Viele Amateurgruppen sind zu dieser Jahreszeit in einigen Gebieten freudig damit beschäftigt, Händels Oratorium Der Messias einzuüben. Daß es heutzutage nicht nur den berufsmäßigen Chören vorbehalten ist, dieses große Werk zum Lob Gottes zu singen, mag etwas ganz Besonderes über das Wesen des Messias aussagen. „Messias“ bedeutet der Gesalbte und bezieht sich auch auf den Christus — und somit auf Jesus, der den Christus am besten zum Ausdruck brachte und die Welt befreite und erlöste. Die Christliche Wissenschaft vertritt die Auffassung, daß die Aufgabe, die Welt zu erretten, nicht einem einzigen Menschen zufällt, wenn auch seine wunderbaren Taten ohnegleichen waren, sondern durch die Wahrheit bewirkt wird, die dieser verkörperte und demonstrierte. Wie bei einer Aufführung des Messias manchmal sogar die Zuhörer in das „Halleluja“ einstimmen, so kann sich jeder einzelne bewußt werden, daß er dazu berufen ist, sich an der Mission des Messias, die Welt zu heilen und zu erlösen, aktiv zu beteiligen, indem er dieser Wahrheit treu ist und sie betätigt.
Die Christlichkeit des wahren Seins zwingt uns, das Falsche zu berichtigen, Probleme zu lösen, die Menschheit zu heilen und ihr Los zu verbessern. Da das Christus-Ideal den wahren Menschen als Gottes Widerspiegelung darstellt, arbeitet derjenige, der sich seines wahren Seins bewußt und ihm treu ist, beständig daran, die Welt und ihre Bewohner zu verbessern. Auf ihn fällt nicht nur das Licht des Christus, sondern er ist auch für viele dieses Licht, deren Leben momentan durch Krankheit und Sünde verdunkelt sein mag.
Ein solcher Heiler ist beständig bestrebt, Jesu Lehren, die ihn zum Messias machten, besser zu verstehen; er studiert seine Werke und sucht sie nachzuahmen. Er folgt der Aufforderung des Meisters: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir“ Matth. 11:29. und erkennt, daß er selbst an einer großen Aufgabe beteiligt ist.
Er durchdringt die Schichten, durch die Tradition und Brauch die christliche Mission eingeengt und abgeschwächt haben, und er macht es sich zur Aufgabe, nicht nur die Sünder zu reinigen, sondern auch Krankheit zu heilen. „Die Versöhnungslehre“, schreibt Mary Baker Eddy, „hat niemals das Geringste zur Heilung von Krankheit beigetragen oder geltend gemacht, dieses Elend beheben zu können; aber Jesu Mission erstreckte sich auf den Kranken ebenso wie auf den Sünder: er erfüllte seine Mission als Messias auf der Grundlage, daß Christus, Wahrheit, die Kranken heilt.“ Christliches Heilen, S. 18.
Das Leben ist großartig — wenn wir vornehmlich von dem Wunsch beseelt sind, nach geistiger Wahrheit zu trachten, und wenn wir es dieser Wahrheit erlauben, alles zu berichtigen und zu heilen, was auf uns zukommt. Dadurch gehen wir an jede Aufgabe als Heiler heran. Solch christliche Lebensweise fordert von uns, daß wir gewisse Schlußfolgerungen und die damit verbundenen Pläne aufgeben, wenn wir ein höheres, umfassenderes Verständnis erlangen. Sie erzeugt in uns die Bereitschaft, zu führen und zu folgen, uns weder als persönliche Autorität zu betrachten, noch ständig nach jemandem Ausschau zu halten, der uns führen könnte.
Was als „Messiaskomplex“ bezeichnet wird — die Neigung, sich selbst oder einen anderen Sterblichen als Retter der Welt oder auch nur einer speziellen Situation zu betrachten —, ist das genaue Gegenteil von der Beteiligung an der sich ständig mitteilenden Wahrheit der messianischen Mission. Solch eine Haltung zeugt von extremen Gefühlen, die nicht normal und gesund sind und der Heilung bedürfen.
Einige Leute fragen sich heutzutage, ob nicht irgendwo ein großer Führer darauf warte, die Menschheit zu vereinen und von den Problemen dieses Zeitalters zu erlösen. Aber sollte es auf die Frage nach einer sozialen und moralischen Führung nicht eine fortschrittlichere Antwort geben, die den das zwanzigste Jahrhundert abschließenden Jahren angemessener ist? Wenn wir erkennen, daß jeder Mensch von Gott regiert wird und christliche Inspiration erhält, nützen wir unsere Fähigkeiten und leiten eine Phase der Erneuerung ein, in der uns fortschrittliche Lösungen von einem höheren, einem geistigen Ideal zufließen.
Wer in dem Christus, den Jesus veranschaulichte, seinen Messias, seinen Erlöser erkennt, kann sich auf sein wahres Selbst berufen, gottgegebene Intelligenz für sich in Anspruch nehmen und seinen eigenen Weg in der Welt finden. Wenn ein Problem auftaucht, wird es ihn nicht überwältigen; er weiß, daß er die Lösung bereits hat. Er wird nicht zögern, sondern den nächsten Schritt tun. Seine Arbeit spiegelt die Liebe wider, die, wie im Johannesevangelium erklärt wird, Jesu Geburt veranlaßte: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Joh. 3:16.
Es ist die Aufgabe der Weihnacht, den verlorenen Sterblichen und seine Erde zu erretten — diejenigen zum Licht zu führen, die das ewige Leben, Gott, aus ihrem Blickfeld verloren haben. Wenn andere Pflichten in dieser Jahreszeit erhöhte Ansprüche an uns zu stellen scheinen, brauchen sie diese wirkliche Arbeit nicht zu beeinträchtigen. Vielmehr kann Weihnachten alles, was wir tun, erglänzen lassen, wenn wir uns bewußter bemühen, die erlösende Gnade dieser segensreichen Zeit widerzuspiegeln.
Gottes Liebe hat der Welt den Messias, Christus Jesus, gegeben. Niemand nimmt seinen Platz ein. Wie töricht, auch nur anzunehmen, daß so etwas geschehen könnte! Wenn wir jedoch als einzelner oder als Gruppe danach trachten, unseren Teil zu der großen messianischen Mission beizutragen, sollten wir darauf achten, daß kein übertriebenes Gefühl der Verantwortung oder der Unfähigkeit die Arbeit, die getan werden muß, behindert.
Durch ein falsches Verantwortungsgefühl entehren wir Gott und erweisen denen, die mit uns arbeiten, einen schlechten Dienst. Wir können nicht ehrlichen Herzens geistige Fähigkeiten für uns in Anspruch nehmen, ohne deren Universalität anzuerkennen. Wenn wir unsere Fähigkeit zu heilen verstehen lernen und nutzen, mögen wir wie die Kinder Israel in alttestamentlicher Zeit glauben, daß Gott uns besonders und ausschließlich auserwählt habe, Seine Arbeit zu tun. Es stimmt, daß wir von Gott auserwählt sind. Alle sind auserwählt, Seinen Willen zu tun, denn es ist das besondere Vorrecht des Menschen, Ihn zum Ausdruck zu bringen. Und je konsequenter wir an dieser allumfassenden, wissenschaftlichen Tatsache festhalten, um so mehr schätzen und respektieren wir jeden, der Einblick in das geistige Heilen hat.
„Abraham, Jakob, Mose und die Propheten hatten herrliche Lichtblicke von dem Messias oder Christus, was diese Seher in die göttliche Natur, in das Wesen der Liebe, taufte“, schreibt Mrs. Eddy und fügt am Ende des Abschnitts hinzu: „Der eine Geist schließt alle Identitäten in sich.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 333.
Wenn wir unsere Identität in dem einen Geist finden, wird uns vielleicht bewußt, daß Händels Messias weiterhin die biblische Botschaft auf besondere Weise überbringt. Und er erinnert all diejenigen an diese Botschaft, die verstehen, daß der Christus, die errettende und heilende Wahrheit, heute ebenso zugegen ist wie vor zweitausend Jahren.
Wir sind inspiriert, wenn der Baß anstimmt: „Das Volk, das da wandelt im Dunkel, es sieht ein großes Licht. Und die da wohnen im Schatten des Todes, ein strahlend Licht bescheinet sie.“ Und es bewegt uns, wenn uns der Tenor auffordert: „Schau hin und sieh, wer kennet solche Qualen, schwer wie seine Qualen?“ Wir freuen uns, wenn uns der Sopran versichert: „Doch du ließest ihn im Grabe nicht“ und der Alt bestätigt: „Der Tod ist in den Sieg verschlungen.“
Am ergreifendsten ist es aber, wenn der Chor anstimmt und alle Zuhörer sich erheben:
Halleluja! Denn Gott, der Herr, regieret allmächtig.
Das Königreich der Welt ist fortan das Königreich des Herrn und
seines Christs, und er regiert auf immer und ewig.
Herr der Herrn, der Welten Gott.
Halleluja!
Wenn wir unsere Arbeit unter dem gesamten Aspekt der Mission des Messias sehen und unsere Bestrebungen mit den Werken derer verknüpfen, die dem Gesalbten die Jahrhunderte hindurch nachgefolgt sind, legen wir willig einen Messiaskomplex ab und stimmen freudig in das Oratorium zum Lob Gottes ein. Denn das Werk des Messias wird nur dann voll und ganz erfüllt, wenn wir alle im Chor und in unserem Leben den großartigen Refrain anstimmen, der die ewige Weihnachtsbotschaft verkündet: „Gott, der Herr, regieret allmächtig.“
