperlich die ganze Menschheit sich in einem beklagenswerten Zustande befindet. Laßt uns einmal für den Augenblick annehmen, daß der Einfluß von Christian Science sich über die ganze Gemeinschaft und auf jedes Individuum erstreckte, daß alle echte Christian Scientisten wären, was würde die Wirkung auf die Gesellschaft, auf Geschäftsverhältnisse, auf die Gesundheit und den Charakter der Menschheit sein? Dies ist mehr als bloß müßige Phantasie, denn angesichts der Tatsachen in der Gegenwart liegt die Verwirklichung nicht in weiter Ferne; aber wenn es jetzt schon der Fall wäre, würde es mit der Welt besser oder schlechter stehen?
Man stelle sich vor, daß alle Menschen in ihrer religiösen Überzeugung eins wären, und dieselbe auf die Religion unseres Meisters gegründet sei; daß ein jeder mit ganzem Ernst sich bemühte, denselben Christuscharakter, den er erreichte, sich zu eigen zu machen, sein Bewußtsein von allem Haß, Selbstsucht, Neid, Eifersucht und Habgier, von jedem bösen Gedanken und Begehr zu reinigen, und seinen Nächsten wie sich selbst zu lieben, daß er immer danach strebte, die Gesinnung in sich herrschen zu lassen, die auch in Christus Jesus war. Man stelle sich vor, daß alle Menschen täglich versuchten dies zu tun, was würde das Resultat sein? Was würde aus Streit zwischen Personen und Völkern werden, was aus Kriegen und Revolutionen, aus Streiken und Monopolen, aus Armut, verderbten Sitten und all den schrecklichen Verbrechen, welche einen so großen Teil unserer täglichen Nachrichten bilden? Wo bliebe eine geistige oder sittliche Atmosphäre übrig, in der jene Zustände gedeihen könnten? Christian Science hat auf den Einzelnen immer den Einfluß, ihn zur Christus- ähnlichkeit und zur Menschenliebe hinzuführen. Und wenn wir vom Einzelfall auf die ganze Menschheit schließen, würde das Resultat gut oder schlecht sein?
Wenn alle Menschen die Christian Science Lehre von der Alleinherrschaft und Alleinexistenz Gottes, des Guten, und von der daraus sich ergebenden Unwirklichkeit des Bösen als intelligenter, positiver Macht, annähmen; wenn niemand einen Teufel anerkennte, außer dem Glauben an eine Existenz im Fleische, und den Einflüsterungen und Versuchungen dieses bösen Begriffes vom Menschen nicht gehorchte, sondern statt dessen immer Gott, den unendlichen Geist zu ehren suchte, als einzigen Schöpfer und einzige Macht, und Sein Ebenbild als den allein echten und wirklichen Menschen; wenn alle so dächten und lebten, wo wäre dann die Gotteslästerung, die Ketzerei, das Unrecht? Daß dieses einmal in der Zukunft verwirklicht werden muß, ist die Hoffnung und der Glaube jedes Christen; weshalb sollten dann die Christian Scientisten verurteilt werden, wenn sie jetzt schon mit der Verwirklichung beginnen? Was für ein Gesetz Gottes legt dem Menschen die Notwendigkeit oder die Pflicht auf, an das Böse zu glauben? Wenn die ganze Welt an die unendliche Güte und Macht Gottes glaubte, würde hieraus Gutes oder Böses folgen?
Angenommen, daß alle Menschen dieselbe Überzeugung hätten wie die Christian Scientisten, daß keine Gesundheitsgesetze existierten, außer dem Gesetz der Gerechtigkeit und Reinheit; keine Arznei außer der Wahrheit, daß der Mensch als Kind Gottes vollkommen ist; keine Chirurgie außer der Beseitigung des Irrtums, dem Ausschneiden schlechter Gewohnheiten und anderer Übel; daß keine Krankenhäuser nötig wären außer der Kirche; kein müßiges Sprechen über Schmerz und Krankheit, sondern alle ihre Gesundheit in Gott und von Gott kommend fänden — was dann? Wäre dies Fanatismus oder die Verwirklichung des höchsten Zweckes der Religion? Man stelle sich eine gesunde Menschheit vor, in der die Furcht vor Krankwerden nicht existiert, in der die einzige Ansteckung in Liebe und gegenseitigem Helfen, die einzige Quarantäne in der Wachsamkeit gegen Selbstsucht und Unrechthandeln besteht! Sollten die Kritiker dieses Bild für übertrieben halten, so mögen sie den Einfluß von Christian Science in einzelnen Fällen und in Familien prüfen, und hiervon auf die Gesamtheit schließen. Noch besser wäre es, wenn sie den Einfluß von Christian Science auf sich selber prüften, wie es andere getan haben, und uns mitteilten, ob die Wirkung gut oder schlecht ist. Die menschliche Natur ist ziemlich gleichartig, wo man sie auch immer finden mag. Sie ist überall durch denselben Hang zum Irrtum, dieselben Leiden und Nöte, dieselben Befürchtungen und Sünden gekennzeichnet. Es ist keine Übertreibung, kein unmögliches Phantasiegebilde, wenn wir alle Menschen in die Erlösung einschließen, welche Christian Science schon so vielen gebracht hat, und die sie allen anbietet.
Wenn Christian Science unter den Menschen Gutes wirkt, wenn sie die hilflosen Kranken heilt und die tiefgesunkenen Sünder zur Umkehr bewegt, wenn sie den bekümmerten Herzen Freude und Trost bringt und die Nacht im Gemüt der Menschen erleuchtet, wenn sie ihnen hilft ehrlich zu leben und in gerechter und wohlwollender Weise mit ihren Nebenmenschen umzugehen — und dies alles tut sie — was liegt dann daran, wenn sie den alten Weisen der religiösen oder medizinischen Verfahren nicht folgt, oder wenn sie von dem Dogmatismus der materiellen Wissenschaft und Philosophie abweicht? Wenn Christian Science die Gedanken der Menschen vom Bösen abwendet, fort von Selbstsucht, Engherzigkeit und Unlauterkeit, fort von allem, was den Charakter des Menschen erniedrigt, und wenn die praktische Anwendung dieser Wahrheit in ihren christlichen Bestrebungen Erfolg hat, weshalb will man dann den Stein der Verdammung auf sie werfen und zwar nur aus dem Grunde, weil sie einen anderen Weg einschlägt, als die alten Methoden, welche die Menschen nicht aus dem Labyrinth des Irrtums herausgeführt haben?
Mögen die Gegner von Christian Science einen Blick über die vergangenen Jahrhunderte werfen, soweit die Geschichte sie tragen will, über die endlosen Bemühungen menschlichen materiellen Wissens, die Übel des Fleisches zu bekämpfen und zu überwinden, um das Geheimnis von Gesundheit, Harmonie und Zufriedenheit zu finden. Und wenn sie die lange Reihe trauriger Mißerfolge bis zur Jetztzeit betrachten, können sie uns dann sagen, wo auf materiellem Gebiete noch ein Ort unerforscht geblieben ist, auf dem sich ein wirkungskräftiges, erlösendes und belebendes Heilverfahren für die Menschheit aufbauen ließe? Wenn sie ohne Vorurteil und Leidenschaft die tiefe Not der Welt überblicken, können sie uns auf irgend etwas auf dem ganzen Gebiete menschlichen Wissens, der Vergangenheit oder Gegenwart hinweisen, welches dieselbe göttliche Wirkungskraft, denselben reinen und erhebenden Einfluß besäße, wie das Christentum Christi, Christian Science?
