Vollkommenheit kann nur auf einem Weg erlangt werden, und der ist: ein einfältig Auge zu haben für ihre immer gegenwärtige Wirklichkeit, diese Minute, allüberall. Vom Gesichtspunkt der Welt aus gesehen, ist Vollkommenheit als ein in einer fernen Zukunft liegendes Ziel aufgesetzt worden, zu dem eine enge Straße führt; etwas nach dem man streben sollte, das aber in dieser Welt unerreichbar ist. Es ist in der Tat interessant zu beobachten, wie viele berühmte Schriftsteller angedeutet oder auch deutlich gesagt haben, daß Vollkommenheit zu weit von einer praktischen Verwirklichung entfernt sei, um je erreicht werden zu können. Und doch hat uns Jesus sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß nichts Geringeres als Vollkommenheit ausgedrückt und demonstriert werden muß, und nirgends in seinen Lehren zeigte er irgendwelche Geduld mit einem Ausgleich in bezug auf diesen Punkt, er erkannte keine Abstufungen des Guten oder des Bösen, keine allmählichen Steigerungen an, nur Vollkommenheit und nichts weniger.
Seitdem Mary Baker Eddy der Welt das wunderbare Geschenk des Lehrbuches der Christian Science, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ und ihren anderen Werken, gegeben hat, haben hunderte und tausende von Menschen die Logik von einem immer gegenwärtigen, vollkommenen Gott, einem göttlichen Prinzip, und dem Menschen als der vollkommene Ausdruck seines Wesens, zugegeben. Es gibt viele, die durch Mrs. Eddys Erklärung der dualistischen Darstellung von der Schöpfung des Menschen, im ersten Buch Mose, unermeßlich gesegnet worden sind. Sie sehen jetzt den Menschen als eine geistige Schöpfung an, immer und ewig die gleiche vollständige Vollkommenheit des Schöpfers ausdrückend. Doch ist es ratsam den Gedanken zu prüfen und ganz sicher zu sein, daß keine Spuren einer Annahme von einer Schöpfungsnachahmung in den dunkeln Schlupfwinkeln menschlicher Ausgleiche lauern, keine solchen Annahmen, wie das Dasein von einem geistigen Menschen und einem materiellen Menschen, einem wahren Menschen und einer menschlichen Nachahmung. Ganz unmerklich folgern wir vielleicht — wenn der Gedanke unbewacht ist — daß, obschon wir von der Vollkommenheit des wirklichen Selbst wissen, wir uns doch mit einem menschlichen Selbst abfinden und in dieser Richtung unsere Vollkommenheit und unsere Harmonie durch die Demonstration schmerzloser Materie und eines gutaussehenden Körpers beweisen müssen. Dieses Wort wirklich, wenn es gebraucht wird um zwischen zwei scheinbar verschiedenen Daseinszuständen zu unterscheiden, ist oft der Deckmantel, hinter dem der Gedankenausgleich verbirgt. Es ist ein Leichtes zuzugeben, daß Gott des Menschen wirkliches Bewußtsein ist, daß das Sein geistig und daß das wirkliche Selbst vollkommen ist, aber sind wir uns gleichzeitig, und ohne Rückhalt, bewußt, daß dieses wirkliche Bewußtsein, Wesen und Selbst, das einzige Bewußtsein, Wesen und Selbst ist, das es gibt?
Vor einigen Jahrzehnten wurde eine jede Erwägung von der Substanzlosigkeit oder Nichtsheit der Materie als eine aufsehenerregende Behauptung angesehen, aber heute wird von denkenden Wissenschaftern allgemein zugegeben, daß die Materie, trotz ihres äußeren Scheinens, wenn richtig analysiert, ganz und gar keine Wesenheit hat. Dessenungeachtet hat die Welt diese Tatsache noch nicht genügend angenommen um ihren Glauben an materielle Dinge aufzugeben, und selbst solche, die die Wahrheit kennen, machen, vielleicht mehr als sie es selbst wissen, Kompromisse in ihren Gedanken und in ihren Behauptungen, in Übereinstimmung mit den allgemeinen materiellen Annahmen. Die Materie ist eine Verneinung, und alles Absolute ist natürlich ihr direktes Gegenteil und wird von dem menschlichen Denken mit Widerwillen angenommen, aber die Tatsache steht fest (nicht trotz sondern an Stelle der allgemeinen Annahmen), daß es nur eine Wahrheit gibt über das Dasein und das Universum, und daß die Wahrheit nicht durch Kompromisse und stufenweise Schritte erreicht wird, und nicht notwendigerweise durch Jahre der Vorbereitung und des Wachstums, sondern durch augenblickliche Vergegenwärtigung und indem man sich absolut auf die Unendlichkeit und Unsterblichkeit der geistigen Wirklichkeit stützt, ohne selbst ein zeitliches Gegenteil anzuerkennen. Absolut gesprochen ist die Christian Science kein Heilmittel für menschliche Disharmonien; sie ist die Wahrheit über deren Unwirklichkeit. Sie fängt nicht mit Verneinungen an, die sie in Wirklichkeiten umwandelt; sie beginnt mit Wirklichkeiten und beweist die Nichtsheit der Illusion. Gerade jetzt ist die Zeit der Vollkommenheit, und gerade jetzt ist Vollkommenheit die gegenwärtige Wirklichkeit, welche nur erkannt, angenommen und im ganzen Umfang unserer gegenwärtigen Vision demonstriert werden muß, um die mannigfachen Beweise von der Wahrheit und Ausführbarkeit solchen Folgerns zu bringen.
Schüler der Christian Science können so in die Gewohnheit verfallen ihre Behauptungen zu überzuckern um der Welt das Erfassen zu erleichtern, daß sie unbewußt die Geradheit und Kraft ihres Schlußfolgerns in ihrem eigenen Denken verringern. Die Christian Science ist radikal; sie ist das gerade Gegenteil von jedem Argument von materiellen Dingen, und je mehr sie als radikal angenommen wird, desto wirksamer werden ihre Ergebnisse sein und desto mehr werden wir Gott ehren, und das ist ja eigentlich das höchste Ziel und der, für jeden aufwärtsführenden Schritt, notwendige Vorsatz. Um durchaus wahrhaft gesinnt zu sein muß man die universale Vollkommenheit sehen und nicht um die Vervollkommnung physischer Fehler ringen, was Christian Scientisten bisweilen zum Vorwurf gemacht wird; es ist ein Wegsehen der Fehler und das Erkennen der Vollkommenheit des Prinzips, und daß alles, was scheinbar fehlerhaft ist, nur eine Lüge oder eine falsche Darstellung des Prinzips ist. Durch strenge mentale Schulung ist es möglich Vollkommenheit überall ausgedrückt zu sehen; und dies ist durchaus praktisch und zur Betätigung der Christian Science wesentlich. Die (stillschweigende oder hörbare, bewußte oder unbewußte) Annahme und Verfechtung von etwas Geringerem als der Vollkommenheit ist weit davon entfernt Wahrheit zu ehren, und kann auch nichts ändern an der Wirklichkeit der Dinge, sondern nur unsere Ansicht über dieselben. Vollkommenheit wird nie im geringsten Grad verringert; sie ist darum jetzt der Status unseres individuellen Seins und ist es immer gewesen und wird es immer sein, ob wir es zu beweisen scheinen oder nicht. Ein rückhaltloses und absolutes Feststehen auf diesem Punkt — der feststehenden Vollkommenheit — ist der unfehlbare Weg und wird sich durch die fabelhaften Nebel menschlicher Gesetze und Umstände hindurch beweisen und jede Art von Sünde und Krankheit heilen.
Vollkommenheit ist, jetzt. Eine Verwirklichung dessen wirkt augenblicklich. Was jetzt ist braucht nicht bis morgen um sich selbst zu beweisen oder um ausgedrückt zu werden. Vollkommenheit wird uns nie näher sein und ist nie erreichbarer als sie es in diesem Augenblick ist, und dieser Augenblick ist die Zeit sich dies zu vergegenwärtigen und die Ergebnisse zu erfahren. In dem Kapitel über „Schöpfung“ von Wissenschaft und Gesundheit, sagt Mrs. Eddy (S. 258): „Die Sterblichen haben einen sehr unvollkommenen Begriff von dem geistigen Menschen und dem unendlichen Bereich seines Gedankens. Ewiges Leben ist ihm zu eigen. Der Mensch, der nie geboren ist und niemals stirbt, kann unter der Regierung Gottes in der ewigen Wissenschaft unmöglich von seiner hohen Würde herabsinken.“ Und auf der folgenden Seite sagt sie: „In der göttlichen Wissenschaft ist der Mensch das wahre Bild Gottes. Die göttliche Natur fand ihren höchsten Ausdruck in Christus Jesus, der den Sterblichen die wahrere Wiederspiegelung Gottes leuchten ließ und ihre Leben höher hob, als ihre armseligen Gedankenvorbilder es gestatteten — Gedanken, welche den Menschen als gefallen, krank, sündig und sterbend darstellten. Das christusgleiche Verständnis vom wissenschaftlichen Sein und vom göttlichen Heilen umfaßt als Basis des Gedankens und der Demonstration ein vollkommenes Prinzip und eine vollkommene Idee — einen vollkommenen Gott und einen vollkommenen Menschen.“