„Fürchte dich nicht, liebes Land, sondern sei fröhlich und getrost; denn der Herr kann auch große Dinge tun“ (Joel 2:21). Vom ersten Buch Mose bis zur Offenbarung ist die Bibel voll von tröstlichen Versicherungen des Schutzes Gottes und der freundlichen Mahnungen „Fürchte dich nicht“, „Laß dir nicht grauen“; und doch ist die Menschheit durch alle Jahrhunderte hindurch nie ihre Furcht los geworden. Man könnte fast sagen, daß die Furcht immer mehr zunimmt, daß die Gefahren immer drohender scheinen, und daß die Erfindungen des menschlichen Gemüts immer schreckenerregender werden. Die medizinische Wissenschaft gibt allgemein zu, daß die Furcht ein wichtiger Faktor bei allen Krankheiten ist; doch trotz all ihrer Untersuchungen und Erfindungen ist die Menschheit noch nicht imstande gewesen, etwas zu entdecken, was die Furcht überwindet.
Wer möchte in der Tat nicht von der Furcht befreit werden? Die Furcht wirkt gleichzeitig lähmend und abstumpfend; sie ist ein latentes Element des sterblichen Gemüts, das manchmal schlafend, oft hingegen bewußt ist. Häufig wird der Rat gegeben: „Oh, du mußt dich nicht fürchten“ oder „Du mußt diese Furcht überwinden“; doch wenige erklären, wie man dies tun kann, denn das sterbliche Gemüt, da es an sich ein Furchtzustand ist, weiß nicht, wie es sich selbst überwinden kann. Furcht ist eine bloße Verneinung. Sie ist, ebenso wie die Dunkelheit, nicht etwa die Gegenwart von etwas, sondern die Abwesenheit von etwas, nämlich eine Annahme von der Abwesenheit jener Sicherheit und jenes Vertrauens, die des Menschen gottgegebenes Erbteil sind. Die Furcht ist ein Element aller Krankheit; ohne die Überwindung der Furcht gibt es keine wirkliche Heilung. Zu Zeiten von Epidemien ist es mehr die Furcht als die körperliche Berührung, was die Krankheit übermittelt.
Doch die Überwindung der Furcht kann nur durch geistige Mittel erlangt werden. Das tiefgründige Verstehen, daß das Leben Gott ist, zerstört die Furcht, und nichts anderes kann es vollbringen. Solange der sterbliche Mensch sich für ein kleines, abgesondertes, endliches Wesen hält, das der Geburt und dem Tode unterworfen ist, und solange die Erziehung diese Annahme unterstützt, wird er schwach und zerstörbar scheinen, und die menschlichen Theorien der ganzen Welt können ihm nicht helfen.
Christus Jesus erkannte die geistige Natur des Menschen. Aus der Tiefe seines Verständnisses von Gott heraus konnte er den Menschen als das Ebenbild Gottes verstehen, das unzerstörbar und herrlich ist, und dieses Verstehen heilte alle Arten von Krankheit und Leiden. Seine Erkenntnis, daß das Leben Gott ist und daher vollkommen geistig in all seinen Offenbarwerdungen, war solch eine Kraft, daß sie die Toten erweckte und so bewies, daß der Tod nichts anderes als ein sterbliches Trugbild ist. Jesus verstand das Wesen des Seins so gut, daß er furchtlos den Gefahren und Verfolgungen entgegentreten konnte, um so der Welt durch seine eigene Erfahrung zu beweisen, daß das Leben unzerstörbar und die Liebe sieghaft ist.
Vier kurze Sätze aus den Schriften Mary Baker Eddys offenbaren, wenn sie zusammen betrachtet werden, in wunderbarer Klarheit die wirkliche Natur des Seins. In ihrem Werk „No and Yes“ schreibt sie (S. 16): „Für Gott ist Wissen Sein, d.h. was Er weiß, muß wirklich und ewig vorhanden sein.“ Zur weiteren Erklärung fügt sie hinzu: „Er ist Gemüt; und was Er auch immer weiß, ist kund geworden und muß die Wahrheit sein.“
„Für Gott ist Wissen Sein“! Was weiß Gott? Er, der unendlich gut ist, kann nur fehrlerloses Gutes kennen, ohne Flecken noch Makel; Er, der unendliches Leben ist, kann in sich selbst nur unwandelbares, ewiges und todloses Leben umfassen und ausdrücken; und Er, der unendliche Liebe ist, kann nichts in sich enthalten, das nicht Liebe ausdrückt. Er kann den Haß weder selbst empfinden noch wahrnehmen. Die Liebe ist unwandelbar, unparteiisch, allumfassend, stets wirksam und immer gegenwärtig und erreichbar; daher ist sie göttliches Prinzip.
Die andern beiden Sätze sind aus „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 481): „Gottes Sein ist Unendlichkeit, Freiheit, Harmonie und grenzenlose Seligkeit,“ und (S. 470): „Der Mensch ist der Ausdruck vom Wesen Gottes.“ So wird das Sein vollkommen in das Reich des Gemüts erhoben. Es drückt die Tätigkeit des reinen Gemüts aus; daher ist es positiv, unfehlbar, absolut und keiner Umkehrung oder Verneinung fähig. Das wahre Sein kennt keine Furcht und keinen Tod, keine Krankheit und keinen Verfall, keine Schwäche, keinen Makel oder Mangel. Es spiegelt in Mannigfaltigkeit der Form und des Ausdrucks alle Eigenschaften Gottes wieder und verkörpert sie. Alles Sein gehört Gott an; es besteht ewiglich in Gott, der die Quelle, das Wesen und die Fortdauer aller Individualität und Wesenheit ist. Kein Ausdruck des Seins kann jemals außerhalb des Bereichs der Unendlichkeit sein.
Zu Zeiten von Epidemien oder anderen Ansteckungsgefahren halten die Christlichen Wissenschafter sich an diese Wahrheiten. Sie gehorchen genau den Gesetzen des Landes, doch wissen sie, daß ihre wirkliche Sicherheit und Immunität in dem geistigen Verständnis von der wahren Natur des Seins besteht, und daß die Vergeistigung ihres Denkens ihren mächtigsten Schutz bildet. Ein kleines Mädchen, das eine Christliche Wissenschafterin war, ging eine Freundin besuchen, die an einer ansteckenden Krankheit litt — was ihm jedoch nicht bekannt gewesen war. Dem Kinde wurde der Eintritt in das Haus verwehrt und gesagt, daß es schnell fortlaufen sollte. Erstaunt sagte es später zu seiner Mutter in der Einfachheit kindlicher Logik: „Aber Mutter, wenn Marie krank ist, und ich gesund bin, warum sollte sie nicht durch mich gesund werden?“
Nach Jahren entdeckte es die gleichen Schlußfolgerungen in einem entsprechenden Aufsatz von Mrs. Eddy mit der Überschrift „Ansteckung“, der auf Seite 228 des Buches „Miscellaneous Writings“ beginnt. War nicht mehr gesunde Logik im Denken jenes kleinen Kindes als in der Ängstlichkeit materialistischer Theorien? Der wachsame Christliche Wissenschafter sollte niemals, sei es auch der Teilnahme oder der Geselligkeit halber, Irrtum irgendwelcher Form in seinen Gedanken beherbergen, oder sich zu seinem Werbeagenten machen, indem er ihn beschreibt oder wiederholt. Er bemüht sich, mit all seinem Denken im Himmel zu weilen, und in seinem Reden das „Ja, ja“ und das „Nein, nein“ des Evangeliums zum Ausdruck zu bringen.
Das Sein ist niemals in der Schwebe. Es beruht ewig und sicher in Gott. Es drückt weder Unentschlossenheit, Feigheit, Schwäche, Schüchternheit noch Furcht aus. Der Mut der Liebe entspringt der Tatsache, daß das wahre Sein keine Furcht kennt. Die Vogelmutter, die bewegungslos auf ihrem Neste sitzen bleibt, wenn neugierige Augen sich ihr nahen, deutet die Unwandelbarkeit der widergespiegelten Liebe an. Die Liebe in ihrer Furchtlosigkeit gibt sich niemals bösen Vorhersagungen hin. Sie übertreibt niemals. Sie nimmt das Zeugnis der körperlichen Sinne nicht an und baut nicht darauf auf. Die Vorsorge und Intuition der Liebe bedeutet die unwandelbare Erkenntnis der eigenen Vollkommenheit seitens des göttlichen Gemüts, in dem das Sein immerdar ungebunden und frei ist.
Paulus schreibt in seinem Brief an die Römer (13:12): „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber ist nahe herbeigekommen: so lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes.“ Die Definitionen von „Nacht“ und „Tag“, wie wir sie im Glossarium von „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 592, 584) finden, helfen uns, jene Bibelstelle zu verstehen. Die Waffen des Lichtes sind nicht etwa Licht, das einen kleinen Sterblichen umgibt, während er unter anderen Sterblichen wandelt, sondern das Licht der Offenbarung, worin das Gemüt sich in der Einheit und Allheit des Prinzips und seiner Idee dartut, und der Mensch in der Größe seines wahren geistigen Seins erkannt und anerkannt wird, immun gegen alles, was Gott unähnlich ist. Hier kennt das Sein keine Furcht, und das Leben ist ewig.
