Ich schaute aus dem Fenster und konnte eine kleine Schlange sehen, die bewegungslos auf der obersten Latte des Gartenzaunes lag. Am Abend sahen zwei junge Verwandte und ich aus dem gleichen Fenster. Da lag die Schlange. Seltsamerweise hatte sie sich nicht bewegt. „Wir wollen sie anschauen“, drängten die Kinder.
Als wir draußen waren, konnten wir es kaum glauben. Unsere „Schlange“ war nichts anderes als ein gewundener Riß in der obersten Latte des Gartenzaunes. Es war überhaupt keine Schlange! Selbst der gut geformte Kopf war nur ein gewundener Astknoten in dem Fichtenholz. „Da habt ihr euch aber getäuscht“, hänselte der kleine Junge. Doch das Mädchen war verwirrt. „Wie konnte es vom Fenster aus so wirklich aussehen?“ wollte es wissen. „Aus der Nähe ähnelt es nicht einmal einer Schlange.“
Dies war meiner Ansicht nach die richtige Zeit, um mit diesen beiden kleinen Christlichen Wissenschaftern über das trügerische Wesen der Materie zu sprechen und, damit verbunden, über unsere Fähigkeit, die Illusionen und Ansprüche des Irrtums umzukehren und zu zerstören, indem wir ihnen mit Wahrheit und Liebe begegnen. Da Gott, das Gute, immer gegenwärtig ist, so versicherte ich ihnen, ist das Böse niemals gegenwärtig. Wenn wir dies wirklich wissen, beweisen wir die Wirklichkeit des Guten, während alles dem Guten Unähnliche nichts als Illusion ist, ein bißchen wie unsere „Schlange“ auf dem Gartenzaun. Ich ahnte nicht, daß mir innerhalb weniger Stunden dieser Vorfall helfen würde, mein Leben zu retten.
Am nächsten Morgen, nachdem die Kinder mit Freunden spielen gegangen waren, lief ich wieder durch den Garten, um ein Blumenbeet mit dem Gartenschlauch zu bewässern. Plötzlich fühlte ich einen stechenden Schmerz, als sich die Giftzähne einer Klapperschlange in meine Fessel bohrten.
Auf die augenblickliche Suggestion, daß der Biß tödlich sei, reagierte ich mit einem lauten „NEIN!“ und sprang zurück. Sofort kam mir der Gedanke: „Gott IST!“ und ich hielt an Seiner Allheit und meinem Einssein mit Ihm als Seine Widerspiegelung fest. Dann flogen mir fast gleichzeitig weitere Wahrheiten zu: „Gott ist mein Leben. Ich werde nicht sterben. Ich werde mich dem Tod nicht beugen.“
Als mich Schwäche überfiel, mußte ich beim Gartenzaun anhalten. Durch einen Schleier des Schmerzes sah ich wieder den schlangenähnlichen Riß auf der Latte vor mir. Die Lektion, die ich aus dieser Illusion gelernt hatte, vertrieb unmittelbar das Gefühl der Ohnmacht.
Als die Wahrheit deutlicher die Gedanken durchdrang, sprach ich den Irrtum laut an: „Gott hat niemals Gift geschaffen. Du kannst nichts tun, denn du bist nichts. Du hast nicht mehr Macht, mich zu zerstören, als dieser Riß. Gott, Leben, ist genau da, wo du dich behaupten willst. Ich lebe im Leben. Leben erfüllt allen Raum, und ich bin der Ausdruck des Lebens.“
Im Haus angelangt, legte ich mich im Wohnzimmer auf das Sofa und erklärte die Allheit Gottes und das untrennbare Einssein des Menschen mit dem unsterblichen Leben.
Obgleich ich beständig an der Wahrheit festhielt, wurde es immer schwieriger, zu denken oder zu sprechen. Während ich gegen das Verlangen ankämpfte, zu schlafen, kam meine neunjährige Verwandte herein und sagte, sie habe plötzlich nach Hause kommen wollen, um bei mir zu sein. Sie wollte, daß ich mit ihr radfahren sollte. Ich betrachtete dies als eine Engelsbotschaft, die mich zum Aufstehen veranlassen und wachrütteln sollte, obschon nach menschlichem Ermessen ein Versuch radzufahren reiner Unsinn war!
Obwohl ich nicht meine Füße heben konnte, um auf das Fahrrad zu steigen, gelang es mir, mit den Händen zuerst den einen und dann den anderen Fuß auf die Pedale zu heben, und ich fuhr langsam hinter ihr her. Wörter und Satzteile aus der Definition von „Schlange“ in Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy wirbelten undeutlich durch meine Gedanken. Das Zitat lautet auszugsweise: „... tierischer Magnetismus... der erste Anspruch, daß Sünde, Krankheit und Tod die Wirklichkeiten des Lebens seien. Der erste hörbare Anspruch, daß Gott nicht allmächtig sei und daß es eine andere Macht gebe, das Böse genannt, die ebenso wirklich und ewig ist wie Gott, das Gute.“ Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 594.
Als wir ein Waldstück erreichten, fiel ich und konnte nicht weiterfahren. Als das Kind mich sah, kam es zurück und rief: „Was ist los? Wie siehst du denn aus?“
Meine eigene frühe Kindheit hatte ich im Südwesten der Vereinigten Staaten verbracht, wo es viele Klapperschlangen gibt. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie wir in der Schule ermahnt wurden, wachsam und vorsichtig zu sein. Plötzlich stand mir eine längst vergessene Beschreibung von dem Aussehen eines Nachbarn lebhaft vor Augen, kurz bevor er an einem Klapperschlangenbiß starb. In einer Woge starken Aufruhrs gegen dieses latente Bild, das durch den Ausruf des Kindes in mein Gedächtnis zurückgerufen worden war, raffte ich mich auf, indem ich mich sowohl mental als auch physisch gegen diese sinnlose Bedrohung auflehnte.
Ich konnte nicht mehr sehen. Dann kam mir eine bekannte Erklärung aus Wissenschaft und Gesundheit so deutlich in den Sinn, als ob sie jemand gesprochen hätte: „Eine geistige Idee trägt kein einziges Element des Irrtums in sich, und diese Wahrheit entfernt alles Schädliche in der richtigen Weise.“ Ebd., S. 463. In diesem Augenblick wurden diese Worte in ihrer absoluten, strahlend wissenschaftlichen Bedeutung erleuchtet. Plötzlich war ich mir meines Körpers nicht mehr bewußt.
In einem Gefühl ungeheurer und unaussprechlicher Stille sah ich, daß Wahrheit „in der richtigen Weise“ die Annahme (und das Böse ist nichts anderes) entfernt, daß in dem Reich der allumfassenden Liebe irgend etwas vorhanden sein könne, das verletzen oder verletzt werden, vergiften oder vergiftet werden könnte, das fürchten oder gefürchtet werden, töten oder getötet werden könnte, denn alles ist unendliche Liebe und deren unendliche Offenbarwerdung! Ich fühlte die Allgegenwart Gottes wie nie zuvor. Die Welt erstrahlte in der göttlichen Liebe. Das Universum selbst konnte nicht solch eine vollkommene Liebe enthalten!
Plötzlich konnte ich wieder sehen. Das Mädchen war an meiner Seite und schaute zu mir auf. Die Erde schien um mich her zu strahlen. Ich konnte fühlen, wie die eisige Kälte von meinem Körper wich. Und mein Körper nahm seine normale Größe wieder an. In ehrfurchtsvollem Staunen bestieg ich das Fahrrad und fuhr zurück; ich war völlig frei und freute mich, daß Leben die einzige Gegenwart, Wahrheit die einzige Macht und Liebe der einzige Befreier ist.
Mein Herz findet keine Worte, um meiner Dankbarkeit für solch eine Heilung angemessenen Ausdruck zu verleihen. Doch der Zweck dieses Artikels ist nicht, für die Heilung von einem Schlangenbiß an sich Zeugnis abzulegen. Vielmehr veranschaulicht diese Erfahrung die grundlegende Tatsache, daß geistiges Erwachen allein Heilung bringt, wenn das menschliche Leben in Gefahr schwebt.
Wurde dies nicht in jenen hoffnungslosen Augenblicken, die ich erlebte, bewiesen? In jenem strahlenden Moment, als mir der seit langem bekannte Abschnitt aus Wissenschaft und Gesundheit zum Bewußtsein kam und mit seiner absoluten, ursprünglichen Christus-Kraft empfunden wurde — nicht wie zuvor mit seiner hingenommenen menschlichen Beruhigung —, fand eine „neue Geburt“ geistiger Erleuchtung statt. Von dieser Sekunde an verschwanden Körper, Schlange, Zeit, Umstände, Kampf und Tod aus dem Denken. Das unendliche Gemüt und die unendliche Idee des Gemüts wurden buchstäblich als Alles-in-allem empfunden. Ohne Vorgang oder Zeit, die notwendig sind, um dem bewußten Gedanken zu formulieren, offenbarte der Christus in leuchtender Klarheit, daß Gott die einzige Ursache ist und daher die Wirkung gottähnlich sein muß. Ich empfand nicht länger ein von Gott getrenntes „Ich“ und erkannte, daß ich Gottes Ausdruck, der unmittelbare Beweis Gottes war. Und dies bewirkte die Heilung.
Die Einzigartigkeit und Herrlichkeit der göttlichen Wissenschaft besteht darin, daß sie unsere menschliche Auffassung vom Selbst durch die geistige Wirklichkeit, durch Gottes reine Idee, ersetzt. Wenn wir Gott als den Alles und Einzigen erkennen, leuchtet das heilende Prinzip hindurch und enthüllt den Menschen, ebenso wie die strahlende Sonne sich selbst in Licht offenbart. Dies ist die Offenbarung, nämlich das Sichbewußtwerden dessen, was ist.
Die Erfahrung mit der Schlange zeigt auch die hypnotische Täuschung des wachen Traums auf, der die gesamten Annahmen oder Träume vom Leben in oder als Materie bildet.
Offensichtliche mentale Illusionen, wie nächtliche Träume oder optische Täuschungen wie die der „Schlange“ auf dem Gartenzaun werden leicht aufgegeben. Anerzogene Annahmen hingegen lassen den universalen Aspekt des wachen Traums als echte Wirklichkeit erscheinen, weil wir den Gedanken akzeptieren — ohne ihn überhaupt in Frage zu stellen —, daß das Leben materiell sei und aus Geburt, Substanz, Intelligenz, Schmerz, Krankheit und Tod bestehe. Diese falsche und täuschende Annahme, die ihre Berechtigung als materielle Erfahrung geltend macht, ist weit mehr als eine optische Täuschung oder Einbildung. Sie ist, wie Mrs. Eddy von Krankheit sagt, eine feste Überzeugung. S. ebd. 460:16–19. Doch diese Überzeugung ist vollkommen falsch! Wirklichkeit (alles, was ewig ist) ist göttlich. Wenn wir zu dieser Tatsache erwachen, tilgen wir zunehmend die anerzogene Annahme aus, die das menschliche Bewußtsein von einer materiellen Existenz fest überzeugt hat.
Mrs. Eddy, die die Christliche Wissenschaft
Christian Science (kr´istjən s´aiəns) entdeckte und gründete, deckt die Lüge von der Wirklichkeit des Bösen mit der folgenden überzeugenden Erklärung über das sterbliche Denken auf: „Diesem Gedanken kann etwas als feste Substanz erscheinen, was nie existiert hat.“ Vermischte Schriften, S. 5. Und sie versichert: „Was der materielle Sinn nicht greifbar nennt, erweist sich als Substanz. Was dem materiellen Sinn Substanz zu sein scheint, wird zu nichts, wenn der Sinnentraum vergeht und die Wirklichkeit erscheint.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 312.
Stellt sich nicht für jeden von uns die Frage: „Was erkenne ich als wirklich an?“
Wir alle wissen, daß die Traumempfindung, die sich selbst materielle Substanz und materielle Empfindung nennt, nicht dadurch ausgelöscht werden kann, daß wir sie ignorieren, dem Geist Herrschaft über die Materie zuschreiben, sehnsüchtig durch „positives Denken“ einen leidenden Begriff vom Körper gegen eine harmonische Auffassung vom Körper austauschen, mit verbissenem Frohsinn an „guten Gedanken“ festhalten oder alles, was wir aus der Bibel und Mrs. Eddys Schriften zitieren können, gedankenlos wiederholen. Wenn auch einige Menschen glauben, diese Methoden würden Nutzen bringen, muß doch echter und dauernder Wandel das Ergebnis wissenschaftlichen Heilens durch die unfehlbaren Gesetze der göttlichen Wissenschaft sein.
Wir mögen solche besorgten Worte hören wie: „Ich reagiere auf eine Behandlung nicht mehr so wie zu Anfang, als ich zur Christlichen Wissenschaft kam.“ Oder: „Scheinbar heilt die Christliche Wissenschaft nicht mehr so wir früher.“ Selbst die Naturwissenschaften verlangen ein gewisses Maß an Beweisen. Wieviel mehr also die Wissenschaft des Seins! Wem käme es in den Sinn, zu sagen: „Es scheint, daß in einem Stellenwertsystem mit der Grundzahl zehn zwei und zwei nicht mehr wie früher vier ergibt.“?
Ein Wechsel der mentalen Grundlage ist erforderlich, wenn die Zweifel beseitigt werden sollen. Wir müssen uns in der Behandlung über eine menschliche Auffassung vom Guten erheben und erkennen, daß alles, was nicht Gottes Vollkommenheit in ihren unendlichen Formen zum Ausdruck bringt, ein sterblicher Traum ist. Angst und Entmutigung werden durch geistiges Erwachen zerstört — durch kindliche Hingabe an die Wirklichkeit der Allheit Gottes und des Menschen untrennbare Einheit mit Ihm. Dieses göttliche Erwachen kann jeder erleben, der mit wissenschaftlicher Überzeugung anerkennt: „Alles ist unendliches Gemüt und seine unendliche Offenbarwerdung, denn Gott ist Alles-in-allem“ Ebd., S. 468. wie wir in Wissenschaft und Gesundheit lesen. Dann, und nur dann, wird Gott, das eine Gemüt, als unser Gemüt und Gott, Leben, als unser Leben empfunden. Nur dann wissen wir, was unser Wegweiser, Christus Jesus, mit seiner höchst wissenschaftlichen Behauptung meinte: „Ich und der Vater sind eins.“ Joh. 10:30.
Mose empfand ebenfalls diese Einheit und unterwarf sich ihr, als er einen Schimmer von Gottes Allmacht erlangte, der sich selbst auf wunderbare Weise als der „Ich werde sein, der ich sein werde“ 2. Mose 3:14. offenbarte. Obwohl er anfangs in Panik vor seinem Stab floh, der sich zur Schlange verwandelt hatte, konnte er durch sein geistig verändertes Bewußtsein Gott furchtlos gehorchen — er nahm die Schlange beim Schwanz, die dann in seiner Hand wieder zum Stab wurde.
Dieses wissenschaftlich inspirierte Bewußtsein befähigte Paulus, die Otter, die sich an seiner Hand festgebissen hatte, ins Feuer zu schütteln und — zum Erstaunen der Inselbewohner, die ihn nach seinem Schiffbruch aufgenommen hatten — keinen Schaden davonzutragen.
Dasselbe christliche Bewußtsein befähigt uns heute, den Biß der „Schlange“ für kraftlos zu erklären, die, wie zuvor zitiert, „tierischer Magnetismus“ ist, „der erste Anspruch, daß Sünde, Krankheit und Tod die Wirklichkeiten des Lebens seien“.
Wenn die menschliche Annahme weicht, zeigen sich die Macht, Erhabenheit und größte Zartheit der göttlichen Liebe. Genau dort, wo sich unser Denken befindet, wird das Unendliche offenbart. Die Offenbarung vollzieht sich niemals außerhalb, sondern immer innerhalb des Bewußtseins. Ja, Gott offenbart sich genau dort, wo wir, wie Christus Jesus uns verhieß, das Reich Gottes finden würden — inwendig. In dem Verhältnis, wie wir zu der Erkenntnis des Wirklichen erwachen, verblaßt der wache Traum. Schließlich verwandelt sich das, was unsere Erde ist, zu dem, was sie in der göttlichen Wirklichkeit schon immer war — unser Himmel. Dies ist die verstandene, gelebte und demonstrierte Wissenschaft des Seins.
