Es ist Weihnachten; eine Frau steht in einer Telefonzelle an der Straße — sie hat plötzlich ihr Heim und ihren Arbeitsplatz verloren und ist von ihrer Familie getrennt. Sie braucht eine Stellung und eine Unterkunft.
Sie sagen, das ist traurig? Gewiß ist es das. Aber jedes Jahr verbringen Millionen einsamer Menschen die Feiertage in Trübsal. Sie erleben alles andere als ein Fest im Kreise von Familienangehörigen und Freunden, wie man es im allgemeinen zu Weihnachten oder anderen besonderen Feiertagen erwartet. Wir müssen doch irgend etwas für diese Menschen tun können. Und wir haben eine Möglichkeit.
Wir können das Naheliegende tun und einzelne, von denen wir wissen, daß sie sich in dieser Lage befinden, in unsere Familie aufnehmen — nicht als Bessergestellte, die aus der Fülle ihres privaten Glücks anderen, die nichts haben, etwas geben, sondern vielmehr als Mitglieder von Gottes Familie, die Seine grenzenlose Liebe immer besser verstehen und miteinander und mit der ganzen Menschheit zu teilen lernen. Aber unsere Liebe kann noch weiter reichen.
Wir können darauf bestehen, daß Gottes Liebe oder der Beweis dafür niemandem fehlt. Befolgen wir Christi Jesu Gebot, „daß ihr euch untereinander liebet, gleichwie ich euch liebe“ Joh. 15:12., können wir die ganze Welt in unsere Gedanken einschließen. Wie mitfühlend und verständnisvoll war doch Jesus angesichts menschlicher Not! Aber seine Liebe reichte über menschliches Mitleid hinaus. Er wußte, daß es in Wirklichkeit keine ungestillte Not geben kann. Die göttliche Liebe umgibt uns jetzt mit allen ihren Eigenschaften. Verstehen und demonstrieren wir diese Liebe, heilt und erneuert sie. Dort, wo andere Elend erblickten, brachte Jesus Liebe zum Ausdruck, indem er statt des Elends nur Gutes sah, Gott und den Menschen, der das geistige, zufriedene Ebenbild Gottes ist. Auch wir können lernen, so zu lieben.
Nicht nur zu Weihnachten, sondern jeden Tag müssen wir uns die Zeit nehmen, die Einsamen der Welt zu lieben, indem wir den Menschen als das innig geliebte Kind der göttlichen Liebe erkennen, der für das nie versiegende Gute empfänglich ist, das ihm von Gott zukommt. Und wir können sicher sein, daß die Liebe der Liebe auch uns auf uns verständliche Weise entgegengebracht wird, wenn wir sie in unserem Leben getreulich zum Ausdruck bringen. Da Gott Alles ist, gibt es keine andere Macht, die dieses Ergebnis verhindern oder uns für die Zeichen Seiner Fürsorge blind machen könnte.
Wir sollten inmitten unserer eigenen weihnachtlichen Betriebsamkeit innehalten und Gott für jeglichen Ausdruck Seiner Güte gegen alle Seine Kinder danken, die einem jeden überall ohne Maßen zuströmt. Wir müssen davon überzeugt sein, daß alles Gute seinen Ursprung in Ihm hat und nicht von Menschen, Örtlichkeiten oder Dingen abhängig ist. Deshalb ist das Gute unzerstörbar, substantiell.
Schließlich ist unsere Freude nicht in dem Geschenk enthalten, das wir öffnen werden. Sie kommt weder von der Person, die es uns gibt, noch wird sie dadurch ausgelöst, daß die ganze Familie zu Weihnachten zusammenkommt. Nicht einmal das engelhafte Gesichtchen, das uns zur Schlafenszeit anlächelt, ist die wesentlichste Ursache unserer Freude. Aber wir können dies als Ausdruck der göttlichen Liebe verstehen. Selbst wenn wir völlig allein sein sollten, haben wir doch allen Grund zu erwarten, daß wir die kostbare Fürsorge der göttlichen Liebe spüren und beweisen können. Doch sollten wir uns hüten, ihr Grenzen zu setzen, indem wir vorschreiben, auf welche Weise Gott uns Seine Liebe zeigen muß.
Die Bibel schildert viele Heilungen von Einsamkeit, u. a. auch die von Hagar und Ismael, die in die Wüste getrieben worden waren. Sie wanderten in der Wüste umher, bis sie ihren geringen Wasservorrat aufgebraucht hatten. Als Hagar wußte, daß das Ende nahte, legte sie den Knaben abseits an einer Stelle nieder, wo sie nicht sehen konnte, wie er starb; dann wandte sie sich ab und weinte. Unmittelbar darauf hörte sie die Worte: „Fürchte dich nicht; denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben, der dort liegt. Steh auf, nimm den Knaben und führe ihn an deiner Hand; denn ich will ihn zum großen Volk machen.“ Und dann berichtet uns die Bibel weiter: „Gott tat ihr die Augen auf, daß sie einen Wasserbrunnen sah.“ 1. Mose 21:17–19. Dieser Brunnen mußte schon die ganze Zeit über dort gewesen sein, aber hartnäckiges Selbstbedauern und Kummer hatten sie blind dafür gemacht. Als sie sich aber von dem materiellen Augenschein des Mangels völlig abwandte, konnte sie inmitten der Wüste, in der sie sich befand, einen Schimmer von der Macht der Liebe sehen. Was war das Resultat? Hagar und ihr Sohn kamen nicht nur mit dem Leben davon; es ging ihnen gut.
Mrs. Eddy erwähnt in ihrer Weihnachtsbotschaft für das Jahr 1900 die Besuche von Lieben, das Kaminfeuer, den festlich gedeckten Tisch, die Geschenke und den Christbaum. Dann ruft sie aus: „Wie traurig ist es jedoch für die, deren Familienbande zerrissen sind! Gott gebe ihnen mehr von Seiner teuren Liebe, die das wunde Herz heilt.“ Am Ende des gleichen Artikels spricht sie vom Christus und weist jeden von uns darauf hin: „Wir besitzen seine Gnade, die uns neu belebt und heilt.“ Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 257. Sind wir uns Gottes kostbarer Liebe richtig bewußt, und vertrauen wir ihr so gut wir können? Schauen wir über die Bilder von Mangel, die uns die materiellen Sinne vermitteln, hinaus, und erblicken wir überall den Ausdruck der göttlichen Liebe? Selbst wenn wir nur bis zu einem gewissen Grade so lieben können, wie Jesus es tat, belebt und heilt uns das.
Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit, erklärt Mrs. Eddy den Begriff „Wüste“ folgendermaßen: „Einsamkeit; Zweifel; Finsternis. Unmittelbarkeit des Gedankens und der Idee; der Vorhof, in dem der materielle Sinn der Dinge verschwindet und der geistige Sinn die großen Tatsachen des Daseins zur Entfaltung bringt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 597. Jesu Grab war ein solcher „Vorhof“. Mrs. Eddy schreibt: „Der einsame Bereich der Gruft gewährte Jesus eine Zuflucht vor seinen Feinden, eine Stätte, wo er das große Problem des Seins lösen konnte.“ Und im gleichen Abschnitt fügt sie hinzu: „Er bewies, daß Leben todlos und daß Liebe der Meister des Hasses ist.“ Ebd., S. 44. Selbst nachdem man ihn geschmäht, verleugnet, verraten und gekreuzigt hatte, lehnte er es ab, sich von Selbstmitleid, Groll oder Niederlage daran hindern zu lassen, seine Liebe zum Ausdruck zu bringen. Für ihn war das Gute absolut wirklich. Er nutzte jene drei Tage, um über die Allmacht der Liebe und ihre Erhaltungskraft noch mehr zu erfahren. Und er siegte. Könnten wir einen besseren Beweis für die Wirksamkeit seiner Liebe finden?
Wie aber erging es der obdachlosen, stellungslosen, einsamen Frau am Weihnachtstag? Ihr Vertrauen auf das unvermeidliche Sichtbarwerden der göttlichen Liebe verwandelte ihre Wüste in einen Vorhof, in dem sie begann, die große Tatsache von der Allheit der Liebe zu begreifen. Dadurch, daß sie auf die göttliche Liebe vertraute und sich weigerte, dem Selbstmitleid und dem Gefühl der Einsamkeit nachzugeben, wurden ihr die Augen für die Vorsorge der Liebe geöffnet; sie zeigte sich ihr in Form einer Einladung, den restlichen Weihnachtstag in einem liebevollen Heim zu verbringen. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden fand sie in der Nähe ihrer Teenage-Tochter eine Beschäftigung, die ihr auch ein Zuhause gab.
Ob wir nun Weihnachten mit Familienangehörigen am Kaminfeuer oder einsam in einem Schneesturm verbringen, Gottes Liebe umgibt uns. Und wenn wir wirklich erwarten, daß diese Liebe für uns erkennbar wird — wenn wir weder ihre Bereitschaft bezweifeln noch uns ausmalen, auf welche Weise sie sich uns zeigen soll —, können ihre Beweise nicht ausbleiben. Verstehen wir das, ist es uns möglich, jeden Vorhof zu lieben, in dem wir uns befinden. Wir haben die Gelegenheit, uns selbst und der ganzen Welt zu beweisen: „Die Lieblichkeit der Liebe tut sich kund.“ Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 64.
Niemand kann allein — von Gottes kostbarer Fürsorge getrennt — sein, weder zu Weihnachten noch zu irgendeiner anderen Zeit. Wir alle leben durch Seine Liebe.
