Die Bibel beginnt mit einer Schilderung der Erschaffung aller Dinge, derzufolge der Mensch von Gott in Seinem Ebenbilde erschaffen wurde und den Befehl erhielt, gut und fruchtbar zu sein. Hierauf folgt die Erzählung von der Erschaffung eines andersartigen Menschen, im Gegensatz zum ersterschaffenen stehend — eines Menschen, der aus Erde erschaffen und dem Übel sowie dem Tode unterworfen ist. Diese beiden Schilderungen, die dem Bibelkenner als die elohistische und die jehovistische Darstellung der Schöpfungsgeschichte bekannt sind — wegen der darin vorkommenden unterschiedlichen Bezeichnung für Gott —, sind unvereinbar. Die in beiden Erzählungen beschriebenen Menschen stellen nicht das Bild ein und desselben Schöpfers dar. Dem zweiten Menschen fehlen die wesentlichen Eigenschaften und charakteristischen Merkmale des ersteren. Die Eigenschaften des einen Menschen und die des andern weisen ebensowenig Gleichartigkeit auf wie das Gute und das Böse oder wie Leben und Tod.
Wenn nun ein Theist oder irgend jemand, der an die Existenz eines Schöpfers und Erhalters des Weltalls glaubt, die beiden Erzählungen mit einander vergleicht, so wird sein Begriff von Gott seinen Folgerungen die entsprechende Richtung geben. Die Anhänger der Christian Science sind Theisten und rufen mit dem Psalmisten aus: „Du bist gut und guttätig” (Züricher Bibel). Sie halten sich an die Versicherung der Heiligen Schrift, daß Gott Liebe, Geist, Wahrheit, Leben ist und bekennen sich zu dem Grundsatz, den Jesus aufstellte, als er sagte: „Setzet entweder einen guten Baum, so wird die Frucht gut; oder setzet einen faulen Baum, so wird die Frucht faul.”
Die Christian Scientisten verfahren also in konsequenter Weise, wenn sie die Erschaffung einer Menschenart leugnen, die Gott, wie Er soeben definiert worden ist, nicht widerspiegelt, weil Leben und Tod, Gutes und Böses einander entgegengesetzt sind und daher nicht im Verhältnis von Ursache und Wirkung, von Schöpfer und Schöpfung, von Prinzip und dessen Idee, von Gott und Seinem Ebenbilde zu einander stehen können. Dementsprechend entfernen die Christian Scientisten das Übel und den Tod sowohl aus ihrem Begriff vom Menschen wie auch aus ihrem Begriff von Gott, weil diese Eigenschaften oder Merkmale, ihrer Überzeugung nach, weder dem Menschen noch Gott angehören können. Sie fassen den elohistischen und den jehovistischen Bericht als die geistige bezw. die materielle Erzählung der Schöpfungsgeschichte auf. Die eine Schilderung befaßt sich mit der wirklichen Erschaffung des Menschen, die andre versucht eine Erklärung zu bieten für den sündhaften, sterblichen Menschen, wie er sich den Sinnen darstellt. In der einen gibt es nichts, wovon der Mensch erlöst werden muß; in der andern wird auf die Erlösung vom Übel und dessen Wirkungen, vom Tod und dessen Verursachung hingewiesen. Der Weg der Erlösung wurde den Kindern Israel durch Moses als das Ergebnis einer ihm im Lande Moab gewordenen Offenbarung vorgelegt. Wie uns im 29. und 30. Kapitel des fünften Buches Mosis erzählt wird, sprach Moses zum Volke: „Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das Böse; der ich dir heute gebiete, daß du den Herrn, deinen Gott liebest, und wandelst in seinen Wegen, und seine Gebote, Gesetze und Rechte haltest, ... Wendest du aber dein Herz und gehorchest nicht, sondern lässest dich verführen, daß du andre Götter anbetest und ihnen dienest, so verkündige ich euch, daß ihr umkommen werdet. ... Ich nehme Himmel und Erde heute über euch zu Zeugen. Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, und du und dein Same leben mögest”.
Es wird allgemein angenommen, daß das Übel und der Tod entweder einen Teil des Charakters oder Wesens des Menschen bilden, oder daß ihr Eindringen in den Menschen sowie die darauffolgende Veränderung unvermeidlich sei. Der in Moab geoffenbarte Bund, der hier in Kürze wiedergegeben ist, lehrt gerade das Gegenteil; nämlich, daß ein jeder das Leben und das Gute wählen kann, anstatt den Tod und das Böse hinnehmen zu müssen. Er lehrt die Einheit des Lebens — das vereinte Bestehen Gottes und des Menschen; ferner zeigt er, daß das Übel und der Tod dem wahren Sein fremd sind und daß ein jeder dieselben durch ein gewohnheitsmäßiges, richtiges mentales Verfahren aus dem eignen Bewußtsein ausscheiden kann. Ein Grund, weshalb sich die Menschen der ihnen von Gott verliehenen Macht, das Leben anstatt den Tod zu wählen, nicht in weiterem Maße bedient haben, ist der, daß sie nicht zwischen Gutem und Bösem zu unterscheiden wußten. Der Glaube an das Sinnenzeugnis hat den wahren Sinn für das Gute verdunkelt. Moses lehrte, das Gute sei mit dem Leben, mit Gott eins, der Tod hingegen sei mit dem Übel eins. Christus Jesus erweiterte und vertiefte unser Verständnis von Gott, indem er Ihn als Geist bezeichnete und offenbarte. Hieraus folgert die Christian Science in logischer Weise, daß etwas, was dem Wesen des Geistes, des Guten nicht entspricht, nicht gut sein kann, sondern übel sein muß. Sie lehrt daher, daß zwischen Geist (Mind) und Materie die selbe Trennung besteht wie zwischen Gutem und Bösem. Der Tod ist somit eine Erscheinungsform des Irrglaubens, daß die Materie der Träger des Lebens sei. Daß die Christian Scientisten richtig folgern, wird durch zwei der nachdrücklichsten Aussprüche des Meisters bekräftigt: „Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze.” „Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.” Wenn nun der Geist (Mind) „lebendig macht” und wenn das Geist ist, „was vom Geist geboren wird”, so folgt hieraus, daß das Leben mit der Materie nichts gemein hat. Der entgegengesetzte Glaube ist der Glaube an den Tod, und einen solchen Glauben hegen heißt, den Tod wählen. Materie ist dem Geist (Mind) wesensfremd, weil sie nicht vom Geist geboren ist, und der Glaube an deren Wirklichkeit ist Irrtum — er ist verderbenbringend.
Um nun auf die Gebote Mosis über das Erwählen des Lebens zurückzukommen, so muß darauf hingewiesen werden, daß der Weg des Lebens darin besteht, Gott zu lieben, in Seinen Wegen zu wandeln und Seinen Gesetzen zu gehorchen. Hierzu ist ein liebevoller, verständnisvoller, einfältiger Gehorsam gegen Gott erforderlich. Wenn wir ungehorsam sind, beten wir andre Götter an und betreten dadurch den Weg des Todes. Da nun Gott Geist (Mind) ist, so betet man andre Götter an und dient ihnen, wenn man sich einer materialistischen Auffassung vom Leben zuwendet, von materiellen Gesetzen geleitet wird, die Erscheinungsformen der Materie fürchtet oder sie verehrt und ihren Anspruch auf Wirklichkeit zuläßt. Die von Moses im Lande Moab erteilte Warnung und das erste Gebot des Dekalogs stimmen bezüglich ihres Hauptinhaltes überein. Der Auslegung Mrs. Eddys zufolge bedeutet das erste Gebot: „Du sollst keine Intelligenz, kein Leben, keine Substanz, keine Wahrheit, keine Liebe haben außer dem, was geistig ist” („Science and Health“, S. 467). Diese Auslegung wird „dir und deinem Samen” helfen, das Leben und das Gute zu erwählen.
