Kindesmißhandlung ist ein Problem, von dessen Ausmaß die meisten von uns wahrscheinlich überrascht sind. Das jämmerliche Leben, das solche Kinder führen, berührt uns alle zutiefst. Wir haben Mitleid — aber das reicht nicht, um diese tragischen Situationen zu heilen. Was wohl am meisten vonnöten ist, ist eine geistige Reaktion, die uns in stärkerem Maße instand setzt zu helfen.
Mir wurde das vor vielen Jahren klar, als ich eine schwierige Stelle an einer Schule für benachteiligte Kinder annahm. Ich unterrichtete die Anfängerklasse von Fünf- und Sechsjährigen. Diese Kinder waren alle wegen schlimmer Familienverhältnisse ins Heim gekommen. Viele waren mißhandelt worden, und die Narben der mentalen und körperlichen Entbehrungen, die sie erlitten hatten, waren mitleiderregend.
Zuerst war ich von der Aufgabe, diesen Kindern auch nur die einfachsten Lektionen beizubringen, überwältigt. Sie nahmen mein menschliches Mitgefühl und meine Liebe (und Geduld!) voll in Anspruch, aber das genügte nicht, um Ruhe und Ordnung in der Klasse zu schaffen, damit sie auch etwas lernten. Da ich Christliche Wissenschafterin bin, wandte ich mich in demütigem Gebet an Gott. Jeden Tag bemühte ich mich, in Gedanken an der Tatsache festzuhalten, daß Gott Vater und Mutter Seiner ganzen Schöpfung ist und daß Seine geistigen Kinder in Seiner zärtlichen Umarmung geborgen sind. Trotzdem war ich am Ende des Tages immer erschöpft.
Dann hatte ich eines Tages starke Halsschmerzen und konnte vor Heiserkeit keinen Ton herausbringen, so daß ich zu Hause bleiben mußte. Ich bat eine Ausüberin der Christlichen Wissenschaft, für mich zu beten. Sie entdeckte schnell, daß meine Krankheit sehr viel mit dem Mitleid für meine jungen Schüler zu tun hatte. Sie wies mich darauf hin, daß Christus Jesus die Menschen, die ihn umdrängten, nicht hätte heilen können, wenn er von menschlichem Mitleid überwältigt gewesen wäre. Durch das Verständnis, daß sie als Söhne und Töchter Gottes geistig, vollkommen waren, konnte er das Erbarmen des Christus zum Ausdruck bringen und sie heilen. Er heilte Aussatz, Blindheit, Lähmung und „alle Krankheiten und alle Gebrechen“ Mt 9:35., wie die Bibel berichtet.
Die Ausüberin las mir dann eine Stelle aus Mrs. Eddys Schriften vor, wo diese wahres Mitgefühl menschlichem Mitleid gegenüberstellt: „Gottes Wege sind nicht die unsrigen. Sein Erbarmen drückt sich in übermenschlichen Formen aus. .. Das Mitgefühl Seines ewigen Gemüts kommt in der göttlichen Wissenschaft voll zum Ausdruck, die alle unsere Missetaten auslöscht und alle unsere Krankheiten heilt. Menschliches Mitleid verursacht oft Leiden.“ Sie fährt fort: „Die Wissenschaft erhält die Harmonie aufrecht, verneint das Leiden und zerstört es durch die Göttlichkeit der Wahrheit.“ Vermischte Schriften, S. 102.
Ich begann zwischen menschlichem Mitleid, dem ich nachgegeben hatte, und wahrem Mitgefühl zu unterscheiden — dem Verständnis von Gottes Gesetz der Harmonie, der Wissenschaft des Seins, die Jesu Heiltätigkeit zugrunde lag. Als ich dieses Gesetz der Harmonie als eine gegenwärtige Wirklichkeit akzeptierte und Gott still dafür pries, wurde mein Denken von einem wunderbaren Gefühl des Friedens durchflutet. Ich spürte, wie die Kraft des Christus, der Wahrheit, den Halt des Irrtums, der mich buchstäblich an der Kehle gepackt hatte, löste. Ich wurde an jenem Abend vollständig geheilt, und gleichzeitig wurde ich frei von einer Anfälligkeit für Halsschmerzen.
Mit neuer Kraft und Herrschaft kehrte ich zur Schule zurück. Ich wußte, daß diese Kinder in Wirklichkeit unter Gottes Gesetz der Harmonie standen. Nichts Gutes konnte ihnen vorenthalten werden, weil Gott sie als Seine eigenen Söhne und Töchter liebte; und sie konnten Seine Intelligenz, Seine Liebe und Seine Freude ausdrücken. Als ich an diesen geistigen Wahrheiten festhielt und sie täglich von neuem in meinen Gebeten bestärkte, reagierten die Kinder darauf; sie drückten sich mit größerer Klarheit und Selbstsicherheit aus. Es gab weniger Zankereien und Gefühlsausbrüche — obwohl es immer noch gute und schlechte Stunden gab! Allmählich normalisierten sich die Verhältnisse, und Unruhe wurde durch Lerneifer ersetzt. Während der zwei Jahre, die ich an der Schule unterrichtete, spürte ich oft die zärtliche, aber mächtige Gegenwart der göttlichen Liebe und den Trost, den diese göttliche Gegenwart allen bringt.
Aus dieser Erfahrung habe ich etwas Wichtiges gelernt: nämlich daß menschliches Mitleid allein nicht heilt. Nur wenn wir dem Christus, der Wahrheit, die Vorherrschaft in unserem Bewußtsein einräumen und unser Denken auf eine geistige anstatt auf eine materielle Grundlage stellen, können wir in verzweifelten Situationen erfolgreich heilen und Trost bringen.
Christus Jesus versprach seinen Jüngern: „Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit.” Joh 14:16, 17. Gewiß erfüllte der Heilige Geist die Urchristen mit der Kraft und dem Mut, die sie befähigten, im Namen Christi Jesu Heilungen zu vollbringen. Mrs. Eddy erklärt in Wissenschaft und Gesundheit: „Unter diesem Tröster verstehe ich die Göttliche Wissenschaft.” Wissenschaft und Gesundheit, S. 55. Auch wir haben heute die Gelegenheit, durch christliches Heilen geistige Lösungen für die bedrückenden Probleme der Menschheit herbeizuführen. Wir können im eigenen Herzen die Gegenwart des Trösters bekennen und uns durch den „Geist der Wahrheit” stärken lassen.
Wenn wir beten, um für dieses Werk geistig gerüstet zu sein, stellen wir fest, daß wir über das Bild von Anfälligkeit und Hilflosigkeit, das sich uns manchmal bietet, hinaussehen können. Durch den geistigen Sinn erfassen wir, daß keins von Gottes Kindern sich jemals außerhalb Seiner allmächtigen Fürsorge befinden kann.
Gottes Gesetz gewährleistet immergegenwärtige Harmonie; es vereint den Menschen, Sein geliebtes Kind, für immer mit Ihm. Mrs. Eddy schreibt: „Gott sagt: Ich zeige Mein Erbarmen durch das göttliche Gesetz, nicht durch das menschliche Gesetz. Meine Übereinstimmung mit der Harmonie (nicht mit der Disharmonie) und Meine Kenntnis von der Harmonie (nicht von der Disharmonie) sind es, die allein Mich befähigen, jede Annahme von Disharmonie zurückzuweisen und sie schließlich zu zerstören.” Die Einheit des Guten, S. 18.
Wenn wir unser Leben in Übereinstimmung mit Gottes Gesetz der Harmonie bringen und unser Mitgefühl durch dieses Gesetz zügeln und in die richtige Bahn lenken lassen, helfen wir der Welt, den Tröster zu finden, der schon jetzt da ist.
