In der Grundschule wurde zur Weihnachtszeit ein Spiel aufgeführt. Seifenflocken tanzten im Rampenlicht und waren dem Schnee täuschend ähnlich, wenn nicht für die Zuschauer, so doch für die Schauspieler.
Ich war damals elf Jahre alt, und wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß dieses Spiel — ein Dauerbrenner seines Genres — rührselig sei. Ich ging völlig darin auf, mehr Zeilen auswendig zu lernen, als ich je für möglich gehalten hätte. Auch meinte ich, ich müsse wenigstens in etwa dem Jungen in dem Stück ähneln, ehe ich dieser Rolle gerecht werden könne.
Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten des Spiels erinnern, aber es ging darin um einen armen Jungen, der seine letzte Münze auf den Altar legte, worauf die Glocken der Kathedrale an dem Heiligabend nach Jahren des Schweigens zum ersten Mal wieder läuteten. So versuchte ich also gut zu sein. Nicht etwa, daß ich besonders ungezogen gewesen wäre, aber ich versuchte jetzt, mir aus freien Stücken und aus eigenem Antrieb beständig des Guten bewußt zu sein, und das war doch für mich eine recht neue Erfahrung. Deswegen ist mir jenes Weihnachtsfest unvergeßlich geblieben.
Weihnachten hat natürlich etwas mit Gutsein zu tun, nicht nur einfach mit dem Versuch, gut zu sein, sondern mit dem Gutsein selbst. Hinter all den Traditionen steht die Erwartung der Menschen, daß es wieder möglich sein müsse, zu dem Guten, um dessen Existenz wir wissen, Zugang zu finden. Dieses Bemühen mag zwar oft oberflächlich und kurzlebig sein, doch häufig kommt es trotzdem zu etwas Echtem. Für alle, die Jahr für Jahr dieses Gefühl „Es ist wieder Weihnachten” erleben, hat das weniger mit einem Kalenderdatum oder mit einer jahreszeitlichen Gefühlsregung zu tun als mit dem Wiederaufleben des vertrauten Gefühls, daß das Gute besteht, und der besonderen Freude darüber.
Das mag denn auch alles sein, was viele Leute in bezug auf das Kommen des Christus empfinden. Aber wir sind in dieser Hinsicht schon für jedes bißchen dankbar. Beim Christus geht es schließlich nicht um Glaubenslehren oder Begriffsbestimmungen. Man mag alle Definitionen kennen — mag ziemlich sicher sein, was es theologisch und metaphysisch mit dem Christus auf sich hat — und doch noch der Berührung des Christus bedürfen.
Zu wissen, daß Weihnachten kommt, bedeutet, daß wir bis zu einem gewissen Grade auch um das Kommen Christi wissen. Wir machen einen Fehler, wenn wir meinen, der Christus sei etwas Trockenes und Doktrinäres, wenn wir denken: „Ich sollte zwar mehr darüber wissen, komme aber nie dazu, mich damit zu beschäftigen.” Der Christus — die göttliche Idee, die zum menschlichen Bewußtsein kommt — ist in der Tat jener Geist, der das Beste des Weihnachtsfestes verkörpert. Er bringt uns eine Botschaft über das reine göttlich Gute. Wer sich ihr öffnet, erlebt den Christus als etwas Natürliches und Wirkliches. Man muß deshalb nicht gleich ein Gelehrter, ein Theologe oder ein Heiliger sein. Wir bringen schon „genug” mit, um diesen Christus zu erkennen. Dafür haben wir bereits das Rüstzeug; jeder besitzt es schon. Der Christus ist das göttlich Gute, das zu uns kommt, uns sichtbar wird und unser eigenes wahres Wesen als Ebenbild Gottes sichtbar macht.
Stützte sich Jesu Heilungs- und Erlösungswerk nicht auf ein einzigartiges, beständiges, klares Bewußtsein von der Gegenwart des göttlich Guten? Er deutete es selbst an, als er zu seinen Jüngern sagte: „Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!” Mt 7:11.
Wie anders wird doch Weihnachten für uns, wenn wir uns seinen Ursprung und Inhalt bewußtmachen. Weihnachten erinnert uns an die Geburt Jesu, an das Erscheinen jenes Menschen, der besser als jeder andere um die Allgegenwart des reinen göttlich Guten wußte, der lehrte, daß Gott Seinen Kindern das Gute schon geschenkt hat. Mary Baker Eddy schreibt über Weihnachten: „Die Erinnerung an das Kindlein von Bethlehem bringt den Sterblichen größere Gaben als die der Weisen aus dem Morgenland — Hoffnungen, die nicht enttäuschen können, die Weissagung wecken, Schimmer der Herrlichkeit, Kronen der Sanftmut, Diademe der Liebe.” Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, und Verschiedenes, S. 258.
Natürlich sollte Weihnachten ein wunderbares Fest für uns sein! Es kennzeichnet den Zeitpunkt, an dem die Menschheit das wahre Wesen der Dinge zu erkennen begann, die Wirklichkeit der göttlichen Liebe, die unser Vater und Schöpfer ist, die Wirklichkeit unseres eigenen Wesens, das ebenso unschuldig, geistig und vollkommen ist, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist. Um dieses kraftvolle Licht geht es beim Weihnachtsfest. Auch wenn dieses Licht jahrhundertelang vernachlässigt, mißverstanden und verzerrt wurde, so kann es doch nicht völlig verdunkelt werden. Noch immer strahlt es wie ein Stern und läßt alles, was seiner außerordentlich schlichten, leuchtenden, unweltlichen Botschaft nicht gleichkommt, neben sich verblassen.
In solcher Anerkennung der Weihnachten Christi liegt große Heilkraft. Jede Heilung durch geistige Mittel kommt dadurch zustande, daß wir vor der Allgewalt und Allgegenwart des göttlich Guten niederknien. Wir erwachen aus der Dunkelheit der fehlgeleiteten materiellen Sinne und verstehen wieder einmal, daß Gott dem Menschen, der zu Seinem Ebenbild erschaffen ist, bereits das absolute Gute und Vollkommenheit geschenkt hat.
Krankheit und Böses und Sünde kommen nicht von Ihm, noch hat Er sie erschaffen, noch duldet Er sie in Seiner Schöpfung. Sie sind Ihm fremd, sind Seinem Geschenk der Liebe unähnlich. Auch handelt es sich hierbei nicht um ein unerreichbares Ideal, das erst in einem späteren Leben und zu einer anderen Zeit verwirklicht werden kann. Das Ideal ist bereits in unserem Denken enthalten, denn es läßt, wenn auch noch so vage oder verschwommen, die Konturen der gegenwärtigen, allumfassenden göttlichen Wirklichkeit erkennen. Das Leben Christi Jesu zeigt uns, daß dieses Ideal realistisch ist, und durch die Christliche WissenschaftChristian Science (kr'istjən s'aiəns) erkennen wir, daß es uns jetzt als praktische Lebensgrundlage dienen kann.
So enthält denn die Weihnachtsbotschaft Heilung für uns — nicht nur Liebe und Wohlgefallen, sondern praktisch erfahrbare Heilung. Wenn wir dem Christus unser Herz schenken und ihn anerkennen, wird uns das allergrößte Geschenk gemacht: Wir erlangen ein Verständnis davon, was das göttlich Gute uns jetzt in unserem Leben bedeuten muß.
