Nachdem Christus Jesus den ganzen Tag mit vielen Menschen zusammengewesen war, ihnen Gleichnisse vorgelegt und sie geheilt hatte, suchte er zuweilen die Einsamkeit der Berge oder der Wüste. Gegen Ende seines Wirkens zog er sich häufig in die Stille des Ölbergs zurück. Dort, in der Einsamkeit des Gartens, konnte er beten, sich mit Gott vereinen, fern von der Hast und dem Getriebe der Welt. Dort traf sich der Meister oft mit seinen Jüngern und lehrte sie von dem Vater, dem Sohn und dem Himmelreich. Siehe Joh. 18:1, 2; Luk. 22:39.
Wer heutzutage vor dem hektischen Tempo des Familienlebens, der Geschäftswelt oder der Schule Zuflucht sucht, findet im Leseraum der Christlichen Wissenschaft in seiner Stadt eine friedevolle Stätte, an der er sich wie Jesus durch Gebet geistig erfrischen kann. Dort kann er auch mehr über Christus, Wahrheit, erfahren und darüber, wie man die Christliche Wissenschaft anwendet, um die komplexen Probleme des täglichen Lebens erfolgreich und harmonisch zu bewältigen.
In dem Kapitel „Gebet“ in Wissenschaft und Gesundheit schreibt Mrs. Eddy: „Um recht zu beten, müssen wir in das Kämmerlein gehen und die Tür schließen. Wir müssen die Lippen schließen und die materiellen Sinne zum Schweigen bringen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 15. Gibt es hierzu während eines geschäftigen Tages einen besseren Ort als die heilende Atmosphäre eines Leseraums — einer Oase, in der wir alle uns geistig erfrischen können?
Was Menschen zum Leseraum zieht, ist das Wirken des Christus und der Wunsch des einzelnen, mehr über die heilende Wahrheit zu erfahren. Die Menschen hungern nach Wahrheit, und es ist die Aufgabe eines jeden von uns, der im Leseraum tätig ist, den Christus, die Wahrheit, so zu leben, daß unsere Liebe alle berührt, mit denen wir in Kontakt kommen. Oft kommt jemand mit der Christlichen Wissenschaft das erstemal durch den Diensttuenden im Leseraum in Berührung. Wir müssen für einen solchen Augenblick geistig vorbereitet sein. Dies können wir am besten tun, wenn wir unser Denken über den Leseraum vergeistigen, ehe wir unseren Dienst dort auch nur beginnen. Wenn wir imstande sind, der Öffentlichkeit einen Vorgeschmack von dem heilenden Christus, der Wahrheit, zu geben — durch eine gut durchdachte Schaufensterauslage oder indem wir Fragen liebevoll mit der Wahrheit beantworten und geistig wachsam sind, so daß wir ihre Nöte erkennen —, dann mögen wir das Leben eines Menschen buchstäblich ändern.
Im Lehrbuch, Wissenschaft und Gesundheit, lesen wir: „Millionen vorurteilsfreier Gemüter — schlichte Sucher nach der Wahrheit, müde Wanderer, in der Wüste verschmachtend — harren und warten der Ruhe und der Erquickung. Gib ihnen einen Becher kalten Wassers in Christi Namen, und fürchte niemals die Folgen.“ Ebd., S. 570.
Aber der Leseraum ist nicht nur für den Neuling oder den erstmaligen Besucher da. Keineswegs! Der Leseraum ist für alle da, für Fremde und Kirchenmitglieder gleichermaßen, und er bedarf der geistigen Kraft und der metaphysischen Unterstützung, die der erfahrene Christliche Wissenschafter zu der Atmosphäre der Liebe beiträgt. Denken Sie auch daran, wieviel Gutes das inspirierte Denken des Bibliothekars, sein Pflichtbewußtsein und seine Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen seiner Mitmenschen bewirken. Und überlegen Sie einmal, was diese Tätigkeit für das eigene geistige Wachstum tun kann.
Ich bin abends im Leseraum eines belebten internationalen Flughafens tätig, und immer wieder bin ich dankbar für die Menschen, die sich durch Christus, Wahrheit, angezogen fühlen. Geschäftsleute, Studenten, Rabbiner, römisch-katholische Pfarrer, konfessionslose Prediger, alle kommen auf ihrer Suche nach derselben „köstlichen Perle“ Matth. 13:46.. In dem Bestreben, zur Wahrheit vorzudringen, stellen sie viele Fragen über die Christliche Wissenschaft, und praktisch alle sind für den Leseraum dankbar.
Eine Frau aus Kanada kam herein; sie war durch eine ansprechende Schaufensterauslage angezogen worden, die der Bibliothekar eigens gestaltet hatte. Als diese Besucherin den Leseraum betrat, schien es, als habe sie einen schon lange verlorenen Schatz wiedergefunden. Sie las in fast allem, was ausgelegt war, wobei sie schnell von einer Seite des Raumes zur anderen ging. Nach einiger Zeit kam sie schließlich zu mir heraus und vergoß Freudentränen darüber, daß sie endlich gefunden hatte, wonach sie ihr ganzes Leben gesucht hatte.
An einem anderen Abend kam eine Frau und wollte soviel wie möglich über die Christliche Wissenschaft erfahren, weil ihre Tochter gerade einen jungen Mann, der ein Christlicher Wissenschafter war, kennengelernt hatte und mit ihm ausging. In ihrem Bemühen, diese neuen Ideen zu erfassen, folgten Fragen und Antworten rasch aufeinander. Die Frau schien zufrieden zu sein; als sie fortging, gab ich ihr eine Broschüre, die ihre Fragen beantworten würde. Bei dieser Erfahrung war ich besonders dankbar für die Unterstützung durch die Gebete von Kirchenmitgliedern in aller Welt. Sie hatten bestimmt dazu beigetragen, daß diese Mutter die Wahrheit über die Christliche Wissenschaft selbst herauszufinden gesucht hatte, anstatt ihrer Tochter vielleicht die Wahl ihrer Freunde vorzuwerfen.
Eines Nachts, als ich gerade schließen wollte, kam ein junger Mann, der, wie die erstgenannte Frau, durch die Schaufensterauslage angezogen worden war, in den Leseraum. Er war offensichtlich sehr bekümmert und hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen. Ich fragte ihn (wie wir das oft tun), wohin er fliege, und er sagte, nach San Francisco. Auf meine Frage, ob er dort zu Hause sei, erwiderte er: „Nein, aber dort gibt es eine große Brücke!“, womit er andeutete, daß er sich das Leben nehmen wolle. Dann schüttete er mir sein Herz aus; er erzählte mir von der Untreue seiner Frau, einer bevorstehenden Scheidung und dem Verlust seines Heims. Er schämte sich, zu seinen Eltern zu gehen, die im Osten der Vereinigten Staaten lebten, und er war mit seiner Weisheit zu Ende; er fühlte sich ganz und gar verlassen. Er kämpfte mit den Tränen.
Zuerst redete ich in einfachen Worten mit ihm und versicherte ihm, daß sein eigener Wert als Individuum weder durch eine Scheidung, durch irgend jemanden oder irgend etwas jemals beeinträchtigt werden könne. Wir sprachen darüber, wieviel Gutes er im Leben als gesunder, lebendiger, liebevoller, aktiver Mensch tun könnte. Als er dafür bereit schien, lenkte ich das Gespräch allmählich auf das, was wahres Leben und wahre Liebe wirklich sind — Synonyme für Gott. Wir sprachen über seine wahre Beziehung zu Gott als Sein geliebtes Kind — Sein vollkommenes Bild und Gleichnis. Wir sprachen darüber, daß Gott ihn führt, erhält und schützt, ganz gleich, unter welchen materiellen Umständen. Ich versicherte ihm, daß wir uns immer an Gott wenden können, sooft wir nur wollen. Gott ist stets gegenwärtig, und wir sind niemals allein. Auch las ich ihm einen Vers aus einem Lied Mrs. Eddys vor, der lautet:
Ganz einerlei, welch Los dir sei,
So Liebe lenkt;
Ob Sonnenschein, ob Sturm — allein
Gott Frieden schenkt.Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 160.
Wir sprachen darüber, wie wichtig er für Gott war und wie Gott ihn brauchte, um die Eigenschaften der Liebe, Güte, Schönheit, Vollkommenheit und Vollständigkeit widerzuspiegeln. Jeder Tag, so versicherte ich ihm, sei eine Gelegenheit, etwas Konstruktives und Wichtiges zu tun — nämlich Gott widerzuspiegeln.
Ich freute mich, als ich merkte, daß das Denken des jungen Mannes von der Selbstvernichtung abließ und er statt dessen plante, was er tun wollte, wenn er wieder Fuß gefaßt hätte! Ich habe ihn nicht wiedergesehen, aber er verließ den Leseraum lächelnd und erhobenen Hauptes.
Welch herrliche Erfahrungen erwarten alle, die über dieser Oase der Wahrheit Wache halten, die dieses Leuchtfeuer im Nebel der Materialität und der Unsicherheit hüten! Durch unser Pflichtbewußtsein und unsere Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen unserer Mitmenschen sowie durch die Gebete aller, die mit dem Leseraum zu tun haben, können wir dazu beitragen, daß die Menschen die Größe, Allmacht und praktische Anwendbarkeit des Christus, der Wahrheit, erkennen.
