Es ist fraglich, ob eine weitere Erörterung der Christian Science in der Weise, wie sie in den bisher erschienenen Briefen stattgefunden hat, von irgendwelchem Wert wäre. Die Verfasser haben allem Anschein nach keine direkte Bekanntschaft mit dem Buche, als dessen Kritiker sie sich aufwerfen. Ihr Raketenfeuer ist daher das Resultat ihrer Ansichten über das, was Herr O — für die Ansichten der Christian Scientisten hält. Herr G — hat sich in seiner Kritik der allerverkehrtesten Methoden bedient, mit denen dann natürlicherweise auch das Ergebnis übereinstimmt. Es ist deshalb wohl am besten, wir überlassen es den drei Verteidigern des Herrn O —, seinen Mantel mit ihm zu teilen, seine Feder zu führen und seine Weisheit zu wiederholen. Man kann leicht Sätze aus ihrem Zusammenhang herausreißen, sie verstümmeln und ihnen irgend eine beliebige Bedeutung beimessen. Wir wollen lieber etwas Wichtigeres besprechen als die Möglichkeiten eines solchen Verfahrens.
Vor vierzig Jahren gab es bloß eine Christian Scientistin in der Welt; heute findet man sie zu Hunderttausenden. Vor vierzig Jahren bestand keine einzige Christian Science Kirche; heute werden auf der ganzen Erde in eintausend Städten und Dörfern Christian Science Gottesdienste gehalten: gegen Norden in Christiania und Stockholm; gegen Osten am Ufer des Persischen Meerbusens und an der Küste Chinas; gegen Süden im Transvaal und in Australien; gegen Westen an der Küste des Stillen Ozeans. Vor vierzig Jahren wurde eine Frau durch die Christian Science geheilt; heute sind mehrere Millionen Leute dankbar gegen Gott für ihre auf diese Weise erlangte Gesundheit. Sie sind nicht nur von den Qualen des Schmerzes, sondern auch von den Qualen der Sünde erlöst worden; nicht nur von dem Elend der Krankheit, sondern auch von dem Elend der Armut; nicht nur von der Furcht vor dem Tode, sondern auch von der Furcht vor dem Leben. Sie haben gelernt, was Jesus meinte als er sagte: „So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt je das Reich Gottes zu euch.” Der Teufel der Krankheit, der Sünde, der Furcht und des Kummers ist ihnen ausgetrieben worden, und statt dessen wohnt in ihnen, „der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft.”
Alles das verdanken sie ihrem neuen Verständnis, welches sie aus der Bibel gewonnen haben, und zwar mit Beihilfe des Lehrbuches und Kommentars der Christian Science: „Science and Health with Key to the Scriptures.“ Obgleich sie Gott alle Ehre geben, so haben sie doch gegen Mrs. Eddy, ihre Führerin und die Verfasserin dieses Buches, eine Liebe und Dankbarkeit, die deshalb nicht weniger tief und dauernd ist, weil sie auf keiner Gemütserregung beruht. Die Christian Science hat den Zweck, der Welt das erhabene Gottes-Bewußtsein, durch dessen Vorhandensein das erste Jahrhundert der Christenheit ein Zeitalter der Wunder wurde, zurückzuerstatten. Nun ist aber ein Wunder nichts weiter als die Kundgebung der Macht Gottes, welche dem materiellen Bewußtsein als sehr geheimnisvoll und übernatürlich, hingegen dem Bewußtsein der Allmacht Gottes als erhaben einfach erscheint.
Jesus erklärte: „Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.” Was kann diese Erkenntnis der Wahrheit anders sein als jenes volle, exakte, wissentschaftliche Verständnis des Absoluten, welches in den Episteln als epignosis tou theou bezeichnet ist? Von den Bergesabhängen herab und in den Dörfern predigte Jesus die Kraft des Christus, welche Elend, Krankheit und Sünde vernichtet; und als dann der absolute Ton seiner Erklärungen seine Zuhörer stutzig gemacht hatte, sagte er, sie sollten ihm doch um seiner Werke willen glauben, wenn auch aus keinem anderen Grunde. Aber er ging noch weiter. Er erklärte, daß seine Nachfolger ihren Glauben durch dieselben Werke, die er tat, beweisen sollten, und er bezeichnete dadurch die Wunder als den Ausdruck des christlichen Glaubens. Mrs. Eddy sagt auf Seite 496 unseres Lehrbuches, „Science and Health“: „Haltet stets den Gedanken fest, daß die geistige Idee, der heilige Geist und Christus euch befähigt, die Heilungsregel mit wissenschaftlicher Gewißheit zu demonstrieren.”
Diese Demonstration der Erkenntnis der Wahrheit erfordert jedoch eine „Übereinstimmung mit dem Absoluten.” Denselben Gedanken drückte Jesus aus als er sagte, der Gläubige solle sich bestreben „vollkommen” zu sein, „gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.” Mit anderen Worten: er solle sich ernstlich um die „Einigmachung” oder Versöhnung bemühen, von welcher Mrs. Eddy sagt, sie sei „die Darstellung der Einheit des Menschen mit Gott, wodurch der Mensch die göttliche Wahrheit, das göttliche Leben und die göttliche Liebe reflektiert” („Science and Health,“ Seite 18). So lange die Kirche die wissenschaftliche Kenntnis der Wahrheit bewahrte, konnte sie die Werke tun, die Jesus tat; als sich aber der Materialismus wieder geltend machte, verschwand diese Kenntnis samt ihren Tatbeweisen, und eine theoretische Kenntnis, welche nur in Worten ihren Ausdruck findet, trat an deren Stelle. Es war daher schon Jakobus in seiner Epistel zu dem ernsten Verweis genötigt: „Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken.”
Nach und nach wurde der „ungenähte Rock” zerteilt. Im Verlauf der Jahrhunderte baute man auf einer Seite der Straße die Kirche und auf der anderen das „Hôtel Dieu,“ Es wurde behauptet, der Mensch müsse an ersterem Ort von seinen Sünden, und an letzterem von seinen Krankheiten gereinigt werden, obgleich Jesus gesagt hatte: „Welches ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünde vergeben; oder zu sagen: Stehe auf und wandele.” Diese Trennung des Heilungswerkes von der Sündenvergebung hatte jedoch noch einen anderen Wechsel zur Folge. Es wurde nämlich die wichtige Erklärung des berühmten Theologen Thomas von Aquino, daß die Wissenschaft der Theologie, d. h. des Wortes Gottes die einzige absolute Wissenschaft sei, und daß man die rein menschlichen Kenntnisse bloß als relativ ansehen könne, ganz und gar vergessen oder in die Rumpelkammer des Aberglaubens geworfen. Auf diese Weise begann der heftige Kampf zwischen der Offenbarung und dem Rationalismus.
Die letzten Worte Jesu, welche dem menschlichen Ohr hörbar waren, lauteten: „Und siehe, Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.” In einzelnen Fällen hat sich allerdings die heilende Kraft des Christus durch all die Jahrhunderte geoffenbart; es geschah aber immer in einer geheimnisvollen, übernatürlichen Weise, so daß die Geheilten oft halb von Furcht erfüllt waren. Das Sehnen nach einem besseren Verständnis findet in den folgenden klagenden Worten Ausdruck:
Erst hört’ ich deinen Ruf
Vom fernen Kanaan;
Doch mehr und mehr
Verschwindet er,
Wie find’ ich deine Bahn?
Solcher Art waren die Zustände, als in dem Bewußtsein einer Frau, die sich durch ein reines und selbstloses Leben vorbereitet hatte, ein helles Licht aufging. Wie sich das zutrug, hat Mrs. Eddy auf Seite 108 und 109 des Lehrbuches, „Science and Health,“ der Welt mitgeteilt. Sie erzählt da, wie ihr auf ihrem eigenen Gang durch das Tal der Todesschatten die Wahrheit erschien; wie sie sich dann von der Welt zurückzog und drei Jahre lang das Geheimnis des Evangeliums Jesu erforschte, mit der Bibel als ihrem einzigen Lehrbuche. Sie berichtet uns von der Wonne, die sie während dieses Forschens verspürte und wie sie endlich „durch göttliche Offenbarungen, durch tiefes Nachdenken und durch Demonstration absolute Folgerungen” erreichte. Die Jahre, welche seitdem vergangen sind, waren Jahre der Freude und des Leides: der Freude über den Triumph der Wahrheit; des Leides wegen der beständigen Kämpfe mit allem, was der Wahrheit nicht ähnlich ist. Aus diesen Kämpfen ist die Christian Science Kirche entstanden. Mrs. Eddy weiß, daß wohl Platzregen fallen, Gewässer kommen und Winde wehen mögen, daß aber dennoch diese Kirche nicht fallen wird, denn sie ist auf einen Felsen gegründet.
Die Reden Christi sind ein Born, der nicht versiegt. Wenn man aus ihm schöpft, füllt er sich immer wieder an; und der folgende Sinn ist immer noch größer und herrlicher als der vorhergehende.
Allein Gottes Wort bleibet ewig; der Irrtum gehet immer neben ihm auf und wieder unter.
Was man nicht versteht, besitzt man nicht.
