Der bildliche Ausdruck eines Wettläufers, der das Bestreben eines Menschen veranschaulicht, Gott oder die Wahrheit zu erkennen und dadurch sein Bewußtsein und Leben zu läutern, wird in den biblischen Schriften gerne gebraucht. Auch Paulus benutzt ihn und gibt uns eine wertvolle Anleitung in bezug auf die Art, das Ziel des geistigen Verständnisses zu erlangen. Im 12. Kapitel des Hebräerbriefes werden wir ermahnt, alle Bürden abzulegen und „die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht”. Was ist wohl diese „Sünde, so uns immer anklebt und träge macht”? Könnte sie nicht angesehen werden als die Annahme einer persönlichen Existenz, die unabhängig ist von dem göttlichen Prinzip, Gott? Diese Annahme stellt vielleicht für einen jeden eine besondere Form des Irrtums dar, eine Bürde, die abgelegt werden muß. Auf Seite 5 ihres Buches „Miscellaneous Writings” schreibt Mary Baker Eddy: „Daß der Mensch die Idee des unendlichen Gemüts ist, immer vollkommen in Gott, in Wahrheit, Leben und Liebe, ist etwas, das nicht leicht zugegeben wird, da das sterbliche Denken niedergedrückt ist unter der Bürde materieller Annahmen.” Die Bürden, die abgelegt werden müssen, sind also die falschen materiellen Annahmen, die die Vollkommenheit Gottes und des Menschen leugnen.
Eine der vielen Annahmen, die das sogenannte menschliche Gemüt niederdrücken, ist die Ungewißheit. Sie ist in der Tat so sehr ein Teil unseres sterblichen Denkens, daß wir manchmal ihre Gegenwart gar nicht bemerken. Diese Bürde wird abgelegt in dem Maße, wie man lernt, in wissenschaftlicher Art das positive Wesen des Guten zu erkennen. Wie oft hört man die Klage: „Warum ich wohl das erleben mußte? Ich hatte doch nichts Böses erwartet.” Es ist nicht genug, „nichts Böses zu erwarten”. Das ist eine gänzlich negative Einstellung. Man sollte sich in lebendiger Weise des Guten bewußt sein und es erwarten! In einer ihrer Botschaften an Die Mutterkirche sagt Mrs. Eddy (Botschaft für 1901, S. 2): „Absolute Gewißheit in der Ausübung der göttlichen Metaphysik bildet ihre Nützlichkeit, da sie göttlich beweisbares Prinzip und Methode hat—wenn manche auch die Wahrheit nicht ganz erfassen, so werden andere sie erreichen, und die sind es, die daran festhalten werden.” Diese absolute Gewißheit wird erlangt, wenn man sein wahres Sein als „Idee des unendlichen Gemüts, immer vollkommen in Gott,” annimmt. Die Bürde der Sorge und Ungewißheit wird abgelegt, und man nimmt das allgegenwärtige Gute als Wirklichkeit an und erwartet seine sichere Offenbarwerdung in all seinen menschlichen Angelegenheiten. Sein Fortschritt wird auf diese Weise freier und freudiger.
Drei Bürden gibt es, die einander sehr ähnlich sind und schwere Hemmnisse auf unserer Laufbahn zum erwünschten Ziel eines von der Wahrheit gelenkten Lebens, oder eines „Lebens in Christo Jesu”, darstellen. Es sind die Bürden der niederreißenden Kritik, des Geschwätzes und der Verurteilung. Kleine Kieselsteine des Geschwätzes und der Kritik und schwerere Steine der Verurteilung werden manchmal von einem mit herum getragen, ohne daß er ihr Gewicht bemerkt oder sich dessen bewußt wird, wie leicht und wie schnell sie sich ansammeln. Das sterbliche Gemüt ist besonders geneigt, seine Steine der Verurteilung nach dem zu schleudern, das es als Sünde klassifiziert, und den Sünder selbst dann noch zu verdammen, wenn die Sünde bereut und aufgegeben worden ist. Die Sünde wird von der göttlichen Metaphysik ebenso vollkommen geheilt wie die Krankheit und sollte ebenso vollkommen aus der Erinnerung ausgelöscht werden. Wenn jemand von Aussatz geheilt ist, so fahren wir nicht fort, an ihn als an einen Aussätzigen zu denken und ihm diese Krankheit mental anzuheften.
Wenn jedoch jemand von einer moralischen Unzulänglichkeit geheilt worden ist, sind wir nicht manchmal versucht, ihm diese Schwäche immer noch weiter anzuheften und andere daran zu erinnern als ein interessantes Gerede? Solange wir den Irrtum bei einem andern als wirklich betrachten, sind wir selbst noch nicht davon geheilt worden und sind noch weit entfernt von der Reinheit der Liebe, die frei macht. Die Liebe allein heilt die Sünde, ebenso wie die Liebe allein die Krankheit heilt. Die göttliche Liebe verurteilt die Sünde, macht jedoch den Sünder frei. Als Jesus, der große Befreier, die Ehebrecherin heilte, sagte er zu ihr: „So verdamme ich dich auch nicht; gehe hin und sündige hinfort nicht mehr.” Laßt uns wachsam darnach streben, diese Bürde der Verurteilung legen, indem wir das unparteiische Gesetz der Liebe erkennen, das Vollkommenheit als den wahren Daseinszustand, unabhängig von Personen, verordnet hat. So werden wir unser Ziel erreichen und den Menschen so wahrnehmen, wie er von Gott wahrgenommen wird, nämlich vollkommen „in der Wahrheit”.
Eine andere Bürde, die abgelegt werden muß, ist die Bürde der Zeit, die Annahme, daß unser Leben gewissermaßen von dem göttlichen Leben abgetrennt und in die leblose Materie geraten ist; daß es sich im Laufe der Jahre wandelt und dabei an Leistungsfähigkeit, Frische und Kraft einbüßt. Dies ist eine Bürde, die unbedingt überwunden werden muß, wenn man das Ziel eines Lebens, das vollkommen „im Leben” ist, erreichen will. Im göttlichen Gemüt gibt es keine Bürde der Zeit. Das Leben führt niemals zu einem Ziel das Alters und Todes, sondern zu einem immer volleren Leben. In dem Maße, wie man die Sünde der Annahme eines Lebens, das von Gott, dem Leben, abgetrennt ist, ablegt, wird er finden, daß die Bürde der Zeit von ihm abfällt, und daß er die vollkommenheit des Lebens in Frische, Schönheit, Kraft und harmonischer Tätigkeit widerspiegelt. „Dann fangen wir an,” wie Mrs. Eddy auf Seite 322 ihres Buches „Wissenschaft und Gesundheit” sagt, „das Leben in der göttlichen Wissenschaft zu begreifen.” Wenn wir die Annahme der Zeit ablegen, erreichen wir das Ziel der Unsterblichkeit.
Die persönliche Verantwortlichkeit ist ebenfalls eine Bürde, die abgelegt werden muß; es ist die Annahme, daß das Gute von unsern eigenen Bemühungen, unsern eigenen begrenzten Fähigkeiten, unsrer eigenen Weisheit der Entscheidung, unsrer eigenen Ausdauer abhängt. Diese Bürde des Sichverlassens auf die eigene Leistungsfähigkeit gleitet ab von uns in dem Maße, wie wir unser Einssein mit den Fähigkeiten des Gemüts und mit den unendlichen, unmittelbaren Hilfsquellen der Seele begreifen lernen.
Doch von allen Bürden, die abgelegt werden müssen, ist wohl die Furcht die schwerste. Wie allmählich und sanft wird diese Bürde von uns gehoben, wenn wir ein Verständnis von unserm Einssein mit der Liebe erlangen. Vollkommen „in der Liebe”! Ja der Ausdruck der göttlichen Liebe! Kann Furcht in der Liebe gefunden werden? Wenn man die Liebe als das tatsächliche und einzige Gesetz seines Seins erkennt, so ruht man in ihrer Allmacht und vertraut auf ihre Kraft. Man legt die Bürden der Furcht ab und läuft mit in dem Wettlauf des Sieges über alles, das Furcht einflößen könnte. In jenem bemerkenswerten Brief an die Hebräer wird uns weiter geheißen, aufzusehen „auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens; welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete das Kreuz und achtete der Schande nicht und hat sich gesetzt zur Rechten auf den Stuhl Gottes.” Hier wird uns gezeigt, was das Wesen unsrer Kraft ist, womit wir den Wettlauf fortsetzen und vollenden können. Es ist sogar Freude—die Freude, die wir empfinden in der Erkenntnis unsres wahren Seins; die Freude, die weder Bürde noch Ermatten kennt; die Freude, die von dem „Stuhl Gottes” ausgeht, der Wirksamkeit des Prinzips; die Freude, die die Allgegenwart der göttlichen Liebe begleitet.
Jemand hat gesagt: „Wahre Freude ist stets ein untrügliches Anzeichen von dem Triumph des Lebens.” Nur wer angefangen hat, die Bürden der falschen Annahmen abzulegen, besonders die sündige Annahme eines von Gott abgesonderten persönlichen Lebens, kann die triumphierende Freude, die sich aufschwingende Freiheit und Glückseligkeit selbstlosen, geistigen Lebens verstehen. Er findet nicht in weiter Ferne, sondern in seinem eigenen Bewußtsein, das Ziel wahrer Selbstheit—immer „vollkommen in Gott”.